Die Kräfte des Guten: Hans Sommers Orchesterlieder. Eine Entdeckung.

[Geschrieben für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Dort auf der Schallplattenseite erschienen am 14.4.2012.
Hier mit dem ursprünglichen Ende.]
Auf jeden Fall werden Sie Ohren machen! Was diese Compactdisc aus den Lautsprechern tönen lässt, ist von einer so dynamischen, dabei klarsten, wiewohl farbsatten Intensität, dass von einer Referenzaufnahme gesprochen werden muss. Eine künstlerische Meisterleistung der Tontechnik; Herbert Frühbauer und den Münchener msm-Studios ist sie zu danken. Wir waren dergleichen damals, zu LP-Zeiten, von der Deutschen Grammophon gewöhnt, von der Decca und EMI Electrola, die aber heutzutage gern dem regredierten mp3-Ohr eine schnelle Rechnung stellen.
Um so höher ist das kleine Schweizer Label Tudor zu achten, das diese Aufnahme ermöglicht hat: Die Bamberger Symphoniker unter Leitung von Sebastian Weigle haben von dem Braunschweider Komponisten >>>> Hans Sommer die Sappho-Gesänge op.6 sowie die Orchesterlieder nach Goethe und eines nach Felix Dahn von Hans Sommer eingespielt. Die wunderbare Mezzosopranistin Elisabeth Kulman singt, und der Bariton Bo Skovhus intoniert derartig intensiv, dass es an den Deklamationsstil des späten Fischer-Dieskaus erinnert. In dem Lied „Symbolum“ lässt Skovhus seine Stimme fast unmerklich – doch man bekommt dabei Gänsehaut – durch jeden einzelnen Ton wie durch eine Fläche gleiten. Geradezu halluzinativ ist das. Doch verführt dies zugleich dazu, ganz wie es auch technische Realisierung tut, sich in den Klängen nur zu baden. Sind diese Lieder solch ein Vertrauen wert?
Zunächst: Hans Sommer, er lebte von 1837 bis 1922, hat seine spätromantisch schwelgende Klangwelt meisterlich instrumentiert. Das fällt schon ganz zu Anfang auf. Da ist viel Einfluss von Richard Wagner mit herauszuhören, auch von Richard Strauss. Doch ebenso ist Robert Schumann in diesen Kompositionen präsent. Daraus lässt sich eine Suppe schon kochen, eklektizistisch, die schmeckt.
Ein Problem sind, leider, die Texte der sechs Sappho-Lieder. Deretwegen hatte ich mir dieses Album eigentlich besorgt. Dafür kann der Komponist freilich nichts, daß ich, fällt Sapphos Name, immer Luigi Dallapicollas magischen „Cinque frammenti di saffo“ im Ohr habe, in den Nachdichtungen von Salvatore Quasimodo – eine der schönsten Musiken, die ich überhaupt kenne. Man möchte davon gerne mehr. Doch Carmen Sylvas Verse, von Hans Sommer vertont, ernüchtern, weil diese Dichterin mehr mit den Tränendrüsen schrieb als mit einem Federhalter: „Die Lieder verhallen,/die Liebe vergeht,/ Vom Schicksal getragen,/ Die Welle wird Erz,/ Eh‘ die Liebe besteht“ und so weiter. Um über solche Dürftigkeiten möglichst satt hinwegzukommen, werden sie von Sommer orchestral aufgedonnert. Dabei wünschte man sich so sehr, dass er Zeilen wie sein volksliedhaft tönendes „Ich singe der Kraft, die die Erde erhält“ in ihrer schönen Melodik einfach belassen würde. Statt dessen will Sommer noch und noch „Vier Letzte Lieder“ schreiben.
Anders die Goethe-Vertonungen. Hier ist Sommers Klangphantasie in die Feinheiten der Gedichte (weil es sie eben gibt!) eingelassen, muss ihnen nur nachspüren und darf das, weil auf sie Verlass ist. Deshalb gelingen ihm wirkliche Wunderbarkeiten, etwa „An den Mond“, worin man zu den Worten „Fließe, fließe, lieber Fluß!“ tatsächlich das Wasser durch die Bläser springen hört. Und wie berückend singt in „Des Harfners Gesang“ die Flöte! Leider gibt Sommer auch hier seiner Neigung zur Redundanz nach, als müsste er, indem er Endverse wiederholt, etwas noch betonen, das seinen Glanz ganz aus sich selbst holt.
Die Vertonungen der kurzen Gedichte sind darum die nachdrücklichsten, sie wirken nach mehrmaligem Zuhören um so stärker, besonders der fraglose Höhepunkt des Goethe-Zyklus‘, nämlich das berühmte „Wanderers Nachtlied“. Damit schließt die CD. Wie hier die beiden Endverse vertont sind, das werden Sie nicht wieder vergessen: derart ganz geht das „balde…“ in den schweigenden Wald ein. Nur die Harfe, am Ende, hätte Sommer sich sparen können. Erwartungen, die billig sind, soll man nicht bedienen.
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Hans Sommer
>>>> Sapphos Gesänge
Goethe-Lieder
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Elisabeth Kulman, Bo Skovhus.
Bamberger Symphoniker, Sebastian Weigle.
2012 Tudor Recording, Zürich, 7178.
15,99 Euro.

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