So gerne leben! Das vierte Coronajournal, nämlich des Dienstags, den 17. März 2020. Mit Dicken und Brillen.

[Arbeitswohnung, 7.28 Uhr]

Die NZZ heute morgen → faßt zusammen:

Die aktuelle Krise zeigt, dass jedes Land auf sich selbst gestellt ist, auf eine internationale Koordination beim Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise wartet man wohl vergeblich. 

und zieht den Schluß „Jeder für sich!“ Was in keiner Weise meinem Eindruck entspricht. Hier auf dem Prenzlauer Berg hat sich über nebenan.de sogar, und sehr schnell, eine lebhafte Nachbarschaftshilfe entwickelt, Aushänge sind in den Haustüren angebracht, wer für wen und wann Besorgungen übernehmen kann und zeitweise die Kinder betreuen; es wird sogar aufgerufen, → besonders kleine Läden und Gaststätten zu besuchen und so weiter und so fort. Ein Nachbar aus einem der drei Hinterhäuser, der meinen eigenen Aushang gesehen hatte, klingelte bei mir; er habe ebenfalls einen dazugehängt, und ob wir uns hausintern nicht irgendwie abstimmen könnten, er kenne zwei Paare, denen es nicht gut gehe, die aber zu stolz seien … Wie wir das angehen wollten?
Ich war von der, zugegeben etwas späten, Siesta hochgeklingelt und stand nun, die Wohnungstür nur halboffen, in Unterhose und TShirt vor ihm. „‚tschuldigung, daß ich dich grad nicht reinbitte …“ Und vorher, als ich auf den Arztwegen war, hatte ich den Eindruck, daß an diesem sonnendurchfluteten ersten Berliner Frühlingstag zwar alles etwas verlangsamt wirkte auf den Straßen, aber eher wie an einem belebten Sonntagvormittag als in einer Krise. Die Leute saßen vergnügt vor den Cafés, oder sinnend, rauchten, lasen die Zeitung, ich selbst schleckte nach dem Apothekeneinkauf ein Eis der schon fast legendären Kleinen Eiszeit, deren Inhaber Sporttaucher wie ich ist und | wie mein Schuster Falk. Ich mußte fast ein bißchen selig daran denken, wie oft ich mit meinem noch kleinen Sohn, also dem Buben, hiergewesen war.

[Foto ©: Katrin Schierloh]

Lachen um mich her, nur wenige grämliche Gesichter, weniger, viel weniger als  sonst. Die Spatzen tschilpten. Wozu hatte ich bloß diesen Mantel an? Nein, hier war niemand in Panik.
Weshalb ich denn nicht, fragte mich die Augenärztin, bei der ich anderthalb Monate hatte warten müssen, bevor ich sie konsultieren konnte, wieder zu meiner vorherigen Ärztin gegangen sein? „Oh, das hätte ich sehr gerne getan, ich mochte und ich schätze sie. Aber sie nimmt nur Privatpatienten. Ich kann sie mir derzeit einfach nicht leisten.“ — Verstand Frau Dr. Gottschalk, die ich mir übrigens, typisch Macho, ich weiß, ihres Vornamens wegen ausgesucht hatte: Isolde. Ich meine, welcher vernünftige Mann wird da nicht kultiviert gelockt, wenn er kein anderes Kriterium, ein fachliches nämlich, herbeiziehen kann? Nötig aber war dieser Weg. Seit der → Augenoperation vor ziemlich genau neun Jahren, die mir nun fast ein ganzes Jahrzehnt grandiosen Sehens geschenkt hat, ist meine Sichtfähigkeit schleichend wieder schlechter geworden, mehr und mehr seit etwa Mitte letzten Jahres. Unterdessen fällt es mir schwer, kleine Schriften zu lesen, was meiner Arbeit nicht gut bekommt. Außerdem habe ich seit etwa drei Monaten ständig einen Milchschleier zwischen den Dingen der Welt, ihrer Schönheit und mir.
Ich tippte, meinem Instinkt vertrauend und die Fährnisse meines Alters im Sinn, auf Katarakt, befürchtete zudem ein Voranschreiten der Altersweitsichtigkeit, was eine Brille bedeutet hätte. Denn für eine neue Augen-OP, auf die ich mich sofort einlassen würde, mit Freude und Spannung sogar, fehlt mir, wie gesagt, das Geld. Und die neue Situation macht es nicht wahrscheinlich, daß etwas hereinkommen wird. Nur daß ich vor Brillen Panik habe, weil ich sie als häßlich empfinde, prinzipiell, bei Frauen wie bei mir. Kontaktlinsen prima, Sonnenbrillen auch. Aber sonst? Furchtbar. Und nun soll ich selbst? Ich meine, mir geht alle Erotik flöten, wenn jemand so ein Ding trägt. Ich erwarte von mir selbst, was ich von Frauen ersehne. Habe ich einen Anspruch an sie, muß ich selbst ihm genügen. Das gilt für Schlankheit, gilt für Brillen. Wobei ich mit Lesebrillen noch umgehen kann; die lassen sich ja absetzen, werden halt nur funktional genutzt. Oder Brillen fürs Autofahren, ich seh dann halt nicht hin. Mit „Schlankheit“ ist es schwieriger. Ich kann dicke Frauen schätzen, respektieren, achten, sie sogar liebhaben, tief — aber nicht begehren. Liebe und Sex messen mit, mindestens, zweierlei Maß. Es grenzt bei mir sogar an Abscheu, ist ein unmittelbares, fast geekeltes Zurückschrecken, das ich nicht verhindern kann. Aber nur, wenn sie nackt sind, sonst nicht. Weil dieses Phänomen derart rigoros wirkt, daß es einer fast phylogenetischen Scheu gleichkommt, war es einige Zeit lang sogar zentraler Gegenstand → meiner Psychoanalyse. Doch anders als meinen meisten Neurosen kamen wir dem Grund dieser, ich schreibe mal, massiven Macke nie auf die Spur. Sie ist mir geblieben.
Und jetzt also: Brille. — Meine Güte, was war ich erleichtert, als die Diagnose → Nachstar lautete! „Wenn eine neue, künstliche Linse eingesetzt wird,“ erklärte Frau Isolde, „bleibt die Hülle der vorherigen, also der organischen, erhalten. Und die kann sich erneut eintrüben. Dann ist schlichtweg erforderlich, nachzulasern — eine Leistung, die die Kasse übernimmt.“ Bei mir sei es doch über sehr viele Jahre ausgesprochen gutgegangen, und trotz der Schleiers hätte ich nach wie vor eine Sehkraft von 70 %. „Ich denke, wenn nachgelasert ist, werden Sie wieder genauso scharf sehen wie nach der damaligen Operation.“ Was ein, ich beschrieb es, rauschhaftes Erleben ist, denn nicht nur die Schärfe, mit der Sie, Freunden, dann in der Welt stehen, ist grandios, sondern auch die Farben sind von nahezu surrealer Intensität. „Also lassen Sie sich einen Termin geben, danach sehen wir uns hier wieder.“
Sie reichte mir die Visitenkarte einer Berliner Augen-Tagesklinik, und beseelt schritt ich erneut in den Frühling hinaus, um gleich die nächste Ärztin aufzusuchen. Ich hatte mich nämlich immer wieder entschieden gewehrt, mich einer Grippe-Schutzimpfung zu unterziehen, auch wenn meine Hausärztin sie noch und noch empfahl und auch Freunde in mich drangen. Nein, mein Körper hatte es sechs Jahrzehnte ohne so etwas geschafft, wieso gäb es denn nun einen Handlungsbedarf?
Jetzt, mit Corona, gibt es ihn. Da bin ich einfach nüchtern: Die Lunge zumal ich wieder ungut rauche, nicht zusätzlich gefährden. Also hin.
„Hab mich nun doch entschlossen.“ — Ein mildes Lächeln der Mitarbeiterin, die mich kennt, hinterm Tresen: „Haben Sie Zeit?“ „Eigentlich nichts vor, nein.“ „Na, dann nehmen Sie mal Platz.“ „Wie lange wird es dauern?“ „Zwanzig Minuten vielleicht.“ Das Wartezimmer, in der Tat, war nicht voll.
Ich nehme meinen Nabokov, kann aber kaum was erkennen, rororo-Minischrift, und außerdem hatte ich ein pupillenerweiterndes Getröpfel appliziert bekommen; ich konnte im Wortsinn zusehen, wie schlechter die Sehschärfe wurde. Was etwas hatte, nicht unwitzig war. Ich verfolge solche Prozesse sehr gerne, was mir wiederum nahezu jeden Arztgang zu einer Art Erlebnispark macht; sogar damals die Darmspiegelung hatte etwas von Abenteuer (von der „grenzenlosen Schönheit des Organischen“ habe ich, siehe den Link, geschrieben und sie sofort wieder vor meinen Augen), das einen sogar poetischen Niederschlag fand. Schmerzvoll, ja (ich lehne, soweit es irgend geht, Betäubungen ab, will immer alles mitbekommen), aber rasend erfahrungssatt, die Bilder — eigentlich ist es ein utopischer Spielfilm — auf dem Screen zu verfolgen. — „Herr Herbst?“ — Wie, jetzt schon? Keine drei Minuten waren vergangen … Oder doch mehr? Na gut, vier.
Die aparte, wirklich sehr aparte Praktikantin stand bereit, letztes Semester, hatte sie mir beim vorigen Mal erzählt. „Hier hinein.“ Ich nahm auf der Liege Platz. „Sind Sie Rechts- oder Linkshänder?“ „Beides, aber schreiben tu ich mit rechts.“ „Dann den linken Oberarm bitte. Kann sein, daß Sie hinterher Muskelkater haben.“ (Habe ich noch jetzt nicht, merke insgesamt nichts.)  — „Sò. — Nur ein kleiner Stich, intramuskulär.“
Ich spürte gar nichts. Meinen in solchen Situationen üblichen Standardsatz angebracht: „Bin nicht aus Zucker.“ Eigentlich sage ich ihn nur zu mir selbst. Und war jetzt geimpft. „Meine Güte,“ sage ich, „gegen 23 Pneumokokken-Typen soll das wirken.“ „Ja, faszinierend.“ Sie sprach genau das Wort aus, das meiner Wahrnehmung bei Ärzten am intensivsten entspricht. Ich habe den falschen Beruf gewählt, denk ich dann immer wieder. Und war schon wieder angezogen, ging schon wieder in den Frühling hinaus — nun aber wirklich an den Schreibtisch zurück, wollte unbedingt Das Flirren im Sprachraum nun auch in Die Dschungel integrieren, weil einige dortige Gedankengänge eng mit dem kommunizieren, was ich → im gestrigen Arbeitsjournal geschrieben habe, das unterdessen nicht nur eine → rege Diskussion nach sich gezogen hatte, nein, meine Zugriffszahlen insgesamt waren geradezu explodiert. Wobei es mich schon etwas ärgerte, wenn die Existenzprobleme, in die wir Freiberufler jetzt durch Corona geraten, von Menschen kaum nachempfunden werden, oder eben nur entfernt-abstrakt, die sich ihrer Lohnfortzahlung selbst dann sicher sein können, wenn sie erkrankt sind. Bei uns hingegen bedeutet diese Epidemie schlichtweg: keine Einkünfte mehr, und zwar auf unabsehbare Zeit. Also, knapp gesprochen, Prekariat. Ich bin da noch vergleichsweise, seelisch nämlich, privilegiert, weil ich mich immer schon sicher fühle, wenn die kommenden zwei bis drei Monate gesichert sind. Anders hab ich nie gelebt, oder nur selten, etwa zu meiner Börsenzeit oder als die großen Aufträge der Contessa noch liefen. Womit es nun aber ebenfalls vorbei ist, weil auch sie von menschenreichen Veranstaltungen lebt. Die jetzt alle abgesagt werden. Für ihre Firma eine solche Katastrophe, daß die Gefährdung durch den Virus viel weniger durch ihn selbst besteht, sondern tatsächlich durch die Stillegung des gesellschaftlichen Betriebs. Wie für mich und andere meines Berufsfelds eben auch.

Eigentlich seltsam, daß dies mir nicht die Lebenslust verdirbt; im Gegenteil, meine Arbeitslust nimmt sogar zu, meine Wahrnehmung von Welt wird schärfer, farbiger, sogar mutvoller. Jede Spur von Pessimismus plötzlich weggewischt. Interessantes Phänomen, und extrem lehrreich. Bedrohungen erhöhen die Intensität, fehlendes Risiko flachen sie ab. Klar macht man sich Sorgen, und frau, aber auch sie pumpen unsere Gegenwärtigkeit mit Atemluft auf. Genau das war’s, was ich gestern spürte, als ich wie ein liebender Flaneur mein Helmholtzviertel durchzog und Sympathie, fast nichts so sehr wie Sympathie empfand, die warm aus den Gesichtern strahlte wie von erhitzen Metallplatten Luft. Gerne leben, so gerne leben — das vor allem spürte ich, und daß es uns alle verband.

Ihr, Geliebte,
ANH

So, genau so kann ich die letzten beiden → Béartgedichte nun wirklich, wirklich schreiben.

12 thoughts on “So gerne leben! Das vierte Coronajournal, nämlich des Dienstags, den 17. März 2020. Mit Dicken und Brillen.

  1. Lieber ANH, Kommentar Deines persönlichen Systemikers: Du hättest Deine de-erotisierende, geradezu vegetativ-psychische (zwanghafte?) Reaktion auf Brillen nicht veröffentlichen sollen. Du schränkt das Feld damit ein. Denn nun hast Du jeder von Dir begehrten Frau, die Dich nicht auf Anhieb ebenfalls begehrt, ein Werkzeug zur Hand gegeben, jedweden weiteren Überzeugungsversuch Deinerseits zu unterbinden: Sie muß sich ja nur noch eine Brille besorgen… Oder ist das Deine Methode, auf keinen Fall einem me-too-shitstorm zum Opfer zu fallen? Das wäre dann strategisch seeehr klug. Doch so defensiv kenne ich Dich gar nicht. 🙂

    1. Lieber persönlicher Systemiker [in Zukunft kurz s.P.],
      zwanghaft dürften meine eben nichterotischen Reaktionen auf dicke Frauen sein, wie etwa meine surreale Abscheu vor >>>> Schustern ist, obwohl nun die sehr dürr sind und einem wirklich nichts Böses tun. Aber einer ist mal, da war ich selbst noch Bub, in einem Glas Milch ertrunken, der arme, das ich in einem einzigen Zuge zu leeren dabei war. Da kamen die dünnen ertrunkenen Beine in Sicht, vielleicht auch sogar schon die Augen, und ich war von phylogentischem Schauder durchzuckt. Das, in der Tat hat sich niemals verloren.
      Bei Brillen bin ich dagegen gelassen. Ich eigne mich auch nicht recht zum Zwängler. Gefällt mir jemand, werde ich allerdings sofort fragen: „Darf ich Ihnen bitte dieses Ding abnehmen? Nur für einen Moment und wirklich nur dies?“ Nein, ich setze im stillen kein „vorerst“ hinzu. Und was die Damen anbelangt, die mich „nicht auf Anhieb ebenfalls begehr“en, so rät #metoo schon seiner seltsam englischen Grammatik wegen ohnedies zur Abstinenz; Verführung ist ja längst Mißbrauch, und unterm Fenster der Lautenspieler, heute vielleicht Gitarrist, ist ein Stalker.

      1. Willkommen im Club der kultivierten Stalker und Minnesänger, lieber ANH. „Begehren“ ist (u.a.) ein Mix aus Öffnung, Respekt und reflektiertem Egoismus – das weiß jeder aufgeklärte Stalker. Doch so sind die Menschen eben doch verschieden – selbst unter denselben Überschriften. Nie wäre es mir eingefallen – nicht einmal im Traum! – einer begehrten Frau anzutragen, ihre Brille fort zu legen – begehre ich sie doch so, wie sie i s t . Das ist Respekt. Zudem wünsche ich mir, daß sie mich scharf sieht. Das ist Egoismus. Und bevor Du Dich fragst, wo da die „Öffnung“ ist: Im herzklopfenden Offenbaren des Begehrens. … Und kurz vor’m Drücken des Sendeknopfes fiel mir noch eine Kurzform Deines Standpunktes ein, Du hättest lapidar schreiben können, „Brillen kann man abnehmen“. Bitte beachte hier die Doppeldeutigkeit der Grammatik – sie ist zwar sexistisch, aber auch beinahe auf dem Niveau eines Lubitsch-Dialogs…

        1. @ s.P.:
          Zum einen, ja. Zum anderen: Meine Form des „KannManAbnehmens“ ist zum einen persönlicher, zum anderen selbst schon tätiger Flirt. Und ob wir in der Liebe mit Brille schärfer sehen, ist auch eine – durchaus unbeantwortete, möglicherweise unbeantwortbare – Frage.
          Siehe auch meine Antwort >>>> dort.

    2. Lach – da bin ich ja fein raus – ich trag nämlich eine – BRILLE – Gleitsicht, entspiegelt und selbsttönend – stört zwar extrem, wenn man im Regen Fahrrad fährt, ist ansonsten aber sehr hilfreich – schmunzelt immer noch – RIvS

  2. führte diese „massive macke“ nicht auch in meere zum bruch zwischen fichte und irene? ich erinnere mich an die passagen zu marylin monroe. aber, es ist ja auch meistens so, dass sich das begehren mit der eigenen körperlichkeit justiert. ich habe glaube nie jemanden begehrt, von dem ich dachte, passt eigentlich so gar nicht zu mir. man misst sich ja potenzielle partner*innen schon auch irgendwie an, neben so einem sehr schmalen berliner hipster käme ich mir auch komisch vor, breite schultern sind schon nicht verkehrt. lustigerweise kenne ich wen, der extrem auf brillen steht, rock und brille war sein mantra. als ich mal glaubte, in xy verliebt zu sein, habe ich mir irgendwie lange zeit gar keine frage nach der körperlichkeit gestellt, weil ich sehr in sein denken verliebt war, irgendwann ging mir dann aber auf, körperlich ist er mir ziemlich egal und dann ging mir auch auf, körperlichkeit ist mir aber eigentlich so gar nicht egal. da machte es dann klick. ich mag brillen an männern. wenn ich dich auf dem bachmannpreisvideo sehe, dann warst du ja auch mal sehr schmal, rührt vielleicht noch da her, neben lizzo würdest du da ja auch komplett verschwinden und das wäre sicherlich nichts, was dem ego gut täte. das hätten wir also geklärt, macht 250 ohne rechnung. das mit der brille, da muss ich noch n moment nachdenken.

    1. @Xo:
      Ich bezahle später, in Form eines nächsten gekochten Gerichts. Die >>>> Zeitläufte zwingen mich zur Naturalwirtschaft.
      Zu meiner schon so frühen Abscheu gegenüber zuviel Körperfett habe ich eben aus dem alten Dolfingerroman ein, denke ich, >>>> sehr bezeichnender Stück eingestellt. Ich ging damals den typischen Weg eines Romanciers, nahm einen dicken Menschen, zumal in der Ichperspektive, zum „Helden“, um ihn zu verstehen. Sein Urbild war ein Vorgesetzter in einem Brotjob, der mich aufs heftigste hintertrieb. Ich wollte wissen, was ihn leitet. Und schließlich wurde ein Trauerbuch daraus, das, in Bezug auf Jeremia, „Lamento“ sogar in der Gattunsgbezeichnung hiet.

  3. ach, weißt du, alban, frag alle frauen auf diesem erdenrund, sie fühlen sich zu fett, zu dürr, zu groß, zu flachbrüstig, zu unlockig, zu langnasig, zu kurzbeinig, zu wenig blond, irgendwann dann auch eh zu alt, zu zu zu zu.
    kommt dir vielleicht nicht in den sinn, aber wenn an dein geschlecht immer lauthals ansprüche gestellt werden, kommst du irgendwann an den punkt, wo du denkst, wenn ich doch eh nicht genüge, fuck you all und lasst mich einfach in ruhe mit euren ansprüchen. spinnens erster band hieß doch auch: dicker mann im meer. ich hab mich bei so vielen männern schon gefragt, wo nehmen sie eigentlich ihr scheinbar endloses selbstbewusstsein her, sie kommen mir oft so klein vor, wenn ich ihnen begegne. ich staune immer wieder. als ich damals meere las, dachte ich, ein bezeichnender roman, fichte, ein künstler, der nichts verstehen wollte, bis es viel zu spät war, tragisch und teileinsichtig.

    1. Nun jà, zum einen hat Fichte, anders als all seine Kritikerinnen und Kritiker, ein gewaltiges (nämlich sein malerisches und Environment-) Werk gestemmt, gegen das sein persönliches Schicksal doch eigentlich wurscht ist, auch wenn und gerade weil sich in diesem wiederum etwas realisiert hat, das weit über ihn persönlich hinausgeht, wie seinerzeit zurecht → Thomas Keul festgestellt hat. Zum anderen wird eine persönliche, sagen wir mal, Neurose miterzählt, aus der es schlichtweg kein Entkommen gibt, so wenig, wie wenn du einem kariösen Zahn sagtst: „Hör jetzt auf zu schmerzen!“ Die Idiosynkrasie gegen Körperfett ist da, sie ist de facto – jedenfalls in dem Roman ein Verhängnis. Erektionen lassen sich nicht erzwingen, auch nicht mit einer „Ich find dich echt gut, du“-Einstellung oder dem (ziemlich lächerlichen“ Verweis auf „innere Werte“. Was im allgemeinen auch nicht schlimm ist. Ich gefalle ja nun auch nicht jeder. Als weiteres: Viele Männer, die kenne, „stehen“ auf rothaarige und schwarze, ich selbst überhaupt nicht. Andere Männer stehen auf mächtige Hinterteile, ich wiederum ebenfalls nicht, der ich muskulöse, fast jungmännliche vorziehe (möglicherweise ein Zeichen homosexueller Anteile, die sich aber eben auf Frauen projezieren, meiner erotischen Verfaßtheit). Und so gilt halt für mich (und galt für Fichte ebenso): „Dick geht nicht.“ In eine ähnliche Furche wetzt der Umstand, daß sich die sexuelle Lockung mit zunehmender Bekanntheit verliert – so jedenfalls meine Erfahrung. Und dann liegt man, schrieb ich schon anderswo, neben einer der schönsten Frauen der Welt und wird nicht mehr erregt, indes irgendeine nicht entfernt so hinreißende Frau den unmittelbaren erotischen Reiz an der nächsten Staßenecke auslöst. – Ja, ich erlebe so etwas als Verhängnis.

  4. ja, ein großes werk. das sind so werte, die entstammen auch einem wertekanon, der sich für mich mehr und mehr verflüchtigt. anziehung lässt sich nicht steuern, das stimmt. die einen wissen schon prospektiv darüber bescheid, kann hilfreich sein, andere werden überrascht. ich habe meine welt nicht auf dem reißbrett entworfen. erkenne ich muster, ja, hier und da, wesentlich älter waren sie nie, als ich, für die ich mich begeistern kann, meist (etwas) jünger. sich näher kennen ist kein hindernis, sich nicht näher kennen taugt fürs schreiben besser, klar. ich bin sehr zurückhaltend mit solchen knackigen äußerung, man schränkt den radius ein, indeed, und wenn ich jetzt sage, ok, unter 19 cm und beschnitten läuft leider bei mir nichts, muss ich selbst so darüber lachen, aber es funktioniert immer gut und es schüchtert entsprechend ein, ist ja nicht so, als wüssten frauen nicht auch diese karte zu ziehen. in chats mach ich mir einen spaß draus, im analogen leben weiß man ja eh, ob da was ist und dann hab ich halt einfach glück gehabt, oder gedacht, körpergröße durch 10, haut ungefähr hin, aber sicher nicht prospektiv, sondern als erfahrungswert. frauen mit so viel mehr erfahrung als ich, haben mir aber gesagt, das stimme so nicht. somit kauft man ja immer ein bisschen den kater im…. beutel. sehr lustig, wie man so dem jeweils anderen geschlecht die laune verderben kann, mit seinen ansprüchen, macht man nur meist nie, wenn man sich wirklich verliebt hat. so viel ist auch mal sicher. also bei mir zumindest.

    1. Da hätte ich auch noch etwas beizusteuern – allerdings ist es nicht auf meinen Mist gewachsen, sondern es ist ausschnittweise Gesagtes/Geschriebenes von Marie-Francoise Hans/Gilles Lapouge:…und während er überlegt, warum er sich immer so abrackert zu mäßiger Lust, flüstert sie ihm zu: „Möglich ist für Frauen auch noch eine andere Lust. Bei der ihr ganzer Körper erblüht und sich im Raum ausbreitet. Die nicht nur örtlich begrenzt und fast entgegen dem Körper zustande kommt. Bei der der ganze Körper zum Geschlecht wird und nicht nur im Orgasmus. Und ihre Bewegungen sind denen von Quellbächen, Flüssen oder dem Meer näher als den pünktlichen und zugleich eintönigen Mechanismen, nach denen die Stunden verstreichen“….wenn losgelassen singt mein Kopf und mein Körper übt sich im Freiflug(Jill Vanderville) ….und das ist nicht unbedingt von der Größe des „Schwanzes“/Phallus/Zipfelchens“ abhängig…RIvS

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