VIERTER PRODUKTIONSTAG VERBEEN (6. 4. 2006).

Die Entscheidung war richtig: keine Musik. Das bestätigte sich, als ich tagsüber an der Bar im Tannenhof die bisherige Arbeit abhörte und meine neuen Umstellungen und Striche im Typoskript notierte. Im Funkgebäude selbst tat ich das nicht, weil man dort in keinem Zimmer rauchen darf. An die zwölf Minuten jedenfalls kürzte ich aus der Arbeit hinweg. Einige Blöcke wurden anders geordnet; die modulare Arbeit, die ‚von Natur aus’ eher kleinteilig ist, unterscheidet sich ausgesprochen von der meiner anderen Hörstücke, die immer organisch produziert wurden, nämlich in einem chronologisch den Typoskripten entspechenden Ablauf unter Anwesenheit sämtlicher Sprecher zugleich. Hier, wegen der einzuschneidenden Archivaufnahmen, der AußenInterviews usw. ähnelt das Arbeitsverfahren demjenigen beim Film. Für mich ist das völlig neu, aber eben auch spannend, weil ich nun auch d a s lerne und immer ziemlich schnell über die Techniken dann auch verfüge. H a t was. Gestern nacht sprach Toningeneurin Hesse davon, wir müßten die Schnitte schneller machen; die Technikerin bestätigte sofort: „weil die Musik fehlt“; es ist alles rein nackt aufeinandergeschoben, da gibt es kein anderes Schmier- und Gleitmittel als das reine Material selbst. Also lasse ich nun bisweilen mitten in ein Gespräch, ja in einen Satz hineinschneiden und lasse die überhängenden oder vorhängenden Satzteile jeweils im Orkus verschwinden. Dadurch bekommt das Stück einen enormen Rhythmus, aber es werden auch Typoskriptstellen sehr deutlich, die nicht gut genug gedacht sind, also Fehler. Das wiederum führt zu notwendigen Umordnungen der Sprachmodule usw. – bis schließlich das bestmögliche Ergebnis erreicht ist. Wobei ich, etwa in den Interviews, viele Versprecher, Huster usw. nicht aus der Datei herausschneiden- sondern stehenlasse; dasselbe gilt für technische Störgeräusche, die sich auf den alten Bändern finden, auch fürs Bandrauschen, das man heute, im digitalen Zeitalter, gar nicht mehr kennt. Ich filtere das n i c h t, ganz bewußt nicht, damit sich so etwas wie, sagen wir, strukturierende Klangfarben ergibt, die für den Hörer unmittelbare Orientierungshilfen sind. Denn ich habe zugleich alle Namen, also Verweise, gestrichen, egal ob Thelen Markwart Verbeen-selbst. Wer Sprecher (Schauspieler) und wer Originalstimme ist, ist nicht mehr kenntlich.
Etwas heikler war der Mitschnitt meines ziemlich mißglückten Telefonates mit Nasrin Verbeen, da haben wir ziemlich prokeln müssen; ich hab sogar einige meiner Passagen nachgesprochen, um Verzerrungen auf meiner Aufnahme zu ersetzen. Was dann wieder zu einer ganz anderen Asymmetrie geführt hat: ich klang plötzlich wie im Studio aufgenommen (was ich ja dann auch war, aber in der ursprünglichen Situation eben nicht gewesen bin). Wir haben dann eine Art Kompromiß gefunden.
Offen bleibt bisher, ob ich unter die Absage des Stückes nicht doch noch eine Verbeen-Musik lege; ich habe aber eine ganz andere Idee, die allerdings nur indirekt mit Verbeen zu tun hat: im Glauben. Na, wir werden sehen. (Beim Mittagessen entstand die Idee, zu Verbeen-als-Komponisten ein zweites poetisches Feature zu schreiben; darin fänden dann auch meine Schnitte und Zusammenschnitte Verwendung).
Bis nachts Viertel vor eins haben wir gearbeitet, die Damen überzogen, ohne auch nur eine Bemerkung, ihre Schicht. Auch das ist eine mir immer wieder bestätigte Erfahrung, seit ich selbst Regie führe: Sind alle Beteiligten mit Lust und Wille bei der Arbeit, wollen also alle, daß sie wirklich gut wird, dann kommt es auf Äußerlichkeiten nicht mehr an, auch nicht auf tarifliche oder sonstwie arbeitsrechtliche Fragen. Sondern jeder ist i n dem, was alle zusammen schaffen wollen – und sind beglückt, wenn es gelingt. Glück nämlich ist keine Kategorie des Pragmatismus, es wird einem durch Verträge nicht zuteil: Man kann es nicht regeln.

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