Anoushka Shankar im Berghain Berlin. Einige Anmerkungen zu einem höchst ungewöhnlichen Konzert. Yellow Lounge (1).

Die Grundidee der >>>> Yellow Lounge ist so grandios wie ihre Notwendigkeit nüchtern: Wie erschließen wir, fragten sich die Kreativen ausgerechnet der traditionsreichen >>>> Deutschen Grammphon, der E-Musik (die ich Kunstmusik zu nennen entschieden vorziehe – Kunst im Sinne eines elaborierten ästhetischen Anspruchs) -… – wie erschließen wir der Kunstmusik neue Hörer? Wo gehen Menschen hin, da sich die „klassischen” Konzertsäle, nämentlich bei Kammermusik, zunehmend leeren?
Bereits die literarische Szene hatte es gezeigt: Slam und open mike sind Renner zeitgenössischer, „junger” Auditorien. Es ist ja nicht so, daß das Lebensgefühl von den Ästhetiken vermittelt wird, sondern Hörer bringen es, wenn zahlreich erscheinend, immer schon mit, und einem modernen entspricht das gefaßte, bewegungslose Harren nicht, das auf den gereihten Sitzen der bürgerlichen Repräsentanzen nicht selten zum Ausharren wird und manch einen zur Flucht in den Schlaf trägt. Ebenso sind die Zeiten der Pelze vorbei; Opernhäuser, die leben, werden von Studenten gestürmt (allerdings, muß gesagt sein, kaum finanziert). Und das Bildungsbürgertum, insgesamt, stirbt, das mehr oder minder dem Biedermeier entstiegene, das, minder oder mehr, sich einem überkommenen moralischen Kanon verpflichtet fühlt. Es darf in seinen Räumen nicht mal geflüstert werden, denn immer ist jemand bereit, einen zischend zu schurigeln, mindestens mit bösem Blick. Wer setzt sich dem aus, wenn man auch entspannt sein Bier trinken kann wie im Jazzclub bei ebenfalls großer Musik? und trinkt auch noch etwas dazu…
Wo finden wir unser neues Publikum, das einerseits auf Generäle vom Schlage Karajans nicht länger reagiert und sich andererseits – und erst recht – unter musealen Gobelins nicht wohlfühlt, weil zuviel Staub da drinnen hängt, zuviel Antiquariat? Und wann finden wir’s? Die Frage ist nicht unwichtig, weil die Uhrzeit, zu der Veranstaltungen stattfinden, ihr Publikum sortiert: wer morgens früh am Arbeitsplatz sein muß, fühlt sich schlichtweg nicht in der Lage, bis ein Uhr nachts und später auf der Straße zu sein; man muß denn schon eine starke Leidenschaft spüren.
So begab sich nun also der Berg der sogenannten klassischen Musikindustrie zu den Propheten der neuen basisdemokratischen Zeiten und implantierte ihre Yellow Lounge zu kaum faßbaren basisdemokratischen Eintrittspreisen in die Szenen um Techno und House. Als ich, ein auf die Gästeliste Mitgebrachter, >>>> das Berghain wieder verließ, tat ich’s durchaus mit schlechtem Gewissen: „Göttin”, dachte ich bei mir, „da hätte ich doch gerne die sechs Euro bezahlt… Schäm dich!” Tat ich auch. Nicht vorhaltend, stimmt, weil ich ja eh fast immer mit Pressekarte in Konzerten bin, aber doch ein wenig.
Jedenfalls veranstaltet die Yellow Lounge regelmäßig Konzerte der ernsten, fälschlich klassische genannten Musik in jenen teils fantastischen, teils baustellenhaften, jedenfalls oft kühlmetallischen, „Club” genannten Räumen und Sälen, von denen die alten Diskotheken beerbt worden sind. Und das Publikum ist auf begeisternde Weise gemischt, nicht nur in seiner sozialen Zugehörigkeit, sondern auch dem Alter nach: von sechzehn bis sechsundsiebzig ist quasi alles vertreten. Nicht nur, eben, die Szene.

So auch, als in der Mittwochnacht >>>> Anoushka Shankar dort gastierte – von deren unfaßbarer körperlichen Schönheit hier nur einmal noch die Rede sein soll, ein bißchen weiter unten; die Frau wird sie zu oft schon haben rühmen gehört. Doch bevor sie sie uns zeigte, trat – da war es noch vor zehn – ein junger Geiger auf, zum ersten Karrieresprung gefeatured, der entertainernd englisch parlierte: deutlich zu glatt und deutlicher noch zu uns Affen ganz vielen Zucker geworfen: eine von Milstein in Bonbonpapier gewickelte Paganiniana. Nun ja, Instrumenal-Akrobatik fürs Zirkuszelt. Allerdings schwang da noch nicht das Problem im Raum, das im folgenden Konzert so ohrenfällig wurde. Man ließ nämlich den Laut der Instrumente über die großen Technoboxen verstärken. Das nimmt besonders orientalischer Musik die Aura, namentlich der indischen Klassik, die mit reichen Obertönen spielt. Nicht der Plot – die Melodie – ist hier Substanz, sondern, wie im Jazz, seine Verwandlung; die ist aber äußerst enggeführt – es wäre, von Variationen zu sprechen, nicht richtig, denn das Fließen der permanenten Repetitionen der je bestimmten musikalischen Idee, eines Patterns, variiert gleichsam die Gleichzeitigkeit. Es sind, in der Patternfolge selbst, oft nur minimale Verschiebungen, halb- und vierteltönig; vorangetrieben vom Schlagwerk schweben sie durch das zirkuläre Spiel der Tanpura, die die Grundstimmung jedes Stückes gibt, in einem Kontinuum, das nicht nur in den zweiundzwanzig definierten Mikrotönen der Oktave, sondern vor allem auch vermittels reich resonierender Obertöne pulst: So vibriert diese Musik in Tausenden ungefähren Klängen, indes das abendländische Konzept auf Identifizierung setzt. Für diese sind die riesigen Boxen des Berghains gebaut, nicht für eine Durchsichtigkeit, deren die indische Musik bedarf. Das war deshalb nicht gleich zu merken, weil der schwer betonte Boxenbaß für unabweisbare Präsenz sorgt: so hart schallten die Lautsprecher nach außen. Das klassische Konzept der indischen Musik ist hingegen streng introvertiert: wo sie den Geist meint, daß er sich löse, wird hier die Lösung vom Ich, und Befreiung, von den Boxen gleichsam erhämmert und werden die Einzelnen zur Masse verschlagen. Genau dem dienen Watt-Macht und das Erschauern des Brustbeins, nicht des Bewußtseins – eben nicht, im buddhistischen Sinn, Leere, sondern eine Stopfung, die eine Konzentration auf die Kunst hochdifferenzierten musikalischen Gestaltens prinzipiell nicht zuläßt. Es ist, als hätte man gregorianische Chöre wie Marschmusik grölen lassen.
Andererseits geht es grad um Vermittlung, nämlich darum, den Hörgewohnheiten des Publikums und seinen daraus geformten Bedürfnissen entgegenzukommen, ohne aber dabei die Seele dieser anderen Musik zu verraten, die wiederum seit ihren hohen Zeiten sich nicht mehr weiterentwickelt hat – anders, ganz anders als die abendländische Kunstmusik, weder de facto noch auch „nur” im Selbstbewußtsein. Insofern kann Frau Shankars Kunst gerade auch in der lockeren Barbarisierung der Formen zur Rettung ihrer strengen Hochkultur beitragen und, wenn es gutgeht, zu einer neuen, modern gewandelten Blüte indischer Kunstmusik. Man kann sagen, die Künstlerin gibt sie, in ihrem Spiel feingriffig bleibend, der ästhetischen Evolution zurück. Das ist schon einmal viel, auch wenn sich Zweifel hegen lassen, ob der Löffel lang genug sein wird, um mit dem Teufel die Suppe zu essen. Profanierung geht immer zulasten der Tiefe.
Frau Shankar mag das ahnen. Klug leitete sie den Abend mit einem Raga ihres Vaters ein, noch streng an der Klassik orientiert, damit die Hörer erst einmal merkten, um was es hier geht. Danach erst popularisierte sie und folklorisierte, da sie ja doch ihr neues Album vorstellen wollte, >>>> Travellers, das den Flamenco mit dem indischen Klangraum amalgamiert. Eine „Weltmusik” also, die in diesem Fall recht glückvoll ist, weil der Flamenco selbst schon hochsynkretistisch ist: zusammengesetzt aus sephardischen, griechischen, maurischen, auch aus schwarzafrikanischen Elementen, etwa in der Rhythmik. Da wirkt das Zuspiel von Sitar und Tanpura geradezu zwingend, in jedem Fall harmonisch. Besser noch als am vergangenen Mittwoch im Berghain ist das >>>> in diesem fast zweistündigen Stream zu erleben, den die Deutsche Grammophon und http://medici.tv kostenfrei ins Netz gestellt haben (Achtung! nur noch bis zum Ende dieses Monats); besser, weil die technische Präsentation sich nicht über die Musik wölbt, sondern ihr schlichtweg so dient, wie das in den auch religiösen Zusammenhängen des Musikfestivals von Girona erwartet werden kann.
Das Berghain aber ist rein weltlich. Deshalb war es legitim, daß Frau Shankar die musikalischen Patterns durchaus popartig betonte, ihre Wiedererkennbarkeit erleichterte, ja sie sozusagen sangbar machte. Und sowieso: Indem Anoushka Shankar das weltmusikalische Erbe ihres Vaters angetreten hat, braucht sie ein Kitschherz und scheute sich nicht, es vorzuführen, ja ebenso zu inszenieren wie die Grazie ihres Lächelns. So daß der andren Herzen, aller, auch meines, ihr zuflatterten und ihrem traumhaft schönen nackten Fuß, dem linken, der, im Sitarsitzen ausgestreckt, den eleganten Ballen und die Zehen sich rhythmisch mitbewegen läßt. Dennoch gibt sie dem, was ihres Vaters, Ravi Shankars, späte, nach europäisch-klassischem Modell gebastelten Orchesterkompositionen ganz unerträglich macht, eine deutliche Strenge zurück. Tatsächlich gelingt ihr die Melange, die ihrem Vater allein im Zusammenspiel mit Menuhin gelungen war. Es gelingt ihr ausgerechnet mit dem Mainstream. Das schon ist bewundernswert – bewundernswerter aber noch, daß sie sogar der prinzipiellen Weltmusikgefährdung entgeht, der etwa Jan Garbareks einzigartiger Saxophonklang zum Opfer fiel: der akkordisch übersüßten Multikulti-Esoterik. Nein, die Bachblüten blieben heraußen, und auch fürs tanzende Weltall der globalen Konzerne von Capra, Berendt & Co war kein Platz. Das war nicht zuletzt Pirashanna Thevarajahs >>>> Mridangam zu verdanken und seiner Virtuosität von Mundraum und Stimmband – ich schreibe bewußt nicht von Gesang -, sowie der konzentrierten Tanpura Nick Ables, deren Repetionen einem über die Variationen ausgespannten Klangzelt zu vergleichen oder als ein Teppich unter sie gelegt sind, dessen Wirkung durchaus an den Basso continuo erinnert, bzw. sogar dem modernen „Beat” des populären Musik entspricht. Im Schlagwerk – indische Perkussion und Cajón – lag man ohnedies, ohne eigens modulieren zu müssen, und um so mehr aufeinander, als der Flamenco auch die Gitarre nicht selten als Schlagwerk benutzt. Im Berghain hatte sie zudem den fehlenden Gesang zu ersetzen. Andererseits, und da sind wir wieder beim Pop, ist die simple Wiedererkennbarkeit des andalusischen Tanzes medial längst vermittelt genug, um im inneren Ohr selbst tonal ganz uneindeutige Vokalisen als banale Exotismen, also wie folklorige Klischees ablegen zu können, an denen als sperrig gar nichts mehr empfunden wird. Das kam Frau Shankars Konzert ganz besonders entgegen, nämlich ihrem Publikum; sogar bisweilen konnten wir, trotz der Enge, vereinzelt Menschen raven sehen. Was in das Bergghain, den Technoclub dieser Yellow Lounge, einen guten Bogen zurückschlug, getreu ihrem Vorhaben, anspruchsvoller Musik neuen Raum zu erschließen. Das war an diesem Abend gelungen. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

>>>> Traveller im >>>> Berghain.
Yellow Lounge, 7. September 2011.
Anoushka Shankar, Sitar. Pirashanna Thevarajah, Mridangam und indische Percussion.
Nick Able, Tanpura. Ramon Porrina, Cajón. Alvaro Antona, Gitarre.

4 thoughts on “Anoushka Shankar im Berghain Berlin. Einige Anmerkungen zu einem höchst ungewöhnlichen Konzert. Yellow Lounge (1).

  1. “Nicht der Plot – die Melodie – ist hier Substanz, sondern, wie im Jazz, seine Verwandlung; die ist aber äußerst enggeführt – es wäre, von Variationen zu sprechen, nicht richtig, denn das Fließen der permanenten Repetitionen der je bestimmten musikalischen Idee, eines Patterns, variiert gleichsam die Gleichzeitigkeit.” – eine schöne vor-idee zu Hölderlins Turmgedichten. weil ich grad dran sitze… übersitzend. vorerst für mich.

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