Kurt-Wolff-Preis 2020 für Arco. Im Nikolausjournal des Freitags, den 6. Dezember 2019. Sowie erneut zur Mehrdeutigkeit der Neins.

[Arbeitswohnung, 8.57 Uhr
John Cage, Quartets]
Sie war eine schöne, sehr schöne Überraschung gestern, diese Nachricht:

Arco Verlag erhält Kurt-Wolff-Preis 2020

Der Wuppertaler Arco Verlag wird mit dem Kurt-Wolff-Preis 2020 geehrt. Er gehöre zu den wichtigsten Verlagen jüdischer Literatur im deutschen Sprachraum, teilte die Kurt-Wolff-Stiftung in Leipzig mit. Die mit 26.000 Euro dotierte Auszeichnung wird traditionell auf der Leipziger Buchmesse vergeben – im kommenden Jahr am 13. März. „Mit großem Spürsinn stellt Arco Neuentdeckungen der Gegenwartsliteratur in den Echoraum der klassischen ästhetischen Moderne“, erklärte die Stiftung. Dabei werde nicht zuletzt die Erinnerung an jüdische Autoren und Autorinnen des 20. Jahrhunderts wachgehalten.

Wir telefonierten einige Zeit, Cristoforo Aco und ich. Nun behebt zwar die zitierte Entscheidung nicht meine eigene finanzielle Misere, mildert sie nicht mal, macht aber doch einiges möglich, das der Verleger und ich geplant oder bislang auch nur, um es im häßlichen Neudeutsch zu schreiben, „angedacht“ hatten und haben. Vielleicht kann es nun doch, nachdem die Erzählungen nahezu insgesamt >>>> in diesen so schönen zwei Bände erschienen sind, zu einer halt ebenso umfangreichen Ausgabe meiner Essays und Kurzstücke zu anderer Literaturen kommen, darinnen auch einiger Rezensionen, die ich ja fast alle so anzulegen versuche, daß sie übers Aktuelle hinausweisen und eben s e l b s t einem Kunstanspruch genügen. Genau darauf, nach Schlegel und Benjamin, kommt es mir an.

Ansonsten hatte ich immer noch weiter mit der Wiederherstellung meiner Musikanlage zu tun; jetzt ging’s um die Stax-Hörer. Ist noch nicht gelöst. Und paar nächste Verse am neuen Béartgedicht geschrieben, bzw. entworfen – sind noch nicht gut genug, um ihren Entwurf hier einzustellen; aber das wird kommen. Und bei Nabokov bin ich nun schon auf der Seite 611 des ersten Bandes seiner Erzählungen, deren einige wirklich bemerkenswert sind. Mein nächster >>>> Nabokovlesen-Beitrag wird gewiß ein längerer werden, oder ich werde ihn auf zweidrei Postings verteilen. Etwas gedulden, Liebste, müssen Sie sich aber noch.
Denn erst habe ich etwas anderes anzugehn, nämlich wahrscheinlich nicht drum herum kommen, für mich selbst die Grundsicherung zu beantragen, was auch für Freiberufler über das sogenannte Jobcenter läuft, also auch für Künstler geht, aber einige Nachteile, ja sogar Gefahren birgt, die ich erst einschätzen und gegebenenfalls aus der Welt räumen muß. Dazu brauche ich dort einen Beratungstermin, und zwar möglichst noch nächste Woche. Über den Januar komme ich zwar noch, aber ab Februar geht mir definitiv die Luft aus. Rechne ich die Bearbeitungsfristen ein, ist deshalb Eile geboten.
Daß ich diesen Schritt höchst ungern tue, muß ich Ihnen nicht schreiben. Doch w e r schon ginge ihn gerne? Auf jeden Fall streckt die Altersarmut von Künstlern, von der ich viel gelesen und über die ich lange – und da noch zurecht – gelacht habe, zwei Monate vor meinem Fünfundsechzigsten ihre ungeschnittenen Fingernägel böse nach mir aus. Finanzielle Lichtblicke schimmern erst vom noch fernen Sommer herüber. Mit Literaturpreisen ist angesichts meiner argen Beliebtheit nicht zu rechnen, mit Stipendien ebensowenig; die von Septime herausgebrachten Erzählungen werden ja nicht einmal angemessen besprochen, statt dessen wie erwartet die übliche Verschweigerei weitergeht. Dazu ein weiteres langes Telefonat, diesmal mit Phyllis Kiehl und zu eben diesem Thema, geführt. Anlaß war allerdings etwas ganz anderes, nämlich dieser Spendenaufruf von Avaaz, mit dem ich inhaltlich mehr als nur einverstanden bin – nicht aber mit der Überschrift des Mailings, dem die falsche, allein moralideologische Behauptung EIN NEIN IST EIN NEIN in den Titel gesetzt worden ist. Genau das machte mich wütend. Je nach den wirkenden, seien sie bewußt oder nicht, Dynamiken kann ein Nein zwar durchaus eines sein, aber eben auch ein „Jein“ oder sogar ein Ja. Umgekehrt liegt am Grund manch eines Jas ein derart entschiedenes Nein, daß es allein aus Angst oder, sagen wir, abhängiger Unterwerfung nicht laut und meist sogar überhaupt nicht gesagt wird.
Ich unterstütze Avaaz seit Jahren mit monatlichen Beträgen; hier kann ich es nicht mehr, weil ich mich sonst bei einer „Politik“ mitschuldig machte, die mit falschen Sätzen reüssiert, ich also meinerseits ideologisch würde. Ich bin aber nicht nur in meiner Poetik ein Vertreter der Ambivalenz und Zwischentöne. Wenn Nietzsche schrieb, es gebe keine perfidere Art, einer Sache zu schaden, als sie absichtlich mit fehlerhaften Gründen zu verteidigen (Fröhliche Wissenschaft, >>>> 191), so gilt dies nicht minder, wo zwar keine Absicht vorliegt – ja, mich juckt es auszurufen: „nicht mal das!“ -, es aber dennoch fehlerhafte Gründe sind. — Wobei ich fürchte, hier hinzusetzen unterdessen zu m ü s s e n, daß ich Vergewaltigungen selbstverständlich als eine schwere Straftat sehe, vor der die Gefährdeten geschützt werden müssen, egal in welchem Land. D a ß ich es tun muß, also diese Versicherung abgeben, zeigt, wie heikel mein Stand und der einer und eines jeden mittlerweile ist, die oder der sich gegen im Mainstream – jedenfalls des „intellektuellen“ – als Dogma postulierte Glaubenssätze stellt. Ich erinnere an Flaßpöhler. Es ist, als säße man auf einer Tribüne unter Hunderten Hooligans, doch feuerte die Gegenseite an.

Und sowieso und nach wie vor, es gilt Lezama Lima:

Nur das Schwierige ist anregend; nur der Widerstand, der uns herausfordert, kann unser Erkenntnisvermögen geschmeidig krümmen, es wecken und in Gang halten.


Die amerikanische Ausdruckswelt

 

Ihr ANH
[Juliane Klein, „und folge mir nach“ (2005)]

5 thoughts on “Kurt-Wolff-Preis 2020 für Arco. Im Nikolausjournal des Freitags, den 6. Dezember 2019. Sowie erneut zur Mehrdeutigkeit der Neins.

  1. Zu Svenja Flaßpöhler hier noch einmal der >>>> Link auf ihr wirklich kluges, ja großes taz-Interview:

    „In Deutschland wurde das Sexualstrafrecht auch erst kürzlich verschärft – unter dem Leitsatz «Nein heisst Nein». Sicher kann ein klares Nein Ausdruck von Selbstbestimmung sein. Doch aus diesem Slogan spricht auch das Patriarchat. Die Sexualität der bürgerlichen Frau hat sich, das kann man bei Rousseau nachlesen, über das Neinsagen herausgebildet. Sexuell gesehen ist die Frau, kulturhistorisch betrachtet, die reine Negativität. Sie will nichts. Und sie hat nichts zwischen den Beinen.“

  2. Wer ist denn da“wir“? Nennt man das einen Gruppentext? Oder soll ich als einzelner Leser irgendwie von einer anonymen Person vereinnahmt werden?
    Das verbitte ich mir.
    Häme und Boshaftigkeit, das ist richtig.

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