Argo. Anderswelt. (94).

„Permesso!“ schrie im SANGUE SICILIANO der Wirt, während Willis weiterhin baff in das Leere starrte, das kurz zuvor noch Herbst gewesen war. Deshalb bemerkte er nicht gleich, daß endlich auch Boglier kam, sehr angetrunken schon, sehr schuldbewußt; man könne annehmen, dachte Cordes, der Cicisbeo sei in ihm wieder durchgebrochen nach dieser Szene am Morgen; um das grob auszudrücken, hatte er etwas „Echtes“ ficken wollen, hatte von Simulationen die Schnauze voll gehabt, aus Unglück freilich, Diskriminierendes hatte das nicht. Er hatte den Impuls tags ziemlich lange unterdrückt, aber schon früh zu trinken begonnen; dann, als es dunkelte, war er ins BOUDOIR eingekehrt, wo er Kumani sitzen und warten sah. Freilich kannte er den nicht; die beiden saßen einige Zeit nebeneinander und kamen selbstverständlich in kein Gespräch. Statt dessen sannen sie, jeder in völlig eigenen Gedanken, auf die kleine Drehbühne hinauf, in deren ScheibenOktaeder ein Gal die Beine spreizte. Mit dem durchaus reiferen Animiermodell Shakti zog Broglier schließlich ab. „Bist du echt?“ „Sicher, Süßer.“ Sie verschwanden durch eine Tapetentür, es ging hintenrum die Stiege hinauf und in ein Zimmer, das Ellie Hertzfelds Fickzelle genau gegenüberlag. Wie in der, so auch hier nur Bett Nachttisch Waschbecken. Und eine Spanische Wand. Die Standardpantoffeln mit den Puschen. Durchs geschlossene Fenster, vor das eine orangenfarbene Jalousie herabgelassen war, rauschte auch hier der Betrieb des nächtlichen Bahnhofsviertels. Nachher war Broglier aber erst richtig widerlich zumute gewesen. Also hatte er sich, immer wieder einkehrend auf seinem schwankenden Weg, bis zum SANGUE durchgeschlagen und war nun gar nicht so glücklich, den Freund an der Theke zu sehen. „Permesso!“ Paar Gäste brüllten vor Lachen, außerdem lief der Fernseher über den Köpfen und übertrug ein Tennismatch, das von Zeit zu Zeit ein Werbespot unterbrach. „Das kostenlose All-inclusive-Girokonto City best!“ Tusch. Grölen. „Permesso!“ Broglier war zu betrunken, um schnell genug zu reagieren; er stand einfach nur da und wankte so sehr, daß er sich am Wandrahmen – es gab ja keine Tür – abstützen mußte. Schließlich schleppte er sich an Willis heran. „Jottseidank, da biste ja“, seufzte der, „ick hab mir schon sone Sorjen jemacht.“ Zur gleichen Zeit legte Boone im TRESOR auf, hämisch das Grinsen in seiner Visage, als er die kleinen Mädels sich ausziehen sah. Er wählte schon mal aus, welche er nachher unter die spezielle Partydroge setzte, die er aus dem Osten von heimgekehrten Milizionären bezog. Wer denen das Zeug verscherbelte, nämlich Brem, wußte er logischerweise nicht und hätte mit einer solchen Information auch gar nichts anzufangen gewußt. Ein irres Gelärme Gestampfe auf dem Dancefloor, die Wasserhähne auf der Toilette zugedreht, damit die Leute Getränke konsumierten, denn das Zeug dehydrierte die Körper; dazu das Uzi und Crabe, rasend am Crossfader gedreht und die Platte dabei fast zerschnitten, Boone haßte Hiphop, haßte Musik überhaupt, weshalb er sie unterm grölenden Jubeln zerstörte, wobei er immer wieder „I will kill you I will kill you!“ rhythmisch in die Masse schrie, die abermals orgiastisch johlte und die Hände über die Köpfe warf; ein Reichsparteitag der Abtanzerei. Das war fast derselbe Lärm, war ganz der gleiche brüllende Zunami aus Lärm, den der verwundete Skamander ausstieß, als er sich in seiner eigentlichen Gestalt aus der Gülle hob – aus dem Meerschaum der Brandung, wie Borkenbrod das sah: ein Titan, von dem Wasser und flankig das Blut fällt. Die riesigen Arme ausgestreckt, Pranken mit Saugnäpfen statt Fingern, dazwischen Bajonette, die aus der Handhöhle fahren.

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