Das Innen ein Hotel (4). Immer der Abschied.

Besser waren die Fragen, die um Kleinigkeiten kreisten. War das Wachstuch auf dem Küchentisch rot oder blau? Einen Vormittag lang hängte sich alles an dieser Frage auf: rot oder blau? Im Geist ging man nochmal zum Laden, stellte sich die Wachstuchrollen vor, rief sich ins Gedächtnis, welches Geräusch die Schere gemacht hattem, als die Verkäuferin das gewünschte Stück abschnitt. Rot oder blau? Oder rot-blau geblümt? Man beschrieb die Küche, diese kleine einfach Küche und wie das Licht morgens durchs Fenster fiel und die gelben Einbauschränke entlangwanderte, bis es den für zwei gedeckten Tisch zärtlich berührte oder kräftig anstrahlte. Je nach Jahreszeit. Komischerweise waren es solche Banalitäten, über die man sprach. Keine großen Ereignisse. Vielleicht hatte hier niemand etwas Großes erlebt, Oder alles Große, das man erlebt hatte, verblaßte angesichts dessen, was einem bevorstand. Allein die kleinen Dinge hatten noch einen Wert, vielleicht weil man glaubte, nur sie noch einmal zurückholen zu können. Noch einmal am Küchentisch sitzen. Noch einmal das Wachstuch auf dem Tisch anschauen. Das mußte doch zu schaffen sein. Die Frau, der man im Zug sein Herz ausgeschüttet hatte, würde man nicht wiedersehen. Und für noch mehr Verlust war kein Platz hier im Krankenzimmer. Aber das Wachstuch, der Küchentisch konnten nicht unerreichbar sein. Ich hatte immer geglaubt, daß es egal sei, wie alt man war: Man habe immer genug erlebt, um es in langen Stunden Revue passieren zu lassen, um sich und andere damit zu unterhalten. Aber das stimmte nicht.
Ricarda Junge, Eine schöne Geschichte, 163.

13 thoughts on “Das Innen ein Hotel (4). Immer der Abschied.

    1. Weshalb sollte ich das löschen? Wir können dieselben Gedanken haben, ohne einander je gelesen zu haben. Hat deshalb der “recht”, der den Gedanken zuerst hatte? Zudem kommt es darauf an, was aus dem Gedanken gemacht wird. Zu einem Text wie Eine einfache Geschichte wäre Proust nicht fähig gewesen, allein aus historischen Gründen; darüber hinaus war Proust homosexuell, was die den Klang characterisierenden Unter- und Obertöne völlig verändert, also eine gänzlich andere Musik komponiert. Proust machte in der Recherche außerdem einen Mann (den Geliebten) zur geliebten Frau, was ein Spiel der Volten eröffnet hat, das in Junges Text gar keine Rolle spielt. Insofern ändern sich auch die Perspektiven, gesellschaftlich sowieso.
      Als nächstes stellt sich mir die Frage, weshalb ich den Satz-als-solchen löschen sollte? Diese Aufforderung liegt in Ihrem Kommentar ja ebenfalls. Meine Aufgabe ist – allenfalls -, den Satz zu interpretieren. Was das Problem verstärkt, ist, daß ich in “lore” wieder einen Altbekannten erkenne oder zu erkennen meine, der seine Annymität sich zur Waffe schmieden möchte, aber doch ständig dran versagt, weil von ihm, nach seinem Tod, gar nichts bleibt, von mir bleibt aber sehr wohl was. Einiges. Nicht alles. Doch es genügt. (Auch darin bin ich verschieden: Es interessiert mich sehr wohl, was nach meinem Tod von meinen Arbeiten bleibt. Daß etwas bleibt. Dafür zahle ich auch gern mit einem relativ komplizierten Leben. Selbst, wenn ich grolle.)

  1. …danke für die Antwort.
    Ich hatte Proust gesagt, gewiß, aber nur eine krude Ähnlichkeit gemeint. Mein Hinweis auf Proust wurde von Ihnen “gelöscht”. Möglichen Lesern erscheint daher Ihre Ausführung etwas aus der Luft gegriffen.
    Ich sagte “löschen!”, so wie man sagt “dreh mal das Radio ab, die Nummer gefällt mir nicht”.
    Mehr oder weniger hat schon der unsterbliche Wilde zu einem Eskapismus aufgerufen gegenüber allem, was schlecht gemacht ist.
    Die anderen können ja zum Kirchentag gehen.

    1. @lore. Ich habe den entsprechenden Kommentar seines unangemessenen Tones halber gelöscht, wie Sie sicherlich ahnen. Zudem haben Sie in dem Kommentar nicht argumentiert, sondern behauptet und diese Behauptung suggestiv auf ein mögliches Epigonieren gerichtet. Da Die Dschungel in aller Regel Leser hat, die über Intelligenz verfügen, werden sie sich den Zusammenhang meiner Ausführungen schon gedacht haben – ich bin da voller Vertrauen.
      Meines Wissens i s t Wilde gestorben. Sie meinen vielleicht aber sein Werk. Jetzt wäre es, da Sie sich schon auf ihn berufen, an Ihnen, uns zu erklären, in wiefern Frau Junges Text schlecht gemacht sei. Ich erwarte bei Kritik die Anstrengung des Begriffs. Einfach nur zu nörgeln, reicht hier nicht. Auf was, übrigens, bezieht sich “die anderen”? Wer denn sind “die einen”? Wenn Sie ein vorgeblich schlecht Gemachtes kritisieren, sollte immerhin die eigene Kritik den Ansprüchen genügen. Sonst sitzen Sie futternd bei BurgerKing und, während sie noch an der Soße lutschen, lassen sich abfällig über Haute Cuisine aus.

  2. Es gibt immer die einen und die anderen. Es gibt solche und solche. Beispielsweise sind die Intellektuellen die einen, welche die Bezeichnung der Dinge verändern, die anderen verändern die Dinge selbst.
    Über eine mögliche Kritik am nämlichen Text denke ich noch nach; aber die “Anstrengung des Begriffes” verrät eine Hegelei bei Ihnen, die ich nicht vermutet hätte.

  3. ach ja: nur Banausen sprechen in der Vergangenheitsform von einem großen Werk.
    Z. B.: Beethoven war ein bedeutender Tonsetzer.

    Beethoven i s t natürlich groß.

    1. @lore: Sie sind ungenau. Beethoven w a r insofern, als er nicht mehr lebt. Aber sein Werk lebt und i s t groß (aber auch nicht alles, auch da gibt es vielen Aussshuß… Pop halt – wie bei Mozart und vielen vielen anderen, wenn sie Divertimentler wurden).
      Was aber daran “natürlich” sein soll, hätte ich ebenfalls gerne erklärt.
      Das Problem mit Ihnen wie mit >>>> – sic! – Hen Tse ist die nörgelnde Behaupterei. Sie lassen sich nicht wirklich ein, ja vermeiden das wie das Weihwasser, mit dem doch ich Sie taufen könnte. Dann wären Sie fast schon erlöst.

    1. Sie kapieren es nicht. Nicht ihn. Nicht einmal seinen Begriff.

      (Aber wahrscheinlich ist: Sie w o l l e n nicht kapieren. Zumal ich gar nicht weiß, was ich mit einem Kamm soll. Weshalb ich auch gar keinen habe. Wär aber witzig, dabei zuzusehn, wie S i e es tun. Bitte führen Sie uns das vor. Doch wetten, daß Sie kneifen? Man würd Sie ja erkennen…)

  4. I h n kennen wir nicht, nicht einmal seine Leiche.-

    “Die gefährlichste Sorte von Dummheit ist ein scharfer Verstand!”

    Hofmannsthal ist der Autor

  5. …dann wäre ich zu seinen Füßen gesessen und hätte Hanf gebrochen, Hanf gebrochen über alle Zeiten hinaus.

    Dem können Sie nach denken.

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