[Arbeitswohnung. Canzoni napolitani.]
Während ich aus >>>> Richters Buch meine unterstrichenen Stellen abtippe, höre ich mich durch die vier CDs mit Napoli-Musiken. Romantizierende Stadtschlager („Funiculi, Funicula“) sind nicht wirklich ‘meins’, aber ich kann schon spüren, wie gut sie sich für das Hörstück eignen werden, wenn ich sie mit O-Tönen collagiere: sie verstrahlen tatsächlich Lokalkolorit. Zugleich muß man sehen, daß sie Neapelnostalgie sind; das Festival für einheimische Musik ging Anfang der Jahrtausendwende ein, wird aber jetzt mit einigem Anschub wiederbelebt; die Jugend indes, meinem Eindruck nach, hängt unterdessen ebenso an den Charts wie alle Westwelt sonst. Aber die von mir verwendete Musik wird ohnedies vom >>>> Neapolitaner aus der großen Zeit der neapolitanischen Oper bis in die unmittelbare Gegenwart reichen. Was man in der „Stadt des Blutes“ tatsächlich hört, ist auf den Straßen zu vernehmen: tölend von den Karren, die voller Schwarzkopien sind, in großer Stückzahl nachgebrannter CDs in dilettantisch gefertigten Hüllen. Seit wir uns an die Frenquenzbeschränkung durch mp3-Kompression gewöhnt haben, merken die Käufer den Unterschied zu Originalen nicht mehr, bzw. ist er ihnen egal.
Richters zweites Neapelbuch kam an: >>>> eine literarische Einladung:
Latte macchiato, erste Morgenpfeife. Ich kann wieder bei weit geöffnet bleibendem Oberfenster arbeiten. Ein bißchen Frühling nun doch.
(Funktioniert übrigens gut mit dem Tesastreifen).
Abermals also Lektüre. Wegen des Gerichtsvollzieher-Hörstücks hab ich gestern mit der Redakteurin telefoniert; es könne aber Sonntag werden, bis sie zum Anhören komme. Nun gut, ich mach mich deshalb nicht mehr verrückt.
Guten Morgen. Am Abend wird >>>> Moritz Gause herkommen. Ich schätze diesen Kontakt mit „den Jungen“; durch sie bleibt man im Fluß; für einen „nicht etablierten“, nicht bereits gesetzten Dichter ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Übern Kitsch, wenn man über „das“ Volk schreibt, muß man immer wieder nachdenken; so jetzt ich beim Abhören der Canzoni. Neapels altes Stadtbild, nach wie vor, gehört den >>>> Lazzaroni, wobei heute eher von „Bassisti“ gesprochen werden müßte, von bassi, den ebenerdigen Miniaturwohnungen, deren zweidrei Kammern meist direkt an die Straße anschließen; man öffnet die Haustür und steht in der Küche, wenn nicht sogar im Schlafraum. Wer Nähe herstellen und sie vermitteln will, kommt um den Kitsch nicht herum; insofern muß er an einem Kunstwerk Teil haben, ohne daß es von ihm besetzt wird: als ein Hautgoût der Verführung, die immer eine, ontologisch geradezu, Täuschung ist.
12.54 Uhr:
[Giacomo Carissimi, Jephte (ungefähr 1650; mit „Neapolitaner).]
Wahnsinnig hilfsbereit ist Wagenbach: Man hat die Freibeuter-Ausgabe für mich herausgesucht, will den Passolini-Text gleich herauskopieren und noch heute für mich zur Post geben. So etwas möchte ich wirklich nicht unerwähnt, geschweige ungedankt sein lassen.
Bin noch immer und wohl auch noch einige Zeit mehr mit den Exzerpten beschäftigt, folge einzelnen Spuren parallel durchs Netz und kopier auch von den Fundstellen aus zu einer Gerüstdatei, die ich dann während der direkten Arbeit immer wieder beiziehen werde. Insgesamt ist das natürlich sehr viel mehr Material, als überhaupt aufgenommen werden kann; aber es geht auch vor allem um den Boden, von dem aus ich schreibe, um das Fundament, auf dem ich das Tonstück errichten werde. Wichtig bleibt mir allemal meine Sehnsucht nach „unmittelbaren“ Eindrücken und ihrer Vermittlung; alles auch nur entfernt Akademische will ich meiden. Wissen und doch sehen können lautet das Motto dieser Arbeit wie vieler anderer Arbeiten davor; es zu erreichen, daß ich spüre und das Erspürte dann forme.
Dennoch: Mittagsschlaf jetzt.
ohne e Es gibt einen Roman von Georges Perec – La disparition – übersetzt von Eugen Helmlé – Anton Voyls Fortgang, in dem kein einziges e vorkommt. Soviel zum Trost, wenn der Kleber nicht hilft.