Goethes Achillëis, in Argos Subtext versteckt. Im Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 29. November 2012. Argo.Anderswelt. (291).

4.44 Uhr:
Argo.

8.56 Uhr:
Die Vornahme war – und ist auch umgesetzt -, die große Rede Erissohns, des Achäers, an Goethes Achillëis anzulehnen, aber trickreich, formal, indem ich nämlich nicht seinen Text zitiere, oder nur ganz selten, wohl aber durchgängig seinen Rhythmus, also die von ihm gestalteten Hexameter, über die ich meinen eigenen, bzw. Erissohns Text lege; ich schreibe ihn auf den Rhythmus direkt drauf. Im Groben stimmte das auch alles, in der Feinjustierung aber nicht; vor allem ging Deutlichkeit verloren, was für einen agitierenden Text nicht gut ist. Deshalb sitzt man dann – hier die im TS bislang erste Stelle – nahezu vier Stunden an so etwas:

1 /-/–/–/–/–/-
„Gruß und Preis seien Euch von der Mutter, der flüssigen Göttin!

2 /-/–/–/-/–/-
Thetis weiß von den Leiden des Ostens! Hebt nun die Köpfe,

3 /–/–/-/-/–/-
darbet nicht länger am Brot! Die dürft‘ge Heimstatt verlasset,

4 /-/–/-/–/–/-
stolz und totenbekleidet! Endet die Not! Nicht geschunden

5 /–/-/-/–/–/-
länger, und mühsam, beugt nicht Nacken und Stirn mehr des Landes!

6 /–/-/-/–/–/-
Eris, mein Vater, ruft Euch auf, der von allen vergess‘ne,

7 /-/–/–/-/–/-
bittre, alte Prophet, der schon heimfuhr still in des Meeres

8 /–/–/–/–/–/-
helleren, fließenden Schoß, um nicht Klage mehr länger zu führen,

9 /-/–/–/–/–/-
Eure! Unaufrecht gingt ihr dahin und verkrocht Euch um Krumen,

10 /–/–/–/–/–/-
Lecktet die Hand, die Euch schlug, und vergaßt Euch, aus Furcht, und das Erbe!

11/–/–/–/–/–/-
Ginget dahin jeden Tag, den der Westen Euch hinwarf, den Auswurf zu

12/-/–/–/-/–/-
lecken, Rotz und Speichel der Macht; um Verrat am Leben gedungen,

13 /–/-/–/-/–/-
tatet Ihr feig die Lästerung mit, verrietet das Leben!

14 /-/–/-/-/–/-
Darum bin ich geweckt und rufe wieder die Sterne

15 /-/–/-/-/–/-
überm Meer an, des Strahlens Lodern! Leuchtender Lockung

16 /-/-/–/-/–/-
Lust und Seespiel schlagen die Gischt, um Euch zu erwecken!

17 /–/-/-/-/–/-
Schaumigen Betten gleich, um Thetis’ Schlangenleib spritzend,

18 /–/–/-/–/–/-
Bäumen sich Wellen in Weinrot, hebt sich das Bluten der Mutter,

19 /-/–/-/-/–/-
Mond und Menses, daß künde Leukes Laut ihren Kindern

20 /-/–/-/–/–/-
Freiheit, Brüderschaft, Glut – um Ursprunges Recht und sein tiefes

21 /-/–/-/–/–/-
Zucken schmerzhaften, lustgeschüttelten, feurigen Sehnens

22 /–/–/-/–/–/-
wieder zu fühlen! Wie wirklos, ach!, und wie stumpf ihr geworden,

23 /–/–/-/-/–/-
Frauen wie Männer! Die Kinder schachern, kränklich verkrochen,

24 /-/–/-/-/–/
jetzt schon anfällig – so Euch Männern ähnelnd korrupt,

25 /–/-/-/-/–/-
Ganz wie Euch Frauen, mutlos krumm. – Drum hört mich jetzt singen!“

(Argo, TS 200/201)


Danach läuft der Text erstmal wieder als Prosa weiter, so daß ich etwas schneller, hoff ich, vorankommen werde. Die Achillëis-Stellen hatte ich bei den bisherigen Überarbeitungen immer noch ausgeklammert, wohl, weil ich ahnte, was da noch auf mich zukommen würde; da sie für den Text selbst nicht grundlegend sind, also nicht für die Handlung, wollte ich erst ihren direkten Zusammenhang fertighaben, bevor ich mich auf die Fisseleien eines kopierten Rhythmus einließ, den Goethe in seinen Hexametern immer wieder verschummelt hat – was ich jetzt nachstellen muß; präzisierte ich seine Hexameter, wären sie kein Rhythmus-Zitat mehr, so daß meine Intention fehllaufen würde. Der Hintergrund ist, daß Goethe vorhatte, ein Gelenkstück zwischen Ilias und Odyssee zu schreiben; sein Text blieb aber Fragment. Gewissermaßen führe ich mit dem gesamten Anderswelt-Projekt die Idee weiter, auch wenn sich Argo schließlich schon am Ende seines zweiten Teils von der Achillëis notwendig ablöst.
Richtig viel Arbeit, sag ich Ihnen, zumal kein Leser später begreifen wird, oder nur eine extrem kleine Schar, was ich hier eigentlich getan hab. Auch dafür, so etwas mitzuerzählen, kann ein Literarisches Weblog dienen.

10 thoughts on “Goethes Achillëis, in Argos Subtext versteckt. Im Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 29. November 2012. Argo.Anderswelt. (291).

    1. “Froh” kann sich das heute schwerlich nennen. Ich werd grad rein wahnsinnig über dieser Fisselei. Denn – nächsten Freitag schon muß ich abgeben. Aber Sie haben ganz recht: mich auf so etwas einzulassen, war meine eigene Wahl. Also nicht klagen, sondern den Kopf runter und durch.

  1. der arme osten ( kommunismus ) der perfide westen des leckbaren sputums, ein wenig sehr schwarz-weiss-malerisch aus welcher individuellen sphäre heraus : gar nicht mal schlecht-klingend getextet ( gefisselt )
    nunsgane sie bitte nicht, frauman müsse das ganze werk mitarbeiterisch lesen.
    adorno : jeder satz hat für sich zu stehen, das elementare diktum jedweder schreiberei.
    die ultimative ( also nicht einlösbare “messlatte” des beflissentlichen unbeflissentlichen )
    utopia is very very great.
    ansonsten sehr wohl textklanglichkeit, trotz der strang anmutenden hexametrischen ( sex hex sex ) verbindlichkeitsanmutung.

    fizzel frickel fuzzy nickel

    1. ja, antworten sie nicht.

      sie wollen ja alles astrein grammatikalisch ( usw ) argumentiert haben, um die höhe ihres schreibens ( schreiberei ist alles – einem etwaigen mitarbeiter nachgelegt – schreiben = sozusagen schreiberei ) reargumentativ ( und somit selbsterhärtend ) adäquat dokumentieren zu können.

    2. @Fogelställer. Bereits bei irgend einer beliebigen Rollenprosa geht Adornos Satz in die Irre, zumal bei diesen Rollenversen, vor allem aber schon an sich selbst.. Und was die Schwarzweißmalerei anbelangt, stellt sich auch dort die Frage: Wer spricht dies? Außerdem die, wazum etwas so gesprochen werde. Ich habe aber nicht die geringste Lust, Ihnen das zu erklären.
      Eines aber d o c h: Sie mißverstehen “Osten”.

    3. Orthographisches Ja, manchmal nehm ich Orthographie wichtig. Sie wissen ja, Hölderlin, buchstabengenau. Sehen Sie, in dem Saal, wo Sie letzte Woche waren, in dem Historischen Saal des Marburger Rathauses, war gestern Abend der Vortrag eines Psychoanalytikers „Die Liebe kommt, die Liebe geht – wann bleibt sie ?“Viele mußten wieder gehen, weil der Saal völlig überfüllt war. Ich verharrte stehend vor der offenen Tür und vermochte noch zu hören. Sah aber nur die wunderbaren hölzernen Renaissancetüren mit eisernen Schlössern, diese Intarsienarbeiten mit einer lateinischen Inschrift. Und mich wurmte, in dem Holz selbst war kein Wurm, daß ich die lateinischen Inschriften trotz vieler Jahre Lateinunterrichts doch nicht so korrekt zu übersetzen vermochte. Um mich waren stehend und sitzend, gar emsig notierend , all die, die Rezepte suchten für Gescheitertes und denen ebenso kein Zutritt in diesen Raum des vortragenden Analytikers. Nur zwei hatten die offenen Augen , die suchten das Geheimnis, welches unergründlich für flüchtige, treue und für ewige Liebe ist.

      Ich glaube, dieser Raum des Historischen Marburger Rathauses mit seinen wuchtigen hochgezogenen Türen ist ein Zauberraum der Renaissance. Wie sollte es sonst kommen, daß sich Wirklichkeit dort immer verflüchtigt sowohl bei virtuellen Räumen als auch bei psychoanalytischen Schürfungen und Flügen.

      Nun ist das auch sehr entlastend, sind doch plötzlich alle Geld- und Arbeitssorgen, Mißbräuche einfach dahin. Aber so abseits fällt das Hören schwer. Vasen oder Phasen, in denen wir stecken, ein Butter- oder Muttermeer, in dem wir ozeanisch schwimmen. Nichts Neues vermochte ich zu hören.

      Aber natürlich man kann in Deutschland, auch privat, schon lange nicht mehr über Liebe sprechen, ohne es ist wie es ist. Diese umgreifende tiefgründige Erkenntnis hat Erich Fried unsterblich gemacht.

      Aber ich konnte außerhalb des Raums bei offener Tür, Portal muß man schon sagen, mächtige Flügeltüren, es ja nur hören und nicht sehen auf der großen weißen Leinwand, die sie ja auch kennen und die auch verdeckt, verdecken soll, was so gewaltig dahinter monumental völkisch heroisch erdnah gemalt.

      Und da vom Fressen gern, gar vom Verschlingen die Rede war, was …wenn das Friedgedicht nun in neuer Rechtschreibung, in neuer Orthographie auf der Leinwand erschien und ich es nur nicht sehen konnte :

      Es isst wie es isst
      es aß
      und das war’s.

  2. Antike Unkenntnis I und II Antike Unkenntnis

    Wer immer du auch bist
    Thetis feurige Mutter
    der du die Gußformen auflöst
    aufbrichst, dechiffrierst
    Mutter aus flüssigem Staub
    im Sand du aufwirbelst
    feurig die Schlangen
    unter den Steinen die Schaben
    durchzisch sie
    deine strömende Schwärze
    wie Nebel durchhaucht sie
    die Ränder der Ufer
    vogelhäutig krallst du
    Wind und Welle
    siedest die Gischt
    sternst ins Auge der Ratte
    unsichtbar ein Firmament
    wölbst meine Hand
    wie man bricht einen Fuß
    Thetis unter die Zunge
    legst du verrostet den Nagel
    feilst zur Schärfe
    alabasterne Splitter
    phosphern die Flügel
    Thetis unerkannte Mutter
    die du zerstampfst die Erde
    Drachenzähne säest
    aus dem Virtuellen
    steigst du heraus
    Ziegenhaar das da flammt
    Geruch verbrannt horniger Nägel
    eine Luftblase bist du
    ein Nichts eine Leere
    denn das Virtuelle
    kennt die Wirklichkeit nicht
    ist nur Schein
    Glitzer spiegelnden Schildes
    das da zersplittert, zerbricht
    unter den Hufen der Rosse
    zügellos feurig dein Atem
    durch die Asche hinzischt

    Antike Unkenntnis II

    Danke Herr Herbst für den link zu dem Goethe – Achill Text, den ich zum ersten Mal las

    …willkürlicher Auszug…

    Hoch zu Flammen entbrannte
    die mächtige Lohe
    Rot durch die finstere Nacht;
    Mächtige Glut
    Pergamos’ rötliche Feste

    Rauch und Qualm thrakische Lüfte
    Gargaros’ Höhe verdunkelt

    Denn mich soll, vereint mit meinem Freunde Patroklos,
    Ehren ein herrlicher Hügel, am hohen Gestade des Meeres

    die Erde warfen sie einwärts

    Euer sei die Vollendung, wenn bald mich die Urne gefasst

    Eos aus heiliger Frühe
    Fernes Nebelgewölk

    hier ergreift es der Rost nicht,
    noch erreicht es der Staub
    des irdischen Wandrers Gefährte.

    Alles hab’ ich getan, was irgend schaffende Kunst

    Unerschütterlich

    goldene wandelnde Knaben
    eherne Mädchen

    Doch alles ist leblos!

    denn nah ist der Tag, da zeitig der große Pelide
    Sinken wird in den Staub

    .
    Denn was ein Gott den Menschen verleiht, ist segnende Gabe

    so dass der Entblößte dahinsank.

    II.

    Sprach er und ging, murrte, die Göttinnen lachten.

    Also genossen sie still die Fülle der Seligkeit

    über der stygischen Quelle
    späte Rächer

    von des Titanen Weiser Sage geschreckt

    Denn von dir und dem sterblichen Mann ist entsprungen ein Untier
    wie jener die Welt, verwüstete dieser den Himmel

    Unbefriedigte Lust welkt in dem Busen des Mannes

    Und der Herrliche lag, an dem Fuße verletzt, wie ein Erdsohn.
    schrie zu den Nymphen der schattigen Insel

    Unaufhaltsam der Sohn zur schwarzen Pforte des Aïs

    Was half mir die Kunst ? Was die Flamme?

    ein Titan im Unmut ausstößt die Götter

    undurchdringliche Nacht

    Selbst für den Toten hofft der Lebende

    Nicht ist fest umzäunt die Grenze des Lebens

    III.

    Die verderblichen Syrt’ spaltet Planken und Rippen

    Alle will er verderben, der Gott, doch rettet manchen der Dämon

    wie ein Berg in dem Meer

    Ilios fällt!

    so mag denn auch fallen Achill

    stürzt in den Staub, ihn zerstampfen die Rosse,

    Ihn zerquetschet das Rad des ehernen, heiligen Wagens

    Denn so hoch wir auch stehn,
    so spät es auch sei

    übermächtige Kraft, die lange gebändigt,

    bleibe verwerflich

    zu Widersachern gesellt
    das Wort ist nahenden Taten

    Steig entschlossen hinab,
    erharre den Tag der Titanen,
    Unaufhaltsam heran,

    die Mauern sie stürzen.
    .

    IV.

    In den Tiefen der Hallen einsame Wechselgespräche

    Dir liegt immer das Ziel im Sinn

    Augenblickliche Kraft
    von Götterhänden zu fallen

    Begier treibt.

    Mein ist, aufzuregen

    Grenzenlos

    Memnon aufzurufen und die äthiopische Völker

    Ewiger Liebesgenuss

    das Meer durchschritt

    Pferdebändigerinnen

    wie er den Freund mit gewaltiger Neigung umfasst hat,

    fressende Flamme,

    Begierde als mächtiger Sinn, als schaffender,

    er gleicht dem Kroniden selbst

    Städte zerstört er nicht mehr, er baut sie

    Dieser aber baut sich sein Grab.

    V.

    Also sprach sie hinaus in den weiten Äther. Schrecklich blicket ein Gott da, wo Sterbliche weinen.

    Dass ich vermeide des Mannes Umarmung, du sie verabscheust.

    Vielen Frauen ist ein Weichling erwünscht

    dir der Stunde Hand die Fülle des Ewigen reiche

    Fuß mit den goldenen Sohlen,
    durchstrich die ätherischen Räume
    skamandrische Höhe

    heiliger Xanthos
    kiesiges Ufer sich strecket.

    Ameisen zu tausend Scharen zerstoben,

    labyrinthischer Kegel

    Myrmidonen häuften Erde mit Erde,

    erblickte den Freund der Pelide

    doch dir sei empfohlen,
    In der Mitte das Dach, den Schirm der Urne, zu bauen

    Denn vom Strande der Wind weht morgendlich ihnen entgegen.“

    „Irret der Blick

    Oder ein Feuer zu zünden

    Durch die salzige Flut

    die Nacht nie Trennt von der heiligen Erde

    die blaue Woge durchschneiden

    Wer jung die Erde verlassen,

    ewig ersehnet.
    Stirbt mein Vater dereinst

    die Schärfe des Erzes zum zarten Leibe

    aus der Hand der Verzweiflung
    Kranz des unverwelklichen Sieges

    unendliche Kämpfe durchstreiten.
    Mnemosyne
    in flammendem Anteil,
    Eh’ die Erinnrung verlöschen

    Ruhend auf gehauenem Stein

    VI.

    Nahverwandter Gesinnung
    Edeler Männer zu freun, im Leben, so auch im Tode.

    Wahrlich, das kurze Leben, es wäre dem Menschen zu gönnen,

    Auch dazu den stärkenden Wein

    im hohlen Schiff

    Kräftigen Stieren folgend

    die schickliche Furche durchziehet

    Überall sind Gefahren

    der erdegeborene Mensch
    Löset die Rätsel nicht

    Verlangen zur Feier

    am Abend Geruch

    willkommen

    willkommen

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