Arbeitsjournal. Dienstag, der 21. November 2006. Berlin. Bamberg.

4.40 Uhr:
[Berlin, Schönhauser. Küchentisch.]
Bin rigoros schnell eingeschlafen gestern nacht vor zwölf. Leider ist der Traum weggeflattert, als ich die Leiter eben herabstieg. Jetzt die ersten Notate, dann Lektüre THETIS ff. Der Traum entsann sich >>>> E.A.Richters, von dem so lange nichts mehr zu hören gewesen ist, dessen Interesse mir aber seit der ebay-Versteigerung >>>> verflogen zu sein scheint. Er reagiert jedenfalls nicht mehr auf Emails; allerdings unternahm ich einen letzten Kontaktversuch zu Beginn der >>>> Bamberger Elegien, die sich dann völlig zwischen die Romanarbeit geschoben haben. Er ist also gewissermaßen Geschichte des Frühjahrs; nun sind wir fast am Ende von 2007, und ich arbeite wieder an ARGO, ganz wie ich’s ankündigte, wenn auch um vier Wochen verschoben. Eben spielte mir das poetische Unbewußte sogar einen Streich, und ich wollte bereits Drehmann Herrn Richter begegnen, also ihn schon am Anfang von THETIS auftauchen lassen; das hätte nur dann Sinn, würde auch d i e s e r Roman, etwa im Rahmen einer Korrekturfassung, noch einmal n e u herausgegeben. Das steht freilich auch in der Diskussion, schon wegen des anstehenden (zu findenden) neuen Verlags für das ANDERSWELT-Projekt. Jedenfalls notiere ich’s sicherheitshalber schon mal in den >>>> Überarbeitungsnotizen. Eine weitere Erwähnung, vielleicht eine kleine Episode in BUENOS AIRES klammerte Richter dann völlig in das Romanprojekt ein. Mal sehen. Jedenfalls schreib ich ihm gleich einmal eine Email.
Die Vermieter meiner Arbeitswohnung haben sich gemeldet; es sei jetzt eine Minusdifferenz wegen der Miete entstanden; ob ich ab Dezember wieder selbst bezahlen werde? Bekanntlich hatten >>>> nach diesem Newsletter einige Leser die Miete der Arbeitswohnung übernommen; ich habe nur, da direkt an den Vermieter bezahlt wurde, gar keine Übersicht, wieviel Zeit dadurch abgedeckt worden ist; offenbar ist’s nun erschöpft, und ich muß mich wieder selbst drum kümmern. Hier wäre es jetzt gut, spränge E.A.Richters ebay-Betrag in die Bresche; dann wäre bis März Ruhe; die Mieten sind ja definitiv niedrig. Oder es finden sich noch einmal Leser, die hier in die Bresche springen (es geht um 150 Euro monatlich) und die Arbeitswohnung sichern, bis ich aus Bamberg zurückkomme, also bis Ende März- Oder es ergibt sich endlich ein Verlagsvertrag, aus dem auch Gelder fließen; freilich ist das die momentan unwahrscheinlichste Kehre, jedenfalls in der geforderten Schnelle, sowie angesichts meiner Verkaufszahlen und im Angesicht meiner umstrittenen, gerade im Betrieb abgewehrten Position. Wiederum erreichte mich gestern die Nachricht, wie enorm häufig das verbotene Buch umgeht; es soll sogar Leute geben, die in kleinerem Ausmaß Nachdrucke herstellen und kursieren lassen, echte klassische Raubdrucke: na toll dacht’ ich mir da, so knirschend wie auch wieder beruhigt (daß ich das Buch juristisch jetzt freikriegen könnte, aber aus persönlichen Gründen nichts unternehme, steht wieder auf einem anderen Blatt; aber auch das beschäftigt mich ‚souterrain’).
Gut, Leser. Um 6.42 Uhr geht der Bamberger ICE, um Viertel nach sechs muß ich aus dem Haus. Vielleicht formuliere ich bis dahin ein weiteres >>>> Paglia-Fragment. Und an die Gesprächspartner des Jahresanfangs muß ich heute morgen denken, besonders intensiv, die fast alle schweigen, vor allem >>>> June fehlt mir. Es kommt von ihr aber keinerlei Reaktion mehr. Den Grund dafür kenne ich nicht.

5.50 Uhr:
Gepackt i s t; jedenfalls muß alles nur noch in den kleinen Rucksack hineingetan werden. Aus dem ICE werd ich mich diesmal n i c h t melden, also nicht übers Mobilchen online gehen, da ich während der Fahrt durchlesen will, um mit THETIS voranzukommen. In Bamberg will ich mich dann endlich an das Exposé für das >>>> horen-ANDERSWELT-Sonderheft setzen; diese Arbeit schiebe ich schon wochenlang ungut vor mich her. Sollte aber ARGO im Herbst 2008 erscheinen, wäre die Publikation des geplanten Materialbandes fürs Frühjahr 2008 außerordentlich hilfreich.

7.42 Uhr – 10.48 Uhr:
[ICE Berlin-Bamberg.]11.36 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Die gesamte Fahrt über THETIS gelesen und Arbeitsnotizen gemacht; bis auf S. 348 bin ich vorgedrungen; das ist bereits deutlich mehr als ein Drittel. Dabei merke ich, wie allmählich sich das Geschehen und die Konstruktion um den Leser zusammenziehen; ich habe den Text ja – von einigen immer wieder vorgetragenen Schlüsselszenen, die in sich erzählende Geltung haben – seit acht Jahren nicht mehr selbst gelesen; es hat etwas Fremdes, mit dem er mich anschaut, auch etwas Sperriges. Durchaus ist es nicht so, daß man von Anfang an eingesogen wird, sondern – wegen der achronischen Konstruktion und der bewußten Widersprüchlichkeiten, die da eingebaut sind, um einen anderen poetischen Romanraum vibrieren zu lassen – das Soghafte stellt sich erst langsam, dann aber nahezu heimtückisch ein; es wickelt ein, sofern man nicht vorher zu lesen aufhört. Ich erinnere mich, daß ich so etwas auch beabsichtigt hatte; zeitgleich mit Ishiguro, der in >>>> „The Unconcoled“>>>> hier meine Rezension dazu – etwas ganz Ähnliches aufgebaut hat (das war allerdings auch nicht grad ein Erfolg, wenngleich es wohl sein allerbestes Buch ist – und einer der ganz-großen Romane des 20. Jahrhunderts), wollte ich die Irreversibilität der Erzählzeit aufheben und ein Kontinuum herstellen, das sich dann auch wirklich ergibt, aber eben erst langsam, schleichend. (Ishiguro hat anfangs die Personen im Blick, deren Chronik er biegt, er beginnt mit i h n e n, dann folgen der Raum und die Zeit; bei mir ist’s gerade umgekehrt: erst die Zeit, daraus resultiert die verschobene, flirrende Identität). Dazwischen dann immer die nahezu Hunderte Einzelschicksale, nahezu realistisch erzählt: wie Kernzellen, die einer newtonschen Psychologie gehorchen, während sich das Umfeld insgesamt in zeit- und raumrelativistischen ‚Ordnungen’ bewegt. Besser ist, was ich Kybernetischen Realismus nenne, kaum erzählerisch darzustellen.
Das hat mir jetzt L u s t gemacht, das Exposé für das horen-Sonderheft zu schreiben, und ich will das vor dem Mittagsschlaf auch noch beginnen.

17.10 Uhr:
Hab es erledigt und auch den Freunden zur evtl. Korrektur hinausgeschickt; auch bei >>>> Ralf Schnell noch einmal nachgefragt, ob er nicht d o c h die Herausgeberschaft mit-übernehmen wolle. Und das ist wohl das schönste Geschehen heute: Er will’s jetzt tatsächlich übernehmen. Unter der Voraussetzung, daß man ihm seitens der Redaktion verbindlich zusagen werde. Daß er keine Lust hat, viel viel Arbeit für nichts zu tun, finde ich absolut selbstverständlich. Immerhin geht es um einen Band von ca. 300 Seiten Umfang.
So bin ich nun sehr sehr dankbar.
Mit C. durch den strömenden Regen spaziert und geplaudert. War so durchnäßt, daß ich die Klamotten wechseln mußte. In knapp zwei Stunden findet eine längere Stipendiaten-Aussprache mit der Heimleitung statt. Das wird der heutige jour fixe und möglicherweise für alle Beteiligten höchst unangenehm werden.

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