Es ist Den Dschungeln schon bewußt, daß es sich bei vielen dieser Frauenpersonen um begehrend aufgeheizte Manifestationen einer Mutter-Imago handelt, die eben genau das hat, was der leiblichen, business-orientierten und pragmatischen Mutter fehlte: Hitze. Zugleich bleibt aber die (erlebte) Kühle, ja Kälte der Mutter stets präsent, zum Beispiel in dieser Satzfolge, die eben formuliert worden ist:
Sie trug, da es so warm war, noch immer Spitzenbustier und Rock. Aber etwas Eisiges ging von ihr aus, als wäre ihr Körper eine offenstehende, doch in den Winter führende Tür. Der Satz ist geradezu paradigmatisch, Wärme und Kälte werden eng aneinandergeführt. In ANDERSWELT (aber auch anderen Büchern) steht so etwas immer am Anfang einer stark sexuell besetzten Liebesgeschichte. Die „mütterliche“ (Gefühls-)Kälte wird also durchaus nicht geleugnet oder hinwegfantasiert. Sondern die Textfantasie interpretiert sie ‘pervers’ um. Die erotische Aufladung der ANDERSWELT-Dichtung bezieht ihre Kraft aus genau diesem Widerspruch. Niam aus THETIS, die Siddal aus BUENOS AIRES haben sie und Judith Hediger aus ARGO, sowie – normalisierter – Elena Goltz und ihre Derivate Zeuner und Witten. Sogar in den “menschlichen”, mitfühlenden Figuren – in Dorata Spinnen etwa oder in der caritativen Corinna Frieling, ja selbst bei Frau Kumani – schwingt ein wenig davon mit, und zwar immer dann, wenn sie das Interesse des Autors als Frauen für voll nimmt. Hieraus erklärt sich auch das idolatrische Moment, das, weil es fast sämtliche erotischen Begegnungen füllt, Delf Schmidt so moniert hat. Wer es schafft, in sich selbst die feindlichen Elemente aufeinanderzuzwingen – man hört den Rausch direkt z i s c h e n -, der (die) k a n n nur bewundert werden. Die Grundfantasie ist eine nicht nur obsessiv (nämlich sich selbst gefährdend), sondern auch t i e f liebende femme fatale. Also die Vereinigung eines objektiven Widerspruchs.
W i e ging das? Ein Autor, der zuviel über seinen Schreibprozeß wisse, macht sich verdächtig? Nein, sondern ein Autor, der zuviel liest. Also schrieb Karl Kraus. Manchmal muß man auch i h n korrigieren.
Vielleicht verdankt sich ja jede erotische Obsession, literarisch gefasst oder – fast wäre zu sagen, dem folgend – auch die Wirklichkeit einer inzestuösen Grundierung, darüber hinaus sogar das Verhältnis der Geschlechter überhaupt. Wer kennt nicht den von Frauen vorzugsweise am Telefon eingesetzten Kunstgriff des eisigen Schweigens? – Man könnte übrigens auch den Phänotyp des dominanten Mannes, s. den heutigen Tagebucheintrag, als Reflex auf diese Grundierung verstehen.
Dazu morgen. Mehr.
Nur noch ein Satz, der mir nachgeht: “Der Blick des Mannes bei der Geburt macht den für die Frau harten Vorgang weich.”