Weitere Vorbereitungen, nun auch fürs Hörstück. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 30. April 2011. Mit kleinem NachBerichten von Conthey und in die Nacht der Feenkönigin Pique Dame. Weiß denn wohl sie von Reichenbachs Verbleib?

6.31 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Latte macchiato und Morgenpfeife. Mein Junge schläft auf dem Vulkanlager, wir schauten abends einen Film, lasen im Dschungelbuch, aßen gemeinsam zu abend. Heute wird er bei einem Freund übernachten oder bei seiner Freundin; ich beobachte, wie die Lösungsprozesse begonnen haben, erste Widerständigkeiten der Emanzipation, und sie gefallen mir sehr, auch wenn ich manchmal ganz leicht knirsche.
Mailwechsel mit meiner Redakteurin: vor meiner Abreise sollten für das neue Hörstück der kleine Pressetext und die Kalkulation fertigsein; meine Idee, das Stück um Ricarda Junges Roman „Eine schöne Geschichte” als Zentrum kreisen zu lassen, festigt sich, weil dieses Buch die größte Varianz der poetischen Möglichkeiten ihrer Arbeit umschließt; über den neuen Roman hingegen, „Die komische Frau”, läßt sich imgrunde nur referieren, wie bei realistisch konzipierter Literatur stets: sie ist, was sie ist, nicht mehr (aber auch nicht weniger, und ist sie gelungen, ist’s ja schon viel – interessanter aber ist das NichtFeststellbare). – Spätestens übermorgen will ich die „Formalien” beim Sender liegen wissen, damit ich direkt nach der Kreuzfahrt mich an Sende-Aufbau und Typoskript setzen kann. Mit meinen neuen Augen werde ich auch den als Besorgung geplanten großen Bildschirm nicht brauchen, sondern die Spuren wie vordem am Laptop bearbeiten können. Aber vielleicht leiste ich mir den Luxus dann doch noch, mal sehn.

Eine starke Augenirritation gab’s >>>> in Conthey vom 26. auf den 27. in der Nacht: ein so schlimmes Fremdkörpergefühl im rechten Auge, daß ich nicht schlafen konnte und morgens entsprechend zerschlagen, aber auch sehr nervös war, weil ich in den Fiebereien der Schlaflosigkeit herumfantasierte, man müsse mich abermals operieren, und dann könne ich die Kreuzfahrt stecken, was auch finanziell katastrophal wäre… Madame drängte, ich solle die Notnummer wählen, die >>>> EuroEyes mir mitgegeben. Ich tat’s. Dann war die Sache einfach. Nichts als zu trockene Augen, weil auch die antibakteriellen und die entzündungshemmenden Tropfen, die ich noch weiternehmen muß, bisweilen austrocknende Wirkung haben: also künstliche Tränen, „aber ohne Konservierungsmittel, das ist wichtig”.
Madames Stallbursch, wie sie ihn nennt, fuhr mich zur Pharamazie hinunter in den Ort. Der Stallbursch ist ein hochgewachsener, breiter und ziemlich durchtrainierter Mathematiker, übrigens, bereits diplomiert; während der Semesterferien sieht er nach dem Anwesen und darf da auch, gegen Hand, wohnen; er sitze an seiner Doktorarbeit, erzählte er mir… nein, ließ er während der Fahrt sein strahlend weißes Gebiß erzählen, das eines Tennislehrers ist oder – weil das das Klischee besser ins Vallois paßt – Skilehrers, von dem ich mir durchaus unsicher bin, worauf sich „gegen Hand” so alles erstreckt… jedenfalls: er habe einen neuen Satz aufgestellt und promoviere sich mit seinem Beweis.
Nach Anwendung der Tropfen war es mit dem Fremdkörpergefühl vorbei, schlicht und einfach und nachhaltig bis jetzt. Ich werde mir für die Kreuzfahrt zwei weitere Fläschchen besorgen; aber übermorgen habe ich eh die zweite Nachkontrolle bei der Ärztin.

Zu >>>> der Liste (19.18 Uhr) nachzutragen ist noch für meine VorbereitungsUnternehmen, daß ich eine Kurzbio jedes Autors ausdrucken werde, damit ich meinen kreuzfahrenden Hörern auch biografisch rechtes zu erzählen weiß; man wird ja sicherlich fragen. Was genau ich dann vorm Folgehafen lese, werde ich je vortags entscheiden und, bei Büchern, dann auch erst zusammenstellen; vielleicht die Autorenzitate während der Lesung je gemischt. Die Idee-an-sich stammte ja von mir, das war ursprünglich gar nicht Teil des Auftrags; jetzt hab ich mir damit richtig Arbeit auf den Teller gelegt. Dazu die täglichen Berichte in Der Dschungel, sowie die drei „großen” Lesungen aus meinem eigenen Werk – nein, man wird nicht sagen können, daß ich einen Urlaub machte, – um den wiederum es heute ebenfalls gehen sollte: Ich will für meinen Jungen und mich die Sommerreise buchen, abermals Italien, da ich wegen Afrika vom Funk noch nichts gehört. Die Safari (anderthalb Wochen zu Fuß mit Schlafsäcken und evtl. Zelt und mit einem Führer durch einen der Nationalparks die Big Five erpirschend) hab ich aufs kommende Jahr verschoben; sowas ist teuer und will finanziert sein. Eine Gönnerin wird ja da nicht dabeisein; Madame würde ihren mathediplomierten Skilehrer schicken, und die Löwin liebt Luxussuiten zu sehr, vor allem aber den elegantesten Pumps. Andererseits, wenn sie doch bis zu den Waden in den Farbmassen steht…

8.07 Uhr:
So, die Biografien habe ich jetzt auch alle beisammen. Das wird hübsch für die Schiffspassagiere werden: angefüllt mit NeuemAuchDesInnrenBisZumBersten in Bremerhaven von Bord zu gehen – und auch für mich, der ich ja einige der herausgesuchten „Fremd”texte selbst noch nicht kenne: ich füll ja auch mich selber an.
– Oh, die Löwin!
(Telefon).

9.26 Uhr:
[Tschaikowski b-moll.]
Woraus Sie, also aus der Musik, zurecht erschließen, daß mein Junge aufgewacht ist – pünktlich übrigens zur komplettierten Flugbuchung unseres diesjährigen Italiens: am 15.7. ab Tegel nach Neapel, dort dann hinauf nach Solfatara in den Krater, wo wir etwa eine Woche bleiben werden, ganz wie im letzten Jahr. Einiges Neapel wird dann angesagt sein, vielleicht ein Abstecher in die >>>> Villa San Michele und/oder nach Procida; dann mit dem Zug hinauf nach Rom und Amelia, um die nächste Woche mit >>>> Parallalie zu verbringen bei guter Küche und gutem Wein im Cortile unter dem Duomo, mit Büchern und Musik und sowieso Kultur; und schließlich noch einmal eine Woche auf der Isola di Giglio, die meinem Sohn so sehr gefallen hat letztes Jahr, vorm toscanischen Monte Argentario. Danach nach Rom, vielleicht zwei Nächte >>>> Villa Massimo, zu unser beider, meines Jungen und meinem, Glück. Sofern was frei ist. Und am 5. August morgens geht es von Fiumicino aus wieder zurück. – Mir gefällt das ziemlich gut, unmittelbar vor Beginn der einen Reise bereits die nächste zu planen, zumal hier eine Nachricht >>>> des Gräfin eingegangen ist, derzufolge ersie mich noch vor dem Hochsommer in Paris sehen will: wie weit es denn um den beauftragten Roman bestellt sei..? Ei, damit bin ich noch keinen Fatz weiter -. Wär nun aber ein Anlaß. Ayana, >>>> Ayana: ob sie wohl mitkäm?
Also los jetzt!: Kalkulation und Pressetext für das Junge-Hörstück schreiben. Bei etwas Glück kann ich danach auch noch die Rezension des Romans von >>>> Gogolin anfangen; daß er seinerseits >>>> Schwierigkeiten mit den Elegien hat, wird mich nicht hindern, gut zu finden, was ich als sehr gut begründen kann. Was die Elegien sind, weiß ich textgewiß genug. Das wird sich herumsprechen mit den Jahren; mit Widerstand habe ich ja ohnedies gerechnet.

15.25 Uhr:
[Tschaikowski, Pique Dame.]
Musikalisches Einhören für den heutigen Abend, ja in die heutige Nacht: Die Komische Oper Berlin hat ein s e h r ungewöhnliches – ich muß es so nennen: Gesamtprogramm auf dem Spielplan. Nämlich erst Tschaikowskis „Pique Dame”, welches die erste Oper ist, die ich überhaupt je wahrgenommen habe, und zwar genau in d e r Schallplattenfassung, die soeben läuft, einer Monopressung aus den 50ern; mitgeschnitten im Bolshoi unter Melik-Pasheyev, ist sie mir tatsächlich aus dem Plattenschrank meiner Großmutter überkommen und melodisch nach wie vor anhörbar. Das freilich ist nicht das Ungewöhnliche, das ich meine; – sondern – ; im Anschluß an die wie >>>> die Salomé von Thilo Reinhardt stammende >>>> Inszenierung, zu der nach wie vor Anja Silja die Gräfin singt, werden ab 23 Uhr in Paul Zollers, also eben in den Kulissen dieser Pique Dame >>>> „Auszüge” genannte Stücke aus Henry Purcells grandioser Fairy Queen aufgeführt, was immerhin noch einmal zweieinhalb Stunden dauern wird.
Ich habe mich soeben darauf, darf ich schreiben, vorgeschlafen. Und weil für einen Abend oder für mehrere solche Abende der Kreuzfahrt elegante Abendgarderobe vorgeschrieben ist, werd ich die meine heute „ausprobieren”; eigens hab ich mir vorhin Schleife und Einstecktücherl besorgt; dazu mein weißer Abendanzug mit Smokingweste; hab eine solche Lust darauf. Ganz sicher werde ich Ihnen über die Aufführung eine Rezension schreiben, um so lieber, als ich vor zweieinhalb Jahren die seinerzeitige Premiere der Pique Dame verpaßt hatte und auch danach nicht dazu gekommen bin, sie mir anzusehen.

Einiges an Post erledigt; jetzt will ich den Pressetext fürs Hörstück fertigmachen; aber ich habe noch keinen guten Titel. Ohne den geht nix.

(Oh ja, die Pique Dame! Gibt sie uns nicht Anlaß, >>>> Paul Reichenbachs zu gedenken, der nun so lange Zeit schon schweigt, und keiner von uns weiß, wie er und wo verblieben. Auch die ihm nahsten Freunde, die ich kenne, wissen es nicht. Er nimmt sein Telefon nicht ab, und die alte Festnetznummer existiert nicht mehr.)

4 thoughts on “Weitere Vorbereitungen, nun auch fürs Hörstück. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 30. April 2011. Mit kleinem NachBerichten von Conthey und in die Nacht der Feenkönigin Pique Dame. Weiß denn wohl sie von Reichenbachs Verbleib?

  1. Elegien & Häfen Lieber ANH,
    zu den Elegien werde ich noch kommen. Ganz gewiss, Geduld. Bin ab der nächsten Woche in Lauenburg, wo ich auch dafür dann hoffentlich endlich die Zeit finden werde.
    Zu Ihrer Schiffsreise soll ich Ihnen von meiner Liebsten mitteilen, dass vielleicht auch der Band von Florian Beckerhoff „HÄFEN – Eine literarische Kreuzfahrt“ hilfreich sein könne, 2008 bei Eichborn erschienen.

    Grüßen Sie mir vor allem Roma, dies alte Weib, das die Dichter frissst!
    PHG

  2. Elegeien am Kieler Literaturtelefon Lieber ANH!
    Ich sehe, Sie sind sehr eingespannt. Dennoch frage ich nochmal nach wegen der Audiodatei der Elegien für das http://www.literaturteleon-online.de als Werbung für Ihre Lesung in Kiel am 31.5. Ich müsste bis spätestens morgen Abend mindestens wissen, ob da von Ihnen noch etwas kommt, wie versprochen, oder ob wir es aus Zeitgründen verschieben müssen.
    Beste Grüße: Ihr oegyr

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