Paul Reichenbachs Sonntag, der 3. September 2006. Andante.

Es war ein wunderbarer Sonntag, obwohl ich nicht zu den Dingen kam, die ich mir vorgenommen hatte. Wollte ich doch ursprünglich die freie Zeit nutzen, um zu lesen und zu schreiben. Angelegt werden sollte ein Exzerpt zu Sloterdijks „Weltinnenraum“, stattdessen lockte wieder einmal der Wald mit seinem diesjährigen Angebot an Pilzen jeglicher Art. Kein Streit ging diesmal von ihr aus, keine spitze Bemerkung sollte diesen Sonntag trüben. Das geheime Einverständnis die letzten sommerlichen Tage gemeinsam zu geniessen verwies die Konflikte der vergangenen Wochen in die entferntesten Winkel unseres Gedächrnisses. Unausgesprochen hoffte ich auf ein Haut an Haut am Abend.
Mit Freunden zogen wir dann auch los. Ein Kilogramm Steinpilze darf man laut Naturschutzgesetz nur sammeln. Was darüber ist kostet pro Kilo 50 Euro Strafe. Ergo traf man in Gottes freier Natur nicht nur Pilzjäger, sondern auch Ranger, die neugierig in die Körbe blinzelten. Unglaublich, mitten zwischen Buchen und Fichten zwei Blauhemden mit Emblem am Ärmel und Funkgeräten in der Hand, die Schlagstöcke baumelten an ihren Gurten bedrohlich. Die Pilzwanderung zog sich bis in den späten Nachmittag und endete in einer ruhigen Waldgasstätte, wo wir lange saßen und sprachen. Aus irgendeinem Grund, der Anlass war eher nichtig, ich hatte spielerisch die einzelnen Fundorte mit losen Zweigen verbunden, also von Pilz A nach Pilz B und C etc. grade Linien gelegt, was eine merkwürdige Geometrie der Fläche ergab, kamen wir im Gespräch auf die visuelle Poesie musikalischer Partituren. Der bildgewordene Klang auf einer Notenseite bei Bach oder Berg z. B. ist dies nur schriftliche Ordnungstruktur oder wird Musik da nicht auch Bestandteil bildender Kunst? Zu Haus angekommen, suchte ich in meinem Notenarsenal nach Bestätigungen. . Fand nichts, was mich vom Hocker gerissen hätte.
Die morgendliche Hoffnung auf physische Berührung zerschlug sich, als ich sie am späten Abend, den Kopf auf dem Schreibtisch gelegt, in ihrem Arbeitszimmer schlafen sah. C‘ est la vie.

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