Nach dem Gelage. Das Lesejournal des Sonnabends, dem 10. März 2012. Dazu: Die Schniedeleien ODER Liebender Sexismus.

8.25 Uhr
[Arbeitswohnung. Egon Wellesz, Dritte Sinfonie.]
Ziemlich gut gegessen gestern nacht, die Calamari waren vorzüglich in ihrer Tinte. Restlos verspeist. Noch jetzt riecht die Wohnung schwer nach der Kopffüßlersüße; ich hätte nachts noch abwaschen sollen.

Andererseits mag ich den Duft, weil er so angenehm sexuell ist. Leider hat mein Jackett was abbekommen. Wahrscheinlich werde ich mir das nach meinen Jahrzehnten nicht mehr angewöhnen, mir zum Kochen eine Schürze umzubinden. Ich hab gar keine. Selbst schuld also. Aber Tintenfischtinte geht gut raus… – es gab da mal einen Vorfall in den Achtzigern:
Do und ich in Venedig, kleines Restaurant direkt an einem der Seitenkanälchen. Es war aber zu kalt, um draußenzusitzen. Also wir bestellen, ich zum ersten Mal ai nero di seppia. Der Cameriere ist absolut begeistert von meiner Wahl, des‘ entsinn ich mich gut.
Er kommt mit dem ersten Teller, stellt ihn vor Do, nein ritualisiert ihn vor sie. Geht wieder, holt den zweiten Teller, hat einen etwas zu eiligen Schritt, aber eilig aus Stolz, sowas gibt’s. Und der kommt, wie wir wissen, vor dem Fall. Mehr muß ich jetzt nicht schreiben, oder?
Do trug ein weißes Kleid. Auch das weiß ich noch.
Der einzige Fehler, den wir begingen, war, daß wir es nicht gleich am nächsten Morgen in die Reinigung gaben. Der Restaurantbesitzer hatte sich darum sogar kümmern wollen. Aber wir hatten schon die Weiterreise geplant. Nun machte das Kleid, in einer wieder und wieder fester verschlossenen Plastiktüte, die ganze Reise über den Brenner mit. Von dem Geruch, der sich i n der Tüte entwickelte, konnte man ohnmächtig werden.
Immer, wenn ich meinen Tintensugo zubereite, fällt mir Venedig ein.

1985
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Au weia. Drei Flaschen Wein haben wir geleert, zu zweit; dazu kam noch der Strength Cask Talisker, den man, Broßmann hatte recht, wirklich nur verdünnt trinken kann. Dann wird er mir aber zu süß.
Zweiter Latte macchiato. Über die Erdbeeren (nachmittags: „Papa, ist jetzt Erdbeerzeit?“, „ja, aber in Marokko“) Vanillinzucker rechtzeitig gehaucht, Früchte, die man mit den Fingern nimmt, um von ihnen abzubeißen. Dann die Espressi und für jeden eine Zigarre aus Nicaragua, deren Aroma weich und voll ist, nicht wie bei Havannas meist schwer und spitz. Die sind sowieso eher für Nichtraucher als für Süchtige wie mich, die ihr Leben inhalieren.
Noch ein kulinarischer Tip, bevor ich zum Sexismus komme: Nie mag ich Reste wegwerfen; wenn es irgend geht, frier ich sie ein. So auch den übriggebliebenen Sud meines letzten Muschelgelages. Es war eine Zungensensation, ein währender Zungenkuß mit der Sauce, diesen Sud nun als Fonds verwendet zu haben.
Womit wir bei ihm s i n d, dem fürchterlichen Sexismus, der die Welt so quält, vor allem, in ihr, die Frauen. Auch ihm, weil nämlich ihnen, galt unser Gespräch gestern nacht. Es ist schon bezeichnend, wie schnell >>>> Bönt abgetan wird, einerseits, als wäre, was er anspricht, überhaupt kein Thema – wiewohl gerade hier in Der Dschungel nachgelesen werden kann, mit welchen Vorwürfen es ein Mann schnell zu tun bekommt, der seine Sinnlichkeit liebt und zeigt -, und wie persönlich andererseits reagiert wird, zum Beispiel >>>> dort. Sogar einen „Waschlappen-Mann“ nennt eine Frau Herrn Bönt. Ich bin beeindruckt.

Keine Zeit grad für Disziplin: ich hab tatsächlich wieder bis sieben geschlafen und bin, absolut ohne schlechtes Gewissen, erst um halb acht aufgestanden. Und werde jetzt Galouyes wirklich großartige Erzählung „Abstieg in den Mahlstrom“

(Descent into the Maelstrom) weiterlesen, bevor ich mich ans Cello setze. Meine Hand hat sich wieder beruhigt, und sogar die kleine fiese Fingerübung funktioniert jetzt leidlich, die mir mein Junge gestern gezeigt hat – der mit seinen Händen nicht aus Fleisch und Knochen, sondern Elastan -: also man nimmt einen Bleistift zwischen die Finger und läßt ihn von Fingerspalt zu Fingerspalt wandern: „Erst, wenn du das kannst, Papa, gehören deine Finger wirklich dir.“

Ein Bleistift kann ziemlich lang sein. So daß Broßmann gestern nacht von einem „Muskelgedächtnis“ sprach.

[Egon Wellesz, Sechste Sinfonie.]

Hab ich schon erzählt, daß ich Frauen immer zuerst sexuell wahrnehme, daß mich das aber in keiner Weise von der Meinung abhält, sie gehörten genau so bezahlt und g/beachtet wie Männer, und zwar allein nach Fähigkeit und Leistung? Daß ich dafür mit all meinem Sexismus entschieden und radikal eintreten werde? Dennoch werde ich es mir von keiner Correctness nehmen lassen, Frauen immer auch und sogar zuerst einmal erotisch wahrzunehmen und dazu ebenso radikal öffentlich zu stehen. Um es mal so zu sagen: Ich liebe meinen Schwanz, den ich deshalb den Teufel tun werde, >>>> einen „Schniedel“ zu nennen. Ach, wie gut manchmal der Hohn tut!

15.59 Uhr:
Der Tag streicht so dahin. Viel zu lesen habe ich nicht geschafft. Statt dessen laufen >>>> diese und >>>> diese Diskussionen, auch am Telefon übrigens. Bei einem der Gespräche wurde ich „hysterisch“ genannt, was mich auf eine Weise geärgert hat, von der ich nicht einmal sagen kann, ob es mich verletzt hat; das merke ich auch jetzt erst: vorher hat’s still in mir rumgegrummelt. Ich bin dem Wort gegenüber wie begriffslos, als starrte ich auf ein Papier, das nicht nur unbeschrieben weiß, sondern das auch als Material leer ist – als sähe man hindurch, ohne daß aber dahinter irgendwas wäre. Ich würde aber gern was erkennen und starre, anstatt wegzuschauen, ein Vakuum an, das doch objektiv, wie ich auch weiß, unsichtbar ist.
Heute ist einer derjenigen Tage, an denen es für mich besser wäre, gäbe es Die Dschungel nicht, so daß ich, wie vor langer Zeit einmal, „einfach“ nur literarisch vor mich hinarbeiten könnte.

Um fünf kommt mein Junge fürs Cello und zum Reden, abends radelt er wieder zu seiner Mama. Dafür haben wir morgen einen gemeinsamen Musiktag: morgens Sol Gabetta im Konzerthaus, abends Premiere in der Komischen Oper. Und auch „zwischendurch“ wird und soll es ein Sohn&Vatertag werden.

13 thoughts on “Nach dem Gelage. Das Lesejournal des Sonnabends, dem 10. März 2012. Dazu: Die Schniedeleien ODER Liebender Sexismus.

  1. Hab ich schon gesagt, dass das noch nie das Problem war, auch für Frauen nicht, nur, dass ich nicht glaube, dass das auf jede Frau zutrifft, sondern nur auf Frauen, die Sie interessieren, und das ist bei Frauen nun wahrlich auch kaum anders, nur, dass das Sexismus heißt, ist mir neu.
    Ah, und was da so heiß diskutiert wird, wer da wessen Gliedermetzelei betreibt und befürworten soll, offenbar muss Mann von allen Seiten Gefahr fürchten: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,820476,00.html
    Also, mich erheitert daran gar nichts, es ist furchtbar und grausam.

    1. @diadorim. Weshalb ich mir den Sexismus unterdessen sogar rasend gerne anziehe, habe ich vorhin >>>> dort erklärt, aber auch schon oft an anderen Stellen – ein Wort, „Stellen“, das mir in diesem Zusammenhang so richtig gut gefällt.
      Aber natürlich haben Sie recht, und Frauen und Männer sind sich in sexueller Hinsicht ziemlich gegenseitig vom Buckel gesprungen. Deshalb macht’s ja solch einen Spaß, wenn man es weiß. Bezeichnenderweise krieg ich den Sexismus-Vowurf meistens von Männern serviert – vielleicht, weil sie mich sexuell nicht interessieren, was sie innerlich einschnappen läßt? Denn, wenn mir Frauen sowas vorwerfen, sind es garantiert solche, die auch nicht in mein Beuteschema gehören. (Ich bin übrigens gar nicht schematisch, und beim Sex sind immer irgendwie b e i d e Beute, und beide, immer, „gewinnen“. Auch das gefällt mir so an dieser speziellen – lacht auf: – Kommunikationsform.)

    2. Da muss ich mal kurz die Alice hinter den Spiegeln geben und sagen: die Frage ist ja, ob Sie die Worte einfach was anderes heißen lassen können?

      “When I use a word,” Humpty Dumpty said, in rather a scornful tone, “it means just what I choose it to mean – neither more nor less.”
      “The question is,” said Alice, “whether you can make words mean so many different things.”
      “The question is,” said Humpty Dumpty, “which is to be master – that’s all.”

      Und damit möchte ich nicht verhehlen, dass ich viele Ihrer Meisterschaften würdige, nur, mir scheint, Alice stellt trotzdem die richtige Frage und HDs Antwort wischt sie nicht allein zu seinen Gunsten vom Tisch.

    3. Diadorim: Rhetorische Wörter und Namen. Nun wird es kompliziert – also spannend. Jetzt geht es uns wirklich etwas an.

      Wörter wie Sexismus sind polemische Wörter, d.h. sie wurden nicht gebildet, um etwas zu benennen, sondern um etwas bereits mit Wertung zu benennen. Es sind rhetorische Wörter, nämlich Begriffe. Dadurch unterscheiden Sie sich etwa von Wörtern wie „Uhr“, „Baum“, „Urwald“, die weniger Begriffe sind als Namen.
      Der rhetorische Anteil des Begriffs erlaubt die Umwertung, eben weil der Begriff werthaltig ist. Das gilt, wie Melusine mir mit Recht entgegnete, auch für den Begriff „Schlampe“. der sich sehr wohl politisch umdrehen läßt. Ähnliches scheint mir mit dem Wort „schwul“ vorgegangen zu sein, das auch ein abwertendes Wort war und nunmehr wie eine politische Selbstverständlichkeit verwendet wird; selbstverständlich bleibt das Heikel, weil auch der abwertende Anteil, je nach Kommunikationshof, erhalten blieb. In dieser Ausspannung bekommt das Wort aber etwas stark Schillerndes, es gewinnt noch an Kraft. Ganz genau so halte ich es mit dem Wort Sexismus.
      Zöge ich es mir nicht an, stünde ich, nebenbei bemerkt, ständig in der Notwendigkeit, mich zu verteidigen. Auch deshalb drehe ich es herum und greife damit meinerseits an.
      Es gibt einige Fälle in der Geschichte, wo genau dies getan worden ist, nicht selten in revolutionären, bzw. rebellischen Zusammenhängen – also dort, wo Notwendigkeit war.

    4. Impressionismus war einst kein Gütesiegel, stimmt, Ihre Strategie ist nachvollziehbar, allein, ob sie aufgeht, wage ich zu bezweifeln, dazu bedarf es ja doch ein paar mehr, die Schlampen oder Sexisten durchaus positiv besetzen und damit bis in bis in letzte Winkel vordringen. Ich fürchte aber, das machen wohl die wenigsten, ich auch nicht, ich sehe aber auch keinen Sexisten in Ihnen und schlösse mich keiner Schlampendemo an, vielleicht bin ich da zu old school. Da, wo mir der für meine Begriffe echte Sexismus entgegentritt, nämlich als einer, der mich aufgrund meines Geschlechts diskriminiert, halte ich ihn weiterhin für verabscheuungswürdig. Sich an Unterschieden und Diversität freuen, scheint mir nach wie vor kein Sexismus zu sein.

    5. @Diadorim zu den Begriffen, ff. Wir sind imgrunde völlig einig. An der von Ihnen bezeichneten Art von Sexismus finde ich vor allem die dahinterstehende Dummheit grauslich, die zumal allein von Ignoranz aufrechterhalten bleiben kann. Aber da man (?) immer wieder mich solchem Sexismus zuschlägt und ich echt keine Lust habe, mit dieser Spiegeldummheit gegenüber zu verteidigen, nehm ich den Sexismus halt an. Jede/r, die/der mich kennt oder auch nur meine Bücher liest, weiß dann sofort Bescheid. Alle anderen urteilen eh nur von einem Hörensagen, gegen das schon prinzipiell kein Kraut der Aufklärung jemals wuchs.

    1. @Azadeh Sepehri. (Welch wundervoller Name!)

      Allerdings hinke ich vielen auch mindestens zwei Schritte hinterher, weil ich ihn mag und nicht ablegen möchte. Als eine Art Ausgleich laß ich mich aber auch daran nasführen und lache fröhlich, wenn’s wer gelang.

    1. @Azadeh Sepehri. Nein, ich kann, leider, kein Persisch, aber habe auch nicht „gewohnheitsmäßig“ reagiert, sondern aufgrund des Klanges, den der Name vermittelt. Ich bin empfänglich für Farsi. Eine afghanische Geliebte hatte ich einmal zudem.
      Und ebenfalls nein: ein Übersetzungsprogramm habe ich nicht befragt. Soll ich?
      (Etwas ganz anderes: >>>> Dies dort könnte Sie interessieren. Wie Sie sehen, gibt es immerhin eine entfernte Berührung.)
      Gruß,
      ANH

  2. „hysterisch“??? Lieber ANH, selbstverständlich sind Sie hysterisch – wenn man den Begriff nicht pathologisch, sondern als Ausdrucksform versteht (Was ich hiermit, wenngleich beileibe nicht als Erste, vorschlage). Während der Psychotiker abspaltet und sich als ein Anderer gebiert oder in eine Andere gleich einer Besessenheit fährt, e n t ä u ß e r t sich der Hysteriker chronisch oder eruptiv (oder beides) a l s Viele aus dem e i n e n Grund, seinem Körper. Beides sind Inszenierung des Selbst und beide keine freiwilligen (wie ohnehin der freie Wille eine – notwendige – Illusion bleibt). Während der Hysteriker die Maske in jenem Augenblick, indem er zu ihr wird, w e n d e t, bleibt der Psychotiker in der Angst vor dem Moment des Maskenwendens befangen; er dreht sie nicht um, ohne sich eine neue aufzusetzen, weil er den Grund, die Herkunft aus seinem Körper, verleugnen m u s s.

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