Das Neujahrsjournal seit Mittwochs, den 1. Januar 2025. Eine phylogenetische Vor- und insofern Torbilanz, als der Ball nicht hineinging.Geschrieben bis zum 3. Januar.

(…)
und was wir selber als Verlust erfuhren,
das ist vielleicht im Grunde der Gewinn.
Armin Rüeger → nach Balzac

[Arbeitswohnung, 12.05 Uhr
Othmar Schoeck, → Massimila Doni (Vinyl)]

Auffällig, wie schwer es mir fällt, wieder meine Arbeitsjournale zu schreiben, seit ich sie nun schon seit knapp zwei Jahren quasi eingestellt habe – aus Gründen, die nicht öffentlich sein durften, was eben genau zur Einstellung geführt hat. Jetzt indes, da die Probleme weitgehend gelöst, jedenfalls nicht mehr bedrohlich sind, für niemanden … – jetzt indes, da ich von der, wie es heißt, „Leber frei weg“schreiben könnte, spüre ich zwar dann und wann einen starken Impuls. Aber setze ich mich dann wirklich an den Laptop, erlischt er geradezu unmittelbar; sogar leichten Ekel verspüre ich zuweilen (oder glaube, ihn zu verspüren). Dabei sind diese Journale über fast zwei Jahrzehnte das Herzstück Der Dschungel gewesen oder wurden als so etwas wahrgenommen; die Zugriffszahlen belegten es.
Weshalb also mein ständiges stets wieder Zurückweichen vor den eigenen Impulsen? Haben sich Zweifel an meinem eigenen poetischen Ansatz in mich eingeschnitten? Nein, an ihm eher nicht. Aber ich fühle einen Riß, eine Verletzung, die mich zwar nach wie vor für richtig halten läßt, was ich ästhetisch denke, aber ich habe den Wind nicht mehr in den Segeln, er bläht die Seegel, von „Seele“, nicht mehr), so treib ich in der Flaute. Nicht nur mit Der Dschungel ist es so, auch sonst habe ich den ganzen letzten Monat über kaum was zu Datei gebracht, um von „Papier“ zu schweigen. Bei Der Dschungel merkt man’s nur gleich. „Was willst du?“ rufen die Freunde aus. „Du hast doch wirklich genug geschafft, da ist so eine Pause doch normal.“ – Ist es vielleicht auch, nur war ich nie „normal“ und kann nicht glauben, daß ich’s plötzlich wurde. Da ist etwas anderes, das mich hindert. Was übrigens kein Problem wäre, stünde ich mit „Briefe nach Triest“ jetzt wirklich in der Diskussion. Tu ich aber nicht. Darüber können auch die beiden großen Rezensionen nicht hinwegtäuschen, die dem Buch unterdessen zuteil geworden sind. Der Markt funktioniert anders, Besprechungen müssen geballt erscheinen, zeitlich möglichst eng aneinander, sonst zerstreut sich ihre Wirkung; imgrunde gilt Marxens Kapital, Bd. 1.
Dennoch, natürlich bin ich froh.
Aber da ist dieser Riß. Gestern, nach einer zudem reichlich volltrunknen Nacht, zog er mich so runter, daß ich eine Silvestereinladung absagte; schon die Vorstellung, gleich mit einigen Leuten zusammenzusitzen, fand ich – vorausfühlend – quälend. Auch sowas ist für mich neu, das ich nicht sprechen, einfach nur für mich sein will. Was dann auch ganz gut war

[Hier stockte schon wieder mein Text; ihn  erneutaufzunehmen, fand ich erst heute zwar weniger die Energie als immerhin den Willen (nebenbei wird einmal wieder ein Brotteig angesetzt] :

[3. Januar, 14.20 Uhr
Per Nørgård, Sinfonie Nr. 2 (1070)]

Wiederum „Sei nicht so streng mit Dir“ sprach mir im WatsappCall Benjamin Stein gestern zu. „Bin ich nicht“, gab ich zur Antwort, „ich weiß ohne Projekte nur nicht, wohin mit mir.“ Dabei habe ich eines, es drängt sogar ein wenig. Das PrenzlauerBerg-Buch nämlich. Doch komm ich mir grad wie eine Pianist mit klebrigen Fingerspitzen vor. Es ist auch eine Art Erschöpfung, doch der Hoffnung. Nicht dramatisch, nein. Aber auch das ist ein Problem. Aus Dramatik, „Drama-Queenismus“, habe ich bislang noch immer poetische Funken schlagen können; pragmatisch zu gucken zu jetzt, erstickt das leider im Keim. Alles nur mein Eindruck. Vielleicht auch bloß vorübergehend. (Merken Sie, Freundin, wie parataktisch plötzlich mein Stil wird? Alarm! (Was „all’arma!“, „Zu den Waffen“!“ bedeutet (!!)) Bloß war es in den letzten Jahren immer gleich: Ein neues Buch erschien, ich machte mir Hoffnung, nichts geschah. Sie nun geschieht nun auch nicht mehr. „Du hast einfach keine Leser,“ sagte mir vor Jahren der Chef von dtv. „Was soll ich tun? Ich muß den ‚Wolpertinger‘ auslaufen lassen, auch wenn ich es höchst ungern tue. Und deine andren Taschenbücher auch.“
Er hatte schon recht, zu einer Leserschaft, die sich so nennen läßt, bin ich niemals vorgedrungen. Ich glaube nicht, daß es an der Komplexität meiner Bücher liegt; Proust wird ja dennoch gekauft, Musil wird’s, Jirgl wird’s, Pynchon, allerdings bei Döblin bin ich mir nicht sicher, auf den ich mich aber immer wieder beziehe, den, neben Musil, für mich wichtigsten deutschsprachigen Romandichter. Von ihm, Döblin, habe ich die Rhythmen, natürlich abgesehen von der Musik – die aber eben auch eine ist, die ich mit dem Gros weder meiner Generation noch irgendeiner der gefolgten teile. Hier dürfte der eigentliche Grund liegen, darinnen kaum verborgen, daß schon, als ich noch Jugendlicher war, die Sprache unserer Seelen, also Musik, jene meiner Altersgenossinnen und -genossen und meine, fast nichts miteinander zu tun hatten; sogar sich zu verständigen, war schwer. (Im Schwulenmilieu wär es etwas anderes gewesen, nur war ich halt entschieden hetero und bin es heute geblieben). Daß ich die Stones heute hören kann, mit Gewinn, Deep Purple usw. (die Beatles aber immer noch nicht, bleibt mir for heaven’s sake vom Leib!), ist eine späte Entwicklung; sie setzte ungefähr mit meinen Vierzig ein,

da kam auch Leonard Cohen hinzu. Wobei die Liedermacher insgesamt durchaus bei mir Anklang schon früher fanden: Konstatin Wecker, Hannes Wader, André Heller (mit dem freilich stand ich fast wieder allein) sowie die französischen Chansonières und Chanconiers von Piaf bis Brassens. Ansonsten hörte ich Mahler, Scelsi, Stockhausen, Maderna, nach wie vor viel Tschaikowski, entdeckte die reiche Welt der Streichquartette, Chopin dazu, immer wieder auch Jazz, dann durchraste mich die Oper und hinterließ eine riesige Schneise lauschender Lust — Suchtlust, können Sie sagen.
Wobei der Heller mich schon damals wunderte. Nicht im geringsten teilte ich, noch tu ich es heute, seine Begeisterungen an Schlagern. Tat aber nix. — Wie widersprüchlich, Freundin, wir sind!

Nein, es war nicht an dem, daß ich den anderen ‚als Mensch‘ fremd gewesen wäre oder sie wären es mir gewesen. Freunde hatte ich immer, oft über Jahre, nicht wenige seit damals bis heute; fremd war mir nur, was sie hörten, und ihnen, was ich. Überschneidungen gab’s selten, etwa — da sogar bleibend — daß ich von Andreas Werda, einem vertrauten Fotografen, dessen Liebe zu Joni Mitchell ebenso übernahm wie er von mir den Mahler. (Mit Bach tat er sich schon weniger leicht). Unterm Strich aber, wenn mich aus dem Musikbereich, der heute Pop genannt wird, etwas vereinnahmte, dann fast immer nur über die Botschaft (‚message‘), also den Inhalt des vertonten Textes; die Musik selber blieb für mich flach, meist ganz unerträglich. Aus selbem Grund habe ich auch noch nie einer Lightshow etwas abgewinnen können, die populäre Musikdarbietungen heute beinahe ständig begleitet — sie „aufmotzt“, wie ich empfinde: nämlich die Banalität der kompositorishcen Faktur überspielt. Meine Omi: „Das soll sowas sein …“ (Sie aber liebte Schlager, Ronny, Freddy, Bruce Low; nicht zu vergessen Conny Froboess: Pack die Badehose ein, Deutsches Wirtschaftswunder, vier Jahre vor meiner Geburt, grad mal sechs nach Auschwitz).

Ich glaube also nicht, daß es eine wie auch immer geartete „Über“-Komplexität meiner Bücher ist, was die Menschen von ihnen Abstand nehmen bzw. erst gar nicht nach ihnen greifen läßt; ich kann dies Arument eh nicht nachempfinden: Für mich ist „Schwierigkeit“ ein Ansporn (war es jedenfalls). Sondern es ist etwas poetisch-phylogenetisch Fremdes, das die Menschen an meinen Büchern empfinden. Noch in dem bisweilen über mich zu lesenden „großen Außenseiter der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“ schwingt davon etwas mit. (Immerhin bin ich so weit gekommen; ich hätt statt dessen längst schon untergehen können. Nur daß unterdessen, ein Außenseiter zu sein, bei der jetzigen jugendlichen Generation kein Wert mehr, sondern Makel ist; das ging freilich schon vor Jahren los. Ich halte es für einen – ihr rundum adäquaten – Ausdruck der Warengesellschaft, der auch an der Möglichkeit des heutige politischen Populismus kräftig mitgestrickt hat und in der Kultur an dem Primat der „Quote“.)
Ich stehe da tatsächlich fremd, die Menschen ermpfinden nichts Falsches. Unsere Unterschiede werden sich erst nach vielen Jahrzehnten nivellieren — so, wie wir es heute hinbekommen, widerspruchsfrei sowohl Puccini als auch Alban Berg zu lieben, Franz Schreker und Luigi Dallapiccola, Aribert Reimann und Brahms; die, selbst untereinander, hätten sich die Augen ausgestochen. Auch die Kombi Richard Wagner/Claude Debussy ist uns unterdessen völlig bequem, Adornos Ablehnung von Sibelius oder gar Benjamin Brittens („Geschmack am Ungeschmack, Simplizität aus Unbildung, Unreife, die sich abgeklärt dünkt, und Mangel an technischer Verfügung“ [1]Th.W.Adorno, Philosophie der Neuen Musik, 1949) kommt uns geradezu bizarr vor. Worauf ich hoffe, sofern ich noch hoffe, so darauf, daß solches mit Urteilen wie „utopistisches Tamtam“ [2]siehe → dort oder „Herbst hat noch nie einen einzigen richtigen deutschen Satz geschrieben“ (letzteres soll der für „einfaches Schreiben“ allerdings nicht mehr als ich bekannte Reinhard Jirgl mal gegiftet haben, keine Ahnung, ob es stimmt) … — daß solche „Urteile“ sich quasi von selbst und zwar dann aufheben werden, wenn der Zurückblick die Differenzen aufgrund der historischen Gleichzeitigkeiten minimiert. Kann aber ebenso sein, daß mich die Postmoderne hierin täuscht, die mich ja lange bei Hand nahm. (Und vorhin eine Mail, derzufolge für eine bereits terminierte Lesung nicht mehr wie früher, sondern nur noch 200 € bezahlt werden könne – und das Hotel; ob aber die Fahrtkosten auch, sei noch nicht raus).

          Damit leben. (Aber ich muß wieder zum Teig in die Küche.)

 

[18.37 Uhr]

Das geht alles in mir um, ich kann ja nichts tun — nichts, außer ein nächstes Buch zu beginnen, das ich ins Leere schreiben werde … ins Fastleere, na gut, es gibt ja paar Leute, die meine Dichtungen dennoch lesen. Nur b i n ich nicht, kann mich nicht bescheiden. Es gibt Namen, die sind in aller Munde, vom meinen kosten sie nicht mal, kriegen ihn auch kaum serviert. Durchstreifen Sie, Freundin, die Buchhandlungen, um zu schauen, wo die Triestbriefe liegen. Egal, wo. Und Sie werden verstehen, welch ein Segen Amazon für mich ist … ein solcher fast, wie es für Jelinek die Frauengruppen an den Universitäten waren (vor ihrem Nobelpreis, versteht sich) und für Egger die so engst, daß sich von „familiär“ sprechen läßt, aneinandergerückten Wände des zeitgenössischen Lyrikbetriebs. Kein Wunder, daß alliterativ mir Ecker einfällt, Christopher Ecker, dem es nicht anders geht als mir.

Wieso ich, Freundin, derart verzweifelt sei? — Das bin ich nicht, bin nur etwas müde. (Die Neuropathie in den Füßen nervt; um nicht höher dosieren zu müssen, habe ich das Pregabalin besser erstmal abgesetzt. Nicht wegen der objektiven Suchtgefahr, sondern weil die Medikation eine Höchstgrenze kennt und ich rechnen kann. Also halte ich das im Wortsinn Generve erstmal wieder aus und greife zu dem Teufelszeug nicht, bevor es sich neuerlich nicht mehr umgehen läßt, weil ich zum Beispiel anders keinen Schlaf mehr finde. Der Körper, das ist vor allem mein Gehirn, soll sich erstmal wieder entwöhnen. (Freilich könnte dies auch ein Stellvertreterkampf sein, psychodynamisch. Weil ich gegen den Literaturbetrieb nicht ankomme, jedes sichErheben sinnlos wäre, verschiebe ich’s auf etwas, das ich tatsächlich in die Schranken weisen kann: allein qua Wille.)

Großartiger → Aufsatz von Konrad Paul Liessmann; indirekt zeigt er auf, was das Problem ist. (Wenn Sie den Artikel in einem privaten Fenster bzw. per VPN öffnen, können Sie die Bezahlschranke umgehen.)

Ihr ANH








 

References

References
1 Th.W.Adorno, Philosophie der Neuen Musik, 1949)
2 siehe → dort

1 thought on “Das Neujahrsjournal seit Mittwochs, den 1. Januar 2025. Eine phylogenetische Vor- und insofern Torbilanz, als der Ball nicht hineinging.Geschrieben bis zum 3. Januar.

  1. ..vielleicht nicht ganz eine Aufmunterung, aber mir fiel im Lesen eben die Bemerkung eines Konzeptkunstkollegen anno frühe 90er ein, als aus Produzentïnnensicht gilt: „Außer den Beteiligten gibt es kein Publikum.“ 🙂 Inzwischen gibt es rasend viel Publikum in der Kunst, und irrwitzige Durchlaufgeschwindigkeiten (eigentlich fast eine Kluge-Situation – „Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“).
    – Präsenz für den Moment heisst eigentlich nicht mehr viel, nur eben für den Moment.. :/ Insofern würde ich mich ja immer freuen, wenn meine Arbeit eben für von mir geschätzte jüngere Produzierende hie und da Inspiration ist, oder Herausforderung, Nahrungsmittel (Protopkin: „Die Eroberung des Brotes“:), uva. 🙂
    Adressatïnnen des Schreibens sind ja zuallererst, sofern nicht Auftragsarbeit, immer imaginierte, darin sozusagen innere Objekte spiegelnd – und ja, wenn sich da Brüche eintragen, Verschiebungen, wie sie die überladene und zugleich auch überdrehende Litbetriebswelt mit sich bringen, dann wäre es seltsam, einfach so weitertun zu können, wie immer schon gekonnt.. 🙂 Die Unbehaglichkeit des Arbeitsprozesses wäre so gesehen auf jeden Fall ein guter (Jahres;)Anfang. 🙂 – Alles Beste für 2025!

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