Vor zwei Tagen jährte sich der Mauerbau zum fünfundvierzigsten Mal. Den Medien war das keine große Erinnerung wert. Ich war 1961 vierzehn Jahre alt, und lag an diesem 13. August, einem Sonntag, in der Turnhalle der Weimarer Schillerschule auf dem Strohsack. Ein Junger Pionier, der sich auf dem sogenannten Friedensmarsch zum Pioniertreffen nach Erfurt befand. Am frühen Morgen weckte uns ein Jugendfunktionär und gab in einer schnell einberufenen Versammlung, noch vor dem Frühstück, den Bau des antifaschistischen Schutzwalls bekannt. Wir alle, die in der Halle übernachtet hatten, unterschrieben einen Brief an den Genossen Walter Ulbricht in dem wir ihn für die Rettung des Weltfriedens dankten. Einige Tage später feierten die Pioniere ihren Friedensretter in Erfurt. Kurz zuvor hatte ich noch den damaligen Mao-Tse-Tung-Ring in der heutigen thüringischen Landeshauptstadt in Juri-Gagarin-Ring umbenennen dürfen. Die Abschlusskundgebung des Treffens fand vor dem Erfurter Dom statt. Tausende Kinder und Halbjugendliche hatten sich dort mit weißen Hemden und Blusen, roten und blauen Halstüchern eingefunden, um am Abend das Abschlussfeuerwerk zu erleben. Ich stand mitten drin in der Menge, neben mir eine blauäugige, blondbezopfte Heidi aus dem Vogtland, die mich neugierig ansah. Meine Hand suchte unsicher die ihre, sie zuckte nicht zurück, sondern griff fest zu. So standen wir, sahen auf das Feuerwerk, rückten immer näher zusammen. Als ihr Kopf sich in meine Schulter legte, strich ich ihr übers Haar und fasste, nach links und rechts schauend, vorsichtig an ihre Brüste, die durch die weiße Bluse schimmerten. Sie nahm die Hand, drückte sie einen kurzen Moment, um sie dann nach unten am Rock entlang, zwischen ihre Beine zu führen. Ich war wie versteinert, dann aber fühlte ich ihren Slip und begann sie zu streicheln. Atemlos spürte ich den kleinen Hügel. Kein Wort fiel zwischen uns, kein Blick wanderte von ihr zu mir. Dann schob sie ihre Finger durch ein Hosenbein meiner viel zu großen, kurzen Lederhose und begann an meinem Glied zu spielen. Noch während des Feuerwerks suchten wir eine stille Ecke. In einer Gasse, unweit des Domplatzes, lehnte ich mich an eine Wand. Unbeholfen begannen wir uns zu küssen. Die Zähne krachten mitunter aufeinander. Und ohne ein Wort, während meine Hände ihren Körper erkundeten, öffnete sie den Latz meiner Hose, holte das steife Glied hervor, rieb es, kauerte sich vor mir hin und nahm es den Mund. Ich, ganz erschrocken, kam in blitzesschnelle. Ergoss mich in ihr blaues Halstuch. Ich komme heute auf dieses Jugenderlebnis, weil meine Frau mir liebevoll am 13. August diesen Jahres erklärte, dass sie keine Lust auf Sex mehr habe; über dreißig Jahre sind wir nun verheiratet, und dass sie gern bereit wäre mit der Hand oder den Mund für Entlastung zu sorgen. Um mich, wie sie sagte, von meinem Druck zu befreien. Obwohl, wie sie ergänzte, es für sie nicht zu verstehen sei, dass ich in meinem Alter, nächstes Jahr werde ich sechzig, noch Sex im Kopf habe.
Erlöste mich zur Zeit des Mauerbaus Heidis vogtländischer, stummer saugender Mund und machte mich stolz, so kündigten die Worte meiner Frau das sexuelle Elend älterer Männer an, das mich nun von an begleiten wird; fürchte ich. Und so schließt sich der Kreis. Aus dem wundersamen stillen und forschenden Beginn wurde ein wortblasiges Ende. Martin Walsers Roman „Angstblüte“ liegt ungeöffnet auf meinem Nachttisch.
Fake Das ist aber ein kenntnisarmer Fake, mit 14 war er mindestens Thälmann-Pionier, wenn nicht gar FDJodler…
Daß Sie aber auch i m m e r, stulli, danebengreifen müssen! Aber wirklich auch j e d e s Mal. *ANH lacht.
Mit diesem Lachen ist der Beginn des CHORISCHEN TAGEBUCHES gefirmt. Passend zu Mariae Himmelfahrt:Mit großer Anstrengung und Kraft, und mit Stangen und Seilen, hieven sämtliche zu diesem Zweck herbeigerufenen Apostel die Leiche der allein durch Geburt deflorierten Jungfrau zur Auferstehung in den Himmel hinauf. Bei >>>> Tintoretto. Eine Himmelfahrt, übrigens, die erst 1950 kanonisiert wurde.
Hallo Stulli, das weiß ich auch. Soll ich hier aller Welt die feinen Unterschiede zwischen Jung – und Thälmannpionieren erläutern ? Relevante Altersgrenzen werden weiter unten angesprochen. Dies ist ein Tagebuch, es dient vor allem der Selbstverständigung. FDJodler wurde ihr „Fake“, soweit ich mich erinnere, viel später, auf Druck seines EOS-Direktors hin. Der Direktor, war urprünglich in Heidelberg zu Haus, konvertierte vom Katholiken zu einem dog. Marxisten, übersiedelte in die DDR und drangsalierte mich in Geschichte und Staatsbürgerkunde.
Guten Abend.
P.R.
Ich beneide Sie, daß Ihnen erst mit sechzig geschieht, was sich bei mir schon jetzt – wenn auch nur in Ansätzen – doch aber konkret in der Häufigkeit solcher „Entlastungen“ andeutet. Und die Klammer wird noch enger, bedenkt man, daß ich mich nur an wirre Bild-Schlagzeilen erinnere, was den Mauerbau betrifft: da war ich sieben. Fatal war er dennoch für mein Leben, denn kurz vorher kamen meine Großeltern über die bis dahin noch offene Sektorengrenze in den Westen, fatal insofern, als fortan jedes Weihnachtsfest zu einer endlosen Langeweile bei den Großeltern ausartete, die jedes freudige Warten auf die Bescherung gründlich verdarb. Mein Weltfrieden wurde durchaus gestört ohne Mauer!
Echt ist das nicht! Das Erzählte klingt eher nach Katholikentag und die Kommentare nach bestellten Wortmeldungen zu Jahrestagen, was denn wieder zum Thema DDR passen würde…
Mein Frieden wurde nach 1989 auch gestört, denn ohne Mauer waren wir von nun an wieder in eine Familie geraten, d. h. Schwäger Onkel Tanten etc. Vorbei waren die schönen Weihnachten zu dritt, als das Kind sich noch wohl fühlte, irgendwo zwischen Gotthardt und Amalfi.
1989 – da war ich schon vier Jahre „aushäusig“ und nicht mehr im Lande. Kurz zuvor sagte ich noch – in romantischem Überschwang -, ich würde weinen, wenn einst mal die Grenzen sich öffneten (wohnte ich doch hart an ihr dran in meinem Dorf). Darum störte mich bei meinen Besuchen später diese Verwandtschaft nur noch am Rande. Doch bemerkte ich, wie die nahe gerückte Ferne plötzlich doch wieder eine Ferne erzeugte, die durch die Grenze als Nähe sich verkleidet hatte, die aber keine Nähe war. Auch dies so geschrieben irgendwo zwischen Gotthardt und Amalfi.
So wird das nichts mit der großen Kunst! Vielleicht meldet sich auch noch ein Sex-Veteran von der Waffen-SS, mit Glasauge – und dann nehmen sie für BILD das Glasauge heraus. Förderkunst kann so einfallslos sein!
@stulli Erst einmal das Positive. Ich finde es interessant, dass hier einer das Thema Sexualität im beginnenden Alter anschlägt, bin ich doch fast im gleichen Alter.
Die Frage nach der Lebenskunst steht bei Reichenbach mehr im Mittelpunkt, als die Kunst, wenn ich richtig gelesen habe. Von Glasaugen, BILD und Waffen-SS steht da nix. Katholikentag und Pioniertreffen als ein Bild zu begreifen, das wiederum kann ich einigermaßen nachvollziehen.
Ein Mauerstein in der Weltgeschichte – ein Schiss für mich 🙂 Also, 1961 war ich gerade ein Jahr alt, kann mich also aus dieser Geschichte besser heraushalten, als dies Günter Grass bei seiner Geschichte kann.
Zur Zeit des Mauerbaus habe ich somit, im Alter von einem Jahr, ohne es zu wissen, die einzig richtige – körperliche – Äußerung zu dieser Entscheidung der DDR-Führung von mir gegeben: ich habe darauf, oder besser noch: in die Windel geschissen!