Am Freitag konnte dann das Thema beginnen, aus dem wir dann auch nicht mehr herausgekommen sind: Der Weg – Le Chemin. Auf dem offiziellen Programm stand erst für den Nachmittag ein Empfang beim Bürgermeister von Laon. Eine seltene Ehre, aber auf Betreiben des Verlegers arrangiert.
Wenn man einen Text übersetzt, der von etwas handelt, das man nie gesehen hat, dann lebt man in den Atmosphären der einzelnen Zeilen, versucht sich eine Vorstellung davon zu machen, was dem Autor vorgeschwebt haben mag. Und so bildet man es nach. Kurz: Transluzidieren und die Schatten wiedergeben… natürlich lentus in umbra.
Also auf zum Chemin des Dames. Und wieder meine Schwierigkeit, die Fahrtrichtungen zu identifizieren. In den Kreisverkehr-Rotunden verwirrende Beschilderungen. Bis wir die Straße erreichten, die über den Chemin des Dames führt, auf dem Asphalt mit einem blauen Strich gekennzeichnet. Also durchaus als denkmalträchtig anzusehen.
Eine ziemlich gerade Straße, gesäumt von riesigen Ackerflächen, gelegentlich Einsenkungen, in denen es grün sich aufbäumte gegen all das Braun der Äcker. Nur der Himmel, aber i m m e r Himmel… (Brecht, Baal). Überhaupt nicht blau. Nichts, was ihn irgend begrenzte. Die Äcker als Sockel für den Himmel, dieses Braun/Blau auch der Illustrationen von Elizabeth.
Endlich eine Ansammlung von Häusern. Cerny-en-Laonnois. Eine Mairie mit französischer Beflaggung, daneben eine école maternelle. Niemand zu sehen. Ein Lokal: Le Poilu. Allerdings geschlossen, wir wären sonst eingekehrt. Eine gedrungene kleine Kirche/Kapelle in einer förmlich auf die Erde stampfenden Form, der es widerstrebt, wie die Gotik in den Himmel zu streben. Ein leerer Autobus.
Nebendran mein erster und einziger Soldatenfriedhof. Vorn das Viereck der Franzosen: “mort pour la France”. Einfache Kreuze, ein kleines Beet davor. Ausgenommen gelegentliche Musulmanen, aber nur was die Kreuze betraf. Auch russische Namen in der einen Ecke.
Ganz anders der dahinterliegende deutsche Soldatenfriedhof, aus dem gerade die Autobus-Besatzung hervorquoll: ein Schulausflug für den Geschichtsunterricht. Keine Beete. Die Kreuze trugen zumeist auf der Hinter- und Vorderseite jeweils zwei Namen. Vereinzelte Stelen mit Davidstern. Dazwischen das schon gefallene Herbstlaub (Ungaretti?).
Und wenn Baal der dunkle Schoß hinunter zieht:
Was ist Welt für Baal noch? Baal ist satt.
Soviel Himmel hat Baal unterm Lid,
daß er tot noch grad gnug Himmel hat.
Abermals Baal. Post-WK-I-Stimmungen in Deutschland. Eine gewisse Parallele herzustellen zu Wilhelm Müllers Winterreise, wäre gewagt, aber in solchen Zeilen taucht etwas in der Richtung auf: Die Wolken des Himmels über Feld und Baum / die wissen nicht wozu? / Sie haben einen weiten Raum. (ibd.)
Oder sie haben etwas mit dem Chemin des Dames zu tun. Wolken und Wind. Statt “Feld und Baum” hätte ich fast geschrieben “Feld und Raum”.
Weiter dann zu einer Gedenkstätte. Abermals Autobusse. Abermals Schüler. WK-I-Nippes zuhauf. Ein weiterer Ort. Hurtebise. Im Titel eines der Gedichte, eigentlich das Wort, das einst meine Aufmerksamkeit entfacht hat. Das Wort, sagte Raymond, habe schon Cocteau in einer abgewandelten Form benutzt. Ich finde hierzu “Hurtubise”.
Zuletzt ein in der damaligen Schlacht verschwundener Ort. Zwei-drei Stufen einer nicht mehr stehenden Kirche. Durch Granateneinschläge verursachte Krater im nunmehr Waldboden.
Unterwegs dorthin auf er immer sehr karg befahrenen Straße plötzlich eine weiße Figur allein auf weiter Flur. Ein Napoleon-Denkmal. Auf der Rückfahrt bat ich um um einen Halt, ich wollte ihn fotografieren. Schön sah er nicht aus mit seinen etwas plumpen Schenkeln, ein blauweißrotes Sträußlein neben dem linken Stiefel.
Am Nachmittag dann zur Mairie. Ich empfand es als eine Art Antechambrieren,,, Die Wartezeit zog sich hin. In der Vorhalle stießen Mairie-Angestellte zu uns, unterhielten sich (natürlich auf Französisch) mit dem auch schon eingetroffenen Verleger. Ein riesiges Bild des tags zuvor verstorbenen Ex-Präsidenten Jacques Chirac, daneben auf einem Tisch ein Kondolenzbuch, bis dahin ohne Einträge.
Endlich dann der Eintritt. Ich hatte Fragen befürchtet. Ihn interessierte nur mein Woher. Daß ich Italien nannte, schien ihn überrascht zu haben. Fing auch gleich an von Comer See und Lago Maggiore zu reden. Nu jut. Vielleicht hätte ihn eher “Niedersachsen” interessiert. Die Stadt hat eine Partnerschaft mit Soltau. Die auch ventiliert wurde für die dortige Vorstellung des Büchleins.
Noch einige andere Verabredungen. Wie der Tag endete, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich dort, wo wir Lasagne aßen und Beaujolais (Elizabeths Lieblingswein) tranken. Jolie. Und herzliche Begrüßung durch eine Porsche-Menschen… Kind of Laon-Nightlife… Hätt’ ich sein schnelles Französisch verstanden, hätte ich vielleicht verstanden, daß es ihn freute, mich kennenzulernen, aber so richtig kam das nicht rüber…
Eher so von Gesichtsausdruck zu Gesichtsausdruck… da kann man sich behelfen. Auch die Hände spielen mit.