Immer wieder finde ich, auch in den Übersetzungen Nabokovs, das “scheint zu sein” in falscher Verkürzung, (beinah) egal, welche Übersetzerin, welcher Übersetzer sie verschuldet. Es ist – wie “als sei” statt “als wäre”, “als habe” statt “als hätte” – L e g i o n:
- weil das Mißverhältnis (…) ihm ein Paradox schien
- dessen sämtliche Züge (…) verschmiert schienen
- Der offen gebliebene Bruchteil scheint ausreichend für die Klangpracht
- Er schien der Meinung, daß du
- Der breitfenstrige Speisewagen (…) schien ein kühles Refugium;
- Ihre grünlichen Augen schienen (…) gesprenkelt
- Äußerlich schien alles in bester Ordnung:
Und so weiter und immer so fort. Sprachsensiblen Menschen ist dies ein sich geradezu rhythmisch wiederholender Schmerz. Denn — n e i n, n e i n und nochmals: N e i n! — wenn etwas “scheint”, dann ist es ein L i c h t. Die idiomatische Wendung “scheint zu sein” unterscheidet sich davon immens; es ist eine allegorische, ins Irreale gewendete Übertragung, die ohne ihr “zu sein” zu einer falschen Behauptung und allein schon damit zu falschem, zumindest schlechtem Deutsch wird.
Doch einmal … e i n M a l … in → “Die Gabe” — d a, auf der Seite 199, gelingt es, fast eine Gabe-selbst:
Die Bäume schienen wie der Fiebertraum eines Botanikers: eine weiße Eberesche mit alabasterfarbenen Beeren oder eine Birke mit roter Rinde!
Denn ein Fiebertraum, Fieber schon allein, kann als Quelle dienen eines Lichts – und tut es eben hier. Da wird es dann zu einer, fast, Erlösung: der Erfüllung von der Kraft einer E r s c h e i n u n g — vergleichbar allenfalls damit, daß uns in einem Gericht die Spuren einer Nahrung, die wir nicht mögen, ja die uns ekelt, so daß uns eigentlich schlecht von ihr wird, eben als S p u r e n spitze kleine Orgasmen auf unsre Geschmackswärzchen spritzen.