Das Döllnseesjournal des Pfingstmontags, dem 13. Juni 2011. Nach einer getanen, wenn zwar kleinen, so dennoch getanen Arbeit, in deren Folge unser Held noch abends in die Sauna geht. Und schwimmt danach im See allein, nur Haubentaucher bei ihm und Bless’chen bei hinter die Wipfel sinkender Sonne.

6.26 Uhr:
[Döllns HäuschenTerrasse.]Welch ein Luxus! Dabei ist dieses Wort ganz falsch. Welch ein Umschmeicheln, also, welch eine Sanfte, welch ein Glück! danàch zu schwimmen gestern abend. Bis knapp nach acht Uhr saß ich >>>> an dem Protokoll, dann begab ich mich zum hinteren Steg, der nahe dem Hotel, wo mein Sohn noch und die Freunde waren. Diese gingen dann bald, mein Junge blieb noch bei mir; wir sprangen, nach meinem ersten Saunagang, mehrmals zu Wasser, schwammen zum Ponton in der Mitte des Sees, schwammen zurück; ich schloß, drinnen völlig allein mit mir, den zweiten Saunagang an, schwamm dann eine weite Runde, zwanzig Minuten vielleicht, derweil sich mein Bub mit Kindern amüsierte, die zu dem Steg gekommen und mit ihm abgezogen waren. Der See war glatt wie ein Spiegel, und ich versuchte, das nicht zu stören: durch ihn zu gleiten, geräuschlos, so wollte ich’s, doch das gelang nicht. Ein Gluckern, ein Klätscheln war immer. Ich wollte plötzlich See sein, T e i l sein. Eigentlich ist mir das fremd, solch ein Wunsch und der Wille.
Und als ich so schwamm: abermals >>>> das Wunder meiner Augen. Ich habe mich sehr schnell daran gewöhnt, ganz ohne Brille zu lesen; ich lese, als wäre das völlig normal, und ebenso schau ich ins Ferne. Aber in neuen Situationen oder nicht sehr gewöhnten fällt mir die Klarheit wieder auf, und es strömt Glück durch sie auf mich und in mich jedesmal neu. Mein Verhältnis zur Welt ist nach wie vor das eines Staunenden.
Zurück zum Häuserl.
Wir aßen und sprachen bis gegen eins, da war uns mein Sohn schon entschlafen; ob er sich eben mal hinlegen dürfe, er komme gleich wieder zurück. Klar darfst du. Wir sahen uns nur an, C. und ich. Der ist geschafft. Eine Stunde später sahen wir nach ihm. Unausgekleidet, bis zum Hals noch die Fliesjacke des Freundes, so schlief er unaufweckbar. C. deckte ihm zärtlich die Decke über den Leib und die Seele.

Er schläft noch immer. Derweil ich schon um halb sechs aufwar, mir nur eben was überzog und noch vor dem ersten Caffelatte, den ich eben erst nehme, mit Aufnahmegerät und Stativ zum See hinunterflanierte und beides auf dem ersten Steg in Anschlag brachte. Dort läuft der Recorder jetzt mit. Ich selbst entfernte mich leise, in Eintracht mit dem See: ein bißchen Vertrauen ist schon nötig, eine ruhige Vertraulichkeit, das teure Gerät alleine dazulassen. Aber ich denk mir: ist der Mensch fort, dann ist Gott d a: für die Natur gilt wohl >>>> dasselbe wie für Kirchen. Eine Stunde O-Ton See, denk ich mir und denk: vielleicht kann ich auch das für das neue Hörspiel gebrauchen, gerade im Widerspruch zum Lärmen der Karl-Marx-Allee. Nicht zu verwechseln freilich mit einem Glauben an ein Paradies: Natur ist eine Kirche, mag sein, aber voll Fleisch.
Also das Gerät zurückgelassen auf dem gegrätschten Dreibein des spirrigen Stativs, halb zum Himmel erhoben, über den See, die Mikrophone. Ich werde damit beginnen, bzw. es perfektionieren müssen, meine O-Töne gut zu archivieren, um bei Bedarf auch zu finden, was ich zwar zur Verfügung habe, wovon ich aber je wissen muß, wo ich es finde.
Die Pfeife, >>>> Motzeks Morning 1975. Der Kuckuck ruft. Es ist, wie ich es mir dachte: noch fahren heute früh nur sehr wenige Autos auf der nahen Bundesstraße. So besteht Chance, den SeeTon zu erfassen, nein, falsch, das fassen stimmt nicht: ich will ihn ja nicht stören, sondern vor ihm die Augen zu schließen und alleine im Klang bei ihm zu sein.

Bis hier im Häuserl alles erwacht, will ich fürs Hörstück das Protokoll durchschauen und schon etwas spielen, wo denn welcher Ton in die Zitate eingefügt wird, die ich ab morgen noch von den vielen weiteren Stimmen aufsprechen lassen möchte. – Ich liege fast unversehens gut im Zeitplan, habe die ganz folgende Woche noch für Aufnahmen und Konstruktion und um Ideen um die Form zu entwickeln, die ich gestalten will. Dann folgt die Produktionswoche, in der es schon „rein” um den Klang geht, ums Hören und Wiederhören und Wiederhören, so daß ich sogar, für ganz am Ende des Junis, einen schnellen Parisflug einplanen kann. Spontan. Falls alles klappt. Und falls ich dann noch einen Lastminute-Flug erwische.
Die steigende Sonne spielt auf dem Draht des Zauns, durch dessen dünnen Zierrat hauchdünn Spinnenweben glitzern. Ein Eichelhäher eben, flatternd setzte er sich in die Fichte und betrachtet mich. Vor dem zweiten Kaffee geh ich mal eben nach dem Recorder schauen. Dann werde ich ein wenig >>>> durch Ekmans Wald weiterspazieren.7.05 Uhr:
Alles in Ordnung mit dem Recorder. Ich habe ihn wieder alleingelassen. Selbstverständlich bin ich mir klar darüber, daß es sich in Wirklichkeit nicht um Natur, sondern um eigentlich Kultur handelt; der See, so, wie er ist, ist ein Gebilde der Hege, eben Zweite Natur, wie Benjamin meinte. Dennoch ist der jetzt ausgesprochen nahe Kuckuck hier näher als in Berlin. Und wären nicht Frauen, ich begänne, mich für Einsiedeleien zu eignen; wären nicht Frauen, wär nicht die Oper: das ist ein in diesem Zusammenhang wunderbarer Doppelsinn, dessen b e i d e Lesarten stimmen.

10.47 Uhr:
Einmal – wie >>>> zum ersten Mal vor fast sieben Jahren – um den ganzen See gejoggt: 11 Kilometer. Es funktioniert also nicht nur auf dem Crosstrainer, sondern auch im Freien, wobei ich mir, wie hierüber gesagt, klar darüber bin, daß es sich bei diesem Waldlauf nicht um einen wirklichen Waldlauf handelt. In einem wirklichen Wald wäre zu laufen gar nicht möglich, denn man müßte sich dort mit Machete oder Beil den Weg freischlagen. Also war es ein bewaldeter Kulturlauf, der s o weit von Kunst gar nicht weg ist.
Da sitzen dann, ich außer Atem, die Freunde mit ihren Bols am See und schauen den Haubentauchern zu. Ich kurz zu ihnen und etwas gestreckt, dann zurück ans Häuserl, um nach dem Jungen zu schauen. Der schläft noch immer tief.
Muß mich mal umziehen, hier auf dem Terrass’chen geht ein Wind um die Ecke, der mich durchs verschwitzte T-Shirt frösteln lassen will.


Das Paradox des Waldes wurde zum Kern unserer Kultur.
Kerstin Ekman, >>>> Der Wald, S. 84.

3 thoughts on “Das Döllnseesjournal des Pfingstmontags, dem 13. Juni 2011. Nach einer getanen, wenn zwar kleinen, so dennoch getanen Arbeit, in deren Folge unser Held noch abends in die Sauna geht. Und schwimmt danach im See allein, nur Haubentaucher bei ihm und Bless’chen bei hinter die Wipfel sinkender Sonne.

  1. siehe auch Heiner Müller “traumwald”:
    http://ssc-schule.blogspot.com/2010/05/heiner-muller-traumwald.html
    “herakles 2 oder die hydra”:
    http://www.dalank.de/notabene/lit2.html
    und, wenn an dieser stelle mal etwas eigenwerbung gestattet ist, zieht sich der topos wald u.a. wegen seiner paradoxalen kulturkernigkeit auch durch alle drei teile meines “corpus callosum”:
    http://www.popp-art.com/node/164
    als ich an der arbeit damit begann, kannte ich jedoch die dschungel (quasi als digitales revival des UNheimlichen ur-walds) noch nicht.

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