Grimms Zöpfe ODER Die Trauben. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 11. Juni 2012.

9.56 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Jemand ließ ein langes Haar aus dem Turmfenster hinunter; man weiß aber im letzten Achtel nicht, ob lang denn genug. Doch die Füchse springen, was oben amüsiertes Lachen klingeln läßt – zumindest können wir‘s ahnen. Seit sie Kulturfolger sind (mindestens einer lebt an den Hängen des S-Bahn-Traktes quasi hier gleich nebenan, ein weiterer gegenüber >>>> der Bar in dem bebuschten Rasenstück, und ein dritter begegnete mir, erzählte ich das?, nachts im Tiergarten, noch sein Wild in der Schnauze), – seit sie Kulturfolger sind, also, können sie indessen nicht mehr recht unterscheiden, ob Trauben süß oder sauer sind; will sagen: ihr Instinkt hat gelitten. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das ist das – es ist keins – Problem. Immerhin muß ich nur um Mitternacht zu Bett gehen, und ich komme sehr gut um halb fünf Uhr wieder heraus. Das war beruhigend heute morgen. Legte gleich los und holte, was gestern versäumt war, nach: elf Seiten Argo hab ich geschafft.

Da schlief der Junge noch.


Vulkanlager.
Selbst der dampfende Kakao konnt‘ ihn nicht gleich wecken. Sein Schlafen wartete b-moll ab, Tschaikowski; bei Vivaldi schließlich, WV 399, kam er hoch: „Morgen, Papa.“ Elgars Cellokonzert brachte ihn ins Räkeln, ich legte frische Wäsche hinaus. Vivaldi wieder zum gemeinsamen Frühstück, das wir uns in den vergangenen Wochen angewöhnt haben, gerne Toast mit Butter und Salz, dem obligaten Frühstücksei und, der Knabe allein, einer ganzen Packung Putenbrustscheiben mit Honigrand.
Dann zog er los. Und ich setzte die Argo-Überarbeitung fort. Telefonierte allerdings mit der Löwin. „Hab alles aufgeholt, was ich gestern versäumte.“ „Sehen Sie, so geht es a u c h“ Sogar die Zeit für dieses Arbeitsjournal habe ich gefunden, in dem bislang, freilich, außer über die Arbeit noch nicht viel zu berichten ist. Ich muß auch gleich los zur Kinderärztin, um die Chipcard nachzureichen. Dann geht‘s ans Cello; nachmittags abermals ‚Wege‘: die Reise, unter anderem, ist vorzubereiten, die in die Serengeti. Ferner muß ich den Giacomo Joyce auftreiben, aus dem ich am kommenden Sonnabend vortragen werde; dazu mehr aber später. Hatte auch eine n o c h andere Idee, die ich indessen mit >>>> dem Forum absprechen müßte. Mal sehen. Ich weiß auch nicht, ob‘s zeitlich hinhaut. Wie geschrieben: später, bitte. Meine Innenwelt ist jedenfalls rege in einiger Hin- , bzw., weil wir diskret sind, Wegsicht.

19.30 Uhr:
So, alles imgrunde geschafft, sogar noch das Schuljahrs-End-Essen für die Klasse meines Jungen organisiert. Das Massai wollte nicht, aber das >>>> Savanna: nämlich eigens mittags öffnen für die Kinder. „Kommen Sie denn nicht mit?“ fragte mich der hochgradig freundliche Äthiopier, der mich auch gern gleich plaziert hätte, um mir ein Getränk zu kredenzen; aber ich war, reisevorbereitungshalber, in Eile und weil ich eventuell noch in die Bar abrauschen will, nicht aber viel, eher wenig, am besten gar keinen Alkohol trinken; statt dessen aber würden mit die knapp zwanzig Kilometer Radfahrt hin und zurück ziemlich guttun, meiner Physiologie. Denn morgen früh um neun ist dieser Arzttermin, in dem mir bestätigt werden sollte, daß ich fürs Tauchen fähig bin, gesundheitlich, kreisläuflich und so; ein bißchen bin ich nervös. Das werden einige Testungen werden, bevor‘s dann in die Arbeitswohnung zurück und auch schon auf die Tour geht.
Sehr schön das Exemplar des Giacomo Joyce, das Suhrkamp eigens für mich hat am Empfang hinterlegen lassen; so feine Umschläge haben die heutigen Exemplare nicht mehr. „Ich brauche es aber, leider, zurück“, schrieb mir der Lektor. Als ich das Bücherl aus dem Couvert nahm, wußte ich sofort, warum. Ich mußte auch gar nichts sagen da, im vierten Stock des Palazzos, ehemals meinem Finanzamt, sondern die Dame stand schon in der Tür und reichte mir die Gabe lächelnd hinaus.

Bei Suhrkamp ist das Bändchen vergriffen.

Mit der Neuen fröhlichen Wissenschaft nicht ganz so weit gekommen, wie ich wollte. Aber ist schon in Ordnung. Während der Bahnfahrt morgen höre ich mir >>>> Schrekers Schmied von Ghent an und skizziere vielleicht schon die Kritik; ebenfalls über die vierte Nummer der Maderna-Gesamtaufnahme, die der Hessische Rundfunk nach und nach herausbringt, werde ich schreiben, auch diese Scheibe nehme ich mit. Im übrigen vierzig Seiten Argo zur Weiterarbeit täglich.

Long lewdly leering lips: dark-blooded molluscs

James Joyce, dtsch. von Klaus Reichert

Lange lüstern lauernde Lippen: dunkelblütige Mollusken


4 thoughts on “Grimms Zöpfe ODER Die Trauben. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 11. Juni 2012.

    1. Oh, das wäre toll. Da ich morgen schon unterwegs sein werde, wäre es schwierig, das auf die schnelle zu besorgen. Vielleicht legt mir aber auch der Verlag noch eins an den Empfang; das erfahre ich nachher noch. Ansonsten komme ich sehr gerne auf Ihr Angebot zurück.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .