Krank (II). Das Arbeitsjournal des Sonntags, dem 2. Dezember 2012.

8.21 Uhr:
Ich habe die Arbeit, die noch zu tun ist, restlos unterschätzt: das betrifft die Rede Erissohns in Argo, die rhythmisch Goethes Achillëis nachgestellt ist. Es ist mir jetzt auch wieder klar, weshalb ich einen Epilog hinter den dritten Anderswelt-Roman setzen wollte: er komplettiert das Gesamtzitat (zitiert wird, wie geschrieben, nur der Rhythmus, der aber über sämtliche Goetheverse); das also ist wieder aufzunehmen.
Es wurde mir gestern aber ebenso klar, daß ich mit den Achillëis-Versen bis zum Freitag auf keinen Fall fertigwerden kann; also legte ich sie wieder beiseite und begann, mich wieder nur auf den Fließtext zu konzentrieren – soweit das in meinem Zustand ging und geht. Doch der läuft in der Tat gut. Also: Bis Freitag noch einmal den gesamten Romantext gelesen und ggbf. korrigiert haben, dann dem Lektor geben, aber anmerken, daß die Erissohn-Rede, die als in Hexametern verfaßt sofort kenntlich ist, korrigiert noch nachgeliefert werden muß; das, was bisher dort steht, sei als Platzhalter zu verstehen. Ich werd es wohl s o machen: Wenn der Fließtext bei Schmidt liegt, setze ich mich noch einmal eigens an die Achillëis, bzw. ihre Erissohn-Version, und schreibe sie am Stück; dann wird auch der „Überhang“ sichtbar, aus dem der Epilog zu formen ist. Ich werde ihn „Sterne“ nennen, weil das auf ein seit Thetis durchlaufendes Hoffnungsmotiv sich bezieht. An sich könnte ich das dann bis Ende Dezember fertighaben – Zeit genug, es in den Romantext hineinzumontieren. Dann wird der Januar für das neue Hörstück bereitstehn, so daß ich auch finanziell nicht in die Enge gerate.

Die Arbeit ist nach wie vor verlangsamt; ich benutze den Laptop so, wie er heißt: arbeite auf meinem Schoß, nämlich im Bett; fallen die Augen zu, leg ich das Gerät auf den Mitteltisch, strecke mich aus, schlafe wieder. Unangenehm ist vor allem der Halsschmerz und ist die Schwitzerei. Heute morgen war wieder alles klitschnaß. Einmal erwachte ich, es war bereits dämmerig, und schaute durchs Zimmer, das sich seltsam geweitet hatte. Ich sah genau hin, ja, es hatte mindestens doppelte Größe; nur seine Höhe war unverändert. Ein riesiger Raum, fast ein kleiner Saal, an dessen einer Wandseite ich lag. Man hätte Ballwerfen spielen können. Dazu die Träume: in einer Schachtel zahllose Räume, die mein Schlaf einen nach dem anderen entfaltete: hohle Stimmen, wie durch Rohre gerufen, Personen, die ich noch niemals gesehen, dennoch kannte ich sie. „Normaler“weise hab ich sowas bei Fieber. Ich hatte aber kein Fieber, hab mir gestern eigens noch ein Thermometer gekauft. Sehr ungewöhnlich, daß so eine Krankheit ohne Fieber abgeht, nur mit schmerzenden Beinen, hin und wieder Übel-, vor allem aber permanenter Müdigkeit. Als erstes wieder, als ich erwacht war, eine heiße Dusche, sehr heiß wieder; ich hatte einfach das Gefühl, allen Dreck von mir herunterspülen zu müssen. An sich müßte ich täglich die Bettwäsche wechseln, was aber bedeuten würde, daß ich in dieser Woche mindestens einen Tag wegen des Waschsalons verlöre, was ich mir des Arbeitsdrucks wegen nicht leisten kann.
Dann die Gerüche. Es ist seltsam. Ich nehme kein Penicillin, trotzdem rieche ich danach, also der Schweiß riecht danach, halb furchtbar, halb wohlig intensiv. Ich scheine das Gleiche auszudünsten, wie wenn ich Pinicillin genommen hätte, als kämpfte mein Körper mit, sozusagen, denselben, jetzt indes eigenproduzierten Mitteln. Übrigens kann das mit dem Pinicillin noch kommen; wenn morgen der Halsschmerz nicht weg sein sollte, geh ich zu meiner Ärztin; wie ich immer ein Fieberkind war (42 waren und sind noch, wenn, keine Seltenheit), so war ich auch immer Anginakind; deshalb kenn ich das schon, was mir verschrieben wird und was mir auch hilft. Leider hab ich keinen Hausarzt, den ich einfach anrufen könnte. Doch wenn ich ehrlich bin, so will ich auch gar keinen haben.
Ich muß Kohlen hochholen, das wird nett werden, denke ich mal. Der kleine Triumph, es selbst geschafft zu haben, ist durchaus ein sekundärer Krankheitsgewinn. (Rein aus Trotz hab ich mir einen Latte macchiato gemacht; er trinkt sich aber nicht angenehm; der zweite Latte macchiato von gestern war sogar stehengeblieben – es gab so eine Art Abscheu plötzlich. Ich hätte vorhin darauf hören sollen. Ansonsten „familienklassisches“ Vorgehen: vierfünfmal täglich die Zähne putzen, dreimal täglich mit Mallebrin gurgeln, eine Banane mit dem Saft zweier Zitronen zerquetschen und essen, Fruchtsalat – während mir der Hühnerfonds, den ich gestern zu essen versuchte, widerlich war, so daß ich ihn stehenließ; heut morgen war er im Teller geliert).
An die Arbeit.

11.53 Uhr:
Zäh ist das heute mit Argo, hab gar keine Lust auf den Text. Öde. Ich lese die tausend Seiten nun aber auch schon das vierte Mal hintereinander; da wird der Anspruch, immer noch überrascht zu werden, allmählich mau. Zumal ich so entsetzlich langsam lese.
Wie zum Ausgleich erreicht mich per Email das wohl bizarrste Hausmittel, von dem ich jemals gehört habe:sich die aktuell getragenen socken (also keine sauberen) um den hals binden. wahrscheinlich muß man ziemlich dran glauben, aber das habe ich in situationen, in denen das nötig war, immer getan.Was kann man anderes tun, als genau das nun ebenfalls zu tun? Wenn Sie mich deswegen für verrückt halten, kann ich Ihnen das nicht verübeln, ja Ihr Urteil hat meine Sympathie.

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