Mit Inherent Vice. Untriest 36: Freitag, der 27. Februar 2015.

Arbeitswohnung, 9.35 Uhr.


Unser Gespräche, Liebste, auch wenn ich sie nur innerlich führe, gehen mir sehr lange nach, die Blicke (lange sah ich aber nur die Zimmerdecke), Deiner Stimme Tremolieren, eine Verhaltenheit wie der dämpfende Deckel auf einem Topf, der Vulkan ist, wie auch meine eigene, eine zivilisierte Gedämpftheit, die den Druck nur in warmen Portiönchen hinausläßt, Dir annehmbaren, worauf ich sogar in solch einem Traum streng achte, weil ich nicht riskieren mag, daß Du mich fliehst, all dies bewegt mich oft stundenlang weiter, sogar noch im Traum in die Träume und weiter nach dem Erwachen. Dazu war gestern die Löwin zu halten, der es auch tagsüber schlecht ging, also nicht nur im Traum. In der kommenden Woche fahre ich für knappe drei Tage zu ihr; arbeiten kann ich auch dort. Denn war es nicht ich, der Polyamorie das Wort zu sprechen und eben auch das Herz, und wär‘s nicht darum an mir, dem mich gewachsen zu zeigen? Das Problem ist freilich eines des Ungleichgewichts, eben des Traums und der Realität, >>>> mit Pfaller gesprochen der inneren Zweiten und der äußeren Ersten Welt zueinander, gerade auch eines ständig Ungesagten, weil es sich sagen nicht darf und nicht läßt, und der Erfahrungen, weil sie uns als gedauerte fehlen – wir werden einander wohl Wunschbild bleiben, ich als das Deine verschlossen, Du als das meine zu Dichtung, wie dieser, verflüssigt. Das ist für andre, wenn sie uns lieben, nicht leicht zu ertragen, beides nicht, nur daß die Verschlossenheit erlaubt, sich zu täuschen.
Ich sitze wieder, darum dieser Ton, an den Triestbriefen, nachdem ich gestern die zweite Tranche des Traumschifflektorats durchgearbeitet habe und nun wieder nicht weiß, was ich tun soll, bis mich die dritte erreicht. Auch auf das Hörstück muß ich ja warten; vor Montag werde ich nichts hören. Also ein nächstes Gedicht? ja weiter mit den >>>> Brüsten der Béart, die allerdings ein völliges michUmstellen verlangten, eine hymnische Justierung, Umnordung, aus der ich sofort wieder herausfiele, herausfallen muß, wenn das Lektorat weitergeht? Triest, weil nicht nur ungefähr eine Antwort auf das Traumschiff, ist ihm näher… – Den Abschied haben beide als Thema, wenn auch Triest als eine, wie immer auch geendet, Ankunft. Von daher, übrigens, hat es eine geradezu unmittelbare poetische Logik, daß der Abschied subjektiv erzählt wird, aber die Ankunft – als die eines anderen – auktorial. In den Brüsten der Béart spricht hingegen ein lyrisches Subjekt, das als direktes Gegenstück des „idealen Lesers“, einer in aller Regel „idealen Leserin“, von Anfang bis Ende imaginär ist.
„Du hast die Frauen auf deiner Seite“, bemerkte die Löwin gestern in Bezug auf meine Arbeiten. Nun ja, dachte ich, ‚nicht alle‘ – nicht in den speziell „männlichen“ Aspekten der Weltentwürfe meiner Romane; da mögen sie so matriarchal grundiert sein, wie sie nur wollen. Es kann aber sein – >>>> Meere, Traumschiff und nunmehr die Briefe scheinen das zu belegen -, daß mit dem Anderswelt-Abschluß etwas objektiv Neues in meine Poetik geraten oder aus der Trilogie hervorgegangen ist und sich herausschält; also wär es nicht neu, sondern Folge. Und in der Tat! Welche Frau wollte nicht, in ihrer inneren Zweiten Welt, so geliebt werden, wie Daron liebt, von dem die Briefe jetzt erzählen (deren „Gegenstand“ eben nicht mehr meine Liebe zu Dir ist). Doch die Verhaltenheit, in die der intensiv-warme Strom unserer Begegnung hineingeflossen ist, gehört als die scharfen Falten des Alterns dazu, die sich in das Gesicht meiner Poetik geschnitten haben. Vergiß nicht, daß dieses Wort, Verhaltenheit, eng mit Verhältnis verwandt ist. (Diese unverblümte Sukzession der „V“s allein!)

Also gestern abend war ich in >>>> Inherent Vice:


Läuft der Film auch bei Euch in Triest? Geh unbedingt hinein. Lange habe ich keine solch poetisch-perfekte Komposition mehr gesehen. Zuerst merkt man es – nahezu immer im Spielfilm – am Einsatz der Musik. Schon bei Andersons Magnolia war sie mir aufgefallen, worin sie geradezu tragendes Strukturmerkmal ist. Hier nun hat >>>> Jonny Greenwood gerade in den ausgesprochen deutlich an Messiaen, von dem er seit früh beeinflußt ist, erinnernden Streich(quasiquartett)passagen einen ungemein einprägsamen Klang entwickelt, der mit den Songs, die das Zeitkolorit der 70er tragen, auf das eindrücklichste zusammengeht. Und anders, als jetzt hier und da zu lesen ist, ist auch die Geschichte, der sog. Plot, ohne jede Verwirrtheit, sondern einfach lakonisch, als Kriminalgeschichte durchaus im Stil Dashiel Hammetts erzählt; wo das „unüberschaubar“ sein soll, ist mir nicht klar. Es gibt auch nicht eine Minute lang sogenannte Langeweile; meinethalben hätte der zweieinhalbstündige Film noch eine ganze Stunde weitergehen können. Auch daß die Bildästhetik auf ersten Blick ein wenig „retro“ wirken mag – etwas, das mir nicht so gefällt –, erweist sich in Inherent Vice schlichtweg als historische Notwendigkeit; es wird ja nicht als ein Jetzt projeziert. Wer die Siebziger bewußt erlebt, also das dafür nötige Alter erreicht hat, wird vielmehr wiedererkennen. Auch der Einwand meines Freundes, der mich begleitete, sticht nicht, demzufolge der Film „leider etwas prüde“ sei. Das Gegenteil ist der Fall. Allein die Szene, in der Shasta „Fay“ (!!!) Hepworth, deutlich angelüstert, mit ihrer rechten Brustwarze spielt, ist in ihrer Erotik für das US-amerikanische Kino ausgesprochen ungewöhnlich schamlos, auf die „fay“-Weise einer Kindfrau freilich, die aber genau dem Typos des damals begehrten Hippiemädchens entspricht: Geilheit, die naiv bleibt. Dazu der dauerstoned‘te Joaquin Phoenix – weißGöttin, dachte ich, der bessere >>>> Wolverine. Und vor diesem Film hätte ich nicht für möglich gehalten, daß sich sogar die Syntax Thomas Pynchons bildlich derart nachdichten läßt.
Also, ich kann Dich nur bitten, schau ihn Dir an, diesen Film!

Zurück in mein eigenes Tagwerk. Triestbrief 10, Neufassung. Mal sehen, wie weit ich heute komme.

Ständig bei Dir,
A.

P.S.:
Soeben erreicht mich der wieder einmal ausgesprochen ästhetisch gestaltete neue >>>> Horenband:


Darin meine kleine halb theoretische Mauritiusfantasie, halb ist sie eine Rhapsodie aus Prosa: „Im Blick eines Mädchens von allenfalls zwölf“.
*

3 thoughts on “Mit Inherent Vice. Untriest 36: Freitag, der 27. Februar 2015.

  1. (Ich hörte von Stimmen, die von Andersons Film Verbindungslinien zu Quentin Tarantino ziehen. Das ist kompletter Blödsinn; während Andersons Arbeit prinzipiell feingriffig und von atemberaubender Einfühlung ist, setzt Tarantino stets aufs Ordinäre, Brutale und menschlich Gemeinste, an dem er sein Publikum sich – scheinintellektuell verbrämt – einen abwichsen läßt. Tarantino ist tatsächlich “trash”, also Abfall, Müll, in dem man sich unsanktioniert suhlen darf und soll. Dem mag eine gewisse “Katharsis” eignen, weil, wer das braucht, imaginär die innere Sau rauslassen darf; kann sein; mein Stall ist das nicht. Anderson dagegen fächert Innenwelten auf, o h n e die eigene und die fremde Aggressionsgier zu füttern.)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .