21 thoughts on “Aus Notwehr nicht korrupt. Moralisches Paradox.

  1. … der Henker zeigt das Gesicht des Verhängnisses …. oder: das Gesicht dem Verhängnis – in dem Sinn, dass der Henker den mit dem Richtschwert abgeschlagenen Kopf aufhebt und ihn so dreht, daß das Gesicht dem/für das Verhängnis sichtbar wird, soweit es zu blicken in der Lage ist. Das wollte ich nur mal gesagt haben, um der Verhängnis den Genus zu retten.

    1. verzahnend “die verhängnis” ist aber doch etwas völlig anderes, weil tiefer hineingreifend, schwer verzahnend, interagierend also mit dem schwebenden schwert. man merke auf: der kopf wurde noch nicht abgeschlagen und man kann die folgende bewegung des henkerarms zwar relativ berechnen und also nur aus der erfahrung heraus in die unmittelbare zukunft deuten, schösse aber über das ziel insofern hinaus, als dass man den aphorismus falsch zu ende dächte, würde der genus hier gerettet werden wollen.
      das gesicht der verhängnis ist das eigentlich starke moment und nicht das, was dann danach passierte. im gesicht des henkers muss doch der verhängte augenblick alle macht verströmen.

    2. Die Bewegung des Henkers ist immer die gleiche und es ist nichts tiefengründiges dabei, er wird dafür bezahlt.
      Wenn er nachts zu seiner Frau ins Bett steigt, wird er nichts großartiges erzählen, seine Hand streckt er nach seiner Frau aus, wie vorher nach dem Strick, ein völlig normaler Vorgang für ihn.

    3. Aber so einfach ist es natürlich nicht, denn es werden ja auch Frauen gehängt.
      Ich lese gerade Kertesz “Ich- ein anderer” und da steht etwas dass ich sehr gerne hier rein schreiben möchte, selbst wenn vielleicht der Zusammenhang nicht klar ist, aber am Ende ist er doch klar, weil Auschwitz ein großes Zentrum für Henker war und Auschwitz ist nun wirklich kein mystischer Ort, zumindestens sollte man keinen daraus machen.

      “Wenn Auschwitz vergeblich ist, so hat Gott Bankrott gemacht; und wenn wir Gott zum Bankrotteur machen, so werden wir Auschwitz nie verstehen.
      So bin ich denn bereit, auf diesen riesigen, wüsten Schauuplatz namens Erde, wo im gräulichen Licht nur ein Häufchen Schutt, spitze Stacheldrahtreste, ein entzweigebrochenes Kreuz und die Trümmer einiger weiterer Symbole auszumachen sind, mich unterm grauen Himmel in den Staub hinzuknien, das Gesicht mit Asche zu bedecken und Auschwitz im gräßlichen Zeichen der Gnade anzunehmen”

      Imre Kertesz aus Ich-ein anderer

    4. auschwitz-award wenn ich das jetzt sage, wird es unfirm daherkommen, aber: muss es denn stets und ständig auschwitz und gott sein?
      das wirkt immer so ausgesucht und zum superlativ des bösen “gemacht und gemeistert”. möglichwerweise gibt es irgendwann einmal das auschwitz-stigma, oder gar den auschwitz-award, verliehen in einem noch zu bestimmenden turnus für die unfassbarsten handlungen menschlicher coleur, ahorita, hier und jetzt gar heute.

    5. hätten Sie gegenvorschläge? die sollten aber nun paradigmatisch genug sein. gucken Sie aus dem fenster. wahrscheinlich ist es immer dasselbe. muß es immer dieses fenster sein?

    6. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Nutzen hat nicht mehr über Auschwitz zu reden, vielleicht haben manche noch gar nicht damit begonnen, aber darum ging es mir nicht, mir ging es um den Henker und seine Arbeit, er nimmt sie an, er geht hin, macht seinen Job, so wie die Henker in Auschwitz, vielleicht auf eine andere Art, aber auch für sie war es Alltag Menschen umzubringen und der Henker ist nicht der, der nach schuldig oder nichtschuldig fragt, genauso wie die Henker in Auschwitz, sie taten ihre Pflicht und was könnte unsere Pflicht sein? Oder haben wir keine? Warum schreiben wir dann?

    7. zusammenhänge hat man sich denn bereits darauf geeinigt, dass unter allen genoziden, gerade dieser zum status symbol wird? mir ist das ja auch nicht etwa fremd – und gerade hier einen paradigmenwechsel vorzunehmen läge nicht in meinem ermessen und wirkte darüberhinaus infam. worauf ich jedoch hinweisen wollte, ist, dass mit nur einem einzigen bild vor augen, vieles andere dazu neigt, bagatellisiert zu werden, das uns ebenso angeht. man könnte das natürlich anders formulieren, in etwa: liegt es am zeitfaktor ( so uns zB. die kirchlichen verbrechen weltweit, damals wie heute nicht besonders jucken), am raumfaktor (so uns zB. die massenmorde, hinrichtungen und genozide afrikas nicht besonders jucken) oder am volksfaktor (das man nachgerade ein “herrenvolk” zum opfer stilisiert, das andere “herrenvolk” zum henker?)
      ich möchte darauf hinweisen, dass dies FRAGEN sind, die mir erleichtern, zusammenhänge besser zu analysieren, vor allem auch ein denken – und nicht etwa meinungen.

    8. Da müssen sie Kertesz schon entschuldigen, er verbrachte seine Kindheit in Auschwitz, an welchen Genozid soll er sich denn sonst erinnern?
      Und ich finde das was er sagt ist nichts anderes als die Wahrheit.

      Aber mir ging es um das noch einmal zu sagen auch nicht um Ausschwitz, sondern um das Tun.
      Ich finde an einem Massenmörder auch nichts großartiges, ich kann unter Umständen seine Tat begreifen (aber nur wenn ich mich in ihn hineinversetze und das will ich eigentlich nicht)
      Ich bin der Meinung dass man einen Job wie den eines Henkers nicht mystifizieren sollte, es ist ein dreckiger beruf den man verbieten müsste..

    9. wahrscheinlich kitzelt uns das ferne als zuschauer, und das unheimlich nahe (uns selbst vielleicht sogar innewohnende), das sticht uns. jeder genozid ist ein genozid. unleugbar. doch, ich glaube, es geht durchaus um den begriff “herrenvolk” und “rechter glaube”, wo immer er sich anwenden läßt. henker wäre für mich der stilisierte “herr”, der keinen anderen “herren” zuläßt, die er ja auch folgerichtig “götzen” nennt, die “fratzen” schneiden. der “herr” ist unsichtbar. darf z.b. im islam nicht mal bildlich dargestellt werden. auschwitz ist eine richtstätte. sicher, so symbolisch dieweil wie das kreuz. aber beide stehen für die “fratzen”, die “unrichtigen”. müssen nicht weiter expliziert werden. unter dem begriff des “herrn” läßt sich jedenfalls manches zusammenfassen, im konkreten wie im abstrakten. – was mir so einfiel.

    10. … und wenn dann der Kopf fällt, sag ich ‘hoppla’ … “die Verhängnis” als Pluraletantum (ein Wort, das nur in Mehrzahl gebraucht wird wie “Leute”) gibt es ebenso wenig wie “die Unheil”; das genus beider ist im Deutschen neutrum; allerdings stammt das Verhängnis tatsächlich von der verhengnis ab, das Neutrum entstammt einem älteren Femininum (die verhencnisse) : dem Verhängen, Hängenlassen der Zügel, das Roß laufen lassen; Luther macht aus diesem Dahintraben, der Einwilligung des Reiters in den Willen des Rosses die Fügung G-ttes und diese Ver-Fügung wird mit der Aufklärung, der Zurückdrängung G-ottes, zum Schicksal, Neutrum (wie sein Vorbild, das lateinische fatum) … und beharrlich kommt OttosMops immer wieder auf den Henker zurück, der vollzieht, was verhängt ist … tut der Nazihenker nicht genau dasselbe, wie jeder seiner Kollegen? … handwerklich betrachtet … aber was vollziehen beide (und wenn der Kopf fällt, sag ich ‘hoppla’), wenn sie den abgetrennten Kopf aufheben, das tote Gesicht in eine bestimmte Richtung drehen und es der “Instanz der Einwilligung” zeigen – wie blickt diese Verhängnis zurück: als Fügung oder Fatum?

    11. @cockvanderkeujlen. Ich denke: als “Fügung”. So, wie in eines ein anderes – und Hunderte andere – p a s s e n; ‘Fügung’ von ‘Fuge’. ‘Die Verhängnis’ dann ist mythische Personifizierung, poetische Personifizierung; nicht der Henker selbst blickt eigentlich (der blickt tatsächlich bloß banal), sondern d u r c h ihn blickt, was er wahrscheinlich nicht einmal spürt, Die Verhängnis hindurch; er selbst ist gar nicht gemeint, sondern Medium einer sich in ihm und Tausenden anderen immer wieder neu verwirklichenden Allegorie.
      Das, übrigens, mystifiziert und mythisiert n i c h t die Vorgänge-selbst, begreift sie aber als eine Wiederholung geradezu stehender Muster. Das entbindet nicht von der – psychologischen, sozialen, politischen – Analyse, aber macht etwas e r z ä h l b a r und bringt das Fremdeste auf eine Weise nahe, die es uns Menschen erlaubt, einen Umgang mit ihm zu finden. Wir finden keinen über Entfremdung, wir machen’s mit ihr immer nur noch fremder. Dagegen erlaubt Personifizierung das Anschaun. Dieses war immer die Bewegung der Dichtung und wird es bleiben, bis sie abstirbt und die ‘unbefreite Gesellschaft’ ihr vorstirbt: “erst eine befreiten Gesellschaft stürbe Kunst ab” (Adorno). Magisch wäre, den Umkehrschluß anzunehmen. Deshalb sprang imgrunde das, was der Mystifizierung wehren wollte, ihr bei.

    12. Seien Sie vorsichtig was Sie da schreiben Herr Herbst, am ende fange ich noch an Ihre Bücher zu lesen. Alles was Sie in ein paar Sätzen schreiben ist so sonderbar wahr dass man sich fragt warum Sie sich nicht schon längst beim Suhrkamp herumärgern und sie sich vom Urs Engeler Verlag abwerben lassen. (aber das ist nur Geschwätz..)
      Der Henker an sich ist banal, genau das ist er, er ist ein Handwerker, oder vielleicht eher einem Schlächter ähnlich.
      Nach der Hinruchtung von Sadam Hussein hatte ich ein seltsames Gefühl ,(nicht wie damals beim rumänischen Diktator, dessen Namen ich hier nicht aufschreiben möchte, weil ich ihn garantiert falsch schreiben würde, bei jenem spürte ich so etwas wie Gerechtigkeit, oder vielleicht eher das was Wladimir meint wenn er sagt, “da geht noch mal einer ab.” also ein perverses Gerechtigkeitsgefühl, aber damals war ich auch noch dumm, erst später als ich wirklich zu lesen begann, begann ich mich über mich selbst zu erschrecken) ich fragte mich als ich es las, ja und nun? Diese Frage stand wie eine blinde Fliege im Raum, ich konnte nichts mit ihr anfangen.
      Diese Frage stellt sich der Henker nicht, aber wir stellen sie ihm, also sind wir mystische Wesen, die keine Tat begehen, aber fragen stellen.

    13. Personifizierung. Der Schriftsteller Arnold Zweig entwarf in seinem Roman ” Das Beil von Wandsbek”, das Psychogramm eines Henkers, der Täter und Opfer zugleich ist. Das Buch ist leider in Vergessenheit geraten.

    14. Lieber Mops Ottos, daß ich mich “nicht schon längst beim Suhrkamp herumärger”, wobei Suhrkamp für ein, sagen wir, etabliertes Kultursegment steht, hat Gründe, auf die sowohl hier wie anderwärts bereits, und nicht nur von mir, hingewiesen wurde. In Ihrem “Geschwätz” hängt a u c h eine Wahrheit, die nicht nur frozzelt. Aber es gab und gibt radikale Widerstände, die mich dort und in ähnlichen Häusern nicht sehen wollen. So etwas ist aber, betrachtet man die Geschichte der Literatur allgemein, gar kein sonderlich neuer Fall. Insofern bleibe ich wütend, aber unbesorgt.

    15. Marcel Proust hatte so viel ich weiß seine Bücher selber herausbringen lassen und der ist nicht der schlechteste oder? Talentiert zumindestens 🙂

    16. “wütend, aber unbesorgt”. Darin steckt eine kleine Gemeinheit, die ich so nicht will. Was einige kleine Verlage leisten, zu denen auch Urs Engeler, zu denen KD Wolff und zu denen eben auch >>>> Axl Dielmann gehört, wird ganz sicher einmal die Literaturgeschichte zu würdigen wissen. Dielmanns Absicht, im Herbst nächste Jahres ARGO herauszubringen, grenzt, wird das realisiert, an Tollkühnheit.

      Aber dieser Zwischen-Wechsel führt vom Thema weit ab. Schließen wir ihn hier.

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