Ligeia an ANH, erster Brief. Sonnabend, den 9. Mai 2020. (Krebstag 10).

[Wappenbild © → Hans Hillewaert]

 

Circumkardia, 7.15 Uhr
 

 

Mon Sieur ANH,

denken Sie nicht, ich hätte Ihre Taktik, mir zu schmeicheln, nicht durchschaut … schlimmer noch, mich auf eine Weise zu umgarnen, die Sie doch auch selbst für ein wenig sentimental halten müssen. Wie können Sie sich da in Gedanken verfangen, daß ich drauf reagieren würde? Wenn ich es nun aber doch tue, so einzig, um erstens Sie zurechtzuweisen, und zweitens muß ich Ihnen in einem entscheidenden Punkt recht geben, der vielmehr in Ihrem höchst gespannten Bogen ein auf etwas zielender Pfeil ist, das mir nun selbst erst bewußt wurde, so daß Sie ihn nicht abschießen müssen. Er träfe tatsächlich uns beide.
Wie Sie lesen können, halte ich nichts von Täuschungsmanövern. Sie wären unter meinem, ja sogar weit unter Ihrem Niveau — ob unter Ihrer Leserinnen auch, vermag ich nicht zu sagen.

Doch zum ersten: Was hat Sie geritten oder wen reiten – noch immer! – ausgerechnet Sie, der sich stets und mit ziemlich scharfem Ton gegen Kumpeleien und angebliche “Freundschaften” gewendet hat, die allzu billig durch nichts als sogenannte “Klicks” geschlossen werden ..? – wie also kann ein Mann wie Sie darauf verfallen, mich zu duzen? Sie tun es bereits in Ihrem → allerersten Brief, was mich derart dégoûtierte, daß ich mich anfangs weigerte, ihn überhaupt wahrzunehmen. Doch Ihr Beharren läßt mein Weiterschweigen schon deshalb nicht zu, weil Sie Ihre Zuschriften öffentlich und dadurch mich durchaus ein wenig lächerlich machen. Es mag dies Ihre Absicht nicht sein, aber das Diminutive Ihrer verschiedenen Koseadressen spricht eine deutliche Sprache. Zu recht weist Ihr Kollege Gogolin, den meine Muhme Nephris recht gut kannte, auf die Stammlinie unsrer Familien hin, der ihren wie der meinen, einem alten Geschlecht aus Zeiten lange, lange vor Ihrer schon deshalb, geben Sie’s zu, ridikülen Demokratie, weil Abstimmung über Krankheit versagt. Woher Ihre Chuzpe also des “Du”s? Von mir und von den Meinen wurde schon gesprochen, und zwar mit bis heute geltendem Namen, als Ihre Familie noch unvordenkliche, fast anderthalb Jahrtausende auf den ersten Baum warten mußte, ja auf die ganze Rodung, der und die für Ricbrachtincthorpe zu schlagen war. Von Ihrem “Adel” will ich da gar nicht erst sprechen – 1823, ich bitt Sie!, Ihr “von” ist hinter den Ohren noch vom Geburtsvorgang feucht, egal ob “Prädikat” , das aus dem ‘feucht’ nur ‘grün’ macht: Es bleibt auch abgekürzt kaum mehr als ein unreifes Obst. Dagegen war meine Familie als Kαρκίνος schon Aristoteles bekannt und mit Recht von den Alten gefürchtet. So erwarte ich, auch angesprochen zu werden, Λιγεία Βασίλισσα Kαρκίνος, zumindest mit Madame, Mylady, Misignora in angemessener Standesdistanz.

Nein, ich bestreite nicht, daß wir verbunden miteinander sind, doch jeder Diener ist’s mit seinem Herrn und jede Magd mit ihrem. Zumal Sie’s selber waren, der meinem Ruf gefolgt ist, einem im Wortsinn diskreten, und sein Knie gebeugt hat. Überdies habe ich Sie immer gewarnt, von allem Anfang an: nicht daß Ihre, was immer das nun sei, “Seele” sich mir zuverfügte, riefen Sie wie Ihr imaginärer Ahn vor glücklicher Schwäche “Verweile doch!” aus. Sondern vor der Hybris, die ich erwarte, und daß sie Menschen nicht ansteht. Wagen sie’s dennoch, hat’s seinen Preis.
Ja, es war, und wird es immer bleiben, ein Pakt. Ich belehte Sie mit Inspiration, und Sie, Sie schenken mir Leben dadurch. Doch wenn sie versagt, wenn sie ergebnislos verrinnt, darf ich mir nehmen, was bleibt. bis, was Sie haben, ausgeschöpft ist. Ich kenne kein Mitleid – nicht wegen mangelnder Gnade, sondern  weil es gegenüber solchen wie Ihnen nicht angemessen ist, beinah so wenig wie mir gegenüber. Als ich Sie fragte, Sie waren grad dreizehn, aber durchaus bewußt, ob Sie erleben wollten, alles was geht, oder ob Sie sich klugerweise bescheiden wollten und, wie Ihre Frau Mutter riet,  sich einfügen, zögerte Ihre Antwort keinen Moment. Und auch, als ich durch die Hand eines netten, bereits etwas greisen Vasallen Ihnen die ersten Zigaretten gab – in, Sie erinnern sich, Mengen – und zwei Jahre später, für den täglichen Rausch Ihres Schreibens, den  schweren Muskateller, zauderten Sie erst recht nicht und stürzten die Gläser, bis ihre Finger, mit denen Sie tippten, versagten, obwohl ich nicht hinterm Berg damit hielt, worauf es eines Tages hinauslaufen werde. Sie haben, so gesehen, sogar Glück. Ihr Körper hat lang durchgehalten, wie Ihr Geist. Doch nun sind Sie geschwächt. Das kann ich nicht verzeihen und mag es nicht verzeihen.

Doch da komm ich zum zweiten — Ihrem, muß ich, wenn auch ungern, sagen, Einwand, Ihr Tod | wär auch meiner. Damit haben Sie leider recht. So daß Ihr Vorschlag bedacht werden muß, inwieweit eine mehr oder minder stabile Koexistenz unseren Welten möglich sei, Ihrer sterblichen wie meiner im Prinzip eben nichtsterblichen, doch von Ihrer Sterblichkeit an ihrem herrlichen Wachstum bedrohten. Zwar kennen wir gut, sogar sehr gut, die körperliche Permeabilität, nicht indes transzendierend in andere Körper hinüber.
Ich habe mich deshalb, wie Sie → seit gestern wissen, beherrscht und aus den anderen Organen als meinem nun Thronsitz  selbst meine Späher abgezogen. Was Sie und die Ihren erleichtert hat, sehr. Denn es gibt Ihnen Zeit. Doch verstehen Sie recht! Ich gab sie Ihnen. Und ich würd es sein, sie Ihnen erneut zu entziehen – dann nämlich, wenn Sie sie wider meiner Erwartung nicht angemessen füllen. Sie haben die Inspiration zu transponieren, die ich bin (und, wenn auch in andrer Gestalt, immer war). Daran haben Sie es in den vergangenen vier, ja fünf Jahren gröblich mangeln lassen. Wie lange und kläglich sitzen Sie jetzt schon über Projekten, um von “Ideen” zu schweigen, die nicht vorankommen wollen? Es ist erbärmlich, war erbärmlich. “Auch ich bin mal müde” gilt  nicht für einen wie Sie, hat nicht zu gelten, wolln Sie an meiner Tafel den Platz nicht verlieren.

Ja, Sie sind wegen gestern erleichtert. Aber Sie spüren mich weiter, unentwegt und nachdrücklich. Daß ich da bin, ist unbestreitbar, meine Präsenz allgemein. Sie legen sich abends mit Schmerzen und wachen morgens mit Schmerzen auf, aushaltbar, keine Frage, ich spiele noch nur ein bißchen mit Ihnen herum. Unterschätzen Sie aber die Warnung nicht, die darin liegt, auch nicht die Müdigkeit, die Sie nun hellichten Tages mehrfach überfällt, so daß Sie sich halbstundenweise ausstrecken müssen, ohne aber doch schlafen, zumindest schlummern zu können. Und auch die unterschwellige Übelkeit, die Sie jetzt ständig begleitet, ist durchaus kein Zeichen meines Rückzugs. Im Gegenteil. Machen Sie sich das konzentriert klar! – Ja, ich, Ihre Herrin, bin bereit, mich mit Ihnen zu einigen, auf einen Kompromiß freilich, dessen Inhalte erst ausgehandelt werden müssen. Was ich von Ihnen in jedem Fall erwarte, habe ich allerdings jetzt gesagt. Davon werde ich nicht abrücken. Und verzichten Sie bitte auf weitere Tändelversuche, mich zu vereinnahmen – Sie haben’s sogar als ‘Nymphettchen’ versucht, als wenn ich eine auf Land naiv verlorene Meermaid wäre, die um einen Buben buhlt. Wenn ich so einen haben will, zieh ich ihn zu mir und mit mir hinab — und seien Sie sicher, er taucht nicht mehr auf.

Λ.

8 thoughts on “Ligeia an ANH, erster Brief. Sonnabend, den 9. Mai 2020. (Krebstag 10).

  1. Welch ein spröder Wandel im Umgang – sehe ich das richtig? Eine neue Facette schleicht sich ein, eine Art unterschwelliger Verachtung? – – und sorry, Freundschaften entstehen sicherlich nicht durch oberflächliche “Klicks”… Wer das meint, ist geradezu durchtränkt von Naivität – wissen WIR doch….- egal, wie sie ihre LI herumschubsen, ihre Krebsin (DIE ZELLE) strebt nach “Versöhnung “..egal, auf welchem Thron sie sitzt und wieviel von und zu s ihr anhaften- und sie liebt Zucker, also passen sie bloß auf, das sie nicht zu dick wird – ihre bis jetzt noch asketische Seelenhüterin….selbstverständlich wünsche ich Genesung/Heilung auf allen Ebenen des Seins…RIvS

  2. Haben Sie mal gelesen, was Beckett schrieb, als er Proust in Gestalt des Malone ein  Denkmal errichtete? Falls nicht, dann nachholen.

    Grüße aus meinem verregneten Garten

    PHG

  3. mag sein, ich bin nicht der Autor, so viel weiß ich. Aber es geht ums Sterben, oder. Und was man daraus machen kann, wenn man es komisch sieht.

    Proust wird überhaupt nicht erwähnt, wenn ich es nicht überlesen habe. Ich brauchte 5 Minuten und war ja nur neugierig.

  4. übrigens hat mir der Brief sehr gut gefallen. An eine Königin, die sich nicht so einfach duzen lässt.

     

    Ich denke, ich gehe jetzt auf den Balkon und lasse mich bräunen. So lange es währt, ist das Leben wunderbar.

  5.  
    HAUPTSACHEN
     
    In den letzten Tagen des Jahres
    die innehalten über Schneeresten
    und nassem Geäst, erwacht
    meine tote Großmutter, diese kleine
    dunkle Frau aus dem Osten, wie gemacht
    für die Schwarzweißbilder der Erinnerung
    und spricht den einzigen Satz, der
    mir von ihr geblieben ist.
     
    Egal wie dreckig es einem geht,
    Hauptsache, man lebt! sagt sie.
    Noch Minuten vor ihrem Tod war ihr klar,
    dass es zum Leben keine Alternative gibt.
    Wir nannten sie immer nur
    Oma Gogolin, um sie von der
    anderen Oma zu unterscheiden
    die tobend in einem mit Brettern
    vernagelten Bett gestorben war.
    (c) Peter H. E. Gogolin, 2006

     

  6. Manfred Köhnlechner  prägte in den Achtzigerjahren die Begrifflichkeit Raubtierkrebs versus Haustierkrebs (“Leben ohne Krebs” , Knaur 1987). Die Tigerkatze sollte also wieder zur Hauskatze gezähmt werden !

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