Das ist nicht ohne Tragik für den politisch engagierten Künstler, wie solch ein Werk dahin- und wegsinken kann und das auch wird, wenn nicht etwas jenseits des speziellen Zeitlaufs in ihm mit eingefangen ist. Man kann dann inszenieren, wie man nur will: dieser Staub haftet, zumal dann, wenn das ästhetische Konzept, in diesem Fall Brechts episches Lehrtheater, schon über Jahrzehnte mit seiner verbissenen Didaktik genervt hat. Es war für jene geschrieben, die sowieso wußten, was politisch das Recht und das Wahre. Das epische Theater hat keine Psychologie, seine Figuren sind Stanzen und so auch gemeint: der Zuschauer soll aus der Distanz ja was lernen. Wird dies zudem allein mit Groteskem durchstaffiert, bleibt der Betrachter unberührt. Da hilft auch keine bisweilen interessante, bisweilen witzige Musik. Zumal es keine Partien gibt, die anders nachhallen würden, als über ein sattsam Bekanntes, daß es kein Herz mehr erreicht.
Die Fabel der Opernphantasie Friedrich Goldmanns ist allzu schnell erzählt: Junger Mann flieht vor übermächtigem Vater, indem er sich im Ausland beim Heer verdingt; er verliebt sich in eine Prinzessin, die ihn nicht zurückliebt, woraufhin er desertiert, um wenigstens im Gefängnis in ihrer Nähe zu bleiben. Nun ja. Da hat er eine Traumfantasie, zu der er sich den Kopf aufschlägt. Deshalb fühlt die Prinzessin sich schuldig. Doppelt Nun ja. Der Vater löst den jungen Mann aus und will ihn heimholen. Das macht den jungen Menschen krank. Doch die Prinzessin, verkleidet, erscheint: sie hat ihre Liebe zu ihm erkannt. Man täuscht einen Selbstmord vor. Die Scheinhinterbliebenen klagen, der Pope segnet das ab. Plötzlich springt der Tote auf, umfaßt die Prinzessin, und beide walzern ins Happy-end. – Au weia.
Das Stück war für den Apollosaal der Staatsoper zur Düpierung der Herrschenden geschrieben. Wenn man das weiß, bekommt das Ständchen, das der Verliebte unterm Prinzessinnenfenster ausgerechnet mit einer Ratsche und dann couplethaft ins Publikum singt, kurz sogar Schmiß: nur daß es die Gemeinten schon längst nicht mehr gibt. Und Vater-Sohn-Problematiken lösen sich auch nicht durch Stanzen. Deshalb hat die Regisseurin zurecht nicht versucht, irgend etwas „auszuhorchen”; sie inszeniert den Holzschnitt, wie er halt ist. Auch auf Dramaturgie läßt sich’s in Grotesken schlecht achten. So bliebe denn, allenfalls, die Musik.
In der Tat ist sie immer wieder mal reizvoll, sei’s wegen der Collagetechnik, die etwa in das durchsichtig für Bläser, einen Baß und eine Elektroorgel komponierte Stück einen angejazzten, über Lautsprecher zugespielten Rocksong mischt. Sei’s, daß die klassischen Musiker auch schon mal die Maultrommel dommeln, aber wenn hie und da Mahler anklingt, bleibt das banal. Weshalb klingt er denn an? Weil ein Soldat in dem Stückerl vorkommt wie in des Knaben Wunderhorn? Meine Güte! Als hätt’s den Wozzeck Bergs nie, ja nicht einmal Büchners gegeben. Und bei Straßen- und Umgangsmusik horcht man zwar kurz auf, doch lange wieder weg. Wozu also diese Veranstaltung? Hier ist nicht wirklich ein Konflikt erzählt, nicht in der Musik, nicht im Stück; hier handeln nicht Menschen, sondern Puppen: so sind sie auch geschminkt. Je nun, und der Einfall, Kasperlpuppen mitzuspielen, reißt auch nicht vom Hocker, wofern sie nicht einen, ich beharr auf dem Wort, transzendierenden Moment übertragen: auch sie sind entleertes Zitat, allenfalls Gag. Wo noch den herrschenden Bürokraten Goldmann ins Gesicht hämen ließ „Behaltet euren Himmel für euch”, walzernd ab das Paar, und der rote Stern geht auf, winkte uns gestern abend das Ulbrichmännchen zu und pustete Sand. Wozu, Leute? Die Etats für die Kunst werden so sehr gekürzt, weshalb da diesen Goldmann machen? Aus politischer Sentimentalität? Die DDR ist weg, kapiert es endlich. Und es gibt derart viele junge Komponisten, und auch alte, zwischenalte, doch unbekannte, die solch ein Forum brauchten und es z e i t g e m ä ß zu füllen wüßten: so daß wir erschüttert oder wütend oder glücklich hinausgingen und mit Erkenntnissen, die n i c h t ins Museum gehören. Doch darf nicht unerwähnt bleiben, daß Gloria Rehm eine berückende Stimme hat und sie berückend klingen läßt. Und Ferenc Gábor, „eigentlich” Solo-Bratschist des >>>> Konzerthausorchesters, dirigiert derart klug, präzise und sinnlich, daß ich mich fragte, wozu der Hickhack um die Nachfolge Lothar Zagroseks eigentlich ausgetragen wurde und möglicherweise immer noch wird. Jedenfalls hab ich jetzt, beeindruckt, >>>> etwas erfahren, das ich zuvor nicht gewußt. Dazu war dieser Abend immerhin gut.Friedrich Goldmann „R. Hot bzw. die Hitze“.
Opernfantasie nach dem Stück „Der Engländer“ von Jakob Michael Reinhold Lenz.
Henriette Sehmsdorf Regie | Stefan Bleidorn Bühne | Sarah Rolke Kostüme.
Friedemann Büttner, Gloria Rehm, Nicholas Isherwood, Timur Bekbosunov,
Marco Valerio, John Harrison.
modern art ensemble
Ferenc Gábor Musikalische Leitung
Weitere Termine:
Sa 18.09.10 20 Uhr | So 19.09.10 20 Uhr
Von der Zeit überholt. Friedrich Goldmann Operngroteske „R. Hot bzw. Die Hitze” in der Inszenierung Henriette Sehmsdorf im Opernstudio des Werner-Otto-Saals, Konzerthaus Berlin.
Die DDR ist weg, kapiert es endlich. Dann dürfen wir also auch keinen Schostakowitsch mehr spielen, Conquistadore?
@j.s. Sie haben leider die Aussage nicht verstanden, die sich aus meinem Text u.a. ergibt: Es ist sinnlos, eine Oper aufzuführen, deren Fabel sich im dem Widerstand gegen eine DDR erschöpft, die es nicht mehr gibt. Eine andere Frage ist, ob der musikalische Wert, der in Schönheit bestehen kann, in Erkenntnis oder auch „nur“ in Unterhaltung, die Aufführung solch eines Musikstücks begründet oder gar so etwas wie die Seele von Widerstand-an-sich, auf anderen Widerstand übertragbar und ihn speisend, (weiter)vermittelt wird. Oder ob Tragik vermittelt wird, ob Glück vermittelt wird – irgend etwas, das berührt. Dieses wie jenes ist in den großen Stücken aller großen, wenn auch historisch geerdeten Kunst der Fall, ob – sic! – bei Schostakowitsch, ob bei Shakespeare, Schiller, Büchner, ja bei Wagner usw. In speziell diesem Stück Goldmanns ist es das, m e i n e r Meinung nach, nicht. Gerade der Vergleich mit Bernd Alois Zimmermann, den Sie (wenn ich „j.s.“ richtig deute) in dem Programmheft anstellen, zeigt das: wie dem Jazz-Elemente eingebaut werden oder worauf die ganze Ekklesiastische Aktion hinausläuft, und auch das Cellokonzert ist zu nennen, öffnet einen völlig anderen ästhetische Raum als dieses Goldmann-Brettl-Stück, das sich eben in seiner F u n k t i o n erfüllt und nunmehr, nach dem Fall der DDR, erfüllt h a t. Nicht einmal die witzige Absurdität hat es, die etwa der allgemeine Aufruf zu einer Demonstration gegen Kaiserin Maria-Theresia heute hätte.
Verstehen Sie mich recht. Damit ist nicht gemeint, daß sich das Theme DDR erledigt hätte. Beileibe nicht. Anhand meines Hörstücks >>>> „im land da wo wir blutrot sind“, das sich mit Daniela Danz‘ Erinnerungsarbeit beschäftigt, habe ich das mehr als deutlich vertreten.
weil es sich erledigt hat, gleich noch mal: Hot, Staatsoper:
http://www.staatsoper-berlin.de/de_DE/repertoire/863934