[Arbeitswohnung. Heinz Winbeck, Erste Sinfonie: Tu solus.]
Kurz nach fünf erst auf, aber auch erst kurz vor eins ins Bett; ergo: vier Stunden Schlafs. Nein, geht nicht darunter. Momentan. Plus mittags der einen. Da die Arbeitswohnung die Temperaturen einfängt, die draußen herrschen, und sie dann immer ein paar Tage lang gefangenhält, bleibt es kalt in ihr, auch wenn‘s draußen schon wieder wärmer wurde; umgekehrt hält sie auch die Wärme von draußen länger, macht die Schwankungen der Tage nie gleich mit; das liegt vor allem an dem ständig, meines Rauchens wegen, weit aufklaffenden Oberfenster, das ich auch im Winter nie für lange schließe.Nachts ist es generell auf, wie Sie wissen. Tags, jetzt, da ich mich noch weigere, den Ofen anzuheizen, weht es mir drum seit anderthalb Wochen kühl in den Nacken; ich fröstele und brauche meine Schals, die ich >>>> in der Sechsten Elegie neben einem anderen besang, das auch mit heute zu tun hat; brauche die Alpakajacke, die Leggins morgens oder, nach dem bewußten Ankleiden, eine Decke auf den Schenkeln. Mir macht das nicht viel aus, so lange nicht die Hände kaltwerden. Aber dann, nachts, wenn‘s ans Zubettgehn geht: Das sind in ihrer Überwindung herrliche ;Momente, völlig nackt im Raum zu stehen, sämtliche Muskeln dabei anzuspannen, und dann unter die ebenfalls noch kalte Bettdecke zu schlupfen – weiter nackt, selbstverständlich, Pyjamas sind mir unangenehm, und irgend etwas sonst am Leib; schlafen tu ich, wie ich bin -, die ihre Kälte, die Decke, noch ein paar weitere Moment auf den Körper hinabstrahlt, aber man merkt schon, wie der Wärme sendet, in sie hinein, und man zittert, läßt das Zittern rasender werden, bis es ein Vibrieren ist, zieht sich dabei zusammen und die Beine an, als rollte man sich um seine Seelenmitte ein, denkt noch: weshalb zittert – bibbert – jemand, der friert? und kommt auf die Lösung, es sei die Bewegung, eben, die Wärme erzeugt, deshalb wohl auch die sogenannte Gänsehaut: zur Wärme, also nahe den Körper, wird mehr Haut gebracht, als wenn sie glatt ist, zur Kälte zeigen nur die Spitzen. Darüber, über diesem Gedanken, schläft man ein und erwacht auch schon wieder, als wären aus dem Leben die vier Stunden rausgeschnitten worden. Was, dieses, eine Täuschung ist, wie wir alle wissen. Wir leben im Traum ein anderes, zweites, drittes, viertes Leben, das je den Tag teils wiederholt, teils anders läßt vorangeschehen. Und nun, wir müssen in die Kälte wieder hinaus: abermals nackt im Raum stehen, die Schreibtischlampe anknipsen und sofort danach die wärmsten Klamotten raffen, die man möglichst rasch erhascht, Leggins, Pullover und Alpakajacke, doch, da wir sauber sind, die Unterwäsche erst: Slip, T-Shirt und, indes allein aus Klugheit, Socken. Nun schalten wir auch in der Küche das Licht, für die Pavoni, an, und diese selbst, damit das Wasser heiß wird, gehen an den Schreibtisch zurück, schalten die Computer ein, damit sie, während wir, zurück in der Küche, den Espresso mahlen, hochfahren können, derweil wir im dickwandigen Glas die Milch aufschäumen und das Espressomehl in das metallene Siebchen drücken, das mit dem schwarzen Holzstiel, es unter die Maschinendüse eindrehn, die Auffangtasse drunterstellen und den einarmigen Banditen, auch er aus mit schwarzem, einem langen, Holzgriff, hinabdrücken, manchmal unter draufgestemmter ganzer Kraft; die Zeit, in der das Sieb sich austropft, -tröpfelt, nutzen wir, um, im Arbeitszimmer, die ersten Programme zu öffnen und unsere Pfeife zu stopfen, in der der Tabak aber erst entzündet wird – er bäumt, der Schnitt, sich blähend auf -, wenn wir den Latte macchiato neben dem Mousepad abgestellt, wohl auch bereits den ersten Nipp geschluckt, ein wenig Schaum auf unsrer Oberlippe, und ihm nachgeschmeckt haben und den nächsten Nipps voran. Wir setzen die >>>> Stax auf und laden im >>>> Foobar den Winbeck. Jetzt ist die Alpakajacke innen warm, wir ziehn noch ihre Kapuze über die Kopfhörer: was nicht ganz leicht ist, sie sind ein wenig sperrig (aber – klingen! Frequenzgang acht bis fünfunddreißigtausend Hertz). Dann fangen wir zu schreiben an: Tu solus.
Mit dem Profi nachts in der Bar. Wir lassen den Barkeaper nun immer nach eigenem Dünken unsre Drinks bereiten: „Worauf du Lust hast. Der meine, heute, soll dunkel und schwer sein, mit einer nur gelinden Süße“. Auch jetzt wieder über >>>> das Fieber gesprochen, hin- und hergewendet. Der Profi hat Bedenken, andere, als sie die Löwin hat; beide, im Prinzip, finden die Idee – groß. Aber sie hat Folgen, in jedem Fall. Die Frage ist: werde ich die tragen können; man kann auch ‚ertragen‘ fragen. Auch dies würde, ich schrieb es schon, ein Abschied, in den Konsequenzen jedenfalls.
Gearbeitet hatte ich genug, gestern, vorgestern, insgesamt in diesen Tagen. Aber ich lese zu wenig fremde Texte.
Las aber meinen eigenen, mit dem Cigarillo vor der Bar, im dunkelblauen Mantel, den Schal hoch auf den Hinterkopf gezogen, las in der >>>> Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens, die ich mir >>>> als Kindle-Ebook auf das Iphönchen gekauft habe, selbst, ja; wollte wissen, wie sich das so liest, mein eigener Text auf einer fremden Technik. Ich kann nur sagen: gut. Zufrieden begrüßte ich den Profi. Zufrieden schwang ich mich aufs Rad.
Kein >>>> Giacomo Joyce nun mehr, wenigstens bis zur nächsten Woche, die Rohübersetzung ist abgeschlossen. Morgen geht es nach Frankfurtmain, Buchmesse, Gespräche, vielleicht auch Ärger, den abzufedern ich mich vorbereite. Ich werde Argoseiten mitnehmen, auf jeden Fall weiterarbeiten, zumindest frühmorgens. Und wenn ich es schaffe, stelle ich heute meine Giacomo-Übersetzungen zusammen und drucke sie aus, um auch diese Seiten mitzunehmen und mit Distanz erst einmal zu lesen, vielleicht hie und da schon neue Ideen zu vermerken.
Um 12 Uhr Fußpflege, um 15 Uhr zweite Nachuntersuchung des operierten Auges: restlos zufrieden bin ich nicht, ich habe immer noch gelegentlich einen Schleier darüber, außerdem sehen die Augen in unterschiedlichen Entfernungen verschieden scharf; darauf stellt sich aber das Gehirn ein. Vor allem insgesamt: kein Vergleich zu vor den OPs. Ich brauche einfach keine Brille mehr, manchmal vergesse ich ganz, daß ich sie zum Arbeiten trug, und Kontaklinsen für draußen.
Wenn ich von der Augenärztin zurücksein, sowie auf meinem radelnden Weg die Bahntickets besorgt haben werde, die Messe vorbereiten, auch schon zusammenstellen, was ich mitnehmen will; ‘s wird eine ganze Woche sein, für die ich meinen Schreibtisch verlasse.
Spätnachmittags mein Junge. Er wird die Wohnung betreuen, während ich wegbin, schon seines Celloübens wegen. Wird die Post hochholen, vielleicht mit meiner Nachbarin flirten; für ihn ist das sturmfreie Bude. Ich erinnere mich, wie ich von einer andern Reise einmal heimkam und grinsen mußte übers ganze Gesicht, weil alles durcheinander war: das Bettzeug lag offen, Matten lagen auf dem Boden, auch da ganz offen Decken drauf; und Reste von geschlemmten Chips udn überall Comics offen und Bücher. Er hatte mit seiner Freundin hier geschlafen und Remmidemmi mit ihr gemacht. Zuhause, dachte ich, Zuhause.
So, zweiter Latte macchiato. Argo. Bis gegen zehn Uhr, denke ich. Dann duschen und Verfügungen treffen. Guten Morgen. Über Heinz Winbeck schreibe ich gesondert. Ich werde seine Musik auf die Musik-FP laden, die tragbare kleine, um sie ständig bei mir zu haben. Er i s t es, in der Tat -: ein Sinfoniker.
7.14 Uhr:
[Winbeck, Zweite Sinfonie.]
– oh Göttin, ist das schön! Dritter Satz, Winbecks Zweite.
14.02 Uhr:
[Heinz Winbeck, Vierte Sinfonie.]
Eine Dreiviertelstunde noch, dann muß ich abermals los; bin gerade von Fußpflege und ein paar Hifi-Läden zurück, letzteres, weil meine geliebten Stax offenbar, nun ja, nach fast dreißig Jahren, einen Kabelbruch haben; jedenfalls klingt der rechte Kanal mal nicht, aber mal auch doch, wenn ich das Kabel etwas ziehe oder knülle. Eindeutig also. Aber hier helfen konnte mir keiner, alle guckten die Geräte mit großen ehrfurchtsvollen Augen an. „Am besten, Sie rufen den Hersteller an.“ Danke sei dem Internet. Es gibt eine Reaparaturstelle in Deutschland, eine nur, ins Flörsheim nämlich. Angerufen. „Ja, schicken Sie das Gerät bitte her.“ Kostenvorschlag schon mal aus der Luft. Lohnt sich. Paket gepackt, Anschreiben geschrieben, runter zum Fahrradladen, der für Hermes Päckchen annimmt. Rausgeschickt. Einstweilen werd ich frühmorgens mit den InEars hören müssen; der Unterschied zu den Stax entspricht dem der Sonnenstrahlung in Norwegen zu der in Kenia.
Bin parallel dabei, >>>> Parallalies und meine Giacomos aus Der Dschungel zu kopieren, um >>>> für Reichert ein angenehm zu lesendes Typoskript herzustellen. Das wird mich noch einige Zeit beschäftigen.
Argo bis TS 547 Mitte. Winbeck strömt in mich hinein. Der Mittagsschlaf muß entfallen.
16.44 Uhr:
[Heinz Winbeck, Fünfte Sinfonie.]
Jetzt höre ich diese Sinfonie zum zweiten Mal und höre immer mehr in, nein: aus ihr. So viel Abschied immer.
Augenärztin: „100 Prozent, besser geht‘s nicht..“ – Der Schleier, den ich bisweilen noch überm rechten Auge habe, komme vom Tränenfluß. „Das kann auch noch dauern. Bitte immer nachtröpfeln. In einem Jahr sehen wir uns wieder.“ – Außerdem eine kleine Unstimmigkeit: links + 0,15, rechts – 0,15; auch daran kann es liegen. Ich denke mir, das wird mein Gehirn ausgleichen.
Weiter jetzt mit der Zusammenstellung des Giacomo Joyce für Reichert.
Dr. No hat >>>> die Thetis-Gespräche fortgesetzt, diesmal mit einer hübschen richtigen Beobachtung.
8.37 Uhr. [Winbeck, Dritte Sinfonie „Grodek“ auf Georg Trakl.]
Es wird schon kühl, es ist schon spat.
Nicht anrufen, nein. Alleine die Stimme. Es wär nur, sich einen weiteren Schuß zu setzen. Mitten im Entzug.