Verdis Otello von Dieter Ilg.

[Geschrieben für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Dort leicht verändert erschienen am 16. September 2010.
Hier die Originalfassung.]

Es beginnt mit dem Ende einer Platte: wenn der Tonabnehmer fast schon ans Etikett schrammt: ein Spiel mit dem Wind, durch den una vela!, ein Segel!, gerufen wird: wozu die Trommel nicht ohne Drohung leise dem Ende von Verdis Otello zumarschiert, aus deren Themen >>>> Dieter Ilg seine neue CD improvisiert hat: bereits während des Studiums sei er von jener berühmten Kontrabaßstelle aus Akt IV derart gefangen worden, daß er sie fortan, bis heute, vor jedem Üben spielte: so etwas brennt sich ein und will hinaus, auch wenn das Wesen des Jazz’ spontanes Entstehen und Vergehen ist, das den Einfall meint und nicht das konservierte Melos: es wären andernfalls Variationen über Themen oder, im Freejazz, Themenmomente, ja um den einzelnen Ton: dort werden Jazz und Neue Musik bisweilen eines: hier dringt der Jazz in Verdis späte Trauermusik ein: etwa wie der Baß das Marschmotiv von Jagos Inaffia fugola! beginnt, wie Rainer Böhms Klavier dies repetierend aufnimmt, bis das Stück in des Schlagzeugers Patrice Herals geradezu stampfenden, elektronisch verrülpsenden Vokalrap übergeht, woraus unmittelbar zärtlich eine Klavierlinie, A questa tua, aufsteigt, beschlossen vom Amen, meinte man, doch läuft der Baß auf den erschauernd vergeblichen Kuß hinaus, un’altro, un’altro: wie immer wieder das Klavier ins Schlagzeug-Accompagnato gebettet ist, das entspricht den Parlandi, zu denen des alten Verdis Arien wurden, vollkommen: ein leises, flüsterndes Gespräch: alzandosi e fissando una plaga del cielo stellato, doch wir, von Dieter Ilg, hören das Nachtrauschen der Stadt, das das Klavier beschließt: wer den im Netz frei zugänglichen Klavierauszug nicht mitlesen mag, sollte bisweilen, über einen zweiten Player, parallel den Verdi hören, leicht verschoben in Ilgs Meditationen gemischt: Sie werden Ohren machen, denn nicht nur gewinnt das Trio auch leichter geschürzten Musen etwas ab, das Verdis drängenden, unabwendbaren Schmelz an die standards pragmatisch-ironischerer Bedürfnisse eines coolen Jazz-Publikums anpaßt, sondern wie leidenschaftlich bohrend wiederum, inaffia l’ugola, „abgegangen” wird, ganz plötzlich aus der Sanglichkeit, das ist nicht nur mitreißend, sondern auch ergreifend: wenn sich, Otello war ein Schwarzer, Ilgs lange Schluß-Improvisation vor Abdullah Ibrahims legendären Good News from Africa verneigt, bis der Tonabnehmer in kurz dahingehauchtem, rauhen Rhythmus fast schon ans Etikett schrammt. Verdis Musik aber selbst? Ich empfehle Ihnen aus dem Jahr 1996 >>>> Otello in Barcelona unter Alexander Rahbari.

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