Das Innen ein Hotel (16). Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 29. Juni 2011. Darinnen eine Desolation, ein barenboimscher Liebestrank für kleine Kinder und Überlegungen zum eignen Sprecherstudio auf der Toilette. Und dann, davor, mein Glück mit Manon.

9.39 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Bin etwas desolat. In solchen Zuständen verschlafe ich immer, wie eben vorhin auch: erst um acht stand ich auf, und auch das nur, weil ich von einem Telefonklingeln erwachte, hochschoß um GöttinsWillen, aber zu spät das Gerät erreicht, und es zeigt mir nicht, wer zuletzt angerufen habe. Außerdem hängt mein „g” seit gestern, muß das immer doppelt und dreifach antippen. Egal. Deshalb bin ich ja nicht desolat. Sondern. Das >>>> Hörstück ist quasi fertig, und dieses „quasi” ist an meinem Zustand schuld: ich warte nämlich noch immer auf den USB-Stick mit der An- und Absage der Redakteurin, die beide mit einmontiert werden müssen und kompositorisch zum Stück gehören. Das bedeutet, daß ich jetzt keine Letzt-Abmischung herstellen kann und meine Arbeit in Warteposition unterbrechen muß. Ich habe das Ding nun bestimmt dreißigmal gehört und immer wieder Feinheiten korrigiert, zuletzt einzelne Seufzer und Lacher Ricarda Junges aus der O-Ton-Aufnahme herausgeschnitten und vorsichtig in die Montage hineingetan an wenigen Stellen; bei einem Lacher bin ich noch nicht sicher, ob er nicht zuviel ist; das kann ich erst mit etwas Abstand zu dieser Arbeit entscheiden. Jedenfalls brachte ich gestern und vorgestern damit zu, jeden einzelnen der knapp 600 verarbeiteten Clips noch mal durchzufiltern, um die bestmögliche Auflösung bei bestmöglicher Verständlichkeit der Aussagen zu erreichen. Diese Arbeit muß mehrfach gemacht werden: auf Genauigkeit in den Stax-Kopfhörern, dann aber auch über die großen Boxen, und eigentlich müßte ich das Stück nun noch auf einer sehr einfachen Anlage hören, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was bei den meisten Leuten überhaupt ankommt. Ich kann ja nicht davon ausgehen, daß man mit Kopfhörern, bzw. an einem High-End-Equipment hört. Dafür behelfe ich mir mit einem ziemlich simplen mp3-Player, komprimiere die Tondatei also auf mp3, wodurch sehr viel Tonumfang verlorengeht, und höre dann da noch mal ab. Um g a n z genau zu sein, müßte ich mein Stück auch noch auf einem Mono-Gerät abhören. Aber all das geht überhaupt erst, sowie die An- und Absagen einmontiert sind und also die letzte Balance hergestellt ist.

Leerlauf mithin.
Es liegt hier viel weitere Arbeit, die sofort angegangen werden müßte. Das Lektorat >>>> von Abendschein zur Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens ist noch immer nicht angegangen von mir; dann habe ich ein Lektorat zu einem Roman einer anderen Autorin vor mir; das eilt ebenfalls. Und >>>> die Essays für die Kulturmaschinen müssen gesichtet, zusammengestellt und wahrscheinlich auch überarbeitet werden. Daneben steht nach wie vor die Rezension über >>>> Gogolins grandioses „Calvinos Hotel” aus. – Aber ich bin gehemmt. Hänge in der Warteschleife. Sowas nimmt mir den Elan, und ich geh dann nicht mal zum Sport, sondern haue mir irgendwelches Zeug um die Ohren: Filme, Pornos, irgend sowas.
Abgesehen davon geht es mir aber nach Abschluß einer Arbeit prinzipiell so, daß ich erstmal nicht weiß, wie weitermachen – auch wenn ich’s, rational, genau weiß. Das „Innengefühl” ist das einer Leere. Kein schöner Zustand, sag ich Ihnen.

Gestern abend mit Freund M. vorm Beaker’s gesessen, eine Zigarre geraucht. Da war mir noch wohl. Aber nachts dann, wieder alleine, nicht mehr. Also Filme. Bis fast drei Uhr. Mist. Müll.
Wohl war mir wegen des schönen Nachmittags. Die Zwillingskindlein, von denen ich nicht mehr vollen Herzens schreiben darf, sie seien „meine”, führten >>>> mit allen anderen Kindern des >>>> Musikkindergartens eine einstündige Miniaturversion von Donizettis Liebestrank auf, einstudiert von den Musiker der Staatskapelle Berlin und den Erziehern. Wir trafen uns im Foyer des Schillertheaters, worin >>>> die Staatsoper so lange residideren wird, bis die Sanierungsarbeiten an dem sicherheitstechnisch hochmaroden Haus Unter den Linden abgeschlossen sein werden.
Der Meister selbst war da, saß in der ersten Reihe neben der Leiterin des Kindergartens; und wie ich ihn so von halbschräg hinten betrachtete, erinnerte er mich unglaublich an >>>> Eigner. Ich dachte: ganz dieselbe Starrköpfigkeit bei ganz derselben Rigidität und Klarheit in den Positionen. Gefiel mir gut.
Neben mir लक, wunderschön, wie aus einem orientalischen Traum; ihr liefen die Tränen, so gerührt war sie; glücklicherweise hatte ich, wie stets im Hochsommer, ein Handtuch dabei. Die Kleinen sangen, spielten, zogen auf; dazu sangen Ensemblemitglieder der Staatsoper, Tenor, Sopran, Baß und eine handvoll Chorsänger; außerdem spielten die Orchestermitglieder, und die Kinder, fünfzig vielleicht, imitierten das Spiel vor ihrer Dirigentin mit Zeichnungen; anfangs zogen sie mit selbstgebastelten Tröten und Trompeten ein. Als mein Sohn, der mitwar, in dem Alter der Zwillingskindlein gewesen ist, gab es den Musikkindergarten noch nicht; aber ich hätte ihm ihn so sehr gegönnt. Was für privilegierte Kinder! rief ich in meinem Inneren mehrmals aus.
Doch das Leben geht eigene Wege.
Ich hab den Nachmittag mitgeschnitten und werde für den Musikkindergarten eine CD draus zurechtschneiden.

Wir waren, mein Junge und ich, den ganzen Weg vom Prenzlauer Berg nach Charlottenburg mit dem Rad gefahren; es macht mir Freude, ihn Berlin so erleben zu lassen, auch wenn’s für einen Elfjährigen ein wenig anstrengend ist. Nun hat er aber jetzt Ferien, und immerhin, gestern gab es Zeugnisse, hat er drei Noten entscheidend nach oben verbessert. Daß zwei Fächer immer noch etwas wackeln, sei dahingestellt; das kriegt er im nächsten Jahr hin.

Er zu einer Sommerferienanfangsfeier, die seine Freundin gab, ich wieder an den Schreibtisch. Eigentlich wäre Zeit gewesen, zum Sport zu gehen, aber da ging die Desolatheit schon los. Ich hatte nachmittags eine Weinschorle und einen halben Sekt getrunken: keine gute Motivationsbasis für Leistungstraining. So stürzte ich denn ab, bis M. anrief und mich ins Beaker’s runterholte. Wieder oben, sowas um halb ein Uhr nachts, abermals einen Film aufgemacht, viele Kekse gefuttert, weiteren Wein getrunken – ich erwischte mich dabei, daß ich vor dem Bildschirm einschlief. Das war dann das Zeichen fürs Bett.

Und jetzt muß ich mit dem Tag klarkommen. Kann nur drauf warten, daß dieser verdammichte Stick nachher in der Post liegt. Vielleicht geh ich vorher zum Sport; der 12-km-Crosslauf steht an. Aber motiviert bin ich nicht.

11.56 Uhr:
Mit der Redakteurin telefoniert und eine Lösung vereinbart für den Fall, daß der Stick nachher noch immer nicht in der Post liegt; ich erinnere mich, daß wir bei dem >>>> Romantikstück das gleiche Problem hatten. Jetzt werden wir mit der >>>> Dropbox http://www.dropbox.com arbeiten.
So wurde ich ruhiger. Telefonierte mit der Löwin und lehnte mich zurück. Und tu, wozu ich plötzlich eine riesige Lust habe: höre einfach einmal wieder Musik. Absichts- und zwecklos, einfach nur für mich. Genieße den Klang, den meine ProAcs mir schenken. Seit ich >>>> die Stücke verglichen habe, liegt die CD-Box auf dem Mitteltisch: Freni, Domingo, Bruson, Rydl und Gambill mit dem Philharmonic Orchestra unter dem viel zu jung – hier in Berlin bei einer Aufführung – gestorbenen >>>> Giuseppe Sinopoli:



Puccini, Manon Lescaut.






(Zum „Toilettenstudio” schreib ich später. Jetzt singe ich erstmal diese Musik mit.)

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