Danke an ein Festival: Wortwechsel III & IV. Das Arbeitsjournal des Sonntags, dem 22. Juli 2012. Jena und Berlin. Mit einer gesonderten Achtungsbezeugung vor Ann-Kathrin Roth.

14.04 Uhr:
[ICE 908, Jena-Berlin, 64.]
Nun fahre ich gerade wieder durch eine der mir liebsten deutschen Landschaften: das Saale-Unstrut-Tal, das selbst bei, wie jetzt, bedecktem Himmel dieses unvergleichliche Licht hat. Immer hier, wie in Mittel- bis Süditalien, die stille Sehnsucht, ein Maler zu sein.

Vorbei also dieses mehr als nur angenehme, dieses beglückende, zugleich hochinformative, von Romina Voigt und Moritz Gause, sowie ihren Mitarbeiter:innen, so liebevoll ausgerichtete Literaturfestival in Jenas Kunsthof. Momentlang war ich versucht, noch etwas dazubleiben, so schön war die junge halbindonesische Frau hinterm Tresen. So aufgehoben insgesamt fühlte ich mich zwischen all den ja nun wirklich sehr viel jüngeren Menschen, als ich einer bin. So fragte mich denn auch eine Mutter: „Wie ergeht es Ihnen denn hier?“, da stand ich vor dem heutigen Vormittagsprogramm an ebendem Tresen, reichte lächelnd Blicke hinüber, empfing, plötzlicher, aber stets leise-ironischer Aufblitz. Die Frage w a r für mich keine, was sicher auch damit zusammenhängt, daß ich ein vergleichsweise alter Vater mit sehr jungen Kindern bin. Nur vorgestern nacht, als der Technobeat schlug, wußte ich, da gehör ich nicht hin.
Die Diskussion gestern nachmittag, wie man denn als Schriftsteller beruflich existieren könne, hab ich gegenüber der, nennen wir sie Berufshelferin gleich anfangs und sehr bewußt polemisch verschärft: Künstler sind keine seelischen Sozialhilfeempfänger, kein „Jobcenter“ (allein schon der Ausdruck!) hat eine Zuständigkeit – weil es sich eben um einen „Job“ nicht handelt, nicht mal um einen Beruf, sondern um eine – Lebensweise. Das sollten die jungen Autoren wissen und so auch fühlen. Ich will das vermitteln: Stolz, Quergeist und Unabhängigkeit auch und gerade von sogenannten Zielgruppen. Wir sind nicht angestellt, um irgendwen zu entertainen, auch nicht, um eine „creative industry“ zu befördern. Statt dessen sprach ich, wie immer mal gelegentlich, von meinem Literaturdarwinismus, sagte gleich, forciert, zu Anfang: „Ich bin Künstler, das heißt: kriminell“ – schon weil mir die Konsensualisierung von Gesellschaft gehörig auf den Keks geht, bekanntlich, dieses unsäglich politisch Korrekte, auch das erotisch VorgebsKorrekte – d a s nun s o w i e s o. Künstler haben sich aus ihrem Jahrhunderte währenden Lakaiendasein nicht befreit, um nur knapp hundertfünfzig Jahre später irgendwelchen Shows zu dienen, auch das breite Publikum ist nicht ihtr Souverän. Weiters gibt es Frauen und Männer, so will ich‘s; daß es auch einiges dazwischen gibt, Mannsfräulein und Fräuleinsmänner, na meinetwegen. Wer ein Schaf vögeln will, soll das tun, und wer seinen Küchenschrank liebt, hat auch dazu das Recht. ‘s ist nur nicht meines.
Die Diskussion ging her und hin; Gause hatte mir schon vorher gesteckt, daß er mich unter anderem deshalb eingeladen habe, weil ich für meine Polarisierungen bekannt sei, und >>>> Umblätterers Paco, den ich gestern vormittag auf Kaffee & Kakao traf, bemerkte süffisant, jetzt wolle er >>>> meinen Cockring sehen, unbedingt und sofort, wenn ich denn schon drüber schriebe. Da lachten wir und unterhielten uns statt dessen über Dichter, was aber ungefähr dasselbe ist, also nahezu das Gleiche. Hübsch, die Sprache, gell? – Jemand, wieder einmal, dort, wo sich die Fußsohlen wärmen (nein, es sind nicht meine), fragte nach meinem Ring, ob er Erkennungszeichen eines Geheimbundes sei; ich hatte aber keine Lust zu antworten, diesmal. Man kann‘s ja >>>>> in Der Dschungel nachlesen; die es etwas angeht, allerdings, erkennen es sofort, und nur auf die kommt es mir an, alleine schon aus praktischen Gründen.

Abends, gestern, Lesung junger Preisträger. Da hörte ich den mit Abstand besten Text aller Lesungen: >>>> Ann-Kathrin Roths Erzählung über eine virtuelle Realität, die Realität i s t, nur, wie sie zitiert, das Gegenteil der physischen: damit gehört jedes gelesene Buch dazu.

Gegner des Netzes und der Computertechnologie sollten sich darüber klarsein. Aber nicht das beeindruckte mich, sondern wie zugleich hochkalkuliert und doch direkt aus dem Erleben sie die Szenen aufeinanderfolgen läßt, vermittelt durch Schnitte freilich, Filmschnitte – ein Stilmittel, das ich unterdessen entbehrlich finde, zumal in der Massierung. Indessen, mit welcher zugleich Chuzpe und genauem Hinsehen diese so sehr junge Frau von den hängenden Brüsten der Prostituierten schreibt, die sie, jene wie ihre Trägerin selbst, aus dem Netz in das Leben, sogar aufs Dach eines fahrenden Autos transportiert, muß man einfach gehört, sicher auch gelesen haben, und wie Sie >>>> die Facebook-Realität einer, >>>> ja zweier Generationen gleichberechtigt, doch aber auch verloren, in die andere Wirklichkeit hält – zwischen sich und ihr immer die Kamera. „Das alte Rein-raus ist vorbei“, sagt die Prostituierte, und wohlgemerkt – soviel zur Meinung älterer Leute über das, was junge schon wissen „dürfen“ – eine s e h r junge Frau schreibt das — also: „das alte Rein-raus ist vorbei“, sinngemäß weiter: „das Netz hat den Beruf anstrengend gemacht, aber es bringt uns auch Kunden“, denn realisieren läßt sich die sexuelle Geilheitsphantastik nur in der nach wie vor p h y s i s c h e n Wirklichkeit (Schopenhauer: Wirklichkeit sei das, was wirkt). Noch, offenbar, besteht das Bedürfnis, aber wir spüren hier schon, in diesem kurzen Text, wie es sich auflöst – und die Autorin spürt es auch und legt den poetischen Finger darauf. Die junge Frau wird mir, ich fragte nach seiner Publikation, ihren Text schicken, der zwar in einer Preisträger-Anthologie erschienen sei, „aber ich will, daß Sie die richtige Fassung lesen“. Beindruckend in der Klarheit, beeindruckend in der poetischen Kraft, beeindruckend in der fehlenden TabuScheu. Solch eine Freiheit schon hat dieses mehr-als-Talent. Von der wird man noch hören, von dieser jungen Frau. Mein Wort darauf. Wenn sie es mir erlaubt, werde ich zumindest Auszüge aus der Geschichte hier in Die Dschungel stellen; ich werde auf jeden Fall fragen.

Dagegen heute früh, die Slammerei… nein, meines ist das nicht. Felix Römer zwar, zweifellos ein Profi des Entertainments, hat Witz und spielt ihn auch derart aus, daß ich ihn nach seinen ersten Intonationen für eine Art Schimanski des Poetry Slams zu halten versucht war, aber imgrunde sind diese Texte mit banalisiertem Villon verschnittenes Kabarett; als solches wirkungsvoll, doch ohne d a s, was ich in der Poetik immer suche: Transzendenz. Ähnliches galt für Steve Kussin. Anders freilich Tobias „Tobi“ Krone, dessen vor Lässigkeit trockener Witz durchaus über sich hinausweist. Doch was mich insgesamt am Slam, letztlich, nicht interessiert, ist seine Situationsgebundenheit; sie interessiert mich tatsächlich so wenig, wie mich jemals Kabarett interessiert hat – einfach deshalb, weil es immer nur bei sich selbst bleibt, wohl auch gar nichts anderes will, was sein Recht ist, mich aber auf Dauer langweilt. Ich will die Übertretung und nicht die Erfüllung eines Genres. Mich interessiert das Fremde, nicht das redundant immer schon Eigene. Spannend allerdings, soziologisch geradezu hochinteressant, sind die seltsam am Bürgerlichen klebenden Werte, die besonders Felix Römer vermittelt; ginge man seine Texte analysierend darauf hin durch, ich bin mir sicher, sie erwiesen sich, besonders in sexueller Hinsicht, als spießig. Was sich gruppendynamisch aber kaschiert: also geschickt rhetorisch:: immer mit der Speckseite nach dem Publikum werfend. Den Texten Römers steht die kleine Dichtung Ann-Kathrin Roths geradezu diametral gegen.

Schön gestern abend die kleine Band, die in einem eingeschobenen Duo Sax/EGitarre wirklich hochflog in dem kleinen Raum.

Als ich mir wünschte: a-moll, wurde das eine schwere Ballade. Man merkte, welche Lust die Viere hatten, wirklich Musik zu machen, wiewohl Rock ‘n Roll gewünscht war, bzw. Disco zum Tanzen. Es waren aber nicht genügend Leute da, um sich durchzusetzen. Also nudelte man zwar auch ein bißchen „Funkiges“ ab, doch blieb letztlich bei – Musik. Enorm sympathisch. Als auf Konserve umgestöpselt wurde, ging ich.



Nun also wieder Berlin. Ich muß anfangen, mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren. Dringend. Doch viele, sehr viele meiner Bücher wurden gekauft, mehr als gewöhnlich bei irgend einer „bürgerlichen“ Lesung – und das von jungen Menschen, die wirklich weniger Geld haben als die berufsausgestatteten Besucher von Literaturhäusern. Das ist ein enorm gutes Gefühl: die Bücher leben und geben sich dahin weiter, wo sie auch wirken können. Was kann einem Dichter Schöneres passieren, als diese Gewißheit vermittelt zu bekommen?
Danke für dieses Festival.

P.S.:
Wunderbar ist, übrigens, dieser Stoffbeutel:

Er enthält, in einer limitierten Auflage von insgesamt 300 Exemplaren, von jeder Autorin, jedem Autor, die teilnahmen, Texte – in per Hand hergestellten, enorm liebevollen Editionen:

Es ist wahrscheinlich der einzige Stoffbeutel, der jemals eine ISBN bekam. Bestellen Sie ihn, am besten über >>>> die Facebook-Seite; er kostet gerade mal 5 Euro und ist wirklich ein feines kleines Geschenk.

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4 thoughts on “Danke an ein Festival: Wortwechsel III & IV. Das Arbeitsjournal des Sonntags, dem 22. Juli 2012. Jena und Berlin. Mit einer gesonderten Achtungsbezeugung vor Ann-Kathrin Roth.

    1. Ja, die Gemächlichkeit der Malerei (als Spezifik ihres Entstehungsprozesses) ist vorbei, geblieben ist das Licht. Aber das Licht ist kein Werkstoff.
      Speers “Lichtwände” waren ein (allerdings interessanter) Versuch.

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