Die Phase7 und eine begehbare Oper im Ende der Zeit. Maurizio Kagels und Christian Steinhäusers Himmelsmechanik – Eine Verortung zur Eröffnung der Spielzeit 2013/14 in den Foyers der Deutschen Oper Berlin.

[Fotos: ANH/iPhone.]



Ein Libretto ist eigentlich, zumal in der Moderne, egal. Könnte man meinen. Denn das Regietheater bricht eh nur Steine heraus – oder um die Librettistin Christiane Neudecker zu zitieren: „Der Nachteil allerdings ist, daß der Text in bestimmten Tonlagen kaum noch verständlich ist“, weshalb sie froh sei, wenn die Zuschauer die Möglichkeit hätten, ihn nach- oder mitzulesen. Nun ist auf jeden Fall ein Mitlesen in den Räumen der Installation nicht möglich, was aber das Nachlesen anbelangt, macht mich das eher unglücklich. Denn der im Programmheft abgedruckte Text läßt mich fast dankbar dafür sein, daß er mich während >>>> der Aufführung, was er ganz sicher getan hat, nicht aus ihr hinausgetrieben hat. Man liest da nämlich sowas:Regenbögen zerrissen
im Mausoleum aufgebahrt
Blutstropfen glitzern
auf ihren
(der Regenbögen!) Hälsen

Wundbrand klafft eiternd
schmeckt Schwären
geschmolzener Wolkenfetzen
mit jedem Himmelsschrei


Nicht etwa, daß dies eine alliterierende Satire auf schlechte Lyrik des Expressionismus sein soll; sie wäre freilich ihrerseits schlecht – nein, Frau Neudecker meint ernst, was sie da geschrieben hat – ernst nimmt es jedenfalls der Komponist Christian Steinhäuser und wohl auch der Regisseur Sven Sören Becker. Frau Neudecker hat darüber hinaus auch kein Problem damit, aus „Diktatoren“ (wörtlich „Detektoren-Diktaturen“) „Tick-tack, Tick-tack“ abzuleiten, was dann in die „Sprach“coda Tick-Mir, Tack-Dir“ führt und weiter:Dir-Mir Mir-Dir
Dass die
Welt verrückt
Dass die
Welt verrückt
Dass die Welt verrückt
sein mag
und dann, weil das beides fernliegt:Verrückung!

Verzückung!

Nein. Mit dem Abdruck dieses Librettos hat sich niemand einen Gefallen getan. Aber das Libretto ist bei einem Stück, das eine Erzählung gar nicht will, ich schrieb es schon, egal. Es ist ein Steinbruch, man kann musikalisch aus allem was machen.
Denn wirklich gibt es faszinierende Momente an dieser Opern-Installation, die sich vom unteren Foyer bis zu den oberen Rangebenen erstreckt mit einem, gewissermaßen, eigenen Foyer der Installation-selbst: Dort, am Eingang zum eigentlichen Stück, wird Maurizio Kagels „Himmelmechanik“ aufgeführt – als gewissermaßen Ouvertüre zu Christian Steinhäusers Installationskomposition „Dass die Welt verrückt sein mag“. Aus der Himmelsmechanik entwickelt er denn auch einige Motive; die Zusammenstellung ist durchaus nicht beliebig, und dort, wo seine Musik Kagel quasi zitiert, ist sie auf hohem Niveau wirksam. Schon, daß das funktioniert, läßt einen staunen, und es macht Respekt. Deshalb will ich diese meine Besprechung nicht einfach nur als einen Verriß verstanden wissen, vielmehr als ein Nachdenken und einen Katalog von Fragen, die an einige mehr solcher, sagen wir, Performances zu richten sind. Hier geht es – künstlerisch – um Prinzipielles.

Die Fabel ist kurz und banal: Die Himmelsmechanik stimmt nicht mehr, alles, im materialen Sinn, hängt schief; es steht das Ende der Welt bevor. Wo bei Kagel eine fast märchenhaft-naive Naturschau inszeniert wird, besonders auch klanglich (Wind, Donner, Regen – und wie ein kleines Kind berührt, so schaute ich hoch, als auf mich ein Federrieseln von Konfetti niederschneite), wird Steinhäusers Operninstallation von Anfang an komplex.
Mit einem Nachrichtensprecher geht es los, der im Fernsehen die schlimme Nachricht kundgibt. Er tut das drei Mal insgesamt, beim dritten sind die Wörter quasi permutativ durcheinandergeraten („Herren, verehrte, meine sehr gute Dame und Abend, hier sind die Fernrichten mit dem deutschen Nachsehen“), was das umherschreitende Publikum schon mal tüchtig amüsiert:

Das Amusement ist, wie wir wissen, schon die halbe Miete. Man fühlt sich fein beentertained. Nun aber geht es in die eigentliche Installation hinab; schief angeordnete opak transparente Wände, in die man von der Treppe aus hinabsieht, fügen sich zu schmalen, programmatisch schiefen Gängen, durch die nun mehr oder minder desorientiert flaniert wird; oder man bleibt stehen und lauscht nur oder schaut sich in den kleinen Fernsehbildschirmen kritisch gemeinte Spots an. Zu denen noch nachher.
Die Sänger gehen herum, singen – Noten und Text sinnvollerweise auf tablets – aus dem Libretto gebrochene Steine, etwa tölt plötzlich laut „Stiftung Warentest!“ Elektronische Musik, deren Klangorte wechseln, ja sie können sich – das in der Tat ist faszinierend – bewegen, wird von zugespielten Kammerstreichern (einem Quartett, hatte ich den Eindruck) teils unterlaufen, teils übernehmen sie die klangliche Führung, sowie musizieren außerhalb der Installation, aber durch eine Glasscheibe sichtbar, Perkussionisten auf u.a. Marimba und Xylophon. Klanglich dabei besonders schön, wenn die Tafeln mit dem Geigenbogen gestrichen werden. Der perkussive Ton insgesamt wird aber nicht direkt gehört, sondern in die elektronische Zuspielung eingespeist. Als „reales“ Instrument zu hören und zu sehen ist allein das Englischhorn, dessen Tonführung-allein einen Besuch dieser Performance lohnt. Ein inniges Kompliment, also, an Chloé Payot:

Wir waten durch Licht – was aber auch nicht wirklich neu ist; nahezu jede einigermaßen psyche-,sagen wir,-delische Performance, sei es der populären Musik, sei es des Tanztheaters hat in den letzten Jahren ähnlich gearbeitet, und was die Elektronik anbelangt, so war Pierre Henry – in den Fünfzigern! – ästhetisch um Lichtjahre weiter. Eben deshalb machte das futuristische Interieur dieser Installation auf mich einen seltsam regressiven Eindruck, obwohl es andererseits wirklich wunderbar ist, was die Bühnengestalter der >>>> phase7 aus dem Foyer der Deutschen Oper gemacht haben:

Das regressive Moment wird besonders von den Kammermusikstreichern getragen, die Harmoniefolgen spielen, für die ein Freund, der mitwar, den passenden Begriff sofort auf der Zunge hatte: Arvo-Pärt-Kitsch. Das erste große Problem – nach dem des Librettos – ist, daß dieser Kitsch sich über die gesamte Inszenierung stülpt, weil alleine er die Emotionen des Publikums affiziert, das sich auf diese Weise richtig wohlfühlen kann, wiewohl die Erzählung selbst eine des Untergangs sein will. Das zweite große Problem sind die Videos, die ich aufgrund der sehr kleinen Bildschirme „Videochens“ nennen möchte, videocelli, und die die ohnedies, etwa durch die kalauerhafte Sprachbehandlung, bestehende Tendenz zur Verniedlichung noch verstärken. Auch das kommt freilich dem Wohlsein des Publikums entgegen, das nicht wirklich fürchten muß, sondern sich im vorgeführten angeblichen Unheil wohlig ergehen kann. Besonders bitter ist das nicht dort, wo im Bildschirm hübsche Frauen im Bikini Maschinengewehre vorführen, sondern wo, ganz in der hinteren Ecke, Millionen Küken auf Fließbändern der >>>> Häckselmaschine zugetragen werden, für sich genommen ein ganz furchtbares Filmbild, hier eine fast putzige Installationsillustration.
Nachdem in der Erzählung klarwird, es sei die Schieflage der Himmelsmechanik nur noch mit äußersten technischen Mitteln – und allenfalls! – wieder zu richten, wird das Publikum – bei Frau Neudecker lesen wir dazu tatsächlich die Regieanweisung „Wappnung des Volks“! – nunmehr aufgefordert, sich unverzüglich ins „Innere der Maschine“ zu begeben; bevor dieses Volk das auch tut, bekommt ein jeder einen weißen Kittel, so daß man irritiert sich fragt, ob wir vielleicht fortan als medizinisches Hilfspersonal mit Hand anlegen müßten – auch hier bleiben wir immer auf der „richtigen“ Seite, nicht etwa der Opfer, nein, der Macht. Und hören dann den mehr oder minder unverständlichen, weil in verstümmelten Wissenschaftsworten vorgetragenen Expertisen der Spezialisten zu. Dazu lasert’s über uns in mehreren Strahlen rot, immer wieder wechselt die Psychedelik, die Spezialisten werden in transparente Zylinder gehüllt, die jeder erst über ihnen hingen und sich dann auf sie herabsenken, aber sie heben sich auch wieder; schließlich war alles vergebens, und die Spezialisten, die uns in unserer seichtvergnüglichen Hilflosigkeit zurücklassen, kleiden sich in Schutzanzüge, bzw. Überlebenstrainings-Dress, und dann gehen sie über die Treppe davon. Vorher haben sie noch einen enormen Einfall Frau Neudeckers gerufen, der mich nicht nur ästhetisch überzeugte, sondern auch erschütterte: „Wenn Gott nicht würfelt, würfeln wir!“ Damit war die Inszenierung dann gänzlich auf den Dall gekommen, >>>> Karl Dall, Sie erinnern sich? Jetzt aber schreiten sie die Treppe hinan und singen mit Refrain, der folgendes fragt: „Ist es jetzt getan?“

Nein, ist es nicht! Das hätte ich gerufen, wäre das Stück denn zueEnde gewesen. Das war es aber nicht. Sondern (Regieanweisung: „Leerstellen“ – ! – „füllen: Nachrichten des Aufführungstages, so aktuell und kirzfristig wie irgend möglich“) der Nachrichtensprecher spricht erneut. Mubarak sei verlegt worden, und über Israel seien Raketen niedergegangen. „Zu der Verrückung“, aber, „einer unlängst beobachteten Verschwenkung gibt es keine weiteren Informationen“ usw. blablabla. „Und jetzt: das Wetter.“
Da lachen wir aber was! Und rufen Bravi, als es dunkelt.

Dennoch möchte ich, daß die Deutsche Oper Berlin die neue Spielzeit mit einem Werk der Neuen Musik beginnt, für ein gutes Zeichen halten. Und der Kagel hat sich, o h n e Wenn, gelohnt.



Maurizio Kagel/Christian Steinhäuser
HIMMELSMECHANIK – EINE ENTORTUNG
Eine begehbare Oper in der Deutschen Oper Berlin,
szenisch realisiert von >>>> phase7.

Bühne phase7 performing.arts – Kostüme Pedro Richter – Musik Christian Steinhäuser
Libretto Christiane Neudecker – Licht Björn Hermann – Softwarekunst Frieder Weiss
Videokunst Hajo Rehm – Safy Etiel – Dramaturgie Anne Oppermann, Dorothea Hartmann
Projektmanagement phase7 Jana Posth – phase7 Kommunikation Liza Wiegand

Sopran Anna Schoeck – Mezzosopran Dana Beth Miller – Tenor Clemens Bieber – Bariton Stephen Bronk – Der Maler Peter Gragert – Nachrichtensprecher Henning Kober
Musiker des Orchesters der Deutschen Oper Berlin. Kevin McCutcheon.

Die nächsten Vorstellungen:
Freitag, 23., Sonnabend, 24., Sonntag, 25., Montag, 26. August 2013.
Jeweils um 19 Uhr.
>>>> Karten.

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