[Arbeitswohnung, 6.57 Uhr. 73,3 kg.
Charles Villiers Stanford, Irish Rhapsody No 1]
Doch wieder englische … nun gut, irische und dabei, weil Stanford über England stark geprägt ist, überdies in u.a. Cambridge selbst lehrte, doch sehr britische Musik. Wenn ich mal begonnen habe … Ich will über Werke eine möglichst detaillierte Übersicht haben, auch wenn ich sie später verwerfe. Jedenfalls lernte ich soeben etwas über die → English Musical Renaissance, die zeitlich ungefähr der Zweiten Wiener Klassik parallellief, doch sich im tradierten Klangraum des Tonalen abspielte. Daß den beteiligten Komponisten ein spezifisch englischer Ton gelang, läßt sich bis in die 50er des vergangenen Jahrunderts unverwechselbar hören; in Britten klingt’s dann aus und verläßt die tradierten Klangräume, ohne aber auf Schmelz und überhaupt sinnliche Faktur zu verzichten.
Jetzt eben, seit gestern, ist, nach Vaughan Williams (dessen Sechste ich, wie dort erzählt, tatsächlich entdeckte), Stanford dran, danach awerden’s die Sinfonien Hubert Parrys sein, dann aber, bald, werde ich zu den Meinen zurückkehren, Pettersson, Mahler, Dallapicolla, auch Gubaidulina und Kaja Saarijaho — wobei ich eben spürte, vorher noch, nach Stanfords Rhapsodien, unbedingt erneut Maxwell Davis’ Strathclyde Concerts anzuhören, mit den Rhapsodien am besten wechselweise, weil ich das Gefühl einer hohen Verwandtschaft der Klangräume hatte, über die tonale/freitonale Verfaßtheit, ecco!, hinaus. Das sind so | genau die Phänomene, die mich interessieren und eigentlich seit je interessiert haben. Eben und besonders auch in der Literatur (soweit sie emphatisch – gewollte – Dichtung ist).
Beschäftigt, als mich der Bauch mal wieder dekonzentrierte, hat mich gestern auch der Versuch des Entwurfs eines Béart-Umschlagmotivs. Herausgekommen ist gestern gegen 22 Uhr das hier:
Das Motiv stammt von → Gaga Nielsen. → Ich schrieb darüber ja → schon gestern. Jedenfalls lenkte mich die Bastelei von dem wieder etwas nervenden Bauchschmerz ab, den Lilli, glaube ich, nunmehr sehr bewußt einsetzt. Nervös war ich doch eh schon,
Sie wissen noch? die CT gestern?
Nun ist sie also durchgeführt, ich habe eine CD der Aufnahmen mitbekommen, und sie lasse sich auf meinem Computer sogar aufrufen, er nimmt also das LARAView genannte Programm an, aber dann fehlt ihm erstens die Rechenkapazität, vielleicht eignet sich auch windows7 nicht so sehr, doch vor allem kann ich die Bilder und Filmsequenzen nicht interpretieren, das heißt im groben und ganzen schon, Thorax, Wirbelsäule eh, alles bestens zu sehen; es gibt auch eine Fahrt vom Hals hinab durch die Eingeweide bis zum Beckengrund — wo aber Li sitzt, ist nicht zu erkennen. “Sie und ihre, wenn es sie nun doch heben sollte, Töchter werden auf den Bildern weiß sein”, erklärte am Telefon die mit den Zwillingen wieder heimgekehrte लक्ष्मी, die sich beruflich auskennt. Nur ist weiß allerlei auf den Aufnahmen; weiß sind auch die deutlich erkennbaren Ansätze de Rippen, weiß sind insgesamt die Knochen, und wenn ich dann an die Organik-selbst hineinzoome, finde ich mich gar nicht mehr zurecht, geschweige daß meine Krebsin ausmachen könnte. So wird mir nichts übrig bleiben, als mich bis morgen in Geduld zu … nö, aufs “Üben” hab ich nun erst recht keine Lust … also am besten THC-sediert (bin aber jetzt noch “trocken” und will’s bis Mittag bleiben; danach sehe ich weiter) auf morgen nachmittag zu warten, wenn ich um 17 Uhr die Befund- und mögliche OP-Besprechung in der Charité habe. Mattias Biebl kann die Bilder lesen und wird es für mich tun, derweil die Sana ihre interdisziplinäre Tumordiskussion schon gestern hatte, nachdem ich längst wieder fort war; die dort gewonnene Einschätzung wird mir im persönlichen Gespräch Michael Heise am Montag früh vermitteln. Tja und dann, liebste Freundin … dann werde ich entscheiden müssen. Wobei ich nicht einzuschätzen vermag, wie es seitens der Kliniken mit OP-Terminen aussieht. Je dringlicher die Ärztinnen und Ärzte es sehen, umso schneller werde ich unter den Messern liegen. Falls ich dann nicht mehr aufwachen sollte, muß für meine Lieben hier alles bereitliegen, die Computerzugänge, die Ordnerübersichten, die Passwörter auch für meine HidriveCloud. Ich sollte noch mal über mein Testament schauen, ob ich da etwas revidieren sollte, das sich in der Zwischenzeit ergab. Genau zwei Jahre ist es her, daß ich es, auch da → vor einer OP – nämlich des Arterienverschlusses – schrieb. Im Prinzip jedenfalls könnte ich bereits am kommenden Dienstag in die Klinik. Falls ich aber noch etwas werde warten müssen, werde ich dreivier Tage ans Mittelmeer reisen; die Contessa hat mich eingeladen, die Tage vor der OP auf ihrer Insel zu verbringen. Es wäre ein bißchen, wie mir hellfühligst eine andere Freundin schrieb, die mir ebenfalls einen Aufenthalt, doch auf dem Land, anbot:
sich vom Meer verabschieden und mit den Nymphen und Nereiden die Wiederkehr verhandeln,
wobei mir diese Verhandlungen besonders wichtig sind, von der Wüste in das Meer; gestern sah ich → diesen Gehstock da
und war kurz versucht, mir das Ding schicken zu lassen; nur würde es meinen üblen Ruf dann endgültig fixieren, und nun auch symbolisch, vielleicht sogar den bei meinen Freunden massakrieren, die sowieso schon die Béartgedichte aushalten müssen. Zumal der Knauf zwar aus Bronze ist, was mir besonders gefällt, aber ich kann aufgrund der Fotos die Feinheit der Arbeit nicht einschätzen — und wenn man(n) einen solchen Übergriff in dieser Zeit wagt, dann muß seine Maniera absolut perfekt sein, nämlich derart unmittelbar berühren, daß es sich dem Charme dieser Griffigur nicht entziehen läßt. Versucht aber, Freundin, bin ich noch immer. Wobei es mir, denke ich, solange ich noch Versuchungen spüre, nicht wirklich schlecht geht. Da kann Liligeia sich bemühen, wie sie nur will. Mir steht auch immer wieder, in Chabrols heikler Inszenierung (ich teilte hier → Iris Radischs Ablehnung entschieden), die letzte Szene der Stillen Tage in Clichy vor Augen – wovon, von all dem, nunmehr gesellschaftlicher Abschied genommen wird, wenngleich sie, diese final Szene, eine so irritierend-sperrige wie obachtheischend schaukelnde Hängebrücke mit Kubricks 2001 verbindet; hie wie dort sehen wir einen alten Mann, der sich im Sterbebett noch einmal aufzurichten versucht und dabei den Arm nach seine letzten Vision ausstreckt, bei Kubrick nach dem kulturgründenden Monolithen, bei Chabrol nach einer jungen Frau, fast noch Mädchen, also Nymphe, die in sich ruhend auf dieses letzte, doch längst unerfüllbare Begehren hinuntersieht. Nur daß bei Kubrick die dort so genannte Sternengeburt folgt, Bowmans Tod als Verwandlung in eine Existenz der höheren Art, einer uns noch unbekannten Form kosmischer Intelligenz. Wohin aber wird Lis und meine Umschlingung uns führen? – Ach ja, einen Gehstock mit Nymphenmotiv fand ich ebenfalls; aber hier waren die Figuren tatsächlich kläglich ausgeführt.
__________
>>>> Béart 56 (folgt)
Béart 54 <<<<
(Jetzt macht mir der Magen grad doch wieder zu schaffen, ein wenig. Also Novamin, 30 Tropfen, bislang half das immer. Schon weil ich diese Medikamente wirklich nur dann einsetze, wenn mich ein Zustand auszumürben versucht; was, klar, Lillys Spaltbeine bewirken, von denen ich halt auf den CT-Aufnahmen gar nichts erkennen kann. Ich weiß nicht einmal, was weniger beruhigend ist: sie zu sehen oder nicht zu sehen. Was was bedeutet.)
Vielleicht bekomme ich heute das finale Béartgedicht endlich fertig. Darauf möchte ich mich fokussieren; die Nefud muß derweil etwas in den Schatten. Es wird ihr die Kühle auch guttun, denke ich. Doch am Abend möchte ich mit Faisal gerne wieder vorm Zelt sitzen und unterm nachtbrillanten Wüstenhimmel über Paradiese sprechen — und über Liligeia auf dem Plakat, das auf dem Weg zum Sana gleich neben einem Hauseingang hängt, und wir müssen uns denken, wofür es wirbt. Daß es mich sofort “erwischte”, wird Ihnen, oh Vertraute, sich zu wundern kaum ein Grund sein:
Ihr ANH
[Maxwell Davies, Strathclyde Concerto No 4]
Stanford – nun ja, immerhin hat Mahler selbst die 3., wie man bei Martner nachlesen kann, dirigiert. Das steht, “natürlich” ohne Quellenangabe und weitere Informationen, auch im Wikipedia-Artikel über Stanford.
Den Martner gibt es verdienstvollerweise als Datenbank auf der Seite der Internationalen Gustav-Mahler-Gesellschaft, und dort findet man auch die exakten Daten – in New York in seinem Todesjahr (!):
New York, 14. Februar 1911
Chadwick
Melpomene, Dramatische Ouvertüre (1/2)
Stanford
Symphonie Nr. 3 (1/2)
Elgar
Seebilder (1/2)
Loeffler
La Villanelle du diable (1/2)
MacDowell
Zwei Ausschnitte aus “Das Rolandslied” (1/2)
Hadley
Der Missetäter Fay (1/2)
New York, 17. Februar 1911
Chadwick
Melpomene, Dramatische Ouvertüre (2/2)
Stanford
Symphonie Nr. 3 (2/2)
Elgar
Seebilder (2/2)
Loeffler
La Villanelle du diable (2/2)
MacDowell
Zwei Ausschnitte aus “Das Rolandslied” (2/2)
Hadley
Der Missetäter Fay (2/2)
Beim anschließenden Gubaidulina war ich wieder beruhigt. Kopatchinskaja mit Hengelbrock und Gubaidulinas “Offertorium” gibt es beim NDR:
https://www.ardmediathek.de/ndr/video/thomas-hengelbrock-dirigiert-gubaidulina/ndr-fernsehen/Y3JpZDovL25kci5kZS82OWUzMzE3Ny04ODQ3LTQ0ZjQtYjczOS0wNzhjY2IwMzBmMTg/
Die Formulierung “einer jungen Frau, fast noch Mädchen, also Nymphe” müssen Sie mit Nabokov ausmachen, und Sie wissen, was er ihnen antworten würde – und Kubrick geantwortet hat.
Weiß sind hier aber auch Veränderungen in der Lunge – ähnliche finden sich z.B. nach durchgemachter COVID-19-Infektion. Schauen Sie mal hier: https://twitter.com/EricTopol/status/1272220863639609344/photo/1
… was, Herr Dr. Topol, doch sehr dafür spricht, daß mein Instinkt richtig war, die Veränderungen für Spuren meiner vor drei Jahren ausgestandenen, durchaus heftigen Lungenentzündung zu halten. Sie waren schon beim Staging zu sehen, und die Ärzte sagten, es k ö n n t e n entstehende Metastasen sein, es könnte aber auch etwas anderes sein; was, lasse sich derzeit nicht sagen. Umso gespannter bin ich auf das Arztgespräch morgen frühabends in der Charité.
Danke für Ihren Hinweis.