In Aleppo einst auch ich: Nabokov lesen, 23. Die Erzählungen, II,4.

Then must you speak
Of one that loved not wisely but too well,
Of one not easily jealous but, being wrought,
Perplexed in the extreme; of one whose hand,
Like the base Indian, threw a pearl away
Richer than all his tribe; of one whose subdued eyes,
Albeit unused to the melting mood,
Drop tears as fast as the Arabian trees
Their medicinable gum. Set you down this,
And say besides that in Aleppo once,
Where a malignant and a turbaned Turk
Beat a Venetian and traduced the state,
I took by th’ throat the circumcised dog
And smote him thus.
Shakespeare, Othello V.2, 341-354

 

In die letzte der Erzählungen dieses zweiten Bandes, die ich mir — bevor ich mich wieder Nabokovs Romanen zuwende — gesondert anschauen möchte, habe ich mich – ich schrieb es schon → im Arbeitsjournal – derart verliebt, daß ich, obwohl →  dort schon drauf eingegangen, ihr doch einen eigenen Beitrag schaffen muß. Also verzeihen Sie mir, Freundin, wenn ich ein oder zwei Zitate deshalb wiederhole. Sie sind es wert, so oder so, und zwar umso mehr, als mir selbst Eifersucht beinahe prinzipiell fremd ist. (Nun gut, ganz wohl nicht, denn ich erinnere mich, wie ich einmal, um 1980, als meine damalige Gefährtin mit einem Liebhaber, was sie mir gesagt hatte, anderswo die Nacht verbrachte, es nicht anders aushielt, als mir eine halbe Flasche Cognac reinzuschütten und dazu Strauss‘ Salome zu hören, wobei ich schließlich laut mitgrölte und irgendwann erschöpft zusammenbrach. Dieses aber war das einzige Mal, woran ich mich erinnere, das letzte Mal — auch davor schon, bei anderen Frauen, damals eher noch Mädchen, hatte ich solche Anfälle gehabt und darüber die mir damals wichtigste verloren. Danach kam dergleichen nicht mehr vor, sondern ich ging dazu über, auch meinerseits „mehrgleisig zu fahren“. So schienen mir die Verhältnisse ausbalanziert zu sein. Und über die Eifersucht anderer machte ich mich fortan nur lustig.)

Es hat lange gebraucht, bis ich Theaterstücke, Opern, ja selbst Bücher wieder anschauen, anhören und lesen konnte, in denen Eifersucht zentral ist. Eigentlich hat es den Otello gebraucht, → Verdis, um zu verstehen und dann auch mitzuempfinden. Vielleicht hat mich bei Nabokov auch gerade dieser Bezug, in seinem Fall auf Shakespeare direkt, sofort für die Geschichte eingenommen; ausschließen kann und mag ich’s auch nicht. Doch ist sie auch in ihrer gleichzeitig nahen wie distanzierten Erzählart superb. — Um mich zu wiederholen:

Obschon ich urkundliche Zeugnisse meiner Eheschließung vorweisen kann, bin ich heute sicher, daß meine Frau nie existiert hat.
Aleppo, 426
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)

Und, das Zitat hier fortsetzend:

Möglich, daß Du ihren Namen aus anderer Quelle weißt, aber das ist gleichgültig. Es ist der Name einer Sinnestäuschung. Darum kann ich von ihr mit ebenso viel Abstand sprechen wie von der Figur einer Erzählung (einer Deiner Erzählungen, genau gesagt).
Aleppo, ebda.

Die Erzählung ist ein Brief, und wenn wir uns vergegenwärtigen, daß er an einen gewissen V. geschrieben ist (der erste Buchstabe des Vornamens Nabokovs mithin), wird sofort klar, wessen Erzählungen gemeint sind. Nun ist aber auch der Briefeschreiber im Exil und auf der Flucht, nämlich dabei, sich um die Passage in die USA zu kümmern. Schon werden wir ahnen, es habe dieser Mann sich aufgespalten in einen, der dann tatsächlich abreist, und einen, der — weshalb wohl? — bleibt. Und am Ende bekommen wir genau dafür die Bestätigung:

Zum Teufel mit Deiner Kunst, ich leide furchtbar. Immer noch geht sie dort auf und ab, wo die braunen Netze zum Trocknen auf den heißen Steinplatten ausgebreitet sind und das scheckige Licht des Wassers an der Seite eines festgemachten Fischerbootes spielt. In den braunen Maschen glänzen hier und winzige blasse Stückchen kaputter Fischschuppen. Wenn ich nicht achtgebe, könnte alles noch in Aleppo enden. Schone mich, V.: Du beschwertest Deine Würfel mit einer unerträglichen Bedeutung, wenn Du das als Titel nähmest.
Aleppo, 442

Was er selbstverständlich tut.

Aber was war geschehen?
Im ständigen Hinundher an der südfranzösischen Küste, stets auf der Suche nach Visa und Fahrten

zu unbekannten Zielbahnhöfen, gingen wir durch die ausgedienten Kulissen abstrakter Städte, lebten wir in dem ständigen Zwielicht körperlicher Erschöpfung — solches war unsere Flucht: und je weiter sie uns führte, desto klarer wurde es, daß uns mehr als ein Schwachkopf mit Stiefeln und Koppelschloß und seiner Kollektion verschieden angetriebenen militärischen Trödelkrams vor sich her jagte — etwas, wofür er nur das Symbol war, etwas Ungeheuerliches und Unfaßbares, eine zeit- und gesichtslose Masse unvordenklichen Grauens, da selbst hier, im grünen Vakuum des Central Park[s], immer noch von hinten auf mich zukommt.
Aleppo, 429

Auf einer Bahnstationen verliert der Erzähler seine Geliebte nun, und erst nach vielen Irrstationen findet er sie wieder, diese seine

Liebe nicht so sehr auf den ersten Blick wie auf die erste Berührung, denn ich war ihr vorher schon mehrere Male begegnet, ohne daß ich dabei irgendwelche besonderen Gefühle empfunden hätte; aber als ich sie eines Abends nach Hause begleitete, veranlaßte mich eine eigentümliche Bemerkung ihrerseits, mich hinabzubeugen und leicht ihr Haar zu küssen (…)
Aleppo, 426

Nabokov hätte meine Bemerkung gehaßt, weil → Aragon solch ein furchtbarer Stalinist gewesen ist, aber erinnert die Stelle nicht ein bißchen an dessen fast nicht glaubhaft schönen Liebesroman Aurelien, einen der, versichere ich Ihnen, wundervollsten des gesamten Genres, erschienen 1944, also nur ein Jahr nach der hier besprochenen Erzählung? — Er beginnt so, ja, erster Satz:

Als Aurélien Bérénice zum ersten Mal sah, fand er sie ausgesprochen häßlich.
Aurélien, 5
(Dtsch.v. Karl Heinrich)

Aber schon legt sich die Schlinge um ihn:

Irgend etwas stimmte nicht. War es ihre kleine Statur, ihre Blässe … Hätte sie Jeanne oder Marie geheißen, er wäre ganz sicher nicht mehr darauf zurückgekommen. Aber ausgerechnet Bérénice! Welch seltsame Verstiegenheit!
Aurélien, ebda.

Nur dies ist nun schon völlig Aragon, daß es ein Vers ist, auf dem die über nahezu 750 Seiten hin erzählte, hinreißend intensive Liebesgeschichte sich gründet, einer,

den er nicht einmal besonders schon fand, oder, besser gesagt, dessen Schönheit ihm zweifelhaft und unerklärlich erschien, der ihn aber dennoch gepackt und nicht wieder losgelassen hatte:

Ratlos irrte ich lange / in Cäsarea umher …

Aleppo, ebda.

Von Aragon selbst stammt übrigens ein Vers, den ich meinerseits niemals losgeworden bin:                                       

 Aimer a perdre la raison

Herumirren tut, seiner Geliebten verlustig gegangen, freilich auch der Briefeschreiber, doch als Exilant sehr konkret. Nachdem er sie dann endlich wiedergefunden hat

auf Zehenspitzen gereckt, um erkennen zu können, was es eigentlich zu kaufen gab. Ich glaube, als Allererstes sagte sie mir, daß es hoffentlich Apfelsinen seien[,]
Aleppo, 433,

da tischt sie ihm eine einigermaßen bizarre Geschichte auf, der weitere solche Geschichten folgen, die in ihm schließlich diese irrationale Eifersucht bewirken. Welche es sind, lesen Sie selbst – es spielt darin ein Hund eine Rolle, den es, versichert der Erzähler, aber niemals gab.
Wie auch immer, der Mann — abermals ist seine Geliebte verschwunden — erhält endlich sein Visum. Doch bevor er abreist, besucht er noch einmal eine alte, in Südfrankreich lebende Russin, die

und Du weißt, wie Anna Weretennikow in kritischen Augenblicken istihren Krückstock mit der Gummispitze [verlangt,]
Aleppo, 438

sich dann schwer aus ihrem Lieblingssessel hebt und dem Erzähler vorwirft, daß er ein Tyrann und Grobian sei. Wobei ihre

hängend[n], faltige[n] Wangen zuckten, als sie mir eine mütterliche, aber unverdiente Beleidigung an den Kopf warf.
Aleppo, 439

Nämlich macht sie ihm Vorwürfe und läßt ihn schwören, keinen Versuch zu unternehmen, die beiden Liebenden — denn sie kennt ihren Puschkin — mit gespanntem Pistolenabzug zu verfolgen. Und dann kommt’s:

Als ich gehen wollte, flammte Anna Wladimirowna, die sich schon ein wenig beruhigt und mir sogar ihre fünf Finger zu einem Kuß gereicht hatte, von neuem auf, stampfte mit ihrem Stock auf den Kies und sagte mit ihrer tiefen, kräftigen Stimme: „Aber eins verzeihe ich Ihnen nie — Ihren Hund, das arme Tier, das Sie eigenhändig erhängt haben, bevor Sie Paris verließen.“.
Aleppo, 439/440

So daß der Erzähler ein paar Tage später „begreift“, daß ganz wie dieser, also der Hund, auch seine Geliebte nie existiert hat. Doch bleibt sie ihm für alle Zeit:

Es gab sie, gab sie,
Gibt sie nie.
Saul Czechy, Mürwald (1954)
(Dtsch.v. Joachim Armbruster)

 

 

 

 

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