Briefe aus Sizilien (2), nunmehr aus Giardini Naxos/Taormina. Das Reisejournal vom 17. zum 18. Oktober 2010, worin von dem Sonntag und dem Montag erzählt, sowie die vorige Erzählung fortzusetzen versucht wird. Mitsamt einer Autoflucht quer übers Land.

6.49 Uhr:
[Giardini Naxos, Palladio, Salon vorm Meer.]Wir sind, liebe Leser, geflohen. Denn dann, das Wetter, es erreichte uns doch. Die Fluten donnerten nur so vom Himmel. Was den Autofahrern, die vor dem Orientale in der Automarmelade steckten, deutlich Freude machte; die Fußgänger allerdings warfen Blicke hinauf zu den Göttern, die zwischen tiefem Entsetzen und einer Wut, die abzusetzen, schwankten: also die Götter. Welche sich nicht beirren ließen. Zäh mit hübschen Einsprengseln dazwischenflitzender Wagen, wobei das Flitzen Strecken von halben Metern meint, floß der Verkehr gen Stazione centrale, indes ich, der für das Internetcafé an dem Hotel geblieben war, die Freunde erwartete; sie waren mit meinem Jungen aufgebrochen, den Mietwagen zu holen. So stand ich zweieinhalb Stunden herum, im Regen, nicht, weil ich mich unter die Markise des Pornokino-Cafés gestellt hatte, gegen die Wand gelehnt, mal zwei Schritte nach rechts, dann wieder zwei nach links, immer dicht an der Bar-Tür, und rauchte; hin und wieder kam ein Sizilianer aus dem Kino, warf diesen entsetzten Blick zum Himmel und zog dabei unauffällig den Hosenschlitz zu. Während das Portal zur Einfahrt in den großen Hof des Orientale allezeit offenblieb; so würden, dachte ich, die Freunde immerhin nicht das Gestaute noch zusätzlich anstauen müssen, wenn sie denn. Kämen. Wenn und wann. Das war die Frage. Ich löste sie gleichmütig nicht, sondern inschallahte, lachte dabei immer wieder aus meiner Meditation heraus, weil da schon komische Bilder sich einfangen ließen: von Radfahrern etwa, die in einer Hand den aufgespannten Regenschirm halten, aber doch sowohl sich schlängeln als auch Schrittempo fahren mußten, so daß sie eigentlich umgefallen wären, hätten nicht die Carosserien sie gestützt. Oder die Keckheit eines bereits historischen Fiats, dessen viele Bandagen, die abbrechende oder schon abgebrochene Autoteile zusammenhielten, das ganze Gefährt gleichsam mumifizierten. – also die Keckheit des Fahrers, extra nicht zu gucken, wenn man sich einfädeln will, sondern munter draufzuhalten… er konnte sich sicher sein, man würde bremsen, wenn man diesen apokalyptischen Raser nur sah… und in der Tat: erschrocken wich selbst ein Bus zu einer Seite, die freilich auch schon verstellt war. Das sah insgesamt aus, als zöge nun die angrenzende Hauswand ihren Bauch ein, damit etwas Platz würde.

Ich muß aber eben mal den Regen dringend unterbrechen, um ihnen das hier zu zeigen:Ich bin auch schnell weg von meinem Platz im Salon, weil es hier noch gar keinen Kaffee gibt so früh, hab den Laptop einfach stehenlassen an seinem Platz – man bekommt auf Sizilien sehr schnell ein Gefühl dafür, wo das geht und wo nicht. Hier geht’s, im Orientale Palermos ging es gleichfalls. Gegen sechs hab ich meinen Arbeitsplatz im Salon aufgebaut, da schlief hier alles noch ganz fest. Das Hotel ist übrigens dem Freund zu verdanken, der, wir waren im Regen hergebraust an die Ostküste, weil für den gesamten Westen und das Inland Siziliens Regen Regen Regen angesagt war und es auch so aussah und ich aber Sizilien ja kenne, meine gelebte Ostküste kenne und weiß, wie schnell das Wetter hier umschlägt, gerade im Küstenbereich. Und nun? Sahnewetter! Jedenfalls der Freund, abends, sprang aus dem Auto, nachdem er ein 3-Sterne-Hotel direkt am Meer entdeckt hatte; ich selbst hätte mich nicht getraut, sowas übersteigt meine Mittel. Und dann? Eine Suite, die aus zwei Schlafräumen, einem kleinen Bad und einem kleinen Flur besteht, für insgesamt 110,– Euro pro Nacht. Hat er gut gemacht, hat auch der Hotelier gut gemacht; es sind freilich auch kaum Gäste da.
Also was ich erzähle wollte: Gegen sieben drückte der Kaffeedurst dann doch sehr. Also bin ich runter und hinaus. Gegenüber in die Bar, eine Schokoladebrioche und einen Latte macchiato nehmen; dabei das Kreuzfahrtschiff beobachten, das hier vor Taormina, unterhalb Taorminas, ruht; Taormina liegt direkt über uns. Das uralte Hotel direkt am Jugendstilbahnhof Giardinis und Taorminas, worin es den irrsten, einen riesigen schwarzen Marmortisch gibt, den ich je sah, ist leider unterdessen aufgelassen; schon in den Achtzigern und frühen Neunzigern waren außer mir, und Do, die mitwar, niemals Gäste darin, und Stefan von Hase, der uns einmal begleitete… weite weite Gänge, Vorhänge von Zehnmeterhöhe, die aber zerfielen, wenn man in sie hineinblies; ich entsinne mich eines Portiers, der aussah, als wäre er direkt auf Polanskis Tanz der Vampire da hingebeamt worden, die Zimmer, alle, hatten wenigstens 40 qm Raum; die Betten waren so durchgelegen, daß man auf dem Fußboden aufkam, ließ man sich in sie fallen.
Nun standen wir im Dunklen davor. Bretter sind vor die Türen genagelt. Ich will für Sie nachher unbedingt ein Bild von diesem Haus machen. Aber habe meinen Latte macchiato jetzt genommen und bin ins Hotel an meinen Arbeitsplatz zurückgekehrt.Und es ist auch Betrieb, das Frühstücksbuffet wird vorbereitet, man hat mir meine nächste Kaffee neben den Laptop gestellt. : 7.50 Uhr.
Und es regnet und regnet. Also: gestern. In Palermo.

Drei Stunden brauchte es, bis ich endlich meinen Jungen gegenüber auf der Straße sah, völlig durchnäßt in seiner Windjacke, wild winkend, dabei gar nicht bemerkend, daß ich ihm von der anderen Straßenseite aus zusah. Bis ich mich erbarmte und hinüberschritt… na gut, schreiten ist wohl nicht das richtige Wort. Sie müssen sich einfach vorstellen: Auto an Auto, zweispurig selbstverständlich, eine Busspur dabei, die aber auch von anderen Fahrern genutzt wird, wenn sie die Überhollust ankommt, die sich zur Hauptverkehrszeit immer nur, aber das d o c h, für anderthalb Meter befriedigen läßt. Da jault der Motor dann schon auf. Merken Sie übrigens, daß ich rückwärts erzähle? Schließlich muß ich den Anschluß finden an den Sonnabend, wo wir so lange an der Bushaltestelle gewartet hatten, via Roma, nach der Ankunft mit der Fähre. Und ich erinnere mich, immerhin, meine schöne geneigte Leserin, daß das Buch dann schon gekommen war und wir eingestiegen waren, ich hatte die halb angerauchte dritte oder vier Esportazione hinter mich geschnippt, – daß wir dann, weiters, auch schnell das Hotel gefunden und bezogen und zu einem ersten Spaziergang aufgebrochen waren – gleich in die Vucciria hinein, wo ich gekochten Kraken gegessen; der Kopf wird sorgsam halbiert, das krisselig rote Gehirn darin erinnert an Seeigel-Fleisch. „Ich wußte gar nicht”, sagte C., „daß an so etwas schon zum Frühstück essen kann.” „Ich kann”, grinste ich, und der Freund gab zu bedenken: „Immerhin sind wir schon seit halb sechs auf den Beinen”, wozu er sich selber ein Stückchen erpickte, wenn auch nicht ohne Skepsis im Blick. Halb wirklich geekelt freilich, aber zu höflich darum bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, wandte meine Junge den Kopf ab.
Leichter Regen war angesagt worden; das wurde uns zum Anlaß ständigen Spotts. Denn wenn die Sonne durchkam, was sie sehr gerne und sehr oft tat, gingen die Temperaturen schnell auf an die 30 Grad C. So blieb das bis vorgestern abend; aber gestern, ich sagte ja: da rächten sich die Götter für unsern Spott. So daß wir die ganze Planung der Reise, also meine Planung, umzuwerfen uns in des Wortes ganzem Sinne genötigt sahen.
Aber lassen Sie mich in Palermo noch etwas verbleiben.
Der Spaziergang in der immer wieder knallenden Sonne führte ans Teatro Massimo, das meines Wissens größte Opernhaus Europas – unterdessen renoviert und wirklich ein Prunkstück sizilianischer Architektur. Googlen Sie’s. Ich hörte Clemente darin, heut wurde Massenets sehr schöner Don Quixotte gespielt. Letztlich meines Jungen wegen verzichteten wir auf den Besuch; die Oper hätte sehr lange gedauert; außerdem… das Wetter… dieser wahrlich entzückende Leichte Regen, von dem man braunwerden oder sich an ihm verlobstern konnte… die klassischen Wege führte ich: Palazzo reale mit der Capella palatina; besonders für den kunstsinnigen Freund auch seelisch ein Schatz voller Gold. In der Kapelle war grad gehochzeitet worden, man fegte noch die Blüten von den Treppen hinfort, und so schmuck war der Bräutigam und warn die Kameraden. Lange blieben wir in der Kapelle drinnen, dem überladenen Gold, der Symbolik. Mein Junge war tapfer und schaute.Nun war der Freund ermüdet, sein Bein schmerzte, er hat eine angerissene Sehne in Hüfthöhe, und wir waren viel gegangen. Da gab es aber dann, gleich, wenn Sie vom Normannenpalast vierhundert Meter nach Norden spazieren, um vielleicht links dort einzubiegen, damit Sie in die Richtung des Centro del Centro storico weiterflanieren können… etwas unübersichtlich, da treffen drei Straßen aufeinander, die zugleich Gasse und auch Parkplatz sind, und Tonnen stehen herum, da gab es dann eine hinreißende, eine wunderschöne, weil rein aus Muskel bestehende Ratte, die aber anfangs immer nur ich sah, weil sie mir einfach vertraute und auch vertrauen konnte, egal – jedenfalls, daß die Freunde sie sahen, ließ sie erst nach zehn Metern Sicherheitsabstand zu, – aber das wollte ich nicht erzählen, oder doch, aber eigentlich was anderes, egal egal: – der Freund entdeckte eine der besten Eis-, hm: -dielen ist falsch, jedenfalls Palermos. Die Eismaschinen kann man im Nebenraum sehen, der Verkaufsraum hat eine Vitrine, unter deren Glas das schaumige Eis sich wölbt, und einen verglasten Kühlschrank, darin die Eisbomben ruhen… „ruhen” ist ebenfalls hübsch, weil natürlich – für Palermo stimmt das Wort – überall die Autos und Mofas krakeelen, man genießt sein Eis umtost, und der Glacier sitzt dabei rauchend in der Tür und meditiert, wie das Eis ganz fremden Leuten schmeckt – kurz, der Freund nahm ein zweites Eis und stand kurz davor, auch noch ein drittes zu vernaschen. C. wehrte dem Ansinnen sanft. Mein Junge klagte bereits über Bauchweh, und ich, wie immer, wollte weiter. Für meine Art Reiseschriftstellerei ist es ein völliger Jammer, daß ich nicht gehend tippen kann…
Und dann, wissen Sie… Der Freund hat immer gespottet, das sähe er mal gern, daß ich irgendwo einfach stillsitzen müßte, ohne etwas zu tun, einfach dasitzen und – sein. Was mir nicht liegt, das gebe ich zu. Es liegt mir aber d o c h. Nur kommt es auf den Ort an. Der Ort muß mit mir sein, seine und meine Seele müssen sich aufeinanderlegen, ohne daß einer von uns beiden das will; sondern es muß pheromonal sein und zugleich sensationslos, unerregt, einfach. Zwei Orte kenne ich, wo das so ist. Bei der Sphinx im Garten von San Michele auf Capri und im kleinen verwunschene Kreuzgang von S Giovanni degli Eremiti in Palermo. Da setze ich mich auf ein Mauerstück zwischen die arabischen Säulen und bin. An einem dritten Ort ist mir das ebenfalls geschehen – geschah (sozusagen) ich -: in der großen Moschee von Bombay.

***
***

Und man fragt sich dann oft, wo denn Touristen ihren Kopf und ob sie, vor allem, ein Herz haben. Denn am Eingang S Giovannis warnte uns ein deutsches Paar: „Das lohnt sich nicht, da hineinzugehen. Ist zu teuer. Vor allem, wenn Sie vorher die Capella palatina gesehen haben.” Sensationen, Sensationen. Überfüllung. Man kann nur den Kopf schütteln und erbarmungsvoll für solche Menschenwesen werden: solch eine traurige Stumpfheit…

*******

Dann aber war es gut; es war auch nach halb sechs bereits, wir alle wollten heim, um uns zum Abendessen wiederzutreffen. Das C. dann ausfallen ließ, weil sie Zeit allein für sich selber brauchte. So zogen der Freund, mein Junge und ich dann in die Vucciria, weil ich zum alten Shanghai wollte, von dem ich in meinem >>>> Sizilienbuch erzählte. Aber diese simple Trattoria, die ihrer herzlichen und herzhaften Küche wegen über viele Jahrzehnte hinweg das Mekka aller Rucksacktouristen gewesen ist, gibt es – furchtbar, das zu erzählen – nicht mehr. Verlassen gähnt die Balkonterrasse. Verschlossen für immer? die Tür. Zersprungen die Glasmarkise. Darunter das Leben geht weiter.
Wir fanden knapp am Ende der Vucciriagasse ein Lokal, wo vorzüglich gekocht wurde, und preiswert. Danach zogen wir in jene Fraschetta des Gebiets, worin fast 200 Seiten von >>>> ARGO spielen, des dritten Teils meiner Andersweltbücher, und wo heute, des nachts, sich junge Leute drängeln und lachen und sich schick fühlen und das auch sind. Tags, nach wie vor, nehmen dort die alten Herren ihren ungeklärten bittren Wein. Nach der Erfahrung heute werde ich die entsprechenden Szenen in dem Roman noch ein wenig revidieren, um die Jugend nämlich ergänzen. Mitten in dem Jubel der gehobenen Flaschen, in den Flirts und den Küssen, den seltsamen Hüten, den Tattoos tranken wir unseren Grappa und trank mein Junge eine Sprite. So erschöpft fielen wir dann nach dem Heimgang ins Orientale alle drei in unser Bett. Und durch die Nacht, unter uns von der Gasse hoch, röhrten die Mopeds und knallten die Feuerwerkskörper, und heiser rief es von Ferne, Lachen war zu hören und der süße Geruch der Shishas zu riechen. Man weiß nicht mehr, nicht ich, der Autor, noch Sie, meine Leser, was von alldem schon Traum und was noch wirklich Palermo war.

*********

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .