Auch dieses schmale Buch ist, wie im Spätwerk das der Durchsichtigen Dinge, nicht eigentlich ein Roman, formal liegt es für mich zwischen einer langen Erzählung und abermals einer Novelle, >>>> jene Dinge indessen tatsächlich vollendet.
Den Späher schrieb Nabokov mit Dreißig. Da ist die Präzisionskraft seiner inneren Bilder —
Vom Dienst kamen Berliner Beamte, nachlässig rasiert. jeder mit einer Aktenmappe unterm Arm, die Augen trübe vor Übelkeit – so fühlt man sich, wenn man auf nüchternen Magen eine schlechte Zigarre raucht.
Güte, 1924
— längst in Stil umgeschlagen (ich zitiere nach der Erstausgabe deutscher Sprache, also Dieter E. Zimmers):
So lud mein ganzes schutzloses Wesen das Unglück geradezu ein. Eines Abends wurde die Einladung angenommen.
Späher, S.20
Es ist bei Geschichten dieses Umfangs nicht sinnvoll zu erzählen, wovon sie handeln, weil es in der Dichtung sowieso um anderes geht, als es geht — nämlich nicht um einen “Plot”, der allenfalls ihr Anlaß ist. “Einfälle” haben wir alle, sie liegen an der nächsten Straßenecke munter herum, als zerknorkelter Abfall entlang jeden Bordsteins; wir müssen sie konzentriert glätten, wenn wir sie aufgehoben haben – genau aber dies, dieser Prozeß, ergibt im, soferne es glückt, Ergebnis den Stil. Dieser ist, anders als jene, unkopierbar. Wer es versucht, wird notwendigerweise epigonal: Deshalb hat Stil nicht die geringste Angst vor Plagiaten – dem, moderner gesprochen, copy & paste –; das Urheberrecht ist ihm bloß Popanz. Den fetischisiert die literature en vogue um so mehr, wie eben auch ihre Stillosigkeit, die sich der Mainstream, vor Markenzeichen tumb, ganz selbst als Tattoo sticht. Beseelt von der Leere, wird ihm und seinen Verkündern, den “Fans”, bereits die kenntliche Handschrift zu üblem Manierismus – um so mehr, wenn sie nicht leserlich ist, also auf Anhieb nicht zu deuten: “Wo ‘is’n da die Botschaft??!” Und sowieso, alles zu komplex … — Oh das Elend der Äquivalenzform!
Uns aber, die noch die Leere s p ü r e n (und zu spüren auch bekommen), bereitet es
ein prickelndes Vergnügen. Rückschau zu halten auf die Vergangenheit und sich zu fragen: “Was wäre gewesen, wenn …”, dabei ein zufälliges Geschehnis durch ein anderes zu ersetzen und zu verfolgen, wie aus einem grauen, öden, langweiligen Moment des eigenen Lebens ein wunderbares rosiges Ereignis entsprießt, das in der Wirklichkeit zu blühen versäumte. Sie ist etwas Geheimnisvolles, diese sich verzweigende Struktur des Lebens: In jedem vergangenen Augenblick erahnt man eine Weggabelung, ein “So” und ein “Anders” mit unzähligen blendenden Zickzacklinien, die sich vor dem dunklen Hintergrund der Vergangenheit doppel und dreifach reihen.
S. 42
Woraus sich immer wieder Eindrücke einer fast halluzinatorischen Schärfe heben, wie, sommernachts manchmal, Straßenlaternen den Dingen eine ganz besondere Leuchtkraft verleihen:
Wanjas Augen hatten die undurchsichtigere Iris und waren im Unterschied zu denen ihrer Schwester leicht kurzsichtig, als wären sie aufgrund ihrer Schönheit für den alltäglichen Gebrauch nicht so recht geeignet.
S. 44
Dann scheinen Wohnungen oberer Stockwerken wie Luftschiffe zu schweben ( S. 59), und man erlaubt sich sogar die besondere Feinheit, statt eines harten “k”s – zumal noch mit folgendem “t” – ein weiches “g” zu nehmen, da mancher Wesen Wimpern anders solch Schwere kaum trügen:
Wie zauberhaft interpun|g|ierten ihre Augenlider seine Sätze, wie entzückend war das Flattern ihrer Schlußpunkte, als Smurow seine Erzählung beendete, was für einen Blick warf sie ihrer Schwester zu – einen feuchten, seitlichen Blitz –. wahrscheinlich um sicher zu gehen, daß der anderen ihre Erregung nicht aufgefallen war.
S. 64
Wen wundert es nun noch, wenn die
Möbel erstarrten vor Verwunderung,
da jemand ein leeres fremdes Zimmer betritt, es, mit Nabokovs Wort, “überrascht” (S.73)?
Spannend allerdings auch, wie süffisant er Motive wiederholt, die früher schon ausgeführt waren, indem man
am selben Tag, an dem man von einer Reise wiederkehrt, die Bekanntschaft des Mannes macht, der im Zug auf dem Platz gegenüber gesessen hatte.
S. 78
Genau so etwas geschah zwei Jahre zuvor in Bube, Dame, König. Aus der Folge der Bücher wird ein narratives Netzwerk, das auch g e g e n den Zeitstrahl kommuniziert. (Ebenso findet sich das Motiv der Schlaflosigkeit und der nächtlichen Hochempfindlichkeit gegen Licht bereits in den frühen Geschichten dem Eindruck nach nahezu wortgleich.)
Der (um nicht “Schlüssel” zu schreiben, sag ich lieber:) Clou indes, d i e s e r Geschichte, der sie tatsächlich mit den so viel späteren Durchsichtigen Dingen verwandt macht, findet sich auf S. 116:
Als ich die Tür aufdrückte, bemerkte ich das Spiegelbild in dem Seitenspiegel: Ein junger Mann mit Melone und einem Blumenstraße in der Hand stürmte mir entgegen. Das Spiegelbild und ich verschmolzen.
Und er trat auf die Straße hinaus.
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Vladimir Nabokov
Der Späher
Roman
Aus dem Englischen von Dieter E. Zimmer
Letzte Fassung in den >>>> Gesammelten Werken, 4
ISBN 10 3498046403