Tropen[1]Der Tropus (auch die Trope, Plural Tropen) ist in der Rhetorik ein Überbegriff für bestimmte Klassen rhetorischer Figuren (sprachlicher Stilmittel). Er leitet sich ab von altgriechisch … Continue reading sind die Träume der Sprache.
Ada 50
(Alle Zitate in den Übersetzungen
von Marianne Thersteppen und Uwe Friesel)
Ja, wir haben einiges zu schlucken. Was wir am jungen Van, dem Teenager, noch reizend fanden, seine schäumende Hoch-, ja Überbegabung, weil er sie mit seiner jungen Geliebten, Ada, eben teilte und wohl deshalb nicht zuletzt in ihr die Heimat fand, wird bei dem älteren, schließlich alten Van (er schreibt seine von der natürlicherweise ebenfalls alten Ada annotierten Erinnerungen in seinen Neunzigern) zu einem geradezu erstarrten Narzissmus mit deutlichen Zeichen von – fachlich freilich begründeter – Selbstüberhebung; bisweilen verschwimmt dabei, was Nabokov selbst meint und was Figurenzeichnung ist. Dem ist soziale Hoffart nicht nur beigemischt und — enorme Kälte. Nabokovs Romankraft hat sie immer wieder deutlich werden lassen, doch nirgends derart gläsern wie in „Ada“; an den Kanten kann man sich schneiden. So braucht das Buch Nietzscheanerinnen:
Wer die Luft meiner Schriften zu atmen weiß, weiß, daß es eine Luft der Höhe ist, eine starke Luft. Man muß für sie geschaffen sein, sonst ist die Gefahr keine kleine, sich in ihr zu erkälten. Das Eis ist nahe, die Einsamkeit ist ungeheuer – aber wie ruhig alle Dinge im Lichte liegen! wie frei man atmet! wieviel man unter sich fühlt! – Philosophie, wie ich sie bisher verstanden und gelebt habe, ist das freiwillige Leben in Eis und Hochgebirge – das Aufsuchen alles Fremden und Fragwürdigen im Dasein, alles dessen, was durch die Moral bisher in Bann getan war.
Friedrich Nietzsche, Ecce homo, Vorwort 3
Zugleich kann Van auch im Alter alles, ein Old Shatterhand gleichsam ohne Moral oder einer doch recht speziellen seiner, sozusagen, von Dünkel getragenen Soziopathie. Und wenn er eine will, bekommt er jede Frau; manche mitunter wird ihm sogar lästig. Abblitzen läßt ihn jedenfalls keine. Sein einziges Manko, von Nabokov ziemlich genüßlich wieder und wieder eingestreut, ist die, unterdessen, Fettleibigkeit – ein, mag sein, bedauerlicher Umstand, den zu bedauern er,
Pfau Van Veen,
Ada 364
einen Anlaß aber nie hat; mit über neunzig sowieso schon nicht mehr. Kurz: Alle Frauen begehren Van. Daß wir vermuten, mit diesem Nabokov auch, ist sicherlich nicht ungewollt. So daß wir uns, um zu erkennen, wie dennoch gebrochen dieser Charakter ist, den wir schon längst nicht mehr bewundern, nur umso bewußter machen müssen, daß Adas und Vans lebenslange Liebe („ardor“ bedeutet sowohl Brunst oder Brunft als auch Leidenschaft und Inbrunst) wirklich glücklich eigentlich nur zu Anfang war, während dieses ersten → Sommers in Ardis. Danach läuft aufs schmerzlichste stets die Vergeblichkeit mit, die möglicherweise einigen Anteil an Vans erstarrtem Narzissmus hat. Der sich, je älter der Mann wird, umso zynischer gebärdet, und zwar auch und gerade in der Erzähler-, also in Nabokovs Sprache. Etwa in der Schilderung des Freitods Lucettes, nachdem ihr klargeworden, sie werde niemals mehr Vans Gefährtin werden, nicht einmal mit ihm schlafen dürfen. Da springt sie von Bord in die See. Wie weit die Erzählung dieses Todes über der anderen, verwandten, steht, von der ich Ihnen → schon berichtet[2]Herbert Clyde Lewis, Gentleman über Bord, mare Hamburg 2023, wird hier ganz besonders klar. Doch will ich den Zynismus zeigen, des Autors wohlgemerkt (der allerdings im Text allein durch Perspektivenwechsel mit dem Ich-Erzähler gleichsam fusioniert):
Obwohl Lucette noch nie zuvor aus solcher Höhe gestorben – nein, gesprungen war, Violet –
Schon, daß er hier sein Wortspiel mit dem Sterben treibt …
in solch ein Durcheinander von Schatten und schlängelnden Spiegelungen, tauchte sie fast ohne Spritzer durch die Welle, die einen Buckel machte, um sie zu empfangen.
Und jetzt kommt’s:
Das perfekte Ende wurde verdorben durch ihr instinktives Auftauchen in einem Schwung — anstatt unter Wasser ihrer betäubten Schlaffheit nachzugeben (…).
Ada 602
Der Zynismus liegt schlichtweg in der Betrachtung des Todes als ästhetischen Vorgang, der sich der Schönheit zu fügen habe. Daß er’s nicht tut, wird mit Spott pariert. So nimmt es nicht Wunder, daß Nabokov ein Romantisieren erst recht nicht erlaubt; lassen Sie sich, Freundin, an der folgenden Stelle dieses „wie wir alle es befürchtet hatten“ auf der Zunge zergehen:
Sie sah nicht ihr ganzes Leben vor sich aufblitzen, wie wir alle es befürchtet hatten;
vielmehr häuft der letzte Vorbeizug des Lebens vor dem inneren Auge nichts als Banalitäten an:
das rote Gummi einer Lieblingspuppe lag in sicherer Verwesung
in sicherer Verwesung!
zwischen den Vergißmeinnicht eines nicht zu analysierenden Grabens; sondern sie sah einige Kleinigkeiten, während sie wie eine stümperhafte Tobakoff in einem Kreis kurzer Panik und gnädiger Erstarrung schwamm. Sie sah ein Paar neuer, feefell-besetzter Hausschuhe, die Brigitte vergessen hatte einzupacken; sie sah, wie Van sich den Mund abwischte, bevor er antwortete, und dann, die Antwort immer noch zurückhaltend, seine Serviette auf den Tisch warf, als sie beide aufstanden, und sie sah ein Mädchen mit langem schwarzem Haar sich rasch im Vorübergehen hinabbeugen, um über einem Dackel mit einem halbzerrissenen Blumenkranz in die Hände zu klatschen.
Ada 603
Zusammen mit Nabokovs penibel komponiertem Satzrhythmus ist es nun aber gerade dieser, auch seiner Mitleidlosigkeit wegen, zynische Blick auf das Geschehen, was uns vorm Tod erschauern läßt (Mitleid
ein Gefühl, das ich selten verspüre,
Ada 431
würde, in Nietzsches Sinn, wärmen)[3]Daß Gott erbarm‘!/Der meint, ich sehnte mich zurück/In’s deutsche Warm,/In’s dumpfe deutsche Stuben-Glück!
Nietzsche, Vereinsamt und der letzten Freitodszene die eigentliche Kraft verleiht, wenn Van,
nachdem er aus dem [zur Rettung ausgeschickten] Boot herausgewirbelt worden war, als er vor seinem eigenen plötzlichen Schatten zurückschauderte, in einem fort den Namen des ertrunkenen Mädchens in die schwarzen, schaumgeäderten, aufgewühlten Fluten schlug und schrie.
Ada 604
Zugleich macht es die tatsächlich komplette Hilflosigkeit (,)
die sein Eigenstolz und seine Ich-Bezogenheit in seiner hedonistischen Vergangenheit nie vorausgesehen hatten [,]
Ada 475
dieses selbsterträumten, sagen wir, Übermenschen und die komplette Vergeblichkeit seiner (und wohl auch Nabokovs) Hybris deutlich:
(… ) ohne daß irgendein Eindruck aus altem und neuem Wachsein eine weiche, tiefe Verbindung zu meinem noch sprachlosen Genie herstellte (…)
Ada 439
Einer weniger mitleidlosen, ja weniger anmaßenden Prosakunst,
amoralisch gerade in ihrer Reinheit,
Ada 325
wäre das nicht möglich. „Ada oder Das Verlangen“ ist auch deshalb einer meiner wenigen Lieblingsromane, weil das Buch die Schwächen moralischen Schreibens geradezu brutal herausdefiniert. Deshalb sind hier auch die unangebrachtesten Formulierungen am Platz, die mir mit der gleichfalls zunehmenden Häufung von sexuellen Kalauern ausgesprochen unangenehm sind:
(…) sah er flüchtig und verschwommen ihre rötlich-blonde Schönheit; er dachte, er könne sie später probieren, aber als er wieder hinschaute, war sie gegangen (374 ) — wo hübsche kleine Dinger thermometerschüttelnd vorbeitrippelten (382) —der eine ausgedehnte Studienreise durch mexikanische Kur- und Hurorte machte (392) — wo er sich heimlich jedes und jedwede Mädchen ganz nach Laune halten konnte (444) — sagte sie mit dem üblichen raschen Stirnrunzeln weiblichen Getues, das dem „Gedanken“ entspricht (449) – Er schob seine Hände in die warme Vulva ihrer maulwurfweichen Ärmel (472) – und klingelte dann nach Rose, der willigen Negerzofe, die er mit (…) Mr. Dean teilte (475) — „Das Geld hätte einem wertvolleren Zweck zugute kommen können — Heim für blinde Füllen oder Alternde Aschenputtel (484) — kommt im ersten Akt nach Perm (auch Sperm genannt) (523) — Ich verberge nicht einen Fleck von dem, was sich auf Perm reimt. (524) — weil sie es schaffte, einige Tropfen „playzero“ (wie die alte Hure das Wort plaisir aussprach) oral aus seinem Körper zu extrahieren (531) — „Laß uns“, sagte er, die Schwellung wiedergewonnener Zeit nicht auf den Erguß vom small talk anwenden.“ (556) — ein verdorbenes kleines Mädchen namens Lisette in Cannes mit Brüsten wie reizende Geschwüre (573)
Und so weiter und so weiter (sämtliche Unterstreichungen von mir, ANH). — Was jeweils aber sofort, wir können darauf wetten, von geradezu abgründigen Bemerkungen wie dieser flankiert wird:
Zwischen das Ver-dunkel-dammte und das Beißend-Sinnliche würde ich das „Überblenden“ erotischer Zärtlichkeit und herzzerreißenden Zaubers setzen, zufällige frôlements [Berührungen] namenloser Mädchen auf nebelhaften Parties, Halb-Lächeln von Anziehung oder Unterwerfung — die Vorläufer und Echos von tödlichen Träumen der Reue, wenn Reihen von zurückweichenden Adas mit stummem Vorwurf verblaßten; und Tränen, noch heißer als die im Wachen vergossenen, schüttelten und verbrühten den armen Van und geisterten bei verqueren Anlässen noch Tage und Wochen durch seine Erinnerung.
Ada 440
Oder von Beobachtungen (und der auf sie verwendeten Beschreibungskraft) wie der folgenden begleitet:
In einem Nacheinander von sechzig Jahre alten Handlungen, die ich jetzt bis zur Auslöschung zermahlen kann, nur indem ich an einer Folge von Worten arbeite, bis der Rhythmus richtig ist, zog ich, Van, mich in mein Badezimmer zurück, (…) während die unverschließbare Tür mit der Bewegung eines tauben Mannes, der die Hand ans Ohr hält, erneut aufflog (…).
Ada 598
Und allgemeiner, für Nabokovs Mitleidlosigkeit geradezu erkenntnishaft ontologisch:
Heller Hohn kann leicht über eine Stufe der Schadenfreude in den Ausdruck der Verzückung hinüberwechseln.
Ada 491
So daß wir es unterm Strich mit der Dichtung eines jener unterdessen bis zur ideologischen Klischierung als ein solcher zu immerhin Halbrecht diffamierten „alten weißen Männer“ zu tun haben, einerseits, die andererseits durchaus nicht ohne Mißbrauch auskommt, zumindest Übergriffigkeiten deftig, mitunter sogar hämisch zelebriert, aber zugleich von sprachästhetisch höchster Eleganz ist —
durch jene Originalität literarischen Stils, die die einzig wirkliche Ehrlichkeit eines Autors darstellt
Ada 574
und eben deshalb den folgenden Manierismus nicht nur verträgt, sondern auch verlangt,
Ein Tautropfen auf rostrotem Moos findet schließlich eine stilistische Erwiderung in der Aquamarin-Träne auf ihrem flammenden Wangenknochen,
Ada 511
und sogar ohne Stilbruch etwas zu beschreiben vermag, wie’s Mindere nie könnten:
Er [Van] (…) hatte einen strukturell einwandfreien Stuhlgang (dessen kreuzförmige Symmetrie ihn an den Morgen vor seinem Duell erinnerte), und ohne sich damit aufzuhalten, einen Schlips umzubinden (all seine Lieblingskrawatten erwarteten ihn in seiner neuen Wohnung), fuhr er nach Manhattan (…).
Ada 474
— und einem Einfallsreichtum zudem, der immer wieder staunen macht, in jedem Fall uns frappiert[4]Zum Beispiel mich, als ich lesen mußte, daß Ada Quelques fleurs trägt (S. 42), nämlich dasselbe Parfum wie Sabine Zeuner in → Thetis. und nicht selten auflachen läßt, mitunter sogar laut. Manchmal sind diese Einfälle kurz und ziehen dennoch unter den Boden weitre und immer weitere Böden ein:
Als Van Veen,
dessen wenn auch funktionierende Keimdrüsen, wie wir, Freundin, bereits wissen, unfruchtbar sind,
Anfang September von Manhattan nach Lute [i.e. Paris; ANH] abreiste, war er schwanger.
Ada 396
Das ist eben kein prophetisch vorausschauender Beitrag zur gegenwärtigen Queer-Diskussion — die Nabokov, den – ecco! – Idealtypos eines allerdings hochgebildeten, zudem noch – ich komme nicht umhin, es genau so zu nennen – genialen weißen alten Mannes, mit großer Sicherheit zu skalpellsten Höhenflügen formulierten Spottes angestachelt hätte —, sondern die Erkenntnis eines erwartbar lebenslangen Leidens.
„Welches alles“,
sagt Van nämlich darum,
„nur heißt, daß unsere Lage verzweifelt ist.“
Ada 499
Eine Einsicht, die uns Leserinnen und Lesern Lucettes Freitod — halten wir sie uns,
den Scheinwerfer des Zurückdenkens in jenes Labyrinth der Vergangenheit
Ada 190
richtend, noch einmal als das den frühreif Liebenden lästige Kind vor Augen, das sie in Ardis‘ Sommer war — ganz furchtbar illustriert. Und aber ich selbst sehe mich, ganz wie
sich unser Autor der gräßlichen Aufgabe konfrontiert, bei Antilia, einer Brünetten von Geburt, alle Spuren von Ada auszurotten und so eine weitere Figur zu einer Puppe mit gebleichtem Haar zu erniedrigen.
Ada 414
Meiner Nähen einige, die zu diesem Buch, sind mir durchaus unheimlich. Umso genauer schaue ich hin und werde nichts verklären.
Künstlerisch tätig [zu] sein, bedeutet zu graben, Vampire auszugraben.
→ Meere 119
Genau das tut hier Nabokov, wenn auch vielleicht wider Willen; daß es geschieht, liegt deshalb wahrscheinlich gar nicht am Plot, sondern an der Autonomie des literarischen Stils, der sich durchsetzt gegen den Willen. Absicht hat in Kunst nichts verloren, und wenn doch etwas, dann wird sie es nicht finden. Es ist d i e s, was diesen Roman zu Nabokovs größtem werden ließ und zu einem der bedeutendsten (und über weite Strecken schönsten) der Dichtung insgesamt. („Schön“ ist nicht notwendig „gut“. Das wird derzeit vergessen gemacht:
Und ein weiteres Jahrhundert würde vergehen und das gemalte Wort von dem noch reicheren Pinsel der Zeit retouchiert werden.
Ada 499)
Wir dagegen h a l t e n. Dagegen. Denn Unholde a u c h lieben bisweilen unendlich.
Ihr ANH, 12. Mai 2023
_______________
→ Nabokov lesen 43
Nabokov lesen, 41 ←
*******
References
↑1 | Der Tropus (auch die Trope, Plural Tropen) ist in der Rhetorik ein Überbegriff für bestimmte Klassen rhetorischer Figuren (sprachlicher Stilmittel). Er leitet sich ab von altgriechisch τρόπος (Plural τρόποι) bzw. τροπή tropé, deutsch ‚Wendung‘, und bezeichnet die Ersetzung eines Ausdrucks durch einen anderen, der allerdings nicht synonym, sondern einem anderen Bedeutungsfeld zugehörig ist. → Wikipedia |
---|---|
↑2 | Herbert Clyde Lewis, Gentleman über Bord, mare Hamburg 2023 |
↑3 | Daß Gott erbarm‘!/Der meint, ich sehnte mich zurück/In’s deutsche Warm,/In’s dumpfe deutsche Stuben-Glück! Nietzsche, Vereinsamt |
↑4 | Zum Beispiel mich, als ich lesen mußte, daß Ada Quelques fleurs trägt (S. 42), nämlich dasselbe Parfum wie Sabine Zeuner in → Thetis. |
Danke für die Analyse.
Ich würde allerdings dem Nietzeanischen hier nur mit etwas mehr Abstand folgen wollen und das „Der Zynismus liegt schlichtweg in der Betrachtung des Todes als ästhetischen Vorgang“ versuchen zu konkretisieren. Denn der ästhetische Zugang allein reicht für einen Zynismus nicht hin. Es kommt auf die Haltung an, mit der das geschieht. Und zwar, ob sie diese Ästhetisierung ausbeutet oder in irgendeiner Weise benutzt. Natürlich ist jede gute Beschreibung immer auch zugleich eine Profilierung des Autors. Das ist das Problematische daran, weshalb solche Beurteilungen viel mit Sympathie zu tun haben. Aber was heißt Sympathie: ja wieder, welche Haltung ich vermute und ob ich finde, dass sie ihrem Anspruch gerecht wird. Konkret bedeutet das: ob der ästhetischen Betrachtung nicht etwa billige oder unredliche Glorifizierungen des Eigenen beigemischt sind. ja, ganz ausschließen kann man sie nie. Und was heißt billig? Nehmen wir zum Beispiel das berühmte Beispiel Jüngers auf der Terrasse in Paris als das Paradebeispiel ästhetisierter Todesbetrachtung in der deutschen Literatur. Unredlich ist hier, dass Jünger der Besatzer ist, dass er einen Triumpf zu feiern scheint (an dem er dafür wieder zu wenig Anteil hat). Auch ist die Einbettung manchmal etwas stenzhaft, kapriziös. Man kann es aber auch lesen, als Versuch, einen übergeordneten Standpunkt zu erlangen, also gerade aus der Offiziersrolle auszusteigen (und nicht die damit zu schmücken). Da Jünger sich selbst hier immer ambivalent verhalten hat, hat er die Szene nie ganz retten können. Da in ihr ein Anteil ist, der durchaus über den Offizier hinauswächst (nämlich in den unbeteiligten, im Grund gegen den Krieg seienden Beobachter), auch nie ganz verloren geben müssen.
Nabokov ist hier ähnlich ambivalent. Das Unangenehme, was den Ästhetizismus hier grundiert, wurde von dir ja sehr gut benannt. DAS macht es unangenehm. die Herabschau, die Belustigung, das Auskosten, des ästhetischen Gewinns zu niederen Zwecken. Die Tragik hinter allem, die Trauer, die Nabokovs Zeilen eingeschrieben ist, retten es wieder ein Stück weit. Insofern ist der Streit um Haltungen ein berechtigter, wenn auch tendentiell unlösbarer, da er zu sehr mit Sympathien und diese wiederum mit Prämissen verbunden sind, die uns oft nicht ganz einsichtig sind.
Ich würde allerdings dem Nietzeanischen hier nur mit etwas mehr Abstand folgen wollen und das „Der Zynismus liegt schlichtweg in der Betrachtung des Todes als ästhetischen Vorgang“ versuchen zu konkretisieren:
An vielen vorherigen Stellen dieser Serie habe ich das bereits, denk ich, getan. Hier vielleicht aber noch, insofern diese „Betrachtung des Todes als ästhetischen Vorgang“ eine nicht für den eigenen Tod sondern den einer andren, einer Verlorenen geschrieben wird. Das ist nicht ganz unähnlich der Haltung Vans → dort gegenüber dem verachteten (weil kurzfristig/sexuell erfolgreichen) „Nebenbuhler‟ Rack.
ob der ästhetischen Betrachtung nicht etwa billige oder unredliche Glorifizierungen des Eigenen beigemischt sind. ja, ganz ausschließen kann man sie nie.
Schon gar nicht bei Nabokov. Siehe seine „aristokratisch‟/feudalistische Haltung gegenüber „Untergebenen‟.
Nabokov ist hier ähnlich ambivalent.
Einverstanden. Aber es ermöglicht ihm eine Distanzierung, der der Klarheit seiner Formulierungen entgegenkommt, wenn nicht sogar sie überhaupt erst möglich macht. Dazu → Thomas Lehr: „An der Flamme des Begehrens, die Van und Ada ein Leben lang (in ihrem Zeitschema der „Starken‟) entzündet halten, verbrennen sich all die anderen Schmetterlinge die Flügel. Die Schwachen – Lakaien und Dienstmädchen, Gelehrte und Schauspieler, schrullige Verwandte und angebaggerte Krankenschwestwern – irrlichtern an der Peripherie des Romans. (…) Aber auch hier gilt es zu bedenken, daß Demonia die ‚Wirklichkeit‛ der inneren Geographie widerspiegelt. Die bekennende und gelebte Liebe vergibt stets ein Privileg, und ihrer exkludierenden Logik ist [„sind‟; ANH] eine gewisse Rücksichtslosigkeit und eine gewisses instrumentelles Verhältnis zu den anderen begründet (…).‟
Insofern ist der Streit um Haltungen ein berechtigter, wenn auch tendentiell unlösbarer, da er zu sehr mit Sympathien und diese wiederum mit Prämissen verbunden sind, die uns oft nicht ganz einsichtig sind
und die wir deshalb aber herauszugraben versuchen.
Schon beim sehr jungen Van hatte ich mich bei der Lektüre ‚geschnitten‘, und kam in der alten Verstappen/Friesel-Übersetzung nicht über diese Stelle hinweg:
„Er wußte, sie war nichts als ein plumpes schweinchen-rosa Hürchen, und pflegte ihr Gesicht mit seinem Ellbogen wegzustoßen, wenn sie versuchte, ihn zu küssen, nachdem er fertig war, und mit flinkem Griff, wie er espen Cheshire gesehen hatte, vergewisserte er sich, ob seine Brieftasche noch hin seiner Hüfttasche stak…“ (S. 51)
In der Neuübersetzung (Friesel/Zimmer) fast genauso:
„Er wusste, sie war nichts als ein plumpes schweinchenrosanes Hürchen, und stieß ihr Gesicht regelmäßig mit seinem Ellbogen weg, wenn sie ihn zu küssen versuchte, nachdem er fertig war…“ (S. 55).
Und als ich von Michael Maar oder David Kehlmann auf die Frage, welcher bedeutende Roman unlesbar sei, „Ada“ hörte, konnte ich das sofort nachvollziehen. Aber natürlich habe ich dann weiter gelesen, und wenn man erst einmal die grandiose Faktur des Romans erkennt, kann man solche bildhaft-brutalen Szenen besser einordnen, aber es war lange Zeit eine regelrechte Lesebarriere für mich.
Lieber FJK,
u.a. eben, um dies zu bewirken, habe ich diese Serie Nabokov lesen begonnen, die nun allmählich, mit Ada, fast an ihr Ende gelangt – mit einem meiner, eben seiner Faktur wegen, großen Lieblingsromane. Sowohl Kehlmann als auch Maar haben in keiner Weise verstanden – anders als etwa Thomas Lehr, von dem es → darin einen hinreißenden Aufsatz zu Ada gibt. Ich zitiere ihn für Sie nur kurz: