Arbeitsjournal. Dienstag, der 3. Oktober 2006.

8.10 Uhr:
[Berlin Kinderwohnung.]
>>>> Dieses Gedicht beschäftigte mich und beschäftigt mich weiter. Ich schrieb es in geradezu einem Fluß gestern in der Arbeitswohnung nieder, nachdem ich die O-Töne, die ich brauche, aus den Archiv zusammengesucht hatte; das Dingerl lief mir nur so durch die Finger, bis ich in den letzten zwei Zeilen steckenblieb, die ich dann über den Tag immer und immer wieder revidierte. Noch jetzt kommen sie mir nicht fertig vor, irgend etwas ist da noch offen.
Spätabends traf ich dann wieder einmal Eisenhauer. Er drang sehr in mich, daß ich das >>>> Engelgedicht jemandem verschweigen müsse und es deshalb nicht veröffentlichen dürfe – aus persönlichen Gründen und um persönlich zu schützen. Ich opponierte heftig, er wurde fast sauer. Nebenan tagte das Goethe-Institut um Britta Gansebohm herum, die ich nicht leiden kann, weil sie ihren „Ruf“ als Salonière daraus bezieht, daß sie Autoren öffentlich auftreten läßt, ohne ihnen Honorar zu bezahlen (geschähe das in privatem Rahmen, also tatsächlich als Literarischer Salon, wäre es in Ordnung). Nun gut, viele Autoren machen ja mit, schon aus Eitelkeit. Irgendwann verselbständigt sich sowas, und ‚jeder’ will mal bei der Gansebohm aufgetreten sein; dann h a t sie ihren Ruf, und keiner fragt mehr nach. „Pappkarton“ wurde sowas in >>>> „Die Verwirrung des Gemüts“ genannt.
„Du darfst nicht unter allen Umständen allen alles zeigen“, sagt er, „und zwar auch dann nicht – oder gerade dann nicht -, wenn es sehr gut ist.“ Das rührte an eine Grundfrage von Kunst, nämlich Verantwortlichkeit. Dieselbe Frage dräut in den Wissenschaften, sie ist uralt. Meine Haltung dazu ist radikal. Schon A. in Bamberg kündigte mir fast die Freundschaft, als ich auf meinem verbotenen Buch bestand. „Wer liebt, opfert dem auch so etwas. Opferst du’s nicht, liebst du nicht.“ Sagte sie, nicht minder radikal.
Das geht mir jetzt alles wieder nach. Den Konflikt kann ich fühlen, aber er ist ausweglos: denn, so argumentierte ich auch gestern nacht, wenn ich in dem, was meine Kunst ist, Rücksicht nehme und bestimmte Ergebnisse abschwäche oder nicht erscheinen lasse, dann wird die Kunst-insgesamt dabei verraten und also unwahr. Hinzu kommt, daß ich ja gar nichts anderes b i n als das, was ich schaffe. Das unterscheidet einen künstlerischen Beruf von jedem anderen: man geht ihm nicht nach – schon diese Formulierung liegt gänzlich neben dem wirkenden Prozeß -, weil man seine Existenz sichern oder sonst etwas Persönliches erreichen will, sondern weil er eine Existenzform ist, und zwar die einzige, die es für einen gibt. Dahinter steht das Bewußtsein, daß man o h n e Produktivität gar nichts anderes wäre als ein pures Bündel konditionierter Reflexe. Der Satz „Ich bin a l s ich“ ist falsch. Es gibt gar kein Ich, das sich anders erführe als durch die Arbeit. Die alte Forderung „Ich will als ich selbst geliebt sein“, ist furchtbar hilflos, weil sie sagt: „Nichts will geliebt sein“, also: ich will grundlos geliebt sein.
Eisenhauer weiter: „Du brauchst mal Ruhe, du bist viel zu hektisch, viel zu getrieben. Lehn dich mal zurück und geh ruhig an, was jetzt zu tun ist. Ein Werk hast du doch längst v o r g e l e g t, es geht doch gar nicht mehr darum, noch etwas zu beweisen. Es ist alles d a.“ Ist es eben n i c h t. „Kaum die Hälfte“, sag ich, „vielleicht nur ein Drittel.“ „Du brennst zu stark, v e r brennst“, sagt er, „ich mach mir Sorgen um dich. Sei sparsam mit deiner Kraft.“ – Es ist den Leuten irgendwie nicht klarzumachen, daß Kraft gerade darin b e s t e h t, daß man nicht sparsam mit ihr umgeht. Je stärker man sie verausgabt, um so mehr wächst einem davon zu. Geizt man mit ihr, fällt sie in sich zusammen.
Im übrigen versucht Eisenhauer an einer W e r kausgabe meiner Arbeiten zu drehen. Auch in dieser Hinsicht bin ich furchtbar ambivalent. Einerseits, eitlerweise, hätt ich sowas s c h o n gerne, andererseits hat ‚Werk’ausgabe sowas Abschließenes, als wäre wirklich schon das zumindest meiste getan. Was für einen 51jährigen ziemlich absurd ist, und für mich zumal. Ich stehe i m F l u ß, und keiner, ich selbst am wenigsten, weiß, in Richtung welcher Mündung er strömt. Mir genügte es deshalb völlig, würden jene Bücher wieder zugreifbar, die unterdessen vom Markt genommen sind. Und selbst das ginge nicht ohne Komplikationen, weil ich sie dann unbedingt vorher revidieren wollte, aber gar nicht wüßte, woher dafür die Zeit nehmen. Da es das >>>> ZVAB gibt, sind sie ja eh nicht aus der Welt. Außerdem läßt sich, was auch da nicht zu besorgen ist, als TS-pdf ziemlich einfach ins Archiv der >>>> fiktionären Website stellen. Das ist unterdessen sogar als gesicherte Publikation möglich, da solche pdf’s von der Deutschen Bibliothek/Deutschen Bücherei biblografiert werden müssen, insofern als vollwertige Publikationen gelten und damit – das ist wichtig – zitierfähig sind. (Wenn ich mir übrigens die Diskussion um den >>>> Deutschen Buchpreis 2006 anschaue, dann wird mir s c h o n schmerzlich bewußt, welch geringe Rolle meine Arbeit im offiziellen Literaturbetrieb spielt; es ist sozusagen g a r keine. Wenn ich mir wiederum anschaue, wer abermals und abermals in den einschlägigen Jurys sitzt, wer da dreht und dreht, dann nimmt das freilich nicht nur nicht Wunder, sondern muß eigentlich beruhigen.)

Abermals verschlafen, aber willentlich, so daß schon das ‚ver’ nicht stimmt. Dafür zum ersten Mal seit, scheint’s mir, Wochen, ein Gefühl für das nach wie vor leere Offertorium im >>>> PETTERSSON entwickelt. Vielleicht, dachte ich eben, ein G e d i c h t? Weshalb k e i n Gedicht? – Spontane Arbeitslust.

21.44 Uhr:
[Mit Streichungen eingestellt.]
(….) doch wer wollte etwas anderes erwarten, >>>> wenn einem ein Wunder geschieht? Vielleicht ist dies jetzt das größte Abenteuer meines Lebens, und ich habe auch nicht gezuckt, als mich bei seinem Ausbruch damals, oben an den Kratern, der Ätna bedrohte. Es kann sein, daß das wirkliche Geheimnis d i e s e s ist: Es mit etwas aufzunehmen, das größer ist als man selbst. Nicht wegzulaufen, sondern hinzugehen. Stehenzubleiben. Und alle möglichen Konsequenzen zu wissen (also NICHT: sie zu verdrängen). Und sie zu wollen. So weh das manchmal auch tut.

Die ICE’s nach Frankfurtmain haben irrerweise in aller Regel keinen Stromanschluß. Da ich den Laptop auf der Messe brauchen werde, sollte ich ihn deshalb während der Fahrt nicht einschalten; der Akku wird übern Tag dann genug zu tun bekommen. Also werde ich das Gedicht fürs PETTERSSON-Offertorium im Notizbücherl notieren – einem seit anderthalb Wochen neuen (zugleich einem alten, da ich es – einen Dummy – seit den Zeiten von Narziß & Ego in meinen Beständen liegen hatte). Ich hab ganz vergessen, wie ich seit Beginn Der Dschungel jeweils tat, das abgeschlossene, nun alte zu fotografieren. Und werde es vielleicht nachholen. S o gesehen sind Die Dschungel (a u c h) mein persönliches Marbacher Literatur-Archiv.

4 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 3. Oktober 2006.

  1. Lebenswerk Der eine hatte hundert Bücher, der andere zwei Aphorismen geschrieben.
    Von jedem blieb ein Satz…
    Wieslaw Brudzinski

    1. @Eva M. Es kommt auf die Bücher an. Selbstverständlich. Es ist immer eine Frage, wen jemand vor Augen hat. (Von m e i n e r Arbeit bleiben mehr als nur Sätze).

      Das mit den zwei Sätzen ist im übrigen ein recht hübscher Aphorismus, der aber – so bequem er den Faulen auch klingt – nicht durchweg wahr ist. Da hilft auch ein Winken mit patronigem Namen nicht.

  2. Ein Buch opfern? Der Komponist Lully lag beim Sterben. Der Beichtvater riet ihm dringend, er solle seine letzte Partitur opfern, da er in seinem Leben soviele Sünden begangen hatte. Mit einer solchen Sühne könne ihn Gott in seine barmherzigen Arme nehmen. So gab Lully dem Geistlichen die Partitur seines letzten Werks und der Geistliche verbrannte sie im Kamin… erst dann erteilte er ihm die Absolution. Dann liess er ihn allein. Plötzlich kam aber heftig ein Schüler von Lully herein und fragte : « Ist es wahr, was ich gehört habe, Sie hätten ihr letztes Werk verbrennen lassen ? » – « Ja » antwortete ruhig lächelnd der Sterbende, « aber ich hatte eine Kopie davon machen lassen ».

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