In F. hatte ich, vor ungefähr zwanzig Jahren, eine gute Bekannte bei der ich manchmal übernachtete. Die Gründe für dieses fremde Bett fanden sich in einem erhöhten Alkoholspiegel oder im Verpassen der letzten S-Bahn. Sie war Malerin und wohnte in einer schönen Altbauwohnung, hohe Räume, große, verschnörkelte Flügeltüren aus der Gründerzeit gaben mir das Gefühl in einem Palast zu sein. An den Decken grüßten frech weiße, gipserne Amouretten. Unser Verhältnis war freundschaftlich und wie ich lange glaubte, ohne physisches Interesse füreinander. Obwohl sie Künstlerin war, gab es in den Räumen nicht ein einziges Bild. Bücher sah ich wenige, was mich sehr verwunderte, denn ihre Belesenheit kam meiner gleich. Nächtelang diskutierten wir über Mary Blooms Monolog oder lasen uns wechselseitig de Sade’s ermüdende „Juliette“ vor. Da sie Französisch so gut wie Deutsch sprach konnte ich de Sade also im Original hören. Verstanden habe ich nichts. Denn alle meine Fremdsprachenkenntnisse sind visuell und nicht akustisch erworben. Leider. War sie mit einem Abschnitt des Buches fertig, las ich ihr unmittelbar danach die gleiche Sequenz in Deutsch vor. Nach dem Lesen verschwand ich im Bad und ging in Ihr Gästezimmer, wo ich in Ruhe und oft schlagartig, sofort einschlief. Wochen und Monate vergingen so. Bis zu dem Tag, als ich Geburtstag haben sollte. An diesem Tag rief sie mich im Büro an, gratulierte mir, und lud mich zu ihrer Vernissage am kommenden Samstag ein. Als ich pünktlich an diesem Sonnabend, es war Sommer, die Luft wehte lau und aus der Ferne konnte man Wortfetzen, Musik und Gelächter hören, irgendwo feierten junge Leute, das entnahm ich den stampfenden Rhythmen der Drums und Bässe, eine Sommernachtsparty;also als ich verabredungsgemäß in ihrem Atelier stand, das im hellen Licht strahlte, fand ich mich dort mit ihr allein. Eine Staffelei bespannt mit weißer Leinwand und ein Podest standen mitten im Raum. Im Hintergrund blinkte eine Hi-Fi Anlage aus der sanft Vexations von Eric Satie klang. Unaufhörlich und ohne Ende tropften die Töne. Sie kam auf mich zu gab mir einen Kuss auf die Wange, übereichte mir ein kleines Päckchen, das sie mich sofort zu öffnen bat, was ich, nun neugierig geworden, auch tat. Ich zog die Schleife auf, entfernte das Papier und hatte einen seidenen blauen Morgenmantel in der Hand, dessen Leichtigkeit mich überraschte. Ich möchte Dich malen, nur mit diesem Mantel bekleidet, sagte sie sachlich. Also zog ich mich bis auf die Haut aus, warf mir den Mantel über und stellte mich auf das winzige Podest. Sie griff zur Palette und begann mit großem Strich die Leinwand mit Farben zu füllen. Dass ich dazu „Juliette“ ihr vorlesen musste, verstand sich von selbst. Als wir am Morgen vom Teppich aus lachend in die Sonne blinzelten, trug ich den Mantel, die blaue, weiche Seide noch immer auf meiner Haut. Und die Vexations, offensichtlich zum Möbiusband geraten, versprachen endlose Rendundanz.