„… sag, daß du mich liebst, das heimatlose Gespenst,
rück näher, gib mir deine Hand …“
Geisterwelt (1921), S.15
„Ach, mein Freund, ich bin in Madonnen verliebt!“
Die Venezianerin (1924), S.231
Es war für meine Lektorin, aber auch mich selbst überraschend, wie früh in meiner Arbeit, besonders >>>> den Erzählungen Motive und Themen angelegt, teils sogar schon ausgeführt sind, die ich erst viel späteren Büchern vorbehalten glaubte. Das Gleiche fällt bei Nabokov auf, etwa eine – bei ihm allerdings weniger ausgeprägte – Neigung zur Phantastischen Literatur; staunen ließ es mich dennoch. Denn bereits seine allererste Geschichte handelt von einem Geisterwesen, schlägt mit ihm indessen schon eines der Generalthemen Nabokovs an, den Verlust der Heimat, die seine Bücher bis zu dem letzten Roman auratisch immer mitbestimmt,
… helle, kindliche Eindrücke, deren Farbe an den Fingerspitzen des Geistes zurückbleibt
Vollkommenheit (1932), S.642,
nämlich des alten Rußlands von vor der Revolution, eines der – fast durchweg mit dem erinnernden Blick von Jungen oder jungen Männern gesehen – Birken und Skabiosen, Isbi, ausgedehnten Herrenhöfe, Gouvernanten und anderen Dienerschaften, und nach ihr eine Sehnsucht, die, wird vermutet, diesen Romancier den Nobelpreis gekostet hat, weil ihr Ausdruck auch der seines harten Antikommunismus war – noch bis zu den späten Achtzigern auch im weltweiten Literaturbetrieb nicht sehr opportun, schon gar nicht in den Sechziger/Siebzigerjahren, als dieses Werk in Blüte stand.
Doch der erscheinende Geist verschwindet immer wieder, dies macht das Bittre seiner Süße aus:
Als ich das Licht anzündete, saß niemand mehr im Sessel … niemand … Doch im Zimmer roch es wundervoll zart nach Birkenrinde, nach feuchtem Moos …
Geisterwelt, S.16
Dem entspricht eine deutliche Neigung des jungen Autors zum Pantheismus, der die Liebe zur verlorenen Heimat mit jugendlichem Optimismus, ja Lebensfreude nährt:
Alle Bäume sind Pilger. Sie haben ihren Messias, nach dem sie auf der Suche sind. Dieser Messias kann eine majestätische Libanonzeder sein, vielleicht aber auch irgendein ganz kleiner, ganz unscheinbarer Busch in der Tundra …
Götter (1923), S.96
Was der junge, damals in Berlin lebende Nabokov nun auf seine unmittelbare Gegenwart, also den Emigrationsort überträgt:
Heute gehen die Linden durch die Stadt. Man wollte sie zurückhalten. Hatte ihre Stämme rundherum mit Gittern umgeben. Aber sie bewegen sich trotzdem weiter …
a.a.O.
bis sie sogar, fünf Seiten nachher, „in weichen, orangefarbenen Haufen die Boulevards entlang in den durchsichtigen Himmel“ schweben.
Für Worte gibt es keine Schranken. Versteh das doch! (…) Verzeih mir, daß ich nicht weinen kann, einfach so wie ein Mensch weint – ich singe und laufe immer irgendwohin, hänge mich an alle Flügel, die an mir vorbeifliegen, groß, zerzaust, mit einer Woge Sonnenbrand auf der Stirn.
Götter (1923), S.105/106
Die sozusagen physiologische Kehrseite solchen Sturms & Drangs – um meine geliebte Großmutter zu zitieren: „himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt“ – (Nabokov war vierundzwanzig, als er „Götter“ schrieb), ist eine Marter der Schlaflosigkeit; auch sie ein Motiv, das Nabokovs gesamte Dichtung durchzieht, insbesondere eine Überempfindlichkeit gegen nächtliches Licht, die manischen, zwanghaften Charakter annehmen kann und erstmals im selben Jahr formuliert wird:
Er zog die Falten des Vorhangs so eng zusammen, daß nicht ein einziger nächtlicher Strahl ins Zimmer fallen konnte. Aber als er das Licht gelöscht hatte, bemerkte er vom Bett aus, daß der Rand eines kleinen Glasgestells aufleuchtete. Da stand er auf, machte sich am Fenster zu schaffen und verfluchte das Mondlicht. Der Fußboden war kalt wie Marmor.
Der Schlag des Flügels , S.35
Auch selbsttherapeutische „Einschlafhilfen“ wie die folgende finden sich immer wieder (später – wohl weil das Schäfchenzählen schon seinerzeit zu abgedroschen war – werden es bisweilen Szenen aus dem Tennis werden, mit dessen Unterricht sich Nabokov einige Jahre über Wasser hielt):
Er (…) stellte sich Wellen vor, die gleichmäßig an das Ufer schlugen. Dann wollige Schafe, die sich langsam über einen Flechtzaun rollten.
S.37
Sie hat aber, diese, ja, Schlafnot, poetisch konturierenden Charakter; die Halbschlafbilder bekommen eine fieberige Schärfe, und so auch leuchten sie; übersetzen wir sie in Sprache, wetzt es, weil Sehsucht immer auch bitter ist, den bei Nabokov in jungen Jahren noch unironischen Realismus, und wachend schaut er bitter hin:
Vom Dienst kamen Berliner Beamte, nachlässig rasiert, jeder mit einer Aktenmappe unterm Arm, die Augen trübe vor Übelkeit – so fühlt man sich, wenn man auf nüchternen Magen eine schlechte Zigarre raucht. Unaufhörlich huschten ihre müden und
(in dieser Zeit zeichnete George Grosz >>>> die Straßen Berlins ganz genauso)
gierigen Gesichter, ihre hohen Kragen vorüber.
Güte (1924), 122
Auffällig übrigens, daß das erste Exil, des Studenten in London, kaum einen Wiederhall im Frühwerk findet, außer in der phantastischen Groteske vom Kartoffelelf (1924), in der es zwar den sehr schönen Einfall gibt, daß jeder
einzelne Tag des Jahres ein Geschenk (ist), das lediglich einem einzigen Menschen gemacht wird – dem glücklichsten; alle anderen Leute benutzen diesen Tag, um sich am Sonnenschein zu erfreuen oder über den Regen zu schimpfen, und wissen doch nie, wem dieser Tag in Wirklichkeit gehört und sein glücklicher Besitzer erfreut und ergötzt sich an ihrer Unwissenheit,
S.152,
die dann aber doch, trotz einem „blauen Flammenschleier über der Kohle im Kamin“ (S.167), eher müde ausrinnt als daß sie poetisch zufriedenstellend enden würde. Es ist ein bißchen so, als hätte ihr Autor nach doch einigem erzählerischen Aufwand die Lust an seinem Text verloren. Er selbst schreibt denn auch dazu, und rechtfertigt allerdings das abermalige Erscheinen:
(…) alles in allem handelt es sich nicht eben um mein Lieblingsstück, und wenn ich es in die Sammlung mit aufnehme, so nur deshalb, weil die fehlerfreie Neuübersetzung (ins Englische, ANH) einen wertvollen persönlichen Sieg darstellt, wie er einem betrogenen Autor eher selten zufällt.
Nabokov 1973, zitiert nach den Anmerkungen, S.775
Zu Berlin hingegen hat er 1925 sogar den erzählenden „Stadtführer“ geschrieben, von dem ich schon erzählt habe – lesen Sie, Geliebte, >>>> in der Ergebenheit des Weibchens die Straßenbahn nach – und der das berühmte Aquarium mit Jules Verne durchschreitet, mit dem der junge Nabokov durch der Nautilus Bullaugen auf die Ruinen von Atlantis schaut, wobei er das Pentagramm seines Feindes entdeckt:
(…) und auf einem Stück Sand liegt ein lebendiger, hochroter, fünfzackiger Stern. Daher also stammt das berüchtigte Emblem – vom Grunde des Ozeans, aus der Düsternis der versunkenen Atlantica, die vor langen Zeiten allerlei Umwälzungen durchmachte, als sie mit aktuellen Utopien und anderen Dümmlichkeiten herumpfuschte, die noch uns zu Krüppeln machen.
S.371
Er wird seinen Abscheu, wie ich oben schon schrieb, lebenslang so wenig verlieren wie ich den meinen gegen den Mainstream, der auch auf Dümmlichkeiten wächst, nur freilich solchen, die nicht so unausdenklich viele Menschen um ihr physisches Leben gebracht haben, sondern nur die finanzielle Existenz einiger weniger bedrohen, die nicht mitklatschen wollen, weil sie’s, jedenfalls ohne dauerzukotzen, tatsächlich auch nicht könnten. Dazu sind sie zu „elitär“, was zu Nabokovs Antikommunismus dann doch noch einen Bogen schlägt. Aus einem alten Boden.
*
Aus dem der verlorenen Heimat als eines Märchens vom Gewesenen steigen nun aber ebenso früh, kristallen wie bei Andersen, auch Nabokovs Frauenfiguren auf, seine bis ins Alter deutlich vorherrschende Neigung zu weiblich-ephebischen Wesen (auch dies meinen eigenen Vorlieben nahe), Elfen gleichsam | aus aber Fleisch und Blut und von möglicherweise, medizinisch gesprochen, anorektischen Charakterzügen; ihre – wiewohl durchaus robuste, zuweilen schnippisch-spöttische – Zartheit gleicht den Flügeln der Schmetterlinge, denen dieses Autors zweite große Leidenschaft galt. So schon in der bezeichnenderweise Der Schlag des Flügels benannten Erzählung von 1923:
In ihrer Erscheinung lag etwas Schwebendes und Ungestümes; ihr Mund war so leuchtend, daß man meinte, der Schöpfer habe heißes Karmesin genommen und es ihr mit der hohlen Hand in die untere Hälfte des Gesichts gedrückt. Von ihr ging ein Duft von Frost und Parfüm aus. (…) Sie lächelte strahlend und zog das schwarze Bändchen auf ihrer durchsichtigen Schulter zurecht … ihre Augen (…) strahlten, als wären sie mit Rauhreif bestäubt
S.25/32/33
Interessant dabei, wie eng die schwärmenden Beschreibungen fast immer mit russischen Landschaftsprägungen verbunden, von ihnen vielleicht sogar verursacht sind. Etwa könnte das folgende Zitat durchaus auf eine dieser fast ihrerseits Geistgeschöpfe Anwendung finden:
Wenn man von unten zu den Wipfeln der Birken aufsah, erinnerte einen ihr Laub an sonnendurchtränkte durchscheinende Weintrauben.
Kein guter Tag (1931), S. 521
„Sah man sitzend zu ihr hoch, erinnerte die Haut ihres Gesichtes an …“ — Oder in der melancholisch-schönen Erzählung Musik von 1932 „unter dem ohnmächtig werdenden Himmel eines schwülen Abends“ (S.629):
Ihr ganzer Körper war samtweich; man sehnte sich danach, sie aufzunehmen, wie man ein Fohlen mit angewinkelten Beinen aufnimmt … so klein und schlank sie war …
S.632
Besonders elfisch dann, wenn auf die „kornblumenblauen Augen“ einer jungen Frau der „Schatten schwarzer Wimpern“ fällt, sie
gegen die äußeren Augenwinkel hin länger zu sein schienen, was ihren Augen eine ganze besondere, jedoch rein imaginäre Schräge verlieh.
Die Nadel der Admiralität (1933), S.676
Wiederum der Jugendschwarm Tanja, an die Innokentji auf dem „dicken Stamm einer Birke“ denkt,
die unlängst von einem Gewitter gefällt worden war (und die von dem Schreck noch an all ihren Blättern zitterte) … — Im bunten Dunst (…) flimmerten junge Leute, rennende Kinder, jemandes schwarzer, mit grellen Mohnblumen bestickter Schal, ein weiterer Foxterrier und vor allem, vor allem jene Augen, die da durch Licht und Schatten glitten, jene Züge, die, obwohl noch unbestimmt, ihn bereits mit verhängnisvoller Faszination bedrohten.
Der Kreis (1934), S.719
All ihnen eignet, daß sie sich, wie die erinnerten Petersburger Bürgergebäude,
halb vom Wanderer abwenden, wie es die Schönheit immer zu tun pflegt.
S.687
Denn wirklich habhaft werden wir ihrer nie, schon weil nicht heraus ist, ob sie nicht doch „nur“ Projektionen unserer Animae sind, mit denen die leibhafte Person, ich meine ihr Urbild, möglicherweise nicht mehr zu tun hat als die leibliche Form des Erscheinens – für die sie in aller Regel wenig kann. Denn Allegorien gleich materialisiert sie sich für eine unbestimmte Zeit in solchen Personen, durchzieht sie gleichsam allegorisch und wirkt so auf uns, ohne daß die erfaßte Person selbst es zu vertreten hätte; ja, was durch sie wirkt, kann ihr völlig fremd sein.
Das gilt sogar für Frauen, die zwar schlank, dennoch nicht eigentlich schön sind:
Sie wußte, daß sie unscheinbar und zu dünn war und ihre Haut von nahezu krankhafter Blässe; doch diese verblühte Frau mit dem – nicht ganz gelungenen – Gesicht einer Madonna war wegen all der Dinge, deren sie sich schämte – der Blässe ihres Teints und eines kaum merklichen Hinkens, das sie zwang, einen Stock zu benützen – anziehend.
Bachmann (1924), S.290
Und Natascha, in der gleichnamigen Erzählung desselben Jahres, stellt sehr richtig von sich fest:
Im Mittelalter (…) hätten sie mich auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder heiliggesprochen. Manchmal habe ich sonderbare Empfindungen. Wie eine Art Ektase. Dann werde ich fast gewichtslos, fühle mich irgendwohin treiben, und ich verstehe alles … das Leben, den Tod … alles.
S.223
Selbst noch die „russische Schönheit“ von 1934, wie banal auch immer ihr Leben schließlich endet, hat mit ihrem
breiten, bleichen Gesicht
daran teil,
dessen Züge ihre Ebenmäßigkeit geradezu übertreiben (…), eine englische Zigarette in der schmalfingrigen Hand mit dem hervorstehenden Knöchelchen über dem Gelenk (…) und jenem überaus seltenen Strich der Lippen, in den die Geometrie des Lächelns von vornherein eingetragen (zu sein) scheint.
S.743/746
In dieser Erzählung, übrigens, bekommt Nabokov die Unmöglichkeit hin, im selben Absatz, ja Satz! tief zynisch und dabei genauso liebevoll zu sein. Da sich dies nur aus dem Kontext ergibt, verzichte ich aufs Zitat.
Allerdings ist die Kehrseite seiner Bewunderungen nicht minder konturiert: Haß, scharf und kalt wie eine Lanzette, S.111. Nämlich entspricht umgekehrt eine Frau dem Innenbild n i c h t – das zumindest angedeutet i m m e r, S.742, ecco!: zauberhaft ist („Die Reinheit ihres Profils, der Ausdruck ihre geschlossenen Lippen, die Seidigkeit ihrer Zöpfe, die ihr bis ins Kreuz hinabhingen“) – oder es entspricht ihm nicht mehr, dann wird Nabokov böse bis zur … nein, nicht Misogynie, denn mit den Männern springt er nicht anders um, aber zu einer manchmal derartigen Abschätzigkeit, daß es wehtut – auch hier eine Verwandtschaft mit George Grosz.
Und ihr Gesicht war mit schauderhafter Sorgfalt zurechtgemacht. Die feuchte Spur einer Träne hatte sich jedoch durch die rosarote Farbe gefressen, der Puder auf ihren Nasenflügeln hatte sich violett verfärbt.
Die Klingel (1927), S.437
Insgesamt sind die Erzählungen >>>> dieses ersten Bandes von den erhauchten Sehnsuchtsfrauen, als wären sie selbst die verlorene Heimat, durchzogen, wie Nabokov doch zugleich mit beiden Beinen auf der realen Existenz des Exils steht; vier Geschichten fallen poetologisch allerdings heraus, drei davon auf auch formal besondere Art und keineswegs als Versuche wie der humoristische, jedenfalls soll er’s wohl sein, Drache von 1924 oder der schon erwähnte Kartoffelelf aus demselben Jahr, sondern als brillante, bereits da schon vollendete Kabinettstücke. Doch von denen, Ersehnte, erzähle ich in den kommenden Stücken dieser Serie. Indessen, eigen ist nahezu allen frühen Erzählungen, wie Nabokov auf Form schaut – und also nicht „einfach“ runterschreibt, sondern von Anfang an sehr bewußt konstruiert, nicht zuletzt vermittels auffällig eingesetzter, ich muß sie so nennen, Regiemittel:
„Er ist sehr angetan von der See …“ fügte die Engländerin leise hinzu. Wonach sie leider aus meiner Erzählung herausfällt. Rache (1924), S.108
So geht der liebenswürdige, harmlose Greis wie ein Schutzengel für einen Augenblick durch diese Erzählung und verschwindet gleich wieder in jenes Nebelland, aus dem ihn eine Laune der Feder gerufen hatte. Die Venezianerin (1924), S.268
Danach kamen noch einige zufällige Begegnungen und schließlich … Na schön, dann wollen wir mal. Fertig? An einem heißen Tag Mitte Juni … — (Und im selben Text:) Nach einem ungeschickten Vorstoß kam das verdammte Himbeerzeug ins Rollen und fiel unter den Tisch (wo wir es lassen wollen). Der Kreis, S.721, 724
Olga, von der wir jetzt sprechen wollen (…). Eine russische Schönheit. S.742
Zumal manche dieser frühen Erzählungen durchaus schon das sind, was wir Heutigen uns als „selbstreferent“ zu bezeichnen angewöhnt haben:
Sie sah ihn mit solcher Besorgnis und solcher Liebe an (…), daß mir in meiner Ecke ein seliges Gefühl von Freude und Wohlbehagen kam, ganz als hätte Gott mir die Unsterblichkeit meiner Seele bestätigt oder ein Genie meine Bücher gepriesen.
Die Schlägerei (1925), S.345
Insofern ist Nabokov ein deutlicher Vorläufer dessen, was Postmoderne heißt, und trotz seiner quasi-groszschen Berlinbeschreibungen gewiß kein „Realist“. Das zeigen auch solche immer wieder zu findenden Sätze, von denen Günter Steffens geschrieben hat, sie seien bereits bei ihrer Erfindung Zitat – eben das löst eine Überraschung in uns aus, die zugleich ein völliges Vertrautsein ist:
… daß ihm jene beflügelnde innere Lebendigkeit und zarte Beharrlichkeit fehlten, ohne die Leidenschaft kraftlos ist. Der Schlag des Flügels (1923, S.25
Eigentlich war er Pessimist und wie alle Pessimisten ein lächerlich schlechter Beobachter. Ein Ehrenhandel (1927), S.445
Aberglaube kann maskierte Weisheit sein. Ein beschäftigter Mann (1931), S.541
Dazu kommt das Markenzeichen aller wirklichen Dichtung, nämlich unübersetzbare, nicht verfilmbare Bilder, die Bild eben sind und doch, wie plastisch auch immer, ganz allein aus Sprache – etwa wenn von einem Luxus erzählt wird, deren Reklamen „mit dem Speichel des Tantalus geschrieben“ sind (Eine russische Schönheit, S.746).
Wir lernen aber auch diejenigen Autoren kennen, die neben den, selbstverständlich, russischen Klassikern auf Nabokov Einfluß hatten: außer dem genannten Jules Verne vor allem James Joyce (den er persönlich kennenlernte), für mich besonders interessanterweise Aldous Huxley sowie H. G. Wells, zu dessen „merkwürdiger Geschichte von Davidsons Augen“ Nabokovs Terra incognita eine Variation komponiert. Hingegen Sartre hält er für grob überschätzt, und ein Buch von Thomas Mann tut er sogar (in Ein Ehrenhandel, 1925) als „von irgendeinem deutschen Schriftsteller“ ab, wiewohl mit diesem Irgend in lebenslanger Liebe zu Andersens kleiner Meerjungfrau verbunden. Vielleicht war ihm solche Nähe einer Fehlspur wegen zuviel, der sich Tacios halber nachstolpern ließe, was gewiß auch schon geschehn ist. Doch seine Madonnen – „so bezaubernd und so unverwundbar“ (Der Kreis, 1934) wie die meinen – sind d o n n e, nicht etwa proustsche Odettes – ein, wenn jemand etwas andres denkt, Mißverständnis, gegen das ich mich mit all meiner Lebens-, Liebes- und Leseerfahrung entschieden stemmen muß und stemme.
Ihr, mia – ecco!: – d o n n a del cuore,
ANH
***
[Zitate nach den Übersetzungen von
Gisela Barker, Dieter E. Zimmer, Wassili Berger, Jochen Neuberger,
Blanche Schwappach, Rosemarie Tietze und Marianne Wiebe
Das Deutsch ist nicht immer gleich perfekt, übrigens; bisweilen hakt’s mit den Konjunktiven, dann wieder folgt auf ein für ein plurales Nomen im Plural stehendes Prädikat ein singulares Nomen, und die Schreibweise unseres mittleren Armgelenkes schwankt hurtig zwischen „Ell“- und „Ellenbogen“ hin und her. Aber das zu monieren, ist angesichts all der Schönheiten der nabokovschen Prosa die pure Beckmesserei.]
>>> Nabokov lesen 10
Nabokov lesen 8 <<<<