Zelte, Sabine Wewers Kunst und die Argo. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 9. Juni 1012. Mit Hinweis auf eine Vernissage in Berlin.

10.36 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Es wird immer toller: heut bin ich erst um zehn vor acht aufgestanden, nachdem ich nachts, ab ziemlich genau null Uhr, durch die, so hat‘s die Löwin vorhin ausgedrückt, Pfuhle gesurft bin; ich kam einfach nicht los als schwanzgesteuerter Dichter, an welchem kybernetischen Ruder, das ich führte, der >>>> gestrige Traum „schuld“ sein könnte, die schlaftaube Erregung, wie ich‘s nannte, die nun so taub nicht mehr war. Dennoch, nachdem der Latte macchiato war bereitet, kam ich sechs weitere Seiten mit Argo voran – zwei mehr, immerhin, als das tägliche „Soll“ ist. Trotz meiner testosteronalen Konfusionen komme ich deutlich schneller weiter, als ich vorausgesehen und entsprechend geplant habe. Bei TS 675 bin ich heute gelandet.


Argo-TS 671.

Dazu, täglich parallel, die Neue fröhliche Wissenschaft, sehr intensiv. Ganze Blöcke sind umzuschreiben. Als ich dann gestern abend bei Broßmann auf dem Balkon stand, dort rauchend, weil seine kleine Tochter das in der engen Küche nicht abkriegen sollte, hatte ich unvermittelt die Lösung für mein „Problem“: da wußte ich, wirklich plötzlich, wie ich die Texte anordnen würde. Ich will später noch, gesondert, hier in Der Dschungel dazu schreiben. Außerdem, nachdem das Prinzeßchen zu Bett gebracht und die Küche als Rauchraum freigegeben war, diskutierten wir die Anordnung, und Broßmann, >>>> der ja Fachmann ist, kam auf Ideen, die ich allein für mich gar nicht umsetzen könnte, die aber auf das Projekt sehr genau passen. Jetzt werd ich den Kontakt zu >>>> Abendschein vermitteln; vielleicht, daß die beiden, Broßmann und mein Verleger, die Gestaltung miteinander direkt besprechen. Nach diesem Arbeitsjournal schreibe ich gleich eine Mail nach Bern.

Der Tag wird heute eigen werden: Nachmittags sind die Zelte probeaufzubauen und zu imprägnieren, die uns, der ganzen Familie und mir, in Italien Heim sein sollen: es geht ja bald schon los. Und abends will ich auf eine Vernissage. INSOMNIA. Galerie Cornelia Funke, Willibald-Alexis-Straße 13/14: falls Sie ebenfalls hingehen möchten. Werbungshalber verzeihe mir deshalb das Urheberrecht den nunmehr erfolgenden Übertritt:


Sabine Wewer, Finnja, 2011. Acryl auf Leinwand.
Ich war in die Künstlerin schwer verliebt, als ich neunzehn oder zwanzig war; vielleicht sind wir auch, ich weiß das nicht mehr, kurz miteinander „gegangen“. Oder ich war, was für mich & damals wahrscheinlicher ist, ganz unglücklich in meiner seinerzeit nahezu durchweg kitschigen Sehnsucht. Immerhin habe ich ihr, Sabine Wewer, meinen ersten Gdichtband gewidmet, im Eigenverlag 1976, ein Heftchen, das ich gar nicht mehr so gerne zur Hand nehme. Das Zeug ist ein ziemliches – Zeug. Nun ja. Ich hab es trotzdem aufgehoben. Eines der darin enthaltenen Gedichte hat mich noch jahrelang beschäftigt. „Es hängen Spinnenweben über den Lampen“. Ich habe es aber bis heute nicht hinbekommen. Es ist was dran, doch für sich ein ziemlich gefühliger Müll, arg verspätet pubertär.
Jedenfalls, nach sechsunddreißig Jahren jemanden wiederzusehen, die es sich, wie ich selbst, wahrgemacht hat, zu werden, was man schon damals wollte: Künstler. Und es einfach durchzuhalten. Davon gibt es nicht sehr viele. Auf unsere Wiederbegegnung bin ich mehr als gespannt.
Guten Morgen, Leserin.

15.45 Uhr:
Jetzt stehen sie, die Zelte, und sind imprägniert.

Es ging ein wenig durcheinander alles, weil die Familie schon sehr früh hierherkam. Es waren Heringe zu kaufen, für das zweite, das neue tragbare Heim: was man werkhalber an Halterungen mitbekommt, ist schlichtweg Schrott. Und dieses Imprägnierzeug stinkt derartig, zumal ich sowieso schon Essig hasse, daß man sehr gut daran tut, die Zelte über Nacht auslüften zu lassen.
Ich selbst geh jetzt ans Cello, danach wird sich gepflegt, und wenn dann noch etwas Zeit ist, mach ich mit der Neuen fröhlichen Wissenschaft weiter. Selbst hell aufgelacht habe ich bei einem Aphorismus, der gar nicht von mir stammt, sondern von jungen Frau er trägt nun die Nummer 134 und geht so:
134

Miriam. – „Was ist das beste Mittel gegen Männer?“ – „Mehr Männer.“

4 thoughts on “Zelte, Sabine Wewers Kunst und die Argo. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 9. Juni 1012. Mit Hinweis auf eine Vernissage in Berlin.

  1. Der schwanzgesteuerte … … Dichter verfasste gefühligen Müll, während Spinn(en)weben über den Lampen hingen.

    Absolut großartig! Weiter so und beste Grüße von der Ostsee, wo ich ausgerechnet die Sizilische Reise mithabe – für den Fall, dass ich zwischen meinem eigenen Müll auch mal was lesen möchte.

    1. Müll @PHG und @ANH
      Na,na,na, wenn der „Müll“ so wird wie „Calvinos Hotel“, dann kann man ja wohl kaum von Müll sprechen. An dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht habe ich das Buch mit großem Lesegenuß „verschlungen“, auch weiter so! Nicht weniger fesselnd ist ANHs Vergana- Erzählung, so ganz völlig etwas anderes als ich je zuvor las. Sie beschäftigte mich noch tagelang und lud ein zum Wieder- und Wiederlesen, Verstehenwollen des Unglaublichen.

      Wird es eigentlich jemals die beiden Rezensionen geben? Zur Erinnerung: PHG wollte über die Bamberger Elegien schreiben (was sicher ungeheuer schwierig ist), ANH über „Calvinos Hotel“, was er allerdings zum Teil schon gemacht hat. Kompliment Ihnen beiden für all das Bereichernde.

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