[Palais Bijou, 41. Luciano Berio, Orfeo.]
Ich habe شجرة حبة gestern abend von dem Projekt noch einmal erzählt und von der Zielrichtung, die mir für unsere Übersetzungen vorschwebt, das Interpretative nämlich bis in die jeder eigenen Essenz zu betonen. „Das sollten Sie dann aber erklären“, sagte sie, „das würde das Verständnis erleichtern.“ Wozu mir natürlich Delf Schmidt wieder einfiel, der so etwas auch für Argo vorschlug, nämlich wegen Goethes darin eingewobener Achillëis. Da wollte ich das aber auch schon nicht oder allenfalls in einem, sagen wir, Beiheft, auf keinen Fall aber im Buch selbst. Gleiches gilt für den Giacomo Joyce. Reicherts Suhrkamp-Ausgabe hat ein Vor- und langes Nachwort, das mir beides gegenüber dem tatsächlichen Text unverhältnismäßig vorkommt, nicht des Inhalts halber, sondern weil mir die Leserichtung zu sehr gelenkt wird. Ich denke vielmehr, daß die zwei, bzw. drei Übersetzungen des ja nicht langen Textes von Joyce, zusammen mit dem Original selbstverständlich, eine sehr viel weniger manipulative Sprache sprechen und eben poetisch begründen, nicht diskursiv.
Yüe-Ling, meines ganz anderen Anliegens halber, verstand jedenfalls sofort und entkleidete sich, allerdings erst, nachdem جرة حبة wieder gegangen war, der ich das Palais endlich gezeigt und die ich den Damen hier vorgestellt habe. Ihre, der weißen Füchsin, Körpersprache war deutlich: Keine Berührung erlaubt, sondern: Bitte – wie man ein Geschenk reicht, darbietet, heißt das, auf der flachen Hand – „Bitte sehr, schreiben Sie ab“. Was ich tat. Das war, wie wenn ein Maler einen Akt skizzierte, der doch die Seele miteinfangen soll, wenn nicht sogar sie der eigentlich brennende Punkt ist, von dem aus, unter der Lupe, jedes Papier sich entzündet. Ich schrieb also den Kopf ab, das etwas flache, dabei sehr feine und – für uns Europäer – maskenhafte Gesicht (Japaner etwa, erzählte mir mein seinerzeitiger Betreuer Hiroto-san, haben ähnliche Schwierigkeiten, uns auseinanderzuhalten wie wir sie: auch dies gehört ins Feld objektiver Übersetzungshindernisse), den schmalen Hals, die Schultern und vorspringenden, wie porzellanenen Schlüsselbeine, die kleinen Brüste und ihre blassen Knospen, den Bogen der Taille, das von einem klar konturierten, doch wie nur daraufgehauchten Schwarz übersamtete Geschlecht, unter dem sich die Schenkel nicht berühren, sondern ein, wie eine gerade Höhlung ins Licht, Durchguck ist frei, „bitte drehen Sie sich herum“, und sie tat‘s; über den Backen die Linie des Rückgrats sehr modelliert, weil die Wirbel hervorstehn, zum Hals und dem Knoten herauf, in dem sich tintenschwarz das Haar zusammenfaßt. „Ich danke Ihnen sehr.“ Sie lächelte und zog sich wieder an. „Ich würde auch gern das eine und andere Gedicht einbauen“, sagte ich. Deshalb habe ich jetzt, da ich gleich zum Aufbruch packen muß, einen schmalen Hefter mit Seiten neben mir liegen, über die sich sehr großzügig, aber nach der kleinen Hand, die tuschte, chinesische Schriftzeichen verteilen. Ich werde in Berlin nach einem Übersetzer schauen, einer Übersetzerin, >>>> Katharina Narbutovic, DAAD, anrufen also, die mir sicherlich weiterhelfen kann. Wir kennen uns seit Jahren, da geht das völlig formlos. Parallel die Erzählung entfalten, für jede Körperstelle Yüe-Lings einen eigenen Satz.
Nachmittags Vorstandssitzung, ebenfalls noch gestern, schließlich JHV im >>>> Literaturforum; dabei traf ich Reichert wieder, der ebenfalls im Vorstand sitzt; später kam >>>> Dielmann hinzu, was mir recht war, weil ich den >>>> Wolpertinger gern als eBook hätte, was aber eine Arbeit für Irre bedeutet, die ich, da zu diesen nicht gehörend, scheue. Wenn Dielmann die Edition übernimmt, dann darf er auch die bei ihm ersterschienenen anderen Bücher al eBooks anbieten, vor allem >>>> die Sizilienerzählung, deren Originalausgabe unterdessen nur noch zu sehr, wie Sie sehen können, happigen Preisen angeboten wird; allerdings lohnen die Bücher diese Ausgabe. So schön sind sie gestaltet:
Wie auch immer, das ist abgehakt. Nach und nach will ich alle meine Bücher, vergriffene wie noch lieferbare, als eBooks vorrätig wissen. Auch Niko Gelpke, Verleger von >>>> mare, antwortete mir, in der gleichen Angelegenheit; hier ist die Überlegung, die persische Fassung von >>>> Meere zu einem eBook zu machen. Was ich unbedingt, fast vorrangig, will. Aber der Verlag ist insgesamt wegen eBooks noch nicht entschieden; ich möge bitte bis Ende Februar warten. – Weiters Nachricht kam von >>>> Faust-Kultur: Ja, man wolle >>>> meine Cesare-Kritik übernehmen – was mich um so mehr freut, als Freund Leukert mit >>>> meiner Sicht auf die Zauberflöte nicht recht, eigentlich sogar überhaupt nicht einverstanden war. Es habe doch bereits in den Siebzigern einen Band des Titels „Ist die Zauberflöte ein Machwerk?“, den übrigens auch Reichert kannte, gegeben, worinnen die Frage ein- für allemal abschlägig beantwortet worden sei. Was mich freilich nicht kirre macht, und wär ich der letzte, dem Kaiser zuzurufen, daß er in Wahrheit ganz nackt geht.
Also. Der erste Morgencigarillo. Nach der ersten Morgenpfeife. Packen, gegen zehn Uhr ziehe ich los, bin dann abends wieder mit meiner Familie, die sich, so ein Anruf लक्ष्मीs gestern, entschlossen hat, fortan vegetarisch, immerhin nicht vegan, zu essen – was auch für Heiligabend gelte, so daß ich nun die vorbestellte Rehkeule mit nach Italien nehmen und mit dem Übersetzerfreund verzehren werde, dort. Im übrigen werde ich die Vegetarerei zuhause mitmachen, nicht zuletzt >>>> eines Videos wegen, das mir die Frau gleich zugesandt hat. Ich möge mir bitte zehn Minuten Zeit nehmen. Was ich tat und, der entschiedene Carnivore, bitter zur Kenntnis nehmen mußte. Bitterkeit führt bei mir fast stets zu Konsequenzen – vielleicht, siehe Reh, nicht sofort, ich neige ja zum Widerspruch, schließlich aber eben doch. Auch wenn es, vor allem der Meeresfrüchte halber, wehtut. Aber vielleicht sind Muscheln ausgenommen; die wachsen sowieso gern in Kolonien und müssen nicht zwangsvermaßt werden. Vor allem das Argument, daß der CO2-Ausstoß der Nutzviehhaltung höher ist als der der gesamten Industrien, geht mir nicht mehr aus dem Kopf – die Raubvernichtung in den Meeren sowieso. Ein guter Mensch werden, hm. Auch darüber mit شجرة حبة einige Zeit lang gesprochen, ihrerseits eine entschiedene Carnivorin. Ich fürchte, ich werde das schlechte Gewissen nicht los. Es geht nicht ums Töten, mein Leib gehört ganz genauso der Erde, die auch mich eines nicht mehr sehr fernen Tages verschlingen wird, und das Reh werd ich mit g u t e m Gewissen essen, da es geschossen wurde. Sondern es geht um Zwangspferchung, Ausbeutung und Qual. Den Mord, um zu essen, akzeptier ich, auch den Totschlag also und die Jagd, nicht aber die Folter.
Guten Morgen.
15.05 Uhr:
[Berlin, Arbeitswohnung.]
Zurück – und anstandslos, diesmal, die Deutsche-Bahn-Fahrt, so proppevoll der Zug, allerdings auch gewesen ist. Jetzt erst einmal, nachdem ich den Ofen angeheizt habe (die Briketts müssen erst glühen, bevor sie wirklich Wärme in die Kacheln geben) und meine Pavoni habe mir einen Espresso zubereiten lassen, sowie, nachdem die erste Pfeife wieder am Schreibtisch gestopft und angeraucht ist, – jetzt also erst einmal die Post durchsehen. Weiteres, für Sie, oh Leserin, erst später.
Meiner Bewunderung … … werden Sie immer sicher sein, lieber ANH. Ich habe ja auch schon einiges abgezogen, damit Frauen mit sich reden lassen. Meine dollste Nummer war, als ich während einer Zugfahrt einer europareisenden Amerikanerin angeschwatzt habe, dass ich ein berühmter französischer Friseur sei und ihr daraufhin eine Stunde lang die Haare machen durfte. Das Ergebnis war sogar ganz ordentlich. Aber zu sagen ‘ich will Sie abschreiben’, das übertrifft alles. Ich verbeuge mich, tief. PHG
*Lacht* Ich mich auch. Mich hat noch nie jemand abgeschrieben. Wird langsam mal Zeit.
Da wäre ich … … sicher ungeeignet. Ich würde mich vor lauter Aufregung ständig verschreiben. 🙁
Das ist@PHG. Der Vorteil eines, der zum Ästhetizismus neigt: Die Aufregung wird kühles Interesse; sie selbst wird erst im Text: g e s c h i e h t.
Daß Yüen-Ling nun zur Erzählung wird, “jenseits” Der Dschungel, darauf brachte mich aber tatsächlich Ihr hierüber erster Kommentar. Man verschenke als Dichter solch ein Erlebnis nicht. Als kleinen Dank dafür >>>> dieses Zitat, das ich allerdings so oder so heute eingestellt hätte, allerdings um ein “und” verkürzt habe. Ich spiele mit dem Gedanken, es der Erzählung als Motto voranzustellen, weil es mich interessiert, was dann geschieht, wenn die Welt zerreißt, was dem Betrachter geschieht und was in derjenigen, die dieses Zerreißen auslöst – im Fall Yüen-Lings, der nunmehr erfundenen, willentlich oder schicksalhaft.
Cité de la musique, Paris 1999.]