Zu Gewalt, Pornografie und „Unmoral“.

Die Annahme, es werde Gewalt durch diejenigen ausgelöst, die öffentlich über sie nachdenken oder ihre Erscheinungsformen gestalten, verschiebt die Gründe von Gewalt auf ihre Darstellung: Sie soll verheimlicht bleiben, Gewalt selbst, vor allem aber sollen es jene. Dabei ist es letztlich sehr ungesichert, ob ein gewaltverherrlichender Film auch nur die Bereitschaft zur Gewaltausübung lockert oder ob nicht vielmehr umgekehrt die Bereitschaft immer schon da und einerseits (Aggressivität) über die Art vererbt ist, die sich erhalten will, und andererseits aus erlittener Erfahrung scharfgemacht wurde – und unscharf, eben in der Rezeption etwa „gewaltverherrlichender“ Medien, seinen Ausgleich sucht, nämlich je nach persönlicher Bildung (die wiederum nicht vom Individuum verschuldet ist*) in Action und/oder Horror und/oder harter Pornografie oder (und/oder auch hier!) in der Kunst. Hinzu kommt, daß ein solcher Ausgleich von gewaltkritischer Darstellung, indem sie dennoch gestaltet wird, ebenso erreicht wird wie von gewaltaffimativer. In Hinsicht auf das, was wir sehen (empfinden), spielt die Absicht der Darstellung gar keine Rolle. Wer also gewaltverherrlichende Filme verbieten lassen will, weil sie vorgeblich die aktive Gewaltbereitschaft erhöhen, muß im selben Moment j e d e Form der Gewaltdarstellung verbieten, also auch die kritische und solche, die eindeutig der Kunst zugehören. Es wird dann ein internalisiertes Schweigetabu zur gesellschaftsmoralischen und möglicherweise strafjustiziablen Norm. Dasselbe gilt für pornografische oder sonstwie an Sexualität gebundene Darstellungsformen. Der (sehr gute) von mir bereits besprochene Spielfilm >>>> „Irreversible“ ist dafür ein exquisites Beispiel. Die darin ausführlich inszenierte Vergewaltigungsszene ist zugleich erschreckend, wie sie doch eine bereite Gewaltlust befriedigen und, sollten die Verdränger recht haben, >>>> „geistig labile Menschen“ dazu bringen kann, ein solches Verbrechen zu begehen. S o gelesen, wären aber auch dezidierte Anti-Kriegsfilme letztlich Kriege befördernde Filme. Graduell abgestrichen, gälte das dann für die entsprechende Dichtung ganz genau so, zumal die der antiken Klassik, aber auch für die Bibel, die von Gewalt- und Ausrottungsfantasien gerade im Alten Teil viel weitergehender strotzt als etwa der Koran, der sich allerdings auf das Alte Testament immer wieder deutlich bezieht.
Die Alten hatten zu alledem ein klügeres Verhältnis: Sie wußten sehr wohl, daß der Schrecken „reinigend“ (kathartisch) auf den Betrachter wirkt, daß gerade die Konfrontation mit ihm es ist, was zivilisiert. Die political correctness will das absichtsvoll vergessen machen, weil sie letztlich in j e d e r ihrer Ausformungen (das heißt auch in derjenigen einer „gender correctness“) absolut unterm Diktat eines demokratischen Kapitalismus’ steht, dem es um Mehrwertschaffung und n u r um Mehrwertschaffung geht. Wir wissen etwa unterdessen von Hans Christian Andersen und Lewis Carroll, daß sie starke pädophile Neigungen hatten; beide würden heute mit großer Sicherheit an den Publikationen ihrer Erzählungen gehindert werden, die gleichwohl zu den tiefen poetischen Schätzen der Weltliteratur gehören. Der Einwand des unmoralischen Einflusses beträfe übrigens ebenso Nabokovs berühmtes Lolita-Buch, das s o, anders auffälligerweise als in der McCarthy-Ära, heute nicht mehr erscheinen könnte. Insgesamt wirkt jetzt ein auf verteufelte Weise sich für ‚human’ erklärendes Reaktionäres in den Menschen, insbesondere in der privaten Zensur und Selbstzensur. Dem geht global die Tendenz zu Glaubenskriegen völlig parallel, sowohl hie wie da.
Insoweit eine öffentliche Auseinandersetzung mit geschädigten Moralnormen (etwa anhand von BDSM, von aggressiven/submissiven Tendenzen im Sexualleben oder zum Beispiel weiterwirkenden Instinkten und deren Bejahung) für „kinderverdebend“ erklärt wird, begibt der Kritiker sich in die Rolle eines Zahnarztes, der nicht etwa heilend eingreift, sondern der Karies moralisch v e r b i e t e t zu sein und, ist Karies ausgebrochen, den Patienten dafür vor Gericht zerrt. Die Suche nach Gründen wird durch das moralische Verdikt ersetzt, wodurch dann letztlich das objektiv begründete erst richtig, nun aber verborgen, durchgreifen kann. Dahinter steht letztlich magisches Denken: wenn ich etwas beschwöre, daß es nicht sei, dann werde es auch nicht. Und schaffe sich gleichsam religiös ab.

[*) Und zwar weder, wenn man an angeborene „Begabung“ glaubt, noch wenn man das nicht tut oder meint, b e i d e s wirke hier: Sozialisation u n d Genetik; der Genetik entspräche für Sexualität die testosteronale Verteilung, die unter Männern selbst signifikant unterschiedlich ist, ihrerseits auf eine gedämmte oder befeuerte Aggressionsbereitschaft wirkt und besonders bei jungen Männern hohe Konzentrationen aufweist: aus diesem Grund werden besonders ‚gerne’ Soldaten eingezogen und eingesetzt, die sich an der Schwelle einer beginnenden Männlichkeit befinden, zu der schließlich das Vaterwerden gehört. Dieses darf noch nicht faktisch erreicht sein, muß aber biologisch auf der Schwelle stehen; den ‚Halbstarken’ wird dann vermittels eines sie scharf kanalisierenden militärischen Apparats – verstärkt von der lebensbedrohenden Situation, in der sich aktive Kämpfer befinden – Sexualenergie in Mordbereitschaft, ja Mordwille herumgedreht. D a s ist – dieses Wort im banalen Allgemeinverständnis und nicht im erkenntnis- und kunsttheoretischen Sinn verwendet – pervers, nicht hingegen der durch pornografischen oder Action-Konsum erstrebte, wahrscheinlich sogar mildernde Versuch, die inneren Kräfte zu beruhigen. Geschweige denn die Anstrengung, sich gestalterisch und denkend den in uns wirkenden Kräften zu nähern und uns ihnen zu stellen, sowie sie dadurch zuzugeben.]

2 thoughts on “Zu Gewalt, Pornografie und „Unmoral“.

  1. In diesem Zusammenhang ist ein historischer Aspekt für mich interessant. In antiken Abbildungen von Sexualität oder auch in erotischen Texten, wie z.B. bei Petronius finden sich keine Hinweise auf BDSM. Erst das Flagellantentum und die Märtyrer des Mittelalters schaffen dafür, so scheint es mir, den notwendigen Hintergrund.

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