Ernst Fuchs gewidmet. Die Arbeits-, eher aber Besinnungsjournale des Dienstags und Mittwochs, dem 9. wie 10. November 2015. Und für Jean-Claude Brisseau.



In Ernst Fuchs’ Musiksalon
Fotografie (©): >>>> Gaga Nielsen


Wenn es einen Gott gibt, ist er vielleicht
kein Softy, aber er ist mit Sicherheit ein
sehr guter Mathematiker.

Jean-Claude Brisseau, Á lAventure

Sie haben keine Erinnerung und hören auf,
bevor sie eigentlich angefangen haben.

Jean-Luc Godard, Prénom Carmen


[9. November
Arbeitswohnung, 18.17 Uhr
Verdi, Aida]


Waschsalon.
Ernst Fuchs ist gestorben; das deutsche Feuilleton läßt ihn einen Bohémien sein, kaum mehr. Seine Bedeutung für Eros, Mythos, Pathos wird ignoriert. „Banausen“, schrieb mir Gaga Nielsen, die >>>> dort sehr schön über ihn geschrieben und >>>> Fotoalben über ihn und seine direkte Umgebung veröffentlicht hat. Aber vielleicht, dachte ich, werde ich ja auch bestraft, weil ich mich mit Traumschiff zu nah an den Tod herangewagt habe, weil das eine Blasphemie, mindestens eine Übertretung ist, ein Übertritt war, der Menschen nicht nachgesehen wird.
Meine Gedanken drehen sich.
Aufhören, bevor man eigentlich anfängt. Furcht vorm Verlust der Autonomie, auch vorm Erscheinen der Erscheinung. Semele verbrennt und hinterläßt uns aber den Wein. Lieber den schlechten status quo, weil er vertraut ist, aufrecht erhalten, als etwas möglicherweise Gutes zu beginnen, das aber Risiken birgt. Der Frosch sitzt so lange im zunehmend wärmeren, schließlich siedenden Wasser, bis er tot ist und gart. Er springt nicht hinaus, sondern harrt seinem Tod regungslos entgegen. So die Menschen, wenn sie etwas verändern müßten, auch wenn sie‘s wissen, daß sie müßten. „Frau Doktor, Frau Doktor, helfen Sie“, war aus ihrer Praxis eine stehende Redewendung Dos, „aber so, daß sich nichts ändert.“
Ich hatte nie viel Kontakt zu Fuchs, aber er war einer der Hinausspringer. Das sah ich seinen Bildern immer an und habe sie dennoch nicht in meiner Nähe Quartier nehmen lassen. Weshalb nicht?
Nun ist es zu spät. Nielsen verdanke ich‘s, daß ich Fuchsens Tod überhaupt mitbekommen habe. Ich hockte zu tief in anderem, etwa in >>>>> dieser und der mit ihr zusammenhängenden Auseinandersetzung >>>> dort, deren eines Ergebnis nun wohl auch der Bruch zwischen Sabine Scho und mir ist.

Verdi hören, Tag um Tag. Daß ich überhaupt wieder Musik höre!

Auch engen Freunden gefällt meine Haltung nicht, auch entfernteren Verbündeten gefällt sie nicht. Ich werde damit leben müssen. Es geht mir nun, da ich mir wieder meine Position und ihre Gründe deutlich gemacht habe, erheblich besser als in den Wochen vorher. Ich kann meinen Frieden mit der Erfolglosigkeit machen, weil sie systemisch ein logisches Ergebnis ist. Kein status quo mag Rebellen.
Und wie auffällig schwer sich diese Gesellschaft mit dem Genie tut! Es hat keinen Platz im Profanen, keinen Platz unter denen, die um jeden Preis kalkulieren können wollen, ob Macht, ob Umsatz, ob das eigene Leben.
„Sie sind im Loch“, sagte Godard. Ihre Erinnerungen bestehen aus der morgigen Abzahlungsrate. „Wir alle sind im Gefängnis und müssen lernen, es uns etwas kommoder drin zu machen“, rät in >>>> Á l’Aventure, dem dritten Teil der Choses secrètes, die Mutter ihrer Tochter, die zurecht nicht auf sie hört. Man sieht der Mutter die gefällige, in ihrem Fall ökonomisch gut versorgte Verhärmtheit schon an.

[Mittwoch, 11 November
8.07 Uhr
Verdi, Il Trovatore]


Ich sah den Film gestern nacht und war baff über die Verbindung von freilich ausgesucht schönen Frauenkörpern, kosmologischer Spekulation, bzw. kosmologischen Fantasien und Mystik. Typisch für französische Filmästhetik sind die Szenen stark über Dialoge und so gut wie gar nicht über „Action“ (Äktschn, ecco) geführt, was auf bemerkenswerte Weise dennoch Spannung aufbaut. Brisseau verlegt sie schlichtweg in den Kopf seiner Zuschauer:innen und versucht wirklich das, was sein Thema ist: weiblicher Sexualität, weiblichem Begehren, ja mehr noch: dem weiblichen Orgasmus auf die Spur zu bekommen. Das funktioniert interessanterweise über so etwas wie ständige Versuchsaufbaue. Männer sind dabei fast nur Beobachter; der Regisseur selbst nimmt sich in ihnen zurück, um, wie er in seinem zweiten Spielfilm der Trilogie, >>>> Les Anges exterminateurs, sagen läßt, „nicht die eigenen Fantasien zu inszienieren“; insofern ist das Setting fast ein psychoanalytisches aus Übertragung und Gegenübertragung, wobei der junge Psychologe, der von den Frauen recht eigentlich seinerseits geführt wird, auf die eigene Distanzierung schließlich vergißt und, wie später gesagt wird, „zu weit geht“, also eine Grenze überschreitet. Das stellt eine rasend interessante, in humanistischem Sinn – etwa wie Schoppe bei Jean Paul – komische Figur fest, der „eigentliche“ Beobachter des Geschehens, ein philosophierender Taxifahrer, der immer wieder mit der Hauptheldin des Films Gespräche auf einer Parkbank führt. Er eigentlich ist der gefallene Engel, der dem Film seinen deutschen Untertitel gibt. Die Trilogie-an-sich hat einen typisch dummdeutschen Titel verpaßt bekommen: Heimliche Spiele 1 – 3. Das schielt auf sensationsgeiles Publikum, das sich an Hardcore nur heimlich und schlechtgewissig traut.
Gewiß, einiges mutet bei Brisseau nach Softporno an, aber eben nur auf der obersten Oberfläche, nicht, wenn man die übrigen Strukturen hinzudenkt. Brüste und Mösen kann man auch ohne diese, unabgelenkt von ihnen, betrachten. Die deutsche Kritik würde auch hier, wäre es ein Buch, von >>>> „überfrachtet“ reden; hätte sie übrigens auch bei Godard tun müssen, aber, wie gesagt, sie tut‘s ja nur bei deutschen, bzw. deutschsprachigen Künstlern.
Indem nun Brisseau das „Männliche“ aus dem Film herauszunehmen versucht, setzt sich ein starker Akzent auf quasi-lesbische Liebe, aber körperliche Liebe eben als weiblichen Ausdruck mystischer Zusammenhänge. Die Verbundenheit mit Männern wird fast immer nur behauptet. Das ist sicher eine Schwäche, hebt sich aber im zweiten Film, der letztlich ein Metakommentar zum ersten ist, wieder auf (den ersten werde ich mir erst heute abend ansehen: Ich sehe die Trilogie sehr bewußt in umgekehrter Reihenfolge, weil ich auf die Weise die künstlerische Konstruktion genauer erkennen kann).
Bemerkenswert ist in jedem Fall, wie nahe Brisseaus Szenen einerseits tantrischen, andererseits den neupaganen Vorstellungen eines Zweigs der Frauenbewegung kommen; dabei ist allerdings die Aussparung dieses Männlichen durchaus problematisch, insoweit die Faszination durch den Phallus fehlt. Wie mir einmal eine Geliebte sagte: „Weißt du, weshalb wir so gerne die Adern auf den Unterarmen von Männern ansehen? – Sie erinnern an die des prall durchbluteten Schwanzes.“ Eine andere Gefährtin, zwei Jahrzehnte davor, berichtete von dem rauschhaften Gefühl, das die Eichel in ihr auslöste, wenn sie sich unter den Gaumen drückt, „als ob der ganze Kopf platzt, aber ungeheuer glückhaft“.
Ich bin gespannt, ob sich Brisseau noch auf diese Wege begeben wird. Vielleicht ist seine diesbezügliche Zurückhaltung auch einfach nur dem Umstand geschuldet, daß die Darstellung des erigierten Gliedes nach wie vor für hart-pornografisch gilt, was einem Spielfilm das „normale“ Kino verschließt. Die häufigen, ja zentralen Masturbationsszenen der Trilogie übertreten eh schon Tabus (hübsch etwa, und sofort geradezu nachempfinfbar die Szene mit der Kugel). Brisseau verzichtet aber sicher nicht aus Pornoscheu auf die pornotypische Großaufnahme, sondern weil er sich sehr viel mehr auf die Gesichter der Frauen konzentriert, auf deren orgasmischen Ausdruck. Er hofft, aus dem puren Ansehen Wahrheit zu erfahren – als würde das Mystische aus ihnen im Moment des Höhepunkts wie ein (Er)Leuchten hinausstrahlen: lebende und lebendige Imago des Erleuchtetseins, Erscheinung quasi selbst. Und manchmal i s t es auch so.
Im umfassendsten Grunde sind Brisseaus Filme ebenso nichtkonfessionelle wie tiefreligiöse Meditationen. Wenn er ein pragmatisches Anliegen hat, dann die Rücknahme der jahrhundertealten Desavouierung der weiblichen Sexualität – und ihrer Verinnerlichung (Internalisierung) in „den“ Frauen selbst: – in d i e (:Akkusativ) Frauen, eine Formulierung, die den Prozeß als diejenige patriarchal-sexualfeindliche Strategie bezeichnet, die er eben war und ist. Gleichzeitig streift er das allein profan-Praktische ihrer Verfügbarkeit von der Sexualität wieder ab, das scheinEmanzipatorische, das sich selbst wie ein zuhandnes Ding benutzbar macht. Es geht ihm ganz offensichtlich weniger um rationale „Aufklärung“ als um Näherungen an die sinnlichste Form des Heiligen, die wir kennen.
Daß mir das nah ist, muß ich hier nicht eigens hinschreiben.
Da schloß das Neuralrohr sich, erstmals ward Seele. Ein Wunder ist nicht, wenn sie ein Gott einhauchte, sondern wie chemisch vollkommen sie, ganz wie der Geist, körperlich ist und aus Körpern gemacht. Daß sie sich weiß, das ist das Wunder. Denn wäre sie übersinnlich, sie wär kein Geheimnis. Chemie ist sakral und die Physis, der Bios (fließ, Regnitz, fließe). Organisches Regen, Orgasmen, Regresse. Heiliges Progesteron, das die Uterusschleimhaut aufschüttelt wie für den Kopf eines Liebsten, der herziehen möchte, damit’s die Empfängnis bequem hat.

17 thoughts on “Ernst Fuchs gewidmet. Die Arbeits-, eher aber Besinnungsjournale des Dienstags und Mittwochs, dem 9. wie 10. November 2015. Und für Jean-Claude Brisseau.

  1. Möglicherweise trägt es ja zu mehr als nur zur Volksbelustigung bei, wenn ein paar impulsive Originaltöne aus der fb-Kommunikation hier dokumentiert werden. Here we go:

    Gaga Nielsen
    11/10, 2:23pm
    zu Fuchs – rege mich gerade in den Kommentaren unter meinem Fuchseintrag über die unangemessene bzw. ausbleibende Würdigung der dt. Presse auf. Unmöglicher Boulevard-Nachruf in der Süddeutschen, despektierlich, als sei der hauptberuflich Bohemien gewesen, nichts in der Faz. Idioten. Pack!

    Alban Nikolai Herbst
    11/10, 3:07pm
    Was den Bohemien anbelangt, so war das bei Fuchs zu erwarten, der eben in der Kunst eine Außenseiterposition hatte, die eigentlich keiner in Deutschland wollte. Wie gesagt, Phantastik & Pathos. Soll weg.

    Gaga Nielsen
    11/10, 3:37pm
    zu “soll weg” – man möchte nicht mit komplexen Weltbildern und Erkenntnissen behelligt und belästigt werden, die man intellektuell aufgrund mangelndem Zugangs nicht bewältigen kann und demzufolge auch darüber nicht mit der Pose des Herrschaftswissens fachsimpeln. Man möchte sich nicht blamieren. Denn das wäre der Fall. Also elegant darüber hinweggehen oder sich unsachlich mit Äußerlichkeiten befassen. Als Ablenkungsmanöver. Ablenkung vom eigenen Defizit. Man kann es auch kürzer auf den Punkt bringen, mit dem hermetischen Gesetz: “DAS GRÖßERE passt nicht in DAS KLEINERE”. Ein physikalisches Hindernis sozusagen.

    Gaga Nielsen
    11/11, 3:34pm
    Eben den Kommentar zu Schmidt (…) gelesen. Ich hätte fast einen nahezu identischen bei mir geschrieben, fand dann aber, dass Schmidt dadurch eine indirekte Würdigung erfahren würde, die ihm von meiner Seite aus nicht zusteht. Es wäre wie ein Schmutzfleck unter dem Fuchs-Text. Ich habe mich schon früher ab und zu in beiläufigen Einlassungen dazu geäußert, dass ich Schmidt für eine heilige Kuh halte, dessen Aussagen schon lange nicht mehr auf Irrelevanz überprüft werden. Er wird als unantatstbar hofiert, maßlos überschätzt. Ebenso für mich ärgerlich überschätzt und unzulässig heilig gesprochen und zu wenig hinterfragt sehe ich im übrigen diesen fürchterlichen Dalai Lama, Mutter Theresa und Herta Müller. Aber ich WILL mich jetzt nicht über defizitäre Persönlichkeiten aufregen. Das ist schon wieder viel zu viel auf facebook, ja, ja ich werde im Blogeintrag kommentieren, zum Eintrag und was ich zum Teil gestern hier postete.

    Alban Nikolai Herbst
    11/11, 3:39pm
    Dalai Lama: absolut einverstanden! Der ist ein Grauen. Herta Müller: bedingt einverstanden, weil literarisch schlichtweg überüberüberschätzt; außerdem ist sie für jeden sinnlichen Menschen, ob Weib- ob Männlein, ein Graus. Nur zu Mutter Theresa hab ich keine Haltung.

    Gaga Nielsen
    11/11, 4:14pm
    meiner Kenntnis kam die einzige kritische Stimme zu Müllers prätentiösem, nobelpreisgekrönten Gulag-Machwerk (ich habe mich beim Lesen geschüttelt, wie jemand derart inflationär mit missglückten gekünstelten Phrasen zwanghaft versucht, Dichte und Atmosphäre herzustellen um das Grauen, das sie selbst nur aus zweiter Hand kennt, zu vermitteln, was ihr in meinem Fall misslingt, ich war nur verärgert) von Frau Radisch, die für mich im übrigen auch keine heilige Kuh ist, ich verfolge nicht alles was sie zensiert, aber in diesem Fall hat sie mit den Adjektiven ‘parfümiert und kulissenhaft’ den Nagel auf den Kopf getroffen. Dass mir Herta Müller darüberhinaus als Erscheinung unangenehm ist, ist in die Beurteilung ihres Gulag-Geschreibsels nicht eingeflossen. Ich habe das Buch nur zweieinhalb Kapitel ausgehalten, hätte es fast weggeschmissen (ich schmeiße keine Bücher weg, hat mit der Bücherverbrennung zu tun), habe es dann weitergegeben, an jemanden, den es interessiert hat, nicht ohne zu erwähnen, dass ich es unerträglich und aufgesetzt finde. EGAL. Von Mutter Theresa berichten Zeitzeugen, dass sie sehr machtbewusst war und keineswegs nur von Großherzigkeit oder gar Barmherzigkeit geleitet. Ich müsste jetzt aber nach Quellen suchen, das ist schon lange her, ich hatte aber auch schon vorher so eine Intution, dass da nicht alles Gold ist was glänzt. Ich möchte mich jetzt lieber mit meinen Bildern von Dominic Miller befassen, das erotisiert mich mehr, als Mutter Theresa hinterherzuforschen. Bis später!

    Alban Nikolai Herbst
    11/11, 4:17pm
    Also für erotisierend habe ich Suor Thérése eh nie empfunden. Lacht.

    Gaga Nielsen
    11/11, 4:18pm
    EIN WEITERES PROBLEM! Gottesdienst, der Erotik ausspart, ist keiner.

    Alban Nikolai Herbst
    11/11, 4:30pm
    Ja, eben. Bereits Nietzsche hat das formuliert, und ich bin nie müde geworden, es ebenfalls zu tun. Die Zusammenhänge reichen bis in BDSM, wo sie nämlich wieder, wenn auch meist pofaniert, als Rituale zutage treten. (“devot” kommt von “dea”/”deus”. Auch darauf habe ich mehrmals hingewiesen. Hat einen Ruf nicht besser gemacht, übrigens auch in der Szene nicht, die ja immer, wie jeder Kaninchenzüchter, will, daß alles “ganz normal” ist, womit “funktional”, “handlich” und letztens “tauschbar” gemeint ist.)

    Alban Nikolai Herbst
    11/11, 4:30pm
    [Dies hier sollte eigentlich alles auch in Die Dschungel.]

    So sei es. Inshallah.

    Aber auch zu dem zweiten großen Thema des Journals kamen mir so einige Gedanken, die ich gerne teile. “Weißt du, weshalb wir so gerne die Adern auf den Unterarmen von Männern ansehen? (…)” Die Geliebte hat unbedingt recht. Ich musste grinsen, weil ich mich in gewisser Weise auf Unterarm-Fotografie spezialisiert habe. Dieses Tun hatte irgendwann in meinem Blog zur Folge, dass ein Unterarmbesitzer, dessen Unterarm ich besonders oft und gerne ablichtete, von meinen Kommentatorinnen fürderhin auch bei Portraitfotos als “der Unterarm” bezeichnet wurde. Es gab da so manchen → launigen Austausch. Gerne verlinke ich hier einige → Arbeitsproben, denn gewiss lesen interessierte Damen mit.

    Als ich über Brisseaus Kameraführung den folgenden Absatz las

    “Brisseau verzichtet aber sicher nicht aus Pornoscheu auf die pornotypische Großaufnahme, sondern weil er sich sehr viel mehr auf die Gesichter der Frauen konzentriert, auf deren orgasmischen Ausdruck. Er hofft, aus dem puren Ansehen Wahrheit zu erfahren – als würde das Mystische aus ihnen im Moment des Höhepunkts wie ein (Er)Leuchten hinausstrahlen (…)”

    hatte ich gerade noch den sehr starken Eindruck einer musikalischen Performance, die ich wenige Stunden davor sah, in mir. Mir fiel wieder einmal so explizit ins Auge, wie sehr die völlige Hingabe an die Musik bei einem virtuosen Musiker dem Ausdruck von glücklicher Auflösung im Orgasmus ähnelt. Für mich gibt es kaum etwas reizvolleres, als diesen Zustand von → Apotheose abzulichten. Es ist ungeheuer intim und doch öffentlich praktizierbar, noch dazu teilbar. Diese abermalige Erkenntnis vor zwei Tagen hat mich bewogen, wieder sehr viel häufiger zu Konzerten zu gehen, in denen sich diese Magie entfaltet.

    1. Darum@Gaga Nielsen ist es mir auch immer in meiner Dichtungen gegangen, dies dort einzufangen und in die Sätze zu bringen. Ekstatische Liebe:

              

      [Links: Foto (c): Gaga Nielsen | Rechts: aus >>>> Brisseaus Film eingefangen]

      *

      Zur “apollinischen” Forderung an die Dichtung stehe ich quer:

    2. Da lasse ich mich doch gerne belehren.
      Ich bin überhaupt sehr lernwillig. Mir geht gerade durch den Kopf, ob man sich solche Kopier- und Einfüg-Transaktionen aus fb hierher nicht überhaupt ersparen könnte, indem man nur noch in solche Kommentarfenster schreibt. Das haltlose Geplapper wird dann natürlich eingedämmt. D. h., wenn man das möchte.

    3. @Gaga Nielsen, ff Ich habe FB n i e für Kommentargespräche nutzen wollen, mich auch einige Male dagegen gewehrt, werde schließlich aber doch immer wieder verleitet. Der >>>> Bruch mit Sabine Scho, die ich doch sehr schätze, ist eine Folge. Die Menschen sind so sehr an FB gewöhnt unterdessen, daß sie die ökonomische Fremdleitung (und sehr wohl auch Kontrolle) als Autonomie erleben. In der Tat sind mir Kommentare hier sehr viel lieber, vor allem, weil sie sich später auch wiederfinden lassen, indessen sie bei FB schließlich verloren gehen. Möchte man hingegen direkt sprechen, empfiehlt sich ja ohnedies ein Chat, etwa Skype und Facetime – oder aber Telefon oder der direkteste Weg: das “klassische” Gespräch von Aug in Auge.

    4. Im dionysischen Dschungel hier scheint es mir sinnvoller und offenkundig erlaubter als in irgendeinem anderen Journal, frei(est)en Gedankengängen einen sicheren Ort zu geben. Ich sehe eine hingebungsvolle Betrachtungsweise darin, jeglichen Austausch zu dem, was initial in einem Eintrag thematisiert wurde, versammelt an einem Ort zu wünschen. Ich halte das ebenso und kenne den Drang. Ich wüsste nicht, was es da zu rechtfertigen gäbe. Nun besteht aber auch keine Gefahr des missbräuchlichen Umgangs, jedenfalls nicht meinerseits. Wenn man sich direkt hier zu einem kontroversen Thema äußert, kann es im besseren Fall dazu führen, dass man sich stärker in die Disziplin nimmt, Hemdsärmligkeiten zu unterlassen. Was nicht gleichbedeutend sein muss mit Selbstzensur oder Unterdrückung wilder Gedankentriebe. Im Dschungel gibt es keine Heckenschere.

      (“klassisches” Gespräch ist auch sehr hübsch formuliert. Ein bißchen Retro ist doch einfach auch schön.)

    5. Ich@Nielsen greife nur ein – allenfalls löschend, nicht zensierend -, wenn Kommentare unter die Gürtellinie zielen, bzw. anderweitig diffamierend und/oder beleidigend sind, ob mir oder anderen Kommentator:inn:en gegenüber. Einige Jahre habe ich selbst so etwas stehen lassen, aber die Erfahrung hat mich gelehrt, das so nicht mehr zu tun; es sind allzu viele Verletzungen ausgeteilt worden, und ich darf allenfalls für mich selbst bestimmen, was aushaltbar ist und was nicht. Meine Haltung gegenüber “Trollen” hat sich insofern geändert; mein Toleranzanspruch ließ sich nicht durchhalten, auch weil Leser:innen vertrieben wurden, die sehr wichtig waren, sich aber nicht dauernd, zudem in fast jedem Fall anonym, anpöbeln lassen wollten. Selbst wichtige Kommentarbäume sind damit bisweilen grob zerstört worden. Deshalb greife ich da heutzutage entschieden durch.

    6. Nachvollziehbar, alles. Die zerstörten Kommentarbäume sind tragisch. Man könnte das nur dadurch verhindern, dass man jeden Kommentar als Kommentar auf der Ebene des Eintrags schreibt, dann wäre die Sortierung schlicht chronologisch bei jedem folgenden, aber dann müssten sich alle daran halten. Mühselig und unrealistisch. Also zusehen, dass man keine potentielle beleidigte Leberwurst provoziert, die nach Folgekommentaren den eigenen löscht und damit alle anderen. Es ist eine Wissenschaft. Ich hatte ein einziges mal eine Person am eifrigen Kommentieren, die immer grenzüberschreitender wurde und meinte mich mit jedem Kommentar in irgendeiner Weise auf dümmlich gouvernantenhafte Art erzieherisch zurechtweisen zu müssen. Nun habe ich die Sperrfunktion für bestimmte User-Namen von twoday in diesem Fall erfolgreich genutzt. Die Person hat durch so eine Einzellöschaktion auch einmal wesentliche Beiträge vernichtet. Ich kenne den Schmerz.

    7. Der Fuß, der Spann ist sehr schön. Das andere Bildfragment lässt eine Pose erahnen, die sich Regisseure ausdenken, aber nicht die Lust. Das sieht ein wenig umständlich aus. Tatsächlich sind Posen, die man einnimmt, um zielführend agieren zu können, ganz andere. Aber nicht so kamerawirksam (vermeintlich).

    8. Posen@Nielsen. Der “Trick” Brisseaus bei diesen Filmen war, die Frauen eben n i c h t zu bestimmen (anders als Piccoli in Rivettes La belle noiseuse), sondern wenn, dann posierten sie selbst – als Eigeninszenierung. Das mag sein. Halte ich aber auch nicht für wahrscheinlich, da ich ähnliche Szenen selbst kenne (wie es hoffentlich jedem Mann geht).

    9. ich vermutete nur aufgrund des Fragments. Inszeniert wird immer, wenn Dokumentation im Spiel ist. Die Natur des Schauspielers und der Schauspielerin ist es, gesehen werden zu wollen, mit begehrenden oder sogar liebenden Augen betrachtet zu werden, niemand würde sich da wie im stillen Kämmerchen verhalten. Das Auge eines Bettgefährten ist in diesem Sinn auch eine Kamera, der man sich gefällig präsentiert. Wenn man virtuos mit dem Werkzeug seines Körpers umzugehen weiß, kann man dafür unterschiedliche Posen heranziehen und kommt zum Ziel. Die sind aber nicht immer die bequemsten. Und die bequemsten geben visuell wirklich wenig her. Glauben Sie mir. Ich habe eine bestimmte, die ich so empfinde, noch in keinem einzigen Film gesehen.

    10. Na jà@Gaga Nielsen. Ihre Argumente sind trefflich, Inszenierung ist sicher immer dabei, vielleicht sogar bei den gefilmten Höhepunkten. Ich selbst habe die Beobachtung gemacht, daß Frauen im Moment der Explosion das Gesicht zerbricht, wie schrägmitten hindurch sich ein Riß auftut, durch den auch die – mir – allerschönsten Gesichter aquasi jede Ästhetik verlieren. Das ist tatsächlich nur momenthaft, und ich habe mich oft gefragt, ob es auch bei mir so ist. Man sieht sich ja dabei nicht selbst. Jedenfalls, das ganze Gesicht eine offene, quasi, Wunde: allerletzte Verletzlichkeit, aber auch Verletztheit, ganz ähnlich dem ebenso auffälligen und ebenso häßlichen Gesichtverziehen der meisten Instrumentalsolist:inn:en, bei deren musikalischen Höhepunkten ich Zeuge war. Vielleicht kommt dieser Eindruck des Häßlichen dadurch zustande, daß wir in solchen Momenten alle kulturelle Über- und Unterhöhung verlieren und statt dessen einfach nur, und uns auflösend, sind. Walter Benjamin schreibt über Wahrheit übrigens etwas, die Zeit angehend, ähnliches: Wahrheit schieße auf und – sei schon vorbei.

    11. Sehr gut beschrieben. Ich kann das für jeden Mann bestätigen, den ich so erleben durfte. Die Gesichter ähneln sich in diesem Moment durchweg, die charaktertypische physiognomische Spannkraft des Antlitzes tritt in den Hintergrund (vergleichbar wie bei Toten, Verstorbene sehen sich ähnlich, als seien sie verwandt*), ein unkontrollierter Ausdruck nimmt überhand, die explosive Kraft entreißt das Steuer über die Muskulatur. Auf dieser Aufnahme ist eine Ahnung davon, ich hatte ein déjà-vu bei diesem Ausdruck, aber es ist noch die Vorstufe, danach käme dieses quasi Zerbrechen, ein Ausdruck von Fassunglosigkeit. Nicht mehr g e f a s s t sein. Die Sprengung, das Brechen des fleischlichen Gefäßes. Des irdischen Gefäßes enthoben. Wie im Todesmoment. Le petit mort (big news, so abgedroschen die Phrase ist, so wahr), eigentlich gar nicht klein. Ich hielt die Hand meines dreiundachtzigjährigen Großvaters in seinem Todesmoment. Ich spürte die Erlösung, nicht nur in seiner Hand, sah sie auf seinem Gesicht und darüber, spürte die blitzartig entweichende Energie nach oben. Das war ein guter Augenblick in meinem Leben. Unvergesslich. Und sein Gesicht hatte absolute, unwiderlegbare Ähnlichkeit mit diesem Ausdruck, den ich erst viel später (ich war damals noch im jugendlichen Alter und kannte das nicht aus eigener Erfahrung) aus nächster Nähe erlebte. Es gibt eine Serie von fotografischen Selbstportraits von Lou Reed, die er mit Selbstauslöser bei seinem Orgasmus gemacht hat. Die Serie zeigt absolut das, worüber wir hier schreiben, keine aparten Züge, die Appetit machen sollen oder mit “Sexieness” assoziiert werden, sondern authentisches Material. Er hat → die Aufnahmen für sein Album “Ecstasy” gemacht, die anderen Bilder aus der Serie sind im booklet. Eines davon ist das Albumcover. (ich gehe eher davon aus, dass Sie mit dem Werk Reeds nicht vertraut sind, obgleich er einer der größten zeitgenössischen Dichter seiner Sprache war, macht aber nichts, es geht hier ja auch gerade nicht um die von ihm vertonte Dichtung, sondern jene Bilddokumentation). Teilerkenntnise meiner (empirischen) Todes- und Ekstaseforschung. “Wahrheit schieße auf und – sei schon vorbei.” Ich hoffe, dass sie im Todesmoment bleibt. Kindlicher Wunsch, dass alle offenen Fragen dann eine Antwort finden. Wer weiß. Ich forsche weiter.

      *) Der Fotograf Rudolf Schäfer hat vor zwanzig Jahren einen Bildband vorgelegt “Der ewige Schlaf / Visages de morts”, in dem er in der Charité Verstorbene portraitierte, etwa eine halbe bis eine Stunde nach Eintritt des Todes, vor der Leichenstarre. Ich besitze diesen großformatigen Bildband seither (und weitere zum Thema).

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