Arbeitsjournal. Sonntag, der 5. November 2006.

6.10 Uhr:
N i c h t weitergekommen gestern. Auch nicht g a r nicht geraucht gestern; immerhin doch bedeutend, vielleicht sogar entscheidend weniger. Immerhin ist der Entzugsdruck heute morgen erheblich geringer als sonst. Aber ich huste und huste. Neben mir liegt >>>> Nicotinell, das aber gestern abend, als ich’s dingend brauchte, kaum anschlug. Und jetzt eben seh ich auch, warum: Ich hatte in der Apotheke eigens die starken 4mg-Kaugummis verlangt, sie entgegengenommen, aber die Packung nicht kontrolliert. Jetzt seh ich grad, ich hab die schwache 2mg-Version bekommen. Das ist sinnlos. Ich brauche s t a r k e Mittel – starke Musik, starke Liebe, starke Bücher -, sonst bin i c h stärker, und es nützt nichts. Das scheint es zu sein, was so vielen Schwierigkeiten im Umgang mit mir bereitet: daß ich nichts ertrage, das moderat ist; daß ich auch Durchschnittlichkeit nicht ertrage. Schon meinen Psychoanalytiker, als die Therapie noch lief, fuchste das immer: “Können Sie denn nicht mal anders als nur extrem? Es gibt auch Zwischenstufen, es gibt Abstufungen von Leiden und von Lust und von Genüssen. Wieso müssen Sie immer alles total machen?”
Übrigens stört mich selbst, daß man als Raucher so stinkt, ich riech es an anderen, etwa auf der Straße, und mir wird selbst dabei schlecht. Das letzte Mal, daß ich erfolgreich zu rauchen aufhörte – erfolgreich heißt: für mehr als ein Jahr -, begann im Sportstudio, als ich neben einer schönen Frau trainierte und diesen Geruch ausströmte. Was mir peinlich war, ja entsetzlich. Also hörte ich auf. Und es ging. Allerdings muß ich dazu Sport treiben, v i e l, auch ihn im, würde der Durchschnitt sagen, ‚Übermaß’. Ich bekam eine dieser Sehnenscheidenentzündungen, mußte aufhören, Sport zu treiben, fing wieder an zu rauchen. Egal. Denn geschafft wurde gestern auch nichts, nichts an den Elegien, nichts sonst; nur nachts fiel mir eine weitere Version zu >>>> Samhain ein, als ich mich kurz mit >>>> parallalie im Messenger traf. Er wirkte noch müder als ich; ich dankte ihm für meinen unvermittelten Einfall – weiß aber jetzt, daß der e s auch noch nicht ist; doch liegt er auf dem Weg. Samhain beschäftigt mich, diese ganze Vermischung, übrigens, seit je fast, von Geistern und Menschen: der WOLPERTINGER lebt zu zwei Dritteln davon, in THETIS h e i ß t der erste ANDERSWELT-Romanteil sogar so, ‚Samhain’, – und das ‚Café Samhain’, für das in der Oranienburger das alte, noch nicht renovierte ‚Silberstein’ die Vorlage war, begleitet auch ARGO noch als Verwandlungsstelle für die Handlung.
Jedenfalls dieses kleine Gedicht. Es geht und geht in mir um. W e n n ich denn, so fühle ich, über solch einen Anlaß schreibe, dann m u ß – das ist wirklich wie eine objektive Verpflichtung – das Gedicht eines meiner besten werden. Alles andere bedeutete so etwas wie eine Lästerung. An so etwas merke ich, daß ich kein rationaler Mensch bin; das meiste Esoterische ist mir d e s h a l b so zuwider, weil es m ä ß i g t: Leidenschaften mäßigt, das in-der-Welt-sein an sich mäßigt, nämlich auf seine Weise einen Pragmatismus vertritt, der am Grunde Kitsch ist. Deshalb hab ich auch diese Probleme mit Religionen: dort, wo sie harmonisieren und harmonisierend (funktional pädagogisch) vermittelt werden. Die Härte des Judaismus, auch des Islams (ich liebe diesen S t o l z muslimischer Menschen) ist mir näher; nur stört mich d a diese Vorstellung, ja Diktatur eines Einzigen, der das Fleischliche lästert, das Irdische. Also bin ich Naturreligionen nahe, dem, was man ‚Heidentum’ nennt. All das müßte in dieses kleine Gedicht hinein, es müßte darin mitschwingen; vorher wird es nicht gelungen sein; auch dann nicht, wenn ich gestern nacht im Gespräch mit parallalie momentan meinte, den Knoten gelöst, ihn also geschlungen zu haben. E r hatte gleich das richtige Gefühl: „Und du ‚horchst’ gar nicht mehr?“ Doch, ich m u ß auch noch horchen. Und dennoch darf das Gedicht auf keinen Fall länger werden, als es jetzt ist.

Also k e i n >>>> DTs für gestern. Stattdessen mit meinem Jungen im Kino gewesen (>>>> „Lapislazuli – Im Auge des Bären“), danach mit ihm und der Geliebten gewesen, abends als DVD >>>> „Herr der Diebe“ geguckt und danach noch, als alle schliefen (und dem Jungen ein weiteres Märchen aus 1001 Nacht vorgelesen war), >>>> „Romasanta“, weil mich die spanische Bearbeitung des Werwolf-Mythos interessierte. Der Film ist auf einer richtigen Spur, nämlich der Ambivalenz und der Tragik solcher Geschehen (das traute ich, anders als US-amerikanischen Produktionen, Spaniern eben auch zu), aber es b l e i b t bei der Spur. Das ganze Ausmaß des Tragischen faßt eigentlich nur die Figur des Antonio, aber er wiederum hat nicht die H ä r t e des Tragischen, nicht persönlich; er ist damit überfordert. Was psychologisch seine Richtigkeit hat, nicht aber künstlerisch. Vielleicht eignet sich, um so etwas darzustellen, ein-Spielfilm-an-sich-auch gar nicht; vielleicht ist so etwas – in der kompletten Ausdifferenzierung – allein literarischen Formen möglich: der Dichtung.

Noch etwas Absurdes. Ich erhielt aus einem deutsch-österreichischen Grenzort die Bitte, eine >>>> PETTERSSON -CD dort hinzuzuschicken, brachte die CD zur Post und war ziemlich irritiert, als der Schalterangestellte ein blaues Papierschildchen „Luftpost“ draufklebte. Ich: „Wieso Luftpost? Der Ort liegt doch nahe München…“ „Von Deutschland gehen a l l e Briefe erst einmal nach Wien.“ „Wien??? Das liegt doch fast an der Slowakisch-Ungarischen Grenze! Das ist doch von diesem Ort irre weit weg!“ „Ich weiß, aber die Vorschriften sind so.“ „Was ist denn das für ein Kostenaufwand? Sie schicken die Briefe mit dem Flugzeug nach Wien, und dann werden sie von Wien durch ganz Österreich zurücktransportiert????“ Der Mann zuckte nur die Achseln. „Das ist die Prozedur, ja“, antwortete er und fügte resigniert hinzu: „I c h sitze n i c h t da oben und bestimme.“

7.54 Uhr:
Abermals an „Samhain“ herumgeprokelt.
Um zehn geht’s mit dem Jungen in ein >>>> Kinderkonzert in der Staatsoper. Zu meinem leisen Erstaunen funktionierte tatsächlich meine Visacard, als ich die Karten gestern online reserviert hab.

9 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonntag, der 5. November 2006.

  1. “Wieso müssen Sie immer alles total machen?”

    Bei mir denke ich in solchen Fällen immer, daß es am NS-Erbe liegt, legt ja im Grunde schon das Adverb nahe. So ein Hang dazu, Zwischtöne nicht aushalten zu können, polarisierend zu empfinden (auch zu handeln) und dieses Ganz-oder-gar-Nicht, manchmal auch Gnadenlosigkeit, grad Schwächen gegenüber und durchaus auch den eigenen.

    Das ist was anderes als Intensität. Intensität kann es auch in den Zwischenräumen und im Uneindeutigen geben. Und ich würde es auch trennen von dem Bedürfnis nach angemessener Stärke des Gegenübers, sei es nun ein Mensch oder ein Buch. Was wäre so schwer an dem Wusch zu verstehen, gleichstarke Adressaten zu haben?

    1. Also mit einem schon gar NS-E r b e hat das g a r nichts zu tun. Wie s o l l t e sich so etwas vererben genetisch? Durch Spontan-Mutation? Evolutionär nun aber eh nicht.
      Abgesehen davon begleitet der Hang zum Polaren die Kunstgeschichte und ist fast durchweg das Kennzeichen großer Arbeiten. Es wäre ein wohl arg nazizentristisches Weltbild, etwa van Gogh unter ein solch – zumal dann (zeit-)reversibles – Erbe zu befassen, ebenso Breton usw. – Daß es Intensität im Uneindeutigen n i c h t gäbe, hab ich übrigens nirgends geschrieben. G e r a d e das Uneindeutige verlangt Intensität, wenn man es denn wahrnehmen und er- wie ausleben will. Ich sprach vielmehr vom Moderaten, Gemäßigten, das die Intensitäten scheut… um sich, vielleicht, nicht zu gefährden. Wie ein Angestellter, auch wenn er sie falsch findet, lieber Anweisungen seines Chefs befolgt, als sich in den Widerspruch zu begeben. Oder wie man irrerweise an einer roten Ampel stehenbleibt, spätnachts, und weit und breit ist kein Auto in Sicht – man bleibt aber stehen, weil es Vorschrift ist. So etwas meine ich mit moderatem Leben. Diese spezielle Art von unlebendiger Lebenshaltung.

    2. Genetisch?
      Spontanmutation?
      Das ist absichtlich falsch verstanden, oder?

      Ne, ich sprach von NS-Erbe, wie es bspw. Harald Welzer in jedem einzelnen seiner durchweg lesenswerten Büche wunderschön auf den Punkt bringt.

      Ich sprach davon, daß wir von Eltern und Großeltern erzogen werden, von Schulen und Verkehrspolizisten und Finanzämtern. Davon, daß wir in bestimmten Atmorsphären aufwachsen, die uns bestimmte Haltungen nahelegen, davon, daß sich die Dinge nicht einfach umdrehen und anders sind, bloß weil ein paar Jahre vergangen sind.
      Stichwort, zB, eines von vielen möglichen: Erinnerungstradierung.

      Das Thema des Polaren in der Kunstgeschichte ist ein vollkommen anderes, als das Thema des Polarisierens oder des Hangs “zum Totalen” im Alltag.

      Aber, Kunstgeschichte hin Intensität her:
      Ist doch prima, wenn das für dich so eindeutig und klar ausschließbar ist mit dem NS-Erbe. Ich wünschte, ich könnte mir da auch so sicher sein.

    3. Hätten Sie Recht, dann müßte Deutschland voller Totaler sein. Aber das Gegenteil ist der Fall: wo man hinsieht:: Untotale, Kompromißbereite, sich nichts Wagende, was sie gefährden könnte, Korrupte usw. Die Vorstellung eines ‘totalen Lebens’ schließt jegliches Einlenken zugunsten eigener Wohlfahrt aus. Insofern kann denn auch von ‘Totalem’ im NS-Regime kaum die Rede sein, von einigen Wahnhaften mal abgesehen, die ein Unglück verschuldet haben, zu dem es nicht gekommen wäre, w ä r e n andere total gewesen, ebenfalls, und nicht derart drauf aus, irgendwie mitzulaufen. Also w e n n sich etwas sozialisiert “vererbt” hat, dann doch wohl das Mitläufertum. Und das schließt jegliche eigene Totalität aus.
      Im übrigen spreche ich, wenn ich von meinem Hang zum Totalen spreche, i m m e r von Kunst. Es gibt keinen Unterschied zwischen Beruf und einem irgend definierten anderen Dasein. Das gilt, glaube ich, für alle Berufe, die mit Recht so genannt werden, und unterscheidet sie strikt von Jobs. Man spürt das noch bei sehr einfachen Menschen: sie s i n d Bauern und nicht etwa Bauern und dann noch was Freizeitiges; sie s i n d ihr kleiner Laden an der Ecke, sie s i n d ihr Ex- und Importgeschäft. Wo das so ist, ist mit dem Beruf immer auch ein Ethos verbunden. Darin verbringen sie oft auch das, was wir uns irrerweise angewöhnt haben, Freizeit zu nennen.

  2. Luftpost Jeder Brief von hier nach drüben (postalisch ist es immer ein draußen, drüben) wird zur Luftpost. Auf besondere Bitte geht es aber auch “normal”. Dann aber sei alles langsamer.

    Mäßigung und Stärke: auch eine Frage der Relationen. Fühle ich mir die Luft, den Raum genommen, wo keine Mäßigung möglich, ein Übermaß, gar Maßlosigkeit auf mich zustürmt (aber ist das mit Stärke gleichzusetzen?), so wandle ich mich dort, wo maßvolles Tun geübt wird, zur Stärkeren, ich habe nicht g e n u g, und bin gewissermaßen a l l e i n. Wenn ich mich selbst von meinen Leidenschaften kappe, bin ich in manchen Zusammenhängen kompatibler, aber nicht >>>fruchtbar! Ist – und das ist eine Frage an Sie – dort, wo man sich so u n b e d i n g t in Stärke bewegt, nicht ein sehr einsamer Ort?

    1. @ConAlma. Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Da mir die Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Das zu glauben, was andere darüber sagen, i s t ja kein Vergleich, sondern eben ein Glaube. Und sagen sie die Wahrheit? Sagen sie sie sich selbst? Verstecken sie sie? Wer will so etwas letztlich wissen?
      Allerdings muß man aufpassen, daß solche Formulierungen wie “ein sehr einsamer Ort” nicht etwas Heroisches mittransportieren, das gar nicht darin ist. Und umgekehrt ist im nicht-einsamen Ort nicht unbedingt wirkliche Harmonie.

    2. Wie Sie’s empfinden, wäre die Frage gewesen, aber sie ist nicht gut, ich ziehe sie zurück. Mein “allein unter andern” ist so alt, nicht umlegbar. Und bloß keine heroischen Floskeln, ja.

    3. @ “Wie Sie’s empfinden.” Ich habe mich, so oder so, niemals als irgendwo zugehörig empfunden. Also in Gruppen oder Verbänden. Oder nur lose Zusammengehörigem. Ich kenne das für mich nicht (obwohl ich es immer gern kennengelernt hätte und deshalb manchmal so t a t, als wäre es; es stellte sich i m m e r als ein Irrtum heraus).
      Die Frau, die ich liebe, mein Sohn, Freunde… das ist etwas anderes. Aber auch die sind immer e i n z e l n; d.h. es gibt keine Freundschaftsgruppen. Der Profi gehört dazu, D. B. gehört dazu, Eisenhauer gehört dazu, Paulus Böhmer gehört dazu. Einige mehr sind es. Aber nie sind es etwa Böhmer u n d der Profi oder Eisenhauer u n d der Profi zugleich. Immer nur einzeln und als einzelne Individuen. Bin ich mit ihnen zusammen in Gruppen, fängt auch immer zugleich Fremdheit an, auch ihnen gegenüber.

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