12.31 Uhr:Seit etwas nach halb sechs am Schreibtisch und bis eben durchgearbeitet, unterbrochen nur von einer kleinen Geschirrspülerei, während ich mein Frühstückbrot und das weichgekochte Ei aß. Drei Latte macchiati heute, fast hintereinander weg. Gerauche, klar.
Einige Zeit, nachdem ich mich durch paar Sites gelesen und sehr gerne >>>> Alice Schwarzers Laudatio auf Necla Kelek gelesen habe, an dem >>>> Entwurf des Hörstück-Fundaments gesessen, dann sofort an die Rohfassung des Librettos gegangen; bis TS 4 bin ich jetzt gekommen; 30 TS-Seiten sollten es mindestens werden. Die grobe Zusammenstellung der Quellen hab ich fertig; was ich jetzt brauche, sind Einzelheiten. Etwa benötige ich literarische Beschreibungen von Städten des Endes des 18., des 19. und des 20. Jahrhunderts, wobei die Schwierigkeit darin besteht, daß ich ausschließlich Texte verwenden will, die nachts spielen; damit fällt ein großer Teil „klassischer”, bzw. „klassisch-moderner” Texte weg; zudem müssen es Großstädte sein – je auf ihre Zeit bezogen. Außerdem will ich mich nicht allzuoft auf meine eigenen Bücher beziehen, da darf kein Ungleichgewicht entstehen. Und die Texte müssen miteinander sprechen, ich will mit Absicht keine harten Schnitte – bzw. sie als sehr vorsichtig gebrauchtes Stilmittel einsetzen. Das ist insbesondere bei den Übergängen zu den jeweilig anderen Jahrhunderten heikel zu machen: man soll, wie bei den Collagen May Ernsts und Ror Wolfs, keine Schnitte bemerken können. Um so heftiger wird’s werden, wo der Rap durchdringt. Dazu kam mir dann gleich >>>> die nächste Idee. Beide, >>>> Brossmann wie >>>> Schlinkert, haben per Email schon zugesagt; das wird dann ein lustiger Ausflug werden. Und überhaupt will ich’s mir, bis das ganze Ding fertig ist, angewöhnen, immer meinen Digitalrecorder bei mir zu haben. Und nach Möglichkeit Texte, die ich fremde Leute aufsprechen lasse mit allen Hintergrundgeräuschen usw. Die sind dann wieder mit dem durchlaufenden O-Ton zu legieren.
Aber jetzt bin ich müde. Mittagsschlaf. Um halb drei wird mein Junge zum Essen hiersein. Dann weiterarbeiten bis 19 Uhr, dann duschen und ab >>>> zur Bar, wo ich für 20 Uhr mit >>>> Barbara Stang verabredet bin; gegen 21 Uhr will der Profi dazukommen.
Jetzt laßt mich schlafen, Leute.
15.45 Uhr:
Sehr tief geschlafen, den Braten von gestern aufgewärmt, frischen Brokkoli gekocht, dann kam der Racker, gut gelaunt, scherzend. Jetzt will er eine halbe Stunde lesen, während ich mich mal unter die Dusche stelle und vorher rasiere. Vor allem raus aus den Lotterklamotten, Hemd, vielleicht Krawatte, Anzugkombination. Mit meinem Sohn über meinen Kachelofen geplaudert; schon komisch, daß man auf sowas, das man doch gar nicht selbst gebaut hat, stolz sein kann; ich meine den Ofen, nicht den Sohn: an dem hab ich zumindest mitgebaut. „Wieso haben die anderen alle keinen mehr?” „Ist denen zu schmutzig und mühsam, Kohlen zu schleppen; außerdem fällt ihnen der Schmutz lästig, den so ein Ding macht.” „Aber es ist eine so menschliche Wärme…” – sagt der Zehnjährige. Menschliche Wärme. Manchmal bin ich ziemlich verdutzt.
Neben mir rechts: Aragons Pariser Landleben (Stadt 19. auf 20. Jahrhundert, erlebt mit Apollinaire). Neben mir links: Rolf Haufs, Das hält wer aus.
Blei im Hirn den Schwamm
Im Auge. Wir wecken jetzt
Die Zeugen auf. Vielleicht
Sie reden.
Rückwärts bauen jetzt, denke ich mir, um zu Schlegels Athenäumfragmenten zu kommen: Stadt der Gegenwarts/Zukunftsimagination (Anderswelt) – Gegenwartsstadt (weiß noch nicht) – Paris Anfang des 20. Jahrhunderts – Paris oder London Anfang des 19. Jahrhunderts (Dickens oder eine Beschreibung aus Markov/Soboul “1789, Die große Revolution der Franzosen”?). Dann Schlegel.
19.19 Uhr:
Wunderbar, mal wieder >>>> den Farinelli zu hören und dabei die Texte für die StadtZeitCollage zusammenzutippen; bis jetzt: Balzac, Pynchon, Gibson, ich selber (Thetis), Aragon. >>>> Von Melusine kam ein Hinweis, der mich ganz aufgeregt macht. Habe im Kommentar nachgefragt. Aber jetzt muß ich zu dem Treffen mit Barbara Stang >>>> in die Bar los. Lieber bliebe ich hier und schriebe weiter. Bin ganz fickrig vor Arbeitslust.
Fast schon melancholisch Das tönt alles ein bisschen abgefahren. Vielleicht interessiert dich daher auch der beste Blog zum Thema Melancholie:
siehe hier: http://einmalsinnundzurueck.blogspot.com/
London “Now in contiguous drops the flood comes down/Threatening with deluge this devoted Town.” (Jonathan Swift)
Rudyard Kipling schrieb über seinen ersten Aufenthalt in London:
“Hier geschah es mir zum ersten Mal, dass mir die Nacht in die Seele fiel.”
Etwas später stellte Ford Madox Ford fest:
“London vermisst niemanden, kann nie jemanden vermissen. Es liebt niemanden, braucht niemanden; aber es duldet alle Arten von Menschen.”
Mit ihm, mit Ford Madox Ford, können Sie direkt über den Kanal ins Paris des frühen 20. Jahrhunderts übersetzen in den Salon von Gertude Stein.
@MelusineB. Wunderbare Vorschläge! Ich meinerseits habe mir gerade Balzacs Glanz und Elend der Kurtisanen vorgenommen. Weiteres dazu siehe auch den Nachtrag >>>> dort.
@MelusineB (nachgefragt). Haben Sie die Kipling-Quelle für mich oder würden Sie die ganze Stelle für mich hierherzitieren? Ich habe mehrere Bände Gesammelte Werke in verschiedenen Übersetzungen hier, aber keine Briefe und autobiografischen Notate. Habe eben gesucht.
Kipling: Something of myself Eine deutsche Übersetzung von Kiplings “Something of myself” (so es eine vollständige überhaupt gibt), habe ich nicht hier. Das Zitat, so wie oben angegeben, stammt aus meinem Zettelkasten zu “London”. Ich habe es abgeschrieben aus Peter Ackroyd: London. Eine Biographie. Die Original-Stelle bei Kipling ist so:
“Then we went to London and stayed for some weeks in a tiny lodging-house in the semi-rural Brompton Road, kept by an ivory-faced, lordly-whiskered ex-butler and his patient wife. Here, for the first time, it happened that the night got into my head. I rose up and wandered about that still house till daybreak, when I slipped out into the little brick-walled garden and saw the dawn break. All would have been well but for Pluto, a pet toad brought back from Epping Forest, who lived mostly in one of my pockets. It struck me that he might be thirsty, and I stole into my Mother’s room and would have given him drink from a water jug. But it slipped and broke and very much was said. The ex-butler could not understand why I had stayed awake all night. I did not know then that such nightwakings would be laid upon me through my life; or that my fortunate hour would be on the turn of sunrise, with a sou’-west breeze afoot.”
(aus: Something of myself) Es geht weiter mit einem Museumsbesuch des kleine Rudyards in South Kensington, den Gerüchen im Museum und dann die Initiation zum Autor:
“These experiences were a soaking in colour and design with, above all, the proper Museum smell; and it stayed with me. By the end of that long holiday I understood that my Mother had written verses, that my Father ‘wrote things’ also; that books and pictures were among the most important affairs in the world; that I could read as much as I chose and ask the meaning of things from any one I met. I had found out, too, that one could take pen and set down what one thought, and that nobody accused one of ‘showing off’ by so doing. I read a good deal; Sidonia the Sorceress; Emerson’s poems; and Bret Harte’s stories; and I learned all sorts of verses for the pleasure of repeating them to myself in bed.”
Im Original viel schöner als in der Übersetzung Leider ist der Satz von Kipling so furchtbar schwermütig romantisierend (sic!) übersetzt, was seine Sprache der wunderbaren jungenhaften Leichtigkeit beraubt, die sie im Original besitzt. Ich empfinde das im Englischen erheblich nüchterner, unaufgeregter: da «fällt» nichts und schon gar nicht in die «Seele», da malt einer stattdessen mit den lichteren magischen Farben der Jugend.
@brsma Ja, ganz so empfand ich das auch, nachdem ich die Stelle im Original gefunden hatte.
Dennoch merke ich beim Versuch, den Satz selbst zu übersetzen, wie schwer es ist. Kopf statt Seele, das ist leicht. Aber welches Verb?
Hier geschah es zum ersten Mal, dass die Nacht in meinen Kopf k a m.
Ich finde, das schlichte “kam”, zu dem ich neige, ist im Deutschen zu “aktiv”, während der Vorgang im Englischen eher passiv wirkt. Aber vielleicht ist das nur mein Eindruck.
Kipling übersetzen. @Melusine und Brsma. Die Leichtigkeit funktioniert kaum bei wortwörtlicher Übersetzung; wo Kipling Eigenheiten der englischen Sprache und Kultur (“lord-whiskered”) nur anklingen läßt, schon ist das verständlich, müssen im Deutsche ebenfalls die Eigenheiten anklingen, aber eben nicht die englischen, sondern deutsche. Das führt zu leichten Umschreibungen, auch zu anderen Satzstellungen. Ich habe die erste Stunde meiner Früharbeit jetzt darauf verwendet. Als Rohfassung hier:
Übrigens findet sich Kiplings gesamter autobografischer Text >>>> dort online .