F r i t z  J.  R a d d a t z.  – Als Untriest 37 ein vielleicht, aber mir angemessenerweise, zu kleines Notat.


Arbeitswohnung, 8.54 Uhr.
Ich schreibe Dir, Liebes,

gar nichts heute zu mir, und nichts zu meiner Arbeit. Denn zwar gestern schon rief der Profi an – aber ich scheute mich noch -, ich solle bitte die Nachrufe auf Fritz J. Raddatz lesen, der seinen Fortgang in Zeitpunkt und Art auf eine Weise selbst bestimmt hat, die uns allen zu wünschen wäre: daß sie uns nicht verboten wird, so daß man seine Zuflucht in der Behinderung oder gar Schädigung anderer nehmen muß wie einer jener hoch verzweifelten Leute, die sich vor Züge werfen. Freilich hatte Raddatz, anders als die, noch genügend Geld und, so zu tun, wie er nun tat, vor allem die Bildung.
Wir sind uns zweimal begegnet, einmal als Gäste einer Talkshow, einmal in halbprivatem Rahmen und hatten uns nichts zu sagen; er kannte mich nicht, bis jetzt zu seinem Tod; für mich war er allenfalls als ästhetisches Phänomen interessant, auch als Dandy, der sich durchzusetzen vermochte, aber eben in seiner solchen Erscheinung als Homosexueller akzeptiert war, wenn auch nicht unumstritten. Die Klarheit seiner Worte gefiel mir, seine radikale Offenheit gefiel mir, seine ätzende Kritik am Betrieb, dem er indessen zugehörte und zugehören auch wollte, dessen Weichen er aber auch jahrzehntelang mitgestellt hat. Ich kam da als Zug nicht vor, vielleicht auch meiner Homophobie wegen. Das tut hier alles nichts zur Sache.
Der Profi hat recht. Einen der besten Nachrufe, die ich heute früh las – erst heute früh, weil ich gestern instinktiv auswich – hat >>>>> in der FAZ Volker Weidermann geschrieben – wenn auch mit der euphemistischen Headline, er sei, also Raddatz, „gestorben“. Die Zeile ist bigott, dem Mann nicht angemessen, denn sie stützt ein Tabu, das dem Menschen die Würde der letzten eigenen Entscheidung nimmt. Weiterhin lesenswert ist >>>> das von der Süddeutschen Zeitung noch einmal ins Netz gestellte Gespräch, das Sven Michaelsen mit ihm geführt hat. Sehr wichtig darin scheint mir die Unterscheidung von Eitelkeit und Narzissmus zu sein.

Wir hätten uns selbst dann, wäre meine Arbeit für ihn von irgend einem Interesse gewesen, wahrscheinlich nicht verstanden. Zwischen uns lagen verschiedene Herkünfte, verschiedene Vorlieben, von denen die sexuellen die mit bestimmendsten sind, verschiedene Generationen, verschiedene poetische Werte; verbunden hätte uns die Idee, das am Anfang all dessen, was wir groß nennen, die Leidenschaft steht: die Fähigkeit und vor allem Bereitschaft zur Hingabe, sowie eine radikale, nichtbürgerliche Offenheit, die sich gefährdet.

Raddatz ist nicht gestorben, sondern gegangen. Das ist, Geliebte, der Unterschied, den das Wort aufrecht markiert. Dessen wie seiner gedenke ich hier.

ANH, 28.2.2015
Berlin

11 thoughts on “F r i t z  J.  R a d d a t z.  – Als Untriest 37 ein vielleicht, aber mir angemessenerweise, zu kleines Notat.

  1. (Wenn ich Dir schreibe, ich hätte gestern gescheut, so tat ich’s, scheuen, weil mir abermals “altern” ins Blickfeld gerät – eine Verfluchung, die Jean Améry mit vollem Recht einen Skandal genannt hat, bevor halt auch er ging. Vom Altern befreit nur der Tod.)

    1. Überdenkenswert in bezug auf das Altern ist meiner Ansicht nach das, was Henry Hübchen in Andreas Dresens Film “Whisky mit Wodka” sagte, nämlich (sinngemäß) – “außerdem wird man nicht alt, sondern wacht eines morgens auf und ist es“. Naturgemäß kann/muß man auch davor Manschetten haben.

    2. @Schlinkert. Ich halte Hübchens Aussage für falsch, für jedenfalls Augenwischerei, wenn nicht außerdem für sentimental. Man ist nicht plötzlich alt, sondern wird es und erlebt es. Eben deshalb läßt schon Hofmannsthal >>>> die große Marschallin sagen:

      Wie kann denn das geschehen?
      Wie macht denn das der liebe Gott?
      Wo ich doch immer die gleiche bin.
      Und wenn ers schon so machen muß,
      warum laßt er mich denn zuschaun dabei
      mit gar so klarem Sinn? Warum versteckt ers nicht vor mir?
      Das alles ist geheim, so viel geheim.
      Und man ist dazu da, daß mans ertragt.
      Und in dem »Wie« da liegt der ganze Unterschied –

      Rosenkavalier, Akt I.

    3. @ANH Ich halte die Aussage dieser von Hübchen gespielten Filmfigur (ein alternder Filmstar) an sich auch nicht für richtig, es ist eine figurennotwendige Überspitzung, aber diese Angst davor, daß es plötzlich vorbei ist mit dem Nicht-alt-Sein, ist sicher für viele Menschen real (und deshalb überdenkenswert) – grad für die, die das eigene Sichverändern verdrängen. Wer sich bewußt erlebt, das ist richtig, sieht sich dabei zu und muß damit leben.

  2. @ANH Reichlich entsetzt bin ich über Ihre Glorifizierung des Freitods aus “Altersgründen”! Welcher gesellschaftliche Abgrund sich hinter dieser Art von Legitimierung des Suizids verbirgt, kann indes wohl erst begreifen, wer sich einmal freiwillig dem Anblick einer Bettenstation für Innere Medizin, einer Palliativstation oder eines Hospizes gestellt hat. Wie soll man als Arzt oder Pflegekraft seinen geriatrischen multimorbiden Patienten (respektive deren Angehörigen) erklären, dass sie, die sich offensichtlich entschieden haben, bis zum Letzten auszuharren, hier “Zuflucht in der Behinderung oder gar Schädigung anderer nehmen”, während es doch, dem Vorbild Fritz J. Raddatz gemäß, eine viel “ästhetischere”, da ökonomischere Lösung für sie gäbe? Nein, wen gegen Ihre Sichtweise, Herr Herbst, nach einem anderen Blick auf den Prozess des Sterbens, dem Leiden daran und dem Tod als tatsächlichen Übertritt ins Leben verlangt, dem sei unbedingt Tolstois “Tod des Iwan Iljitsch” empfohlen.

    1. @schaakej zur “Glorifizierung” des Freitods. Ich glorifiziere nicht, sondern klage das Recht des selbstbestimmten Menschen ein. Und sehr wohl kenne ich Hospize und auch sonstige Sterbestationen. Indessen sind aber schon die Zustände auf den Demenzabteilungen der Altersheime in aller Regel unerträglich.
      Den Tod als einen “tatsächlichen Übertritt ins Leben” zu sehen, halte ich für eine christliche, bzw. monotheistische Ungeheuerlichkeit, die das Leben verrät und den Menschen an seinem Ende zu einem würdelosen und oft genug auch würdelos behandelten, sich bis zur Bewußtseinslosigkeit quälenden Geschöpf macht. Dabei hat die würdelose Behandlung sicherlich in den wenigsten Fällen “böse” Gründe, sondern resultiert aus Abstumpfung und Abwehr, allerdings auch, und nicht zuletzt, aus den Kapitalinteressen der medizinischen und pharmazeutischen Industrie, denen “zugearbeitet” wird.
      Schon insofern halte ich “Ihrem” Iwan Iljitsch mit meinem eigenen Recht die neunte >>>> Bamberger Elegie entgegen. Angehörige, die ihre Verwandten sich derart quälen lassen, wenn sie die Möglichkeit haben, so etwas zu beenden, halte ich für dumm oder verblendet, oder sie sind zu feige, um Verantwortung zu übernehmen. Es wird absolut Zeit, daß wir auch das weltliche Recht bekommen, zu gehen, wenn wir selbst es für richtig halten. Das heißt nicht, daß sich jeder töten muß, sondern ob und wann man es tut, bestimme jedefrau/jederman selbst. Wie menschlich wäre es doch, gäbe es dafür sogar einen Ritus, so, wie ich einen solchen in >>>> Argo beschreibe, wo sich um die und den, die und der stirbt, die Liebsten versammeln, um ihn bis an die Tür zu begleiten, durch die man dann alleine tritt.
      Ihre Idee, daß es mir um ein, wie Sie schreiben, “ästhetisches”, gar “ökonomischeres” Sterben gehe, zeigt sehr deutlich, w e r von uns beiden auf der Seite des Unmenschen steht, und zwar gerade, wenn man Sterbestationen kennt. Im übrigen gehört es zur Struktur eines offenbar von Ihnen vertretenen Glaubens, gegen die leider gängige Wirklichkeit ausgerechnet ein Buch zu nennen. Sätze machen niemanden satt, löschen auch niemandes Durst, allenfalls können sie trösten: Gerade als Dichter bin ich mir dessen permanent schmerzhaft bewußt.

  3. @ ANH
    „Angehörige, die ihre Verwandten sich derart quälen lassen, wenn sie die Möglichkeit haben, so etwas zu beenden, halte ich für dumm oder verblendet, oder sie sind zu feige, um Verantwortung zu übernehmen.“ Darüber kann und darf kein Angehöriger entscheiden, und zwar hat dies gute juristische Gründe. Denn meist sind die Angehörigen der direkten Linie erbberechtigt. Da wird manches „Abschalten“ nicht unbedingt von humanistischen Gründen getragen oder aus lauter Mitleid heraus gesprochen. Die Tötung auf Verlangen ist juristisch insofern eine schwierige Angelegenheit. Selbst da, wo einer vermeintlich selber entscheidet, werden sich juristisch manche Fallstricke finden, wo an einer autonomen Wahl sich zweifeln läßt. Die Jurisprudenz muß alle diese Fälle bedenken, wenn Sterbehilfe oder Sterbebegleitung zugelassen wird. Raddatz, dessen Haltung ich mit Achtung begegne, denn wenige haben dazu den Mut, ist sicherlich ein Sonderfall.

    Es war Foucault, der schrieb, daß wir für alles mögliche vorbereitet werden und es Plätze gibt, die uns erziehen, bilden, ausbilden, heilen, genesen lassen – Schulen, Universitäten, Sanatorien, Kliniken usw. – nur für den Tod existiert außer der Kirchenkapelle und dem öden Beichtvater nichts. Insofern wäre es sinnvoll, so Foucault, Sterbehäuser einzurichten, in denen wir selbstbestimmt in den Tod gehen, wo wir Abschied nehmen können, wo wir uns auf den selbstgewählten Tod vorbereiten können, dessen Zeitpunkt wir frei bestimmen. Foucault sprach in dieser Angelegenheit vermutlich pro domo. Hospize kommen der Sache sicherlich nahe. Es bleibt das juristische Problem.

    Was die Wahrnehmung des Alters samt dem sich daran anschließenden Tod betrifft: da hat doch in unserer Welt der Meinungen jeder seine Ansicht. Hübchens ist so gut wie Herbstens oder die des Iwan Iljitschs. Wir zimmern uns Bilder, Wörter, Referenzmodelle, um vor dem Unbegreiflichen bestehen zu können. Die einen schreiben gegen den Tod an, die anderen leben gegen ihn an, die anderen beten für oder gegen ihn, die anderen bedenken ihn nicht und leben wie ewig, andere machen ihn in den §§ 44–53 ihres Werkes zum Scharnier. Traurig ist es freilich, wenn einer das Diesseits und die Fülle dieser Zeit in Welt so wenig achtet, daß er sich für ein Leben danach, welches freilich ausgesprochen ungewiß scheint, als prädestiniert sieht. Andererseits kann man natürlich auch sophisticated genug sein und Pascals Wette in Anschlag bringen.

    Habe ich richtig gelesen, daß Sie sich selber als homophob bezeichnen?

    1. @Bersarin zur Homophobie. Ihre Argumente gegen die Entscheidungsdignität von Verwandten sind stechend; ich schränke meine Einlassung also ein. Um so wichtiger wird die Möglichkeit der Selbstentscheidung. Ich habe meine Position >>>> im heutigen Untriest soeben noch einmal eingehender dargestellt. Sind nicht aber selbst Erbschaftsgedanken und daß sie eine Rolle spielen sollten, angesichts eines Dahinvegetierens völlig ohne Belang? Hier wird doch abermals das Sterben unter das Diktat reiner Wareninteressen gestellt – die dann, nur eben als ihre vermeintliche Abwehr, zum Kriterium gemacht werden.

      Kurz noch zum “Homophoben”; es ist kein, sagen wir, instinktives Zurückzucken, sondern hat etwas mit meinen Lebenserfahrungen zu tun, der ich seit frühen Jahren für Homosexuelle immer ein Objekt starker Anziehung gewesen bin. Das ließ sich stets und läßt sich noch zivilisiert lösen. Es genügt in aller Regel zu sagen, tut mir leid, ich bin stockhetero. (Ein guter Freund einst: “Kannst du denn nicht wenigstens ein bißchen b i sein?”)
      Nein, meine “Homophobie” rührt vor allem aus beruflichen Erfahrungen im Kunstbetrieb: daß nämlich Schwule – gar nicht anders als Heteros gegenüber “untergebenen ” Frauen – dazu tendieren, gerade innerhalb künstlerischer Netzwerke, aufgrund ihrer geschlechtlichen Disposition zu integrieren und auszuschließen. Da sich so oft erotische Wünsche auf mich fokussiert haben, die ich enttäuschen mußte, ist mir letzteres immer wieder widerfahren, oft sehr schmerzhaft und mit nachhaltigen Folgen; d.h. “Körbe” wurde machtpolitisch “beantwortet”. War man dem mehrfach ausgesetzt, geht man auf Distanz. Solche Ausschlüsse sind oft genug mit versuchter Diskriminierung verbunden.
      Prinzipiell aber ist es mir völlig wurscht, ob man sich sexuell zu einer Frau, einen Mann, einer Katze, einem Kochherd hingezogen fühlt. Einer der mir allernahsten Komponisten der Gegenwart, Britten, ist homosexuell gewesen. Das nimmt meiner Wertschätzung, ja tiefen Bewunderung nichts.

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