Die Stimmen der verlorenen Engel ODER Nach der Lesung. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 7. September 2012. Wiesbaden und Berlin.

Fotos (©): Kiehl.

7.20 Uhr:
[Wiesbaden, Villa Clementine. Pergolesi, Stabat mater.]

Das war eine gut Lesung gestern abend, wie gut, merkt man immer am Buchverkauf. Auch >>>> Dielmann hatte wieder ausgeliefert, was Paulus Böhmer, der aus Frankfurt gekommen war, zu einem Erstaunensgraunzen veranlaßte: „O, Dielmann-Bücher -“, die ja immer auffallen, weil sie so schön gemacht sind, sagen wir, waren; es ist halt immer eine oft unüberwindbare Hürde von der Produktion auf die Büchertische gewesen. Andernfalls ich den Verlag nie verlassen hätte; selbst zu Rowohlt bin ich damals nur gewechselt, weil meine Dielmannbücher exzeptionell selten einen Weg zu den Buchhändlern, ja bisweilen nicht einmal zu den Kritikern fanden, so daß es vorkommen konnte und vorkam, daß mich die Literaturchefin der Neuen Zürcher Zeitung anrief, wie frau denn um Göttinswillen an das neue Buch kommen könne? Ohne es gelesen zu haben, nämlich, das müsse ich verstehen, wolle sie nicht drüber schreiben. –
>>>> Pappkarton.
Junge las zwei Abschnitt aus dem Typoskript ihres neuen Romans:schön erzählte klare Passagen eines verlorene-Heimat-Romans, zweifach verloren, und der freiwillige Verlust der einen spiegelt den unfreiwilligen der anderen, das gewählte, als Wahl luxuriöse Exil das erzwungene, des anderen; wahrscheinlich wird die Wohlfreiheit des einen des anderen Bitternis besonders fühlbar machen; ich kenne den ferneren Text aber nicht. Wiederum ich las anfangs die, sie auf Wunsch Junges, Sechste >>>> Bamberger Elegie und zum Abschluß des Abends die Neunte, die mir zunehmend zur wichtigsten geworden ist.

Zwischen die Lesungen wurde das gewünschte Werkstattgespräch gestellt, das wir rutschend in die Pause übergehen ließen, aus der wir dann wieder rutschend auf die Bühne gingen, um es erst fortzusetzen und dann mit den zwei weiteren Lesungen abzuschließen.


Susanne Lewalter, die Leiterin des
Literaturhauses, bei der Begrüßung.
Hübsch war, wie Junge mich unmittelbar vor ihrem zweiten Texteinsatz abwürgte: ich war gerade richtig in Fahrt gekommen. Als meine Positionen zu scharf wurden, rundete sie sie aus dem Handgelenk ab, lächelte und trug vor.
Das Konzept dieser Art Veranstaltung ist für Zuhörer, sofern die Gesprächspartner aufeinander stimmen, ideal; es kommt zu keinen Längen, selbst dann nicht, wenn Lesung und Gespräch länger als zweieinhalb Stunden dauern. Was gestern, inklusive der Pause freilich, so war; doch diese war organischer Bestandteil der Veranstaltung. Im Publikum saß auch, was mich stolz machte, >>>> Peter H. Gogolin, der leider immer so bescheiden wirkt, daß kein Aas begreift, welch ein hochkarätiger Romancier das ist. Ebenso wenig merkte man ihm die schlechte Nachricht an, die er eine halbe Stunde vor der Veranstaltung erhielt, über die ich zwar sofort sauer wurde, aber nicht sprechen darf, weil sie einen internen Charakter hat. – Ein andermal vielleicht. Erst einmal wird applaudiert, Junge und mir. Dann ein bißchen Signiererei. Danach ging es in die >>>> Klee-Bar, wo ich, darf ich‘s erzählen?, ein wenig abstürzte. Jedenfalls wurde es nach halb drei Uhr nachts. Wie ich ins Bett gefunden habe, ist mir derzeit noch ein Rätsel. Aber ich kann mir sicher sein, daß es gelang, weil ich ja drin aufgewacht bin – wenn auch zu spät, nach meinen „normalen“ viereinhalb Stunden Schlafs halt. So daß ich mit der Arbeit in Verzug gerate. Doch es gibt ja die Rückfahrt nach Berlin. Muß gleich Züge raussuchen. Gestern währen der Herfahrt habe ich immerhin das gesamte Typoskript für den >>>> Essayband fertigbekommen, der nun zur Frankfurter Buchmesse wirklich dasein kann. Einmal noch drüberschauen am Wochenende, dann kann ich ihn den >>>> Kulturmaschinen für den Satz hinüberschicken.

*******

An Argo, also, mache ich mich auf der Rückfahrt, die ich nicht zu spät antreten darf, weil ich heute abend mit meinem Sohn fürs Kino verabredet bin. Ich werde mich wieder aus Berlin melden. Der zwanzigste >>>> Giacomo Joyce stellt sich um Viertel vor elf Uhr ein; wahrscheinlich werde ich ihn bis dahin noch nicht übersetzt haben, wohl aber >>>> Parallalie. Mein Text wird abends nach meiner Ankunft in der Arbeitswohnung folgen.
Guten Morgen.

17.50 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Zurück. Und gut gearbeitet während der Fahrt, obwohl der ICE proppedickevoll war; aber ich ergatterte ein Plätzchen und mußte es nicht mal verteidigen. Jetzt bin ich allerdings, nachdem die SBahn wegen einmal wieder, ha!, Kabeklaus, fast eine halbe Stunde lang ausfiel, doch ein bißchen matschig. Ob ich die >>>> Joyce-Übersetzung da noch hinkrieg, bevor es um 19.30 Uhr in Kino geht, bezweifle ich. Ich werd es morgen früh nachholen. Jedenfalls war mein Junge schon hier, als ich ankam, ist immer noch hier, der computergefreakte Filou, und wir werfen, er an seinem, ich an meinem Bildschirm Scherze hin und her. Zwischendurch paar Telefonate und als Sundowner, nun, ein Ardbeg.

4 thoughts on “Die Stimmen der verlorenen Engel ODER Nach der Lesung. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 7. September 2012. Wiesbaden und Berlin.

    1. Manchmal. Doch.

      (Aber ich weiß, daß einige Menschen das lernen müssen. Ich gehöre freilich, deshalb auch mein berüchtigter Ruf, nicht dazu, kann aber – und tu es immer gern – ein bißchen davon abgeben. In diesem Fall steh ich auf Seiten Bölls, übrigens auch Bretons, auch Kraussers, muß ich sagen.)

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