[Alloggio del Conte, Terrazza.]
Auch der Flur des Alloggios schläft noch:
Meine Ziele dieses nichts Donars-, sondern Jupiterstags sind vor allem der, auf der anderen Seite des Stadt, Palazzo Donn’Anna, Symbol der Porosität an sich, so Raffaele da Capria, der drin aufwuchs, und dann will ich übern Pizzofalcone streifen, zum Palazzo Serra di Cassano, von dem ich ebenfalls gestern schon sprach. Der Falkenfelsen schaut aufs untergegangene Viertel Santa Lucia hinunter, das sich vorm Castel del’Ovo drängte, bevor Ende des 19. Jahrhunderts die Bereinigung der Elendsquartiere eingesetzt hatte; in die Folklore ging die Gegend erst nach ihrem – quasi – Verschwinden ein: Wehmut nach dem, worunter man aber auch litt.
Fegen, fegen, fegen. Kaum zu glauben, wie viel hier gefegt wird. Mir kamen vorhin Müllautochen entgegen, ihnen voran je zwei Straßenfeger mit einem Gebläse, das verbliebenen Abfall vor sich hertrieb, zu Haufen, die dann aufgenommen werden; die Müllwagen selbst besprühen die Gassen mit Wasser. Das Problem ist die Mülltrennung, die nicht durchgesetzt wird; in den Vierteln, wo man sie einführte, funktioniere sie, las ich, vorzüglich; aber „draußen“ werde alles wieder zusammengeschmissen. Man preßt, was aus der Stadt herausgeschafft wurde, zu Ballen, die endgelagert werden müssen. Das geschieht auf Kampaniens Feldern außerhalb der Stadt; werden diese Ballen verbrannt, werden Giftstoffe frei, die in die Böden sickern. Die Endlagerung wird fast ausschließlich von „il sistema“ besorgt. „Aber dann vergiften wir das Grundwasser“, wendet ein ehrenwertes Mitglied ein, worauf sein, ich sage jetzt mal: Herr: „Mir egal, ich trinke sowieso Mineralwasser.“ So erzählt es Roberto Saviano. Die Felder wurden und werden Bauern abgekauft, die sich gegen die Supermarktketten nicht behaupten können. – Vor den offiziellen, sagen wir: staatlichen Deponien besteht aber eine ganz ähnliche Angst, und sie ist genau so begründet. Man möchte nicht vergiftet werden, daher der Protest.
So, die bereits aufgenommenen Töne auf den Laptop bringen. Rasieren, duschen, dann hinaus.
Es wäre Paradies, bedürfte es nicht nicht nur einigen, sondern vielen Geldes, um hier zu leben. Nahezu der gesamte, ins Meer vorgeschobene Hand ist neapelseitig privat: Villen, Residenzen, die meisten mit steilem, hinunter, Zugang zum Wasser, kleinen Stränden, ins Meer hineingebauten Stegen und, zum Bräunen, Plafonds, und überall der Blick auf den Vesuv im weiten Westen über den in hellstem Blau strahlenden Golf bis nach Sorrent und Massalubrense, und auf Capri „halb“ südlich, mitten darin. Die Deutschen – bei denen ich mir nie klar bin, wen ich eigentlich meine, und was: welches Deutschland also, das von 1848, 1871, 1915, 1945? oder eines davor? den „deutschen“ Staufer, horror et stupor mundi, Federico Secondo, der im Kyffhäuser schläft, nennen die Neaopolitaner „suevo“: „Schwabe“- haben ihre Spuren hier hinterlassen, Villa Thalbach, zum Beispiel, direkt an der via Posillipo, aber schon vorher, die Viale Dohrn als Ehrung für den Biologen des Neunzehnten Jahrhunderts, dem Neapel Wahlheimat war und blieb; von seiner >>>> Stazione Zoologica war gestern schon die Rede.
Posillipo liegt im Osten der Stadt; für das Gefühl ist es Norden, den harten Quartieren des Mercato quasi gegenüber mit einer harten Trennung der beiden großen Stadtbereiche – Hafenanlagen, Mercato hier, Riviera di Chiaia, also der berühmte Golf-Lungomare, und Posillipo dort; der „verbindende“ Teil, das kleine Santa Lucia zu Füßen des Pizzofalcone, ist verschwunden; dort stehen nun die Nobelhotels, und dahinter läuft ein Bürgerviertel und reibt sich am Fels, der tatsächlich, gesamtstädtisch, alles verbindet, der zerklüftete Tuffberg, aus dem die Stadt quasi herausgehauen, in den sie hineingegraben und -gesprengt ist und den sie überbaut hat, als hätte sie über ihre Jahrhunderte die Zerklüftungen gen Himmel wiederholen wollen und wiederholte sie immer noch weiter: die Stadt selbst ist ein Gebirge, nicht etwa liegt sie pur am Hang. Für den Fremden ist es ein Abenteuer, sich ständig neu zu orientieren: imgrunde müßte man mit Höhenkarten spazieren, um allein den Stadtplan zu verstehen. Napoli – neapolitanisch „Napule“ – ist eine Dschungel. Vielleicht ist diese Stadt auch deshalb mir so nah: eine Dschungel mit direktem Zugang zum Meer.
Der Lungomare ist momentan gesperrt; im Februar sind wir ihn noch entlangflaniert. Aber nun wird >>>> der America’s Cup vorbereitet, der heute hier beginnt, nach anderen Quellen am 16.; dann jedenfalls sollen die meisten Segelboote hier sein: die schnellsten und größten Yachten der Welt. Selbstverständlich werd ich mir das ansehn, einen Tag vor meinem Abflug. Paßt. Ich kenne jemanden, der neidisch sein wird. Dem muß ich Fotos machen.
Ich habe nach dem „Rettifilo“ – der, so der Volksmund, „Schnurgraden“ -, also dem Corso Umberto I den 140er genommen, der unten durch den Pizzofalcone hindurch in einem nachtschwarzen Tunnel direkt an die Chiaia führt, von dort in weitem Bogen bis nach Mergellina, dem zweiten, vor allem privat und von Aliscafi genutzten Hafen der Stadt, sehr viel kleiner, verschwindend klein gegen den großen, doch edel und teuer, aber auch einfache Fischerboote seh ich am Strand, und von Mergellina aus die via Posillipo den Posillipo hinan; aber kurz nach Mergellina steige ich aus und gehe zu Fuß weiter. Denn der Palazzo Donn’Anna ist schon von weitem sofort kenntlich; man muß nur von ihm wissen:
Nein, Zutritt verboten Privatbesitz. An den Palazzo degli spiriti ist gar nicht mehr zu denken – wie er ebenfalls genannt ist, weil die ermordeten Liebhaber der hedonistischen Fürstin, die einst darin wohnte, immer noch in ihm spuken; er habe immer ein Schauden gespürt, erinnert sich da Capria seiner Kindheit, wenn er heimkam oder hinausging. Neapel, man darf das nicht vergessen, ist auch eine Stadt der Toten, die für lebendig gelten und hier ein eigenes Ritual in der Anrufung des Purgatorio haben und die man untertage besucht, in den in den Katakomben angelegten zivilen Friedhöfen, die nach wie vor existieren. Man hat ein instinktives Verhältnis zum Feuer, das für Leben gilt wie das Blut.
Aber nichts. Nein. Die zwei Frauen und der eine Mann in der Portière sind hart und lassen sich nicht bereden. Daß ich ein deutscher Schriftsteller sei, der über Neapel und also auch diesen Palazzo schreibe, beeindruckt sie nicht. Nein, ich darf auch keine Fotos machen, wegen der Nummernschilder der im weiten Cortile abgestellten Autos: Man soll die nicht erkennen, wird mir erklärt. Dabei wäre es ein leichtes, von der Straße her mit einem Teleobjektiv gestochen scharfe Aufnahmen zu machen. Logischen Argumenten mag man aber auch nicht zugängig werden. Wie eine Löwin vor ihr Junges stellen sich die drei vor den Palast. Dennoch bekomme ich mit dem Ifönchen ein paar schnelle Bilder hin:
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Der Park ist für seine Liebespaare berühmt, und als ich später Michele, meinem Wirt, von meinem Ausflug erzählte, erzählt seinerseits er von seiner Jugend, und daß er doch… „Jaja, auch ich war einmal jung“, wozu er lacht. Tatsächlich sind die Flächen von jungen Leuten, aber nicht nur von Pärchen, gesprenkelt. Mein Rundgang zeigt, warum. Der Virgiliano gehört zu den schönsten Parks, die ich je sah – nicht der Anlage selbst wegen, nicht gartengestalterisch, sondern wegen der unfaßbar tiefen Blicke, und weiten, am Ostrand über den Golf, ganz Neapel bis zum Vulkan, übers Meer nach Capri, selbstverständlich, aber vor allem auf der Westseite sind es die Blicke zum kleinen Nisida hinüber, einige Zeit lang Verwaltung des Stützpunkts der 6. US-Flotte; noch heute wird der Hafen von der NATO genutzt; darüber Procida, Ischia: sämtliche phlegräischen Inseln auf einen Blick. Schaust du den Hang hinab, hörst Du das Meer gegen einen Naturbogen tosen, der aus dem Wasser wie der Rücken eines ausgehöhlten Delphins ragt:
Noch mehr. Gibt’s zu erzählen. Aber ich bin ja zum Essen eingeladen von Michele, der schon in der Küche steht:
Erzählen aber will ich weiters von Santa Lucia zu Füßen des Pizzifalcone, vom ersten Stein, den niemand werfe – und davon, daß am Westrand des Parks eine Büste Simon Bolivars steht und nah am Ausgang ein Denkmal dem Apostolo della pace Mahatma Ghandi.
città della scienza ist allerdings am 4. märz d.j. abgebrannt, mehrere boote hätten sich nachts genähert. also brandstiftung. brandherde an mehreren stellen. nicht schwer sich vorzustellen, wer dahinterstecken mag.
http://www.europaquotidiano.it/2013/04/04/citta-della-scienza-riparte/
also es gab sie schon (seit 1996), nun kommt der wiederaufbau:
http://it.wikipedia.org/wiki/Citt%C3%A0_della_scienza
Danke. Für die Korrektur, bzw. die Ergänzung.
Und herzlich aus dem Süden nach, nun ja, nicht g a n z dem Norden.
pedanterien (würde ich’s mal nennen, aber dennoch nicht wirklich überflüssig):
“allogio” gibt’s nicht, aber “alloggio” schon;
“rettifillo” ist sehr fühllos für “rettifilo”, wo der “filo” ein faden, der im lote steht.
gruß aus der amerinischen mitte des amerinischen horizonts (zwischen süd und nord (obwohl nach meinung der florentiner doch schon in afrika, denn alles, was südlich von ihnen liegt, gehört schon zum schwarzen kontinent))!
Das sind keine, Pedanterien, sondern Korrekturen, die ich auch sofort übertragen werde. Deshalb nochmals danke. In der Tat habe ich den gesamten Text nicht mehr korrekturlesen können, weil zum Essen gerufen wurde. Sorry deshalb für einiges Huddeln; ich hatte auch noch eine ganz andere Geschichte erzählen wollen – La bella Napoletana – und bin nicht einmal mehr dazu gekommen… was wirklich schade ist. Aber es soll ja einiges auch nur im Hörstück vorkommen. Damit kann ich mich immerhin entschuldigen.