Welch eine Schweinerei sich nachts ereignete, in der rue de Chevreuse. Und wie der Morgen anbrach für das Reisejournal des 24. Junis 2010. Welcher heutige Tag bereits schon der Donnerstag ist, an dem Edith versucht, mich zu halten. Les secrets de Paris (8). Auch BettyB dann und La Lune ODER Die Vereinigung.

5.26 Uhr:
…. dabei hatte mich Edith, ich meine Jenny, gewarnt und es mir geradezu ans Herz gelegt, den Haupthahn immer wieder zuzudrehen, nachdem ich das Bad benutzte… ich hatte mich schon gewundert, wieso da dieses Wasser war, aber war so in meinen Visionen gewesen, daß ich zwar sah, nicht aber begriff. Erst als ich noch einmal drunten gewesen bin, von der Chevreuse diesmal übern Raspail, den Montparnasse-Boulevard immer entlang bis Invalides, bis es dunkelte und die Lichter der Restaurants mir Märchen von Paris erzählten, die zu jüngst vergangen waren, um noch zu stimmen, – als ich in einem weiten Bogen über Vaugirad und Pasteuer zurückgekehrt war und östlich um den Friedhof zurück, ich weiß nicht, wie diese Straße heißt, als ich dann noch eingekehrt war in eine kleine Bar, um ein Bier zu trinken, denn es war ja warm geworden, so warm, daß nicht ein einziger Stern am Himmel stand, sonder die Sterne waren auf die Erde gefallen und hatten sich Paris an die Häuser geheftet, in der Ferne, so weit zu sehen, nennen wir sie erleuchtete Fenster, in der Nähe waren es die Glühschriften der fantastischen Namen, die ihre Inhaber den Lokalen gegeben, – erst also, nachdem ich das schmale Treppenhaus hochwar, das einen Aufzug hat, den ich nahm, es passen kaum zwei Leute hinein, und wenn sie drinsind, berühren sie sich – die Tür aufgeschlossen und das Licht angeschaltet hatte, da stand die Sauce schon in einem der Zimmer. Nein, nicht der Wasserablauf war leck, sondern die Toilette lief über, lief immer weiter und weiter über. Ich habe keine Ahnung, wie das gehen kann, es war aber, leider, gegangen. Es gab keine Tücher in dieser Wohnung. Ich hätte eine der Gardinen nehmen können. An die Decke, die auf dem Bett lag, dachte ich, und an meine beiden Handtücher, die ich auf Reisen immer dabeihab.
Das Wasser auf dem Boden roch. Es roch dumpf, nicht sehr, aber so, daß ich schauerte. Es war auch nicht klar, wenngleich ich hätte Schlimmeres befürchten müssen. So entschied ich mich für meine Handtücher, es gibt, hatte ich gesehen, einen Waschsalon in der Nähe, na gut, außerdem habe ich nur noch einen Tag in Paris, der sich auch ohne zu duschen herumbringen läßt.
Die Handtücher reichten hin, einen Weiterfluß des Wassers zu unterbinden, wozu mir erst jetzt bewußt wurde, daß der Haupthahn ja immer noch nicht zugedreht war. Ich wrang die Handtücher in die Sitzwanne aus, mehrmals, wischen, auswringen, wischen, eine etwas schleimige Konsistenz hatte dieses Wasser s c h o n, also war vielleicht d o c h… – und wenn seine Quelle nun auch gestoppt war, lief doch das Wasser in der Kloschüssel nicht mehr ab. Was ich gar nicht verstand, weil auch Toiletten vom Zu- nicht vom Ablauf des Wassers gefüllt werden. Normalerweise. Hier war das anders. Hier kam alles von unten.
>>>> Prunier hat mich „einen Athleten” genannt, worüber die Löwin und ich, als wir’s lasen, hatten lachen müssen. „Ich bin ein Athlet?” hatte ich sogar nachgefragt. „Na ja”, war ihre Antwort gewesen: „körperlich.” Sie sprach das sehr süffisant aus und rügte gleich hinterher, sie habe, übrigens, nicht von einem himmlischen, sondern göttlichen Arsch gesprochen. Weshalb ich >>>> den für mich schmeichelhaft entzückten, indes leisen Ausruf unkorrekt weitergetragen habe, weshalb – erzähltechnisch – zwar „himmlich” stimmt, nicht aber „göttlich”, ist mir erst seit gestern klar, so daß ich nicht erwidern konnte. Jedenfalls muß man sich jetzt den Teufel vorstellen, wie er den Hemdsärmel nicht hochkrempeln muß, weil der Ärmel ohnedies kurz ist, aber wie er seinen rechten Athletenarm ins Klo steckt und die Hand weiter in den Abfluß, bis sie da etwas zu fassen kriegt, oder meint, es zu fassen… Ich wußte freilich nicht, ob das funktionieren kann, wenn der Haupthahn wieder zu war, zog aber, athletisch, trotzdem. Es gurgelte. Mehr nicht. Richtig, der Haupthahn. Mit einem ernormen Getöse ging da das Wasser ins Gedärme des Hauses hinab.
In dem Moment klopfte es an der Tür, nein pochte, polterte. Es war nun bald Mitternacht, nehme ich an; zwar, ich war noch nicht müde und hätte jetzt vor allem gerne geduscht, aber meine sanitäre Aktion war nicht kurz gewesen. „Qui est là?” „Öffne, öffne! Bitte öffne!”
Edith.
Das ledrige zu mir erhobene Gesichtchen verweint, das Haar völlig wirr, der Motorradhelm hing ihr, als wenn sie ein Stofftier hinter sich herschleifte, am langen Ohr des Kinnriemens rechts von der Hand. „Du darfst nicht weggehn”, sagte sie, „du darfst nicht mehr weggehn. Wenn du morgen gehst, kommst du zu mir niemals zurück.” Und indem sie ihre Arme doch immer weiter hängenließ, beugte sie sich vor und legte ihren Kopf an meine Brust. Als würde sie vorsichtig lauschen, irgend etwas von ihr ablauschen, aber doch sich nicht trauen, mich wirklich zu berühren.
Mein rechter Arm war noch bis fast zur Schulter naß, unhygienisch naß, weshalb ich Jennys Schultern allein mit meinem linken Arm umfaßte, während mein rechter ganz ebenfalls herunterhing, und einer in mir, der aus mir herausgehüpft, der war auf den sich höherwindenden Treppenaufgang gesprungen, sah von dort aus auf uns beide hinab und amüsierte sich über das linkische Bild. Wie wir da standen, drei Minuten lang bestimmt.

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6.46 Uhr:
[Paris, La Nonchalante, Zimmerchen.]
Ich mochte, als ich aufstand, nicht in das Küchelchen hinüber, sondern habe den Laptop hier ins Zimmer hergeholt, weil ich Edith beim Schlafen zusehen mag. Sie schläft erst, seit ich aufbin, ruhig, das war kurz nach fünf. Davor hat sie gewühlt, anstelle zu schlafen, und wieder hat sie mir eins auf die Nase gegeben. Es ist tatsächlich nicht ungefährlich, neben Edith zu schlafen. Die ganze Nacht über, diese nahezu fünf Stunden lang, warf sie sich herum. Sie träumte derart intensiv, daß ich dachte, daß sie Schmerzen habe. Sie schlägt ihre Arme um sich, w i r b e l t mit den Armen, sie wirft ihre Beine. Einmal wachte ich auf, da lag ein Fuß vor meinem Gesicht. Wieder ging ein Zucken durch sie hindurch, ich konnte gerade noch meine Stirn ins Kissen pressen und meinen Hinterkopf mit meinen Händen bergen, da ging schon der zweite Fuß auf mich herab. Gleichzeitig, mit dem anderen Bein wieder, fegte Edith die kleine Seitenlampe vom Nachttisch, fegte das Wasserglas vom Nachttisch, es zersprang. Aber sie schlief. Selbst als ich sie rüttelte und ansprach, weil ich dachte, sie irgendwie aus ihrem Traum befreien zu können, selbst als sie sich da aufgerichtet hatte, auf die Knie gestützt, einzwei Minuten, und sogar die Augen offen hatte, schlief sie weiter. Ich konnte mit ihr sprechen, wie ich nur wollte, sie sah mich auch an, aber kein Satz, kein Wort langte in sie hinein. Was ihre offenbare Verzweiflung verursachte, war nicht zu ergründen. Außerdem blieb ich immer auf Distanz, nicht erst, seit sie mir ein zweites Mal die Faust aufs Nasenbein hatte krachen lassen, sondern sowieso. Ob sie es wußte oder nicht, ob es auch, wahrscheinlich, gar keine Absicht war, sie war geschickt worden, um mich zu halten. Das schien mir so klar zu sein wie nichts anderes. Dem Gräfin war die Sache entglitten, schon dieser Biß, den man mir, als ich das Prada-Boot betreten hatte – ja: applizierte, schon der war nicht in seiner Planung enthalten gewesen, denn dieser Biß ist es gewesen, was mich hellsichtig machte und mich die infame Absicht des Gräfin endlich durchschauen ließ. Zudem war Edith nicht Raffaela: sie konnte nicht heilen wie diese. Ihr Ledergesicht, so hübsch es dabei auch war, ich muß grad an die Elfenfiguren denken, die eine Künstlerfreundin DBs in Handarbeit herstellt und an Sammler zu ziemlich hohen Preisen verkauft, dieses Ledergesicht kam eben daher, daß Edith eine war, die strafte, strafen mußte: der genau das aufgetragen ist. Das hat sich ihr ins Gesicht geschnitten und gibt ihren Augen den zugleich dunklen und warmen wie doch auch hohlen Glanz, und es ist dies, was ihrerseits ihr solch eine Lust bereitet, sich schlagen zu lassen. Wovon ich aber nicht erzählen will, ich wollte das schon nach der ersten Nacht nicht, und hab nicht, weil ich ja verstand… zumal ich diesmal, ich versichere Sie, n i c h t mit ihr geschlafen habe. Ich habe sie nur nicht mehr wegschicken können, als sie da hilflos in der Tür stand und sich der da, der aus mir auf die Treppe gesprungen war, über uns belustigte.
„Hau ab!” zischte ich ihm zu. Aber Edith verstand das falsch, bezog den Ausruf auf sich. Sie erstarrte, wurde richtiggehend hart, eine Salzsäule, die ihre Kruste aber sofort wegsprengte, die Arme hochriß, sie mir mitsamt dem Helm vor die Brust knallte und mich zurückstieß. Das geschah mit solch einer Kraft, daß ich fast nach hinten weggekippt wäre, mich aber noch fing. Und sie holte aus und knallte mir eine.
„Du Arschloch!”
Dann schon fielen die Arme wieder herab, die Hände, dann schon fing sie zu weinen an. Was sollte ich tun? Wegschicken, so, nein, das konnte ich nicht. Ich mußte sie irgendwie beruhigen. Mir fiel ein Satz meiner Löwin ein. Ich hatte etwas Unbedachtes gesagt, amüsiert gesagt, freundlich gesagt… nein nein! sondern der auf der Treppe hatte es gesagt, und es ist auch nicht wahr, daß er’s unbedacht tat. Nein, er tat es mit Absicht. Mit voller grenzenlos hämischer Absicht. Nur daß er’s vornehm verkleidete. Da holte die Löwin aus. Ich war völlig verdutzt und brauchte mehrere Minuten, um ihren verletzten Widerstand, der wie eine Serie von Krampfungen durch ihren Körper ging, erst zu mäßigen und dann diese Frau wieder zu mildern. Daß sie mir verzieh. „Es ist keine Schande”, sagte sie dann, „von einer Löwin geschlagen zu werden.” „Es ist keine Schande”, sagte ich, „von einem Engel geschlagen zu werden.” Darüber mußte Edith nun lachen. Zähneknirschend kehrte der auf der Treppe in mich zurück. Ich hätte ihn lieber da draußen gelassen, um ihm die Tür vor seiner spitzen Nase zuzuschlagen. Aber da hätte er anderswo Unfug angestellt, bösen Unfug, Unfug ist ein Euphemismus. Es bin alleine ich, der ihn binden kann, neutralisieren und verkapseln kann. Außerdem wäre ich ohne ihn kraftlos wie alle.

9.04 Uhr:
Edith schläft immer noch, liegt so regungslos wie eine schmale Düne da, auf der sich Gräser ansiedeln konnten. Sie liegt halb auf dem Bauch, die sehr hellen Unterseiten ihrer Füße schauen auf mich, Fersen und Ballen nur angedeutet dunkler, angedeutet röter als die zart gewölbte Sohle, sie spielen zugleich ins Gelbliche, der linke Fuß am angewinkelten Bein ruht leicht schräg. Sie hat einen Jungenspopo, nicht etwa Gesäß. Erst über dem Kreuz wird die Haut ledern, das beginnt fast spitz und verbreitert sich zu den Schultern immer mehr, von Ferne würde man das für ein großes Tattoo halten können, das wie ein Gingkoblatt beidseits hoch in die Wangen hineinläuft, von der ich aber nur eine sehen kann. Unterhalb der Schulterblätter ist diese Frau noch ein Kind, ein Mädchen, das eben erst aufwacht. Immer noch wirkt sie unberührt, unberührbar geradezu. Sie schläft voller Ernst, und ich mag sie nicht wecken.
Aber es wird mein letzter Tag in Paris sein, ich habe mit meiner Haltung zu ringen und brauche die Zeit. Nicht um Abschied zu nehmen, gewiß nicht. Ich werde wiederkommen. Aber um letzte Eindrücke zu sammeln, und zwar: um sie alleine zu sammeln. Oder mache ich mir etwas vor? Ich säße gerne noch einmal in der Sainte Chapelle und sähe Raffaela zu, wie sie herabschwebt. Ich habe von Maria geschrieben, weil sie, nicht Raffaela, gemeint war; ich darf mich von mir nicht verführen lassen und darüber nicht immerzu lächeln, daß die Algerierin mich einen alten Verführer genannt. Es darf mir nicht mehr gefallen. Ich will mir nicht mehr schmeicheln lassen. Denn ich bin es nicht, der Lobpreisungen in Auftrag gibt.
Doch bin ich’s, der sie schrieb. Als ich zurück auf das Boot gesprungen war, wandten die Kühe den Kopf und trotteten ergeben ins Nichts.

10.38 Uhr:
Ich habe ein frisches Baguette holen wollen, habe einen wunderbaren französischen Käse besorgt, der läuft, wenn man ihn nur ansieht, aber süß läuft, nicht scharf, habe, in Pappbechern zwar, Café crème mitgebracht, schließe, weil so bepackt, ziemlich umständlich auf, bin ganz leise, da Edith noch schläft, ins Zimmer getreten, erst in die Küche, wo ich den Einkauf abstellte, dann wollte ich zum Bett, um Edith nun doch schon zu wecken. Aber sie ist fort.
Sie hat das Bett gemacht, es gibt keine Nachricht, kein Zeichen, es sieht so aus, als hätte nicht einmal ich hier geschlafen, nicht mal allein. So setzte ich mich dann vor die beiden Kaffees, ich hatte gar keinen Appetit mehr, geschweige Hunger, habe immer noch keinen. Was mir bleibt? Meine Arbeit.
Ich schaute ins Netz. Die Löwin hat mir geschrieben, zärtlich geschrieben. Wie wohl das tut! Dafür hier in Der Dschungel wieder die üblichen Hämekommentare der immerselben Kandidaten mit ihrem immergleichen Unfug. Die Namen? Vergessen Sie sie, wir kennen sie, und sie öden uns an in ihrer penetranten Permanenz. Deters hat einen in den >>>> Anti-Herbst verschoben, aber ich war dennoch provoziert zu antworten. Nächsten solchen Kommentaren antworte ich aber nicht mehr, sondern lösche stattdessen. Immerhin werden Edith und La Lune in meinem Kopf zu Figuren. Was mir Freude bringt, aber nur, weil es Frauen sind; jedenfalls stellen sie sich als Frauen dar, und freudig nehm ich das auf für meine Projektionen. Bei Männern mache ich mir solch eine Mühe nicht, ich will ja mit Männern nicht schlafen. Männer lösche ich, wenn sie sich unausgesetzt wiederholen und meine Dichtung beschmutzen. Sie dürfen das selbstverständlich anderswo tun, etwa im normalen Feuilleton, wo man noch auf Klarnamen hält. Tut es dann not, würde ich drauf reagieren, was freilich bedeutet, daß die Gemeinten sich dann mit >>>> Martin Halter in ein selbes Schicksal teilen müßten, das in den Büchern von Google auf den vordersten Seiten verzeichnet bleibt. – Ich finde das gerecht.

Seltsam, dieses Alleinsein. Ich hab’s mir doch gewünscht?

12.37 Uhr:
Schon, als ich den ersten Schluck genommen hatte, merkte ich, daß in dem Drink etwas war, das nicht in ihn hineingehört. Nicht normalerweise, aber was war schon normal? Hier, anderswo, die Kriterien lösen sich auf. „Du möchtest gern nach Hause”, ja, in dem Loch, ich nenne den Club jetzt Das Loch. „Wenn du dich umziehen möchtest, dort, siehst du? nur um die Ecke ist eine Garderobe.” Ich hatte selbstverständlich gar nichts dabei. „Wir haben Outfit-Vorschriften, aber du kannst auch nackt gehen, wenn du nicht wieder hinausgeworfen werden willst.” Sie sagte es nicht, trotzdem verstand ich, was sie meinte. Denn wirklich hieß der Club nicht Das Loch, sondern Paradis de Pantin. Das stand auf dem Umschlag der schmalen gelochten Getränkekarte, die als umhelmtes Wappen einen Schlangenkopf zeigte, der aber Kippfigur war: hielt ich die Karte schräg, war ein Apfel zu sehen, der ein gespaltenes, ziemlich kurzes Stielchen hat. Da war ich aber schon imgrunde hinüber, nicht nur von dem Zeug, das aus meinen Cocktails herauswirkte, Hahn u n d Schwanz, welch eine Begriffs-Aphroditik! – sondern vor allem von den „Heilpflanzen”, als die mir Raffaela, die sich selbst dann entzog, jedenfalls war sie mit einem Mal verschwunden, erst BettyB, dann La Lune zuführte. BettyB hatte seit den Zeiten Dijans einige Pfunde zugelegt, weshalb sie wie eine ältere Dame wirkte, die seelisch immer noch Minirock trägt. Wir waren uns überhaupt nicht sympathisch. Außerdem hatte sie ein Hündchen dabei, das so nackt wie ich mittlerweile, aber picklicht war und das auf den Namen Benny… nein, das kann man leider nicht sagen, daß es drauf hörte. Sondern es flitzte überall rum und ging den Damen zwischen die Beine. Alleine deshalb konnte sich Betty nicht auf mich konzentrieren, immer mußte sie ihren Benny anrufen, der aber doch nicht hörte… so gab sie mich an ihre Freundin weiter, eine schon deutlich attraktivere Frau, weil sie zumal ein Selbstbewußtsein hatte, das mir völlig begründet vorkam. Problematisch war nur, daß sie blind war. Sie sah mich also gar nicht. Weder sie noch Betty waren nackt, sondern Betty trug ein bis zum Hals von mehreren Reihen Knöpfen, die gleichsam aus ihren Unterschenkelknochen bis heraufgenäht waren, festverschlossenes Kleid. In der Tat sah es so aus, als wäre es knapp über den Füßen mit der Haut verpierct. Dafür war der Rücken bis ans Gesäß hinab frei. Wiederum die Mondin war, höchst reizvoll, nur einseits bekleidet: eine halbe Hose, ein Hosenbein also nur, dennoch ging der Gürtel um die ganze Hüfte. Ein String lief genau durch die Spalte und war oben in einer Schlaufe der Gürtelschnalle und hinten, durch die Gesäßfalte geführt, in einer weiteren Gürtelschlaufe vermittels kleiner rosaner Schleifen befestigt. Als Oberteil trug sie sowohl ein halbes transparentes Blouson in grünem Pastell als auch ein halbes Damenjackett, das ebenfalls, und wie das Blouson, über eine so einfache wie elegant gebundene Konstruktion aus, glaube ich, Seidenbändern am Körper hielt. Diese Garberobe war wirklich höchst reizvoll, sie hätte eine Couture meiner eigenen Fantasie sein können. Nur trug La Lune auch nur einen Pumps mit außerdem recht hohem Absatz, so daß für diese hochgewachsene Frau jede Fortbewegung Tortur war. Aber sie schien das zu genießen, denn seufzte bei jedem Schritt und verdrehte ein wenig ihre Augen. Die aber ja nichts sahen –

– hat das eben geklopft? Edith?
Moment.

Niemand. Ich bin völlig übernächtigt, sollte eine Stunde schlafen. Nur noch eben nach Mails sehen.

14.55 Uhr:
Ich habe Das Loch weitergeträumt, in dem plötzlich die Samarkandin eine Rolle spielte, ohne daß ich noch wüßte, welche und wie sie dahingekommen… so daß ich, als ich aufgewacht bin, erst gar nicht wußte, wo ich bin, sondern momentlang dachte, ich sei bereits in Berlin oder überhaupt in Berlin geblieben. Das hat fast fünf Minuten gebraucht oder länger, bis ich mich zurechtfand. Ich brauchte einen Kaffee, mir ist von Dem Loch ein unguter Geschmack im Mund geblieben, weil dann auch noch Edith erschien, was ich mir so ja auch zu schreiben vorgenommen hatte, aber jetzt war Edith wirklich Jenny, doch mit den anderen beiden, BettyB und La Lune, eng befreundet. Ich sehe das nur verschwommen, sah das nur verschwommen in diesem Paradies aus Körpern und Drogen, aber aus einem, so muß ich das beschreiben: vibrierenden Dunst, der so fett war, daß ich immer wieder nach Luft schnappen mußte. Aus diesem Dunst ragte Ediths riesiger Kopf auf, der einer jungen Echse, und sprach auf mich ein, schrie, machte mir Vorhaltungen, wobei ihre Hand etwas hielt, das nach einem Baseballschläger aussah. Damit holte sie aus, sie zielte genau auf meine Nase, doch bevor das Ding traf, stand es in Ediths Händen in Flammen und brannte der Frau bis auf die Handwurzel weg. Ich wollte ihr helfen, aber war starr, konnte mich nicht rühren. Sie fing zu heulen an, ich sah die Verbrennungen der Haut, nicht frisch, nein, als wären sie vernarbt, dieses glatte, zu glatte, ein an Plastik, nein Plastifizierung gemahnendes Gewebe. Bis ich mich erinnerte, daß nicht Edith heulte, sondern BettyB, weil ihr irgendwer den kleinen Hund zertreten hatte, flach und durchbohrt lag er da, und Betty darübergebeugt, sich das Haar raufend, jammernd, ein Klageweib um einen völlig nackten picklichten Hund, so nackt wie ein riesiges Würstchen, nackt wie der hängende, schon vor Jahrzehnten ausgespritzte Schwanz eines unsäglich elenden Alten. Ich wußte, daß ich halluzinierte, das machte die Geschehen aber nicht leichter. WUMPA-WUMPA! dröhnte es aus den Boxen, wenn ich den Kopf drehte, was mir nur wie gedehnt gelang, sah ich den Dancefloor voller Menschen oder Karikaturen von Menschen, blassen, dünnhäutigen, langbrüstigen, fetten, zwergwüchsigen, das war eine, wenn man sie ernstnahm, wenn man sie für Realität hielt, nicht bedrückende, nein entsetzende Menge aus fehlgeborenen Monstern, die reinste Freakshow in Dem Loch, und ich hörte IHn fordern: Preise! Preise! was sogleich in Rufe überging, die farbig als Affichen schrien: SOLDES! glühende OFFRES SPÉCIALS! und schließlich vom Getumbe des Technos aufgenommen wurden, und selbst die Masse, wie ein enthemmter Fußballchor, skandierte: Tout-doit-dis-pa-raî-tre! Tout-doit-dis-pa-raî-tre!

„Raffaela!”

Ich stolperte, ich schlurfte herum, war in Panik geraten, hielt mich an dem fest, an jener. Man schlug geekelt meine Hände weg. Immer wieder wurde neuer Dampf aus einer Trockeneismaschine langsam zwischen die Leute geblasen, der unter den Stroboskopen ständig seine Farbe wechselte und von anderswo aufgestellten Ventilatoren rasend umgewälzt wurde. WUMPA-WUMPA! „Tout-doit-dis-pa-raî-tre!” „Tout-doit-dis-pa-raî-tre!” „Tout-doit-dis-pa-raî-tre!” Ich muß kotzen, dachte ich, ich kotze hier gleich hin… Suchte das Klo, fand es endlich, nahm irgend eine Tür. Damenklo. Vor den Waschbecken zog BettyB eine Line, den toten Hund hatte sie in den Papierkorb gesteckt, eine blaue Plastiktüte, die in ein weiß verlitztes Gestell gespannt war. Zwischen Papierklitsch, Tachentuchresten und sogar Zipfeln von Tampons hingen ein nacktes hautiges Hundchenbein und der nackte Stummel des Schwänzchens heraus, schlaff, unendlich schlaff. Unendlich müde zog Betty die Nase hoch und beugte sich mit dem ans andere Nasenloch gehaltenen Röhrchen wieder nach vorne. Ich wankte rückwärts, nahm die nächste Tür. Alles Leid der Welt, dachte ich, alles Leid der Welt. Verstellter, elender Luxus, Selbstnot, nicht mehr, Not aber doch. Preise!
Dreivier händevoll kalten Wassers ins Gesicht geklatscht. Dann etwas gekotzt. Gezogen. Nochmal gekotzt. Nochmal Hände voll Wassers. Nicht in die Hose gepißt. Immerhin. Dann vom Wasser getrunken. Und wieder hinaus, wieder gefaßt.
Die Stunde der Verbrüderung ward. Verschwesterung und Erlösung durch Haut.

16.14 Uhr:
Michael stand, den Kopf auf die Menge gesenkt, in der Tür, durch die ich herabgerutscht war: g r o ß stand er da, riesig fast, rechts das Schwert in der Hand und links hielt er die Schwinge wie einen ungeheuren Schild fest, der nicht der Abwehr galt, sondern als Sperre diente; die rechte Schwinge war wie ein Radioteleskop gehöhlt und pulsierte leicht. Hier kam nun keiner mehr durch. Doch war ich mir sicher, daß ich der einzige war, der Michael sah, auch wenn sich die Menge beruhigt hatte und sogar die Musik erlosch. Ich erkannte ihn allein an den Augen. Er hatte sich das Leder vom Gesicht gezogen. Solch eine Stille, mit einem Mal, war! Nicht Michaels wegen, nein, sondern weil ein Höhepunkt nahte, auf den wir alle gefiebert hatten, etwas, wofür mein Paradies berühmt ist: dann, wenn wir gänzlich erschöpft sind, wenn wir wirklich bloß sind – N ä h e: eine ohne das Wort. Einig werden. Eines werden.
Ich wußte jetzt genau, wo ich war, wer ich war. Nachdem ich mich erleichtert hatte auf Klo, war ich zur Garderobe hinüber und hatte mich um-, also angezogen. Man machte mir Platz, man wehte zur Seite, als ich nach vorn ging. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und wandte ihn, Stolz durchfloß mich, Michael zu; lächelte; schüttelte leicht den Kopf; was ist denn wohl, sollte das sagen, und er verstand es, wann denn wohl i s t Erlösung als Jetzt? Hätte Raffaela meinen Ruf gehört, wäre sie ihm gefolgt, ich hätte, glauben Sie mir, auf diese Demonstration verzichtet. Aber sie hörte nicht, sie nahm mir, wußte ich, Betty übel und La Lune, daß ich die so behandelte. Und daß ich den Hund getötet hatte, um mich zu rächen. Wie ein junges Mädchen saß sie neben mir in der Bank, als in den hohen Fenstern der Chapelle die Farben verblaßten, hielt ihr Tuch über der Brust zusammen und tat nichts. Sie war bloß traurig, traurig wie eine Scheibe Brots, die wir vom Laib geschnitten haben, doch nicht mehr essen mögen, weil wir satt sind, und wir werfen sie weg. Aber was soll’s? Sie waren ja alle gekommen. Ich hatte gerufen, die Leute waren gekommen. Was blieb ihnen übrig? In der Tür stand Michael.
Also ich ging nach vorn und nahm das Mikrofon. Begrüßte meine Gäste, nannte einige mit Namen, es waren bekannte Künstler darunter, Schauspieler, ein paar Maler, sogar zwei Schriftsteller, auch Politiker, aber die nannte ich nicht. Es gibt Gesetze der Diskretion, die selbst ich beachte. Wir beachten sie alle, weil das Vorteile bringt. Ich spreche die Sprache der Liebe. Sie sollten sich alle entkleiden. Bitte nehmt die Masken ab. Setzt euch ins Rund. Das taten sie, vierfünf Reihen rings um den größten Dancefloor von Paris. Mein Paradies ist eine vormals aufgelassene Fabrikhalle, eine Kühlhalle, darüber erhebt sich ein Schlachthof des neunzehnten Jahrhunderts, der bis in die Fünfziger in Funktion war. Ein Gebäude weiter war eine Abdeckerei. Ich habe die Häuser verbinden lassen. In der alten Abdeckerei sind die Spielräume eingerichtet. Ich gebe zu, daß ich drauf achte, daß alles geheim bleibt, „illegal” sagt man. Daß ich nicht lache. Aber das gehört zum Geschäft. Das zieht. Ich habe Verbindungen. Ich zahle höchste Steuern, und das ist noch das Wenigste. Dies nur, damit Sie verstehen. Monsieur Le President ist mein persönlicher Freund. Mit François hab ich bereits in den Dreißigern Gläser geleert, auch deutsche, wenn Sie verstehen, und später dann wieder. Solch ein Sozialist! Mit dem andern, und noch einem… ich hab ihre Namen vergessen, egal. Sie sind alle, ob unten, ob oben, bei mir. Betty liebt mich, hier ein Heftchen, da ein Heftchen. Sie und eine Praktikantin aus meinem Nebenbetrieb verteilten das Öl. Es ist wichtig, daß dies in Schälchen geschieht, die wir vorwärmen lassen. Körpertemperatur. E r hat das n i e begriffen. Es ist wie mit dem Herzschlag in der Musik. Ihr seid alle eines. Ich vereinige euch. Nein, jetzt bitte keine Cocktails mehr. Wenn ihr Durst habt, das Wasser, für jetzt, ist frei. Die gekühlten Flaschen wurden gebracht, was aber riskant ist. Es hat Unfälle gegeben. Scherben. Dann Krankenwagen. Deshalb ließ ich einige Zeit Pappbecher verteilen. Aber das ist nicht dasselbe. Ich gehe das Risiko jetzt wieder ein. Außerdem sind die Gäste vorsichtiger geworden, umsichtiger. Es ist nicht ihr Interesse, daß man mich schließt. Mich scherte es weniger, ich habe Hunderte, Tausende Häuser, verteilt durch Länder und Kontinente. Nein, genug ist’s noch nicht. Ich achte drauf zu expandieren, Wirtschaftswachstum, Sie wissen schon.
Jeder seinen Nachbarn zur Rechten. Seid bitte zart. Wenn die Menschen sich lieben, löst sich Michael auf. Er fällt dann ganz von mir ab. Das weiß er natürlich, aber er kann da nichts tun, des Freien Willens wegen, von dem wir solch ein Aufhebens machen, der Sünde wegen, an der wir uns festhalten sollen. Sünde! Was für eine Idiotie!

„Raffaela!”

Sie legte mir die Hand auf. Hilflos stand Edith daneben. Ging dann auf und ab, immer auf und ab.
„Wie bin ich hierhergekommen?”
„Das sieht schlimm aus, da hat dich wer gebissen.” Sie sagte nicht was, sondern wirklich wer. Das Boot trieb weiter und weiter. Es wurde immer heller, aber es war ein blasses Licht, als würden wir alle, würde das Land, würden die Kühe links, die Schweine rechts ins Gleißen ausgeblendet. Schon sah der Fluß wie gezeichnet aus, er flachte sich mit dem Land, mit uns. Eine ganze Dimension verlöre er, spürte ich, verlören wir. Indes die Zeit längst verronnen war. Alle Zeit, meine ich, als wäre sie wie der Sand, der unten im Haufen dann stillsteht. Als wäre sie Rohstoff und auch er wär begrenzt.
„Das halte ich schon aus. Aber wie bin ich hierhergekommen? Wohin fährt dieser schreckliche Kahn?” Ich wies mit dem Kinn zum Horizont.
„Zu dir”, sagte sie. „Er fährt zu dir. Jenny wird es dir zeigen, dir den Ort zeigen. Auch ich werde dort sein, aber nur kurz. Vielleicht nur kurz. Ich kann dich heilen, aber nur, wenn du willst.”
„Wie meinst du das?” fragte ich, als sie in Sainte Chapelle neben mir saß.
Das Mädchen sah auf, sagte etwas, ich verstand nicht. Welche Sprache sprach sie? Tatsächlich deutsch?
„Pardon”, hauchte sie dann, stand auf und zwängte sich erst den engen Betgang entlang und huschte schließlich durchs Schiff davon. Ich weiß nicht, wohin. Aber sie hatte wahrscheinlich die Schritte gehört, des Zuhälters, der die Tür der Sakristei geöffnet hatte und mir unsensibel zurief, daß er jetzt gerne schließen würde. Die Stimme hatte einen Hall, der Kerzen löschen konnte. Ich seufzte, stand auf, ging zu ihm hin, folgte ihm zur Nebenpforte, steckte ihm, bevor ich an die Luft trat, einen Zehner zu. Er nahm den Schein auch, aber bedankte sich nicht, sondern schloß kommentarlos die Tür. „Alles okay?” fragte Edith. Sie stand schon hinter mir bereit. Nur ihre Zigarette trat sie noch aus.

*******

17.48 Uhr:
Es gibt an der Existenz des Gräfin keinen Zweifel. Ich kann ihn beweisen, habe diese Sim-Card, über die ich mit Ihnen spreche, auch wenn ich schreibe, anstelle zu sprechen. Ich spräche beileibe schlechter. Bei Leibe. Sicher ist nur, daß ich dort war. Hieß der Club wirklich Paradis de Pantin? Da ich morgen bereits fortsein werde, habe ich nicht mehr die Zeit, nach diesem Schlachthof zu recherchieren. Aber ich werde das nachholen, in Berlin oder abermals in Paris. Selbst wenn der Gräfin dieser Erzählung wegen verstimmt sein sollte, weil er vielleicht meint, ich bräche unsre Vereinbarung. Was ich zwar tue, aber auch nicht. Denn wer wollte sagen, daß sie Verherrlichung sei? Dieser Text ist meiner. Wenn er fertig ist, kann ich an den seinen gehen. Dann hält die Balance.

Ich bin verrückt, oder? Ich glaube schon selbst, was ich schreibe. Wer das von außen mitansieht, wird, fürchte ich, hoffe ich, eine gewisse Komik nicht leugnen können. Denken Sie nur! Allein solch ein langer Text im Netz. Völlig unmöglich. Es wäre gut, wenn ich telefonieren könnte, wenn ich eine vertraute Stimme hörte. Aber Skype geht immer noch nicht, mein Gerät stürzt dauernd ab, wenn ich mit der Löwin sprechen will. Wir tippen hin und her. Sie schreibt, ich sei in Form… aber wen meint sie? Mich?

Es ist kurz vor sechs, ich werde etwas essen gehen. Ich möchte sprechen, möchte normale Menschen sehen, Touristen meinetwegen, ganz egal. Die letzten hundert Euro haben so gut gereicht, daß ich mir das leisten kann. Und die Sonne scheint wie verrückt. Etwas noch vom Tag haben! Etwas noch vom Abend haben! Nach Muscheln ist mir, nach Fisch ist mir, nach Wein ist mir, Leser. Aber. Ich habe Angst. Ich laß sie nicht zu, aber hab sie.

23.23 Uhr:
[Paris, La Nonchalante.]
Bin zurück und ein bißchen angetrunken, denn ich habe den Wein in der prallen Sonne getrunken, Abendsonne zwar, aber sie bräunt. Ich spüre das sofort am Spannen meiner Haut, das ein Entspannen ist, auch wenn ich mich später häute. Ein schönes Ecklokal an der rue Mouffetards/Ecke Rataud hab ich gefunden, es geht da ein bißchen bergab. Der Inhaber, wenn er es war, sah aus, wie ich mir immer Korsen vorstelle. Was komisch ist, weil der einzige wirkliche Korse, den ich bewußt von Angesicht kenne… na ja, „kenne” – Napoleon Bonaparte ist. Und mit dem hatte der Wirt nun wirklich nichts zu tun. Aber es gibt da ein Asterix-Heft, das mich offenbar ziemlich geprägt hat. Nach dem Wein aß ich und trank einen zweiten Wein. Ich kenne die Gegend von der Fête de la musique, auch hier hat mich Edith herumgeführt. Bevor wir wieder aufs Motorrad gestiegen und in den Norden gefahren waren, ins Loch. Dann die Rutsche und alles, schließlich das Boot auf der Seine, die Seine gar nicht mehr war, der Überfall, meine geklauten Sachen, wobei ich das mit dem Laptop nach wie vor nicht verstehe. Es kann aber sein, daß ich die Geschehen in meiner Erinnerung durcheinanderbringe, daß der Überfall vorher war und ich ihn fälschlich mit dem Boot assoziiere. So, wie Raffaela geantwortet hat, wir führen „zu dir”, also zu mir, habe ich jetzt eher den Eindruck, man hat mich n a c h dem Überfall auf das Boot gebracht. Außerdem stand mein Laptop doch in der Nonchalante, ich habe ihn eigentlich auf unsere Ausflüge nie mitgenommen. Edith. Edith hat ihn dort abgeholt. Ich lag da bewußtlos, jedenfalls benommen, in dem Beiwagen.
Trotzdem ist etwas schiefgelaufen. Der Biß. Über den waren beide erschreckt, sowohl Edith als auch Raffaela. Die Sache mit mir begann zu entgleiten, ihm zu entgleiten, dem Gräfin. Oder ich bin nicht der einzige gewesen, der gegen ihn aufstand… vielleicht nicht aufstand, sondern, sagen wir, weiblich interveniert hat, immer mal wieder, hier mal, mal da. Wieso eigentlich soll ich der einzige Aufrührer gewesen sein? Auf diesen Gedanke bin ich noch überhaupt nie gekommen. Maria. Zum Beispiel Maria, was ist mit ihr? Ich habe sie immer geliebt. Ich würde sterben für sie, wenn es drauf ankäm.

Jetzt bin ich schon wieder in der Geschichte. Ich wollte Ihnen von Paris erzählen. Sonst erzähle ich immer von Düften, wenn ich auf Reisen bin, von Gerüchen, vom Wind. Diesmal nicht oder nur kaum. Aber ich muß packen, ich darf morgen nicht verschlafen, Erzähllust hin, Wein her. Außerdem will ich noch ein paar Minuten mit der Löwin skypen, auch wenn das nie mit der Cam und auch dem Mikro nicht klappt. Um 8.30 Uhr muß ich an Charles de Gaulle sein; unwahrscheinlich, glaube ich, daß ich noch werde abgeholt werden. Also Métro. Wie auch immer: sollte ich rechtzeitig hochsein, erzähle ich morgen früh weiter: Ihnen, Leserinnen, selbstverständlich zuerst, dann auch, so sie bereit sind, den Lesern. (Hab wirklich einen im Kahn, tut mir nicht leid.)

Ihr:
ANH

P.S.: Hab noch schnell ein paar Kommentare gelöscht, unverständliche Verknorkstheiten von >>>> rinpotsche, und BettyB gehört zu dem verkniffenen Klüngel um >>>>> Dr. Schein, der mich würde “peniskrank” nennen oder sogar so genannt habe, obwohl ich wirklich nicht weiß, von welchem Glied aus er das beurteilen will. Ich selbst etwa habe Schwierigkeiten, die Entzündung meiner Eierstöcke auch nur zu fühlen. Rein theoretisch verstünde ich das freilich wohl; also nehme ich an, auch Dr. Schein, so rinpotsche es korrekt hintertrug und nicht nur Unfug behauptet hat, hat sich der Theorie angenommen. Jedenfalls wird aus solchen Bemerkungen klar, worum es dieser Sippe eigentlich geht und w a s sie so eigentlich stört. Das kann weder noch darf es mein Problem sein. Aber erschüttert bin ich manchmal doch über diese Ausgeburten mangelnder Begabtheit und fehlender Hingabe. Zumal ich Dr. Schein ja auch mal ganz nett fand. Was er zu >>>> Bruno Lampe schrieb, war meist wunderbar.

>>>> Les secrets de Paris (9)
Les secrets de Paris (7) <<<<

20 thoughts on “Welch eine Schweinerei sich nachts ereignete, in der rue de Chevreuse. Und wie der Morgen anbrach für das Reisejournal des 24. Junis 2010. Welcher heutige Tag bereits schon der Donnerstag ist, an dem Edith versucht, mich zu halten. Les secrets de Paris (8). Auch BettyB dann und La Lune ODER Die Vereinigung.

  1. weiter! Ich kucke dauernd nach, ob wieder was Neues dazugekommen ist. Das habe ich nicht geglaubt, dass man im Internet so langen Geschichten hinterher hecheln kann.

  2. Ganz toll ist das. Ja! Aber Sie wollen uns nicht ernsthaft weismachen, dass Sie das alles einfach so runterscheiben, oder? Da hat es doch Vorbereitungen gegeben, wenigstens einen Plan oder sowas. Das geht doch gar nicht anders bei so einem Text.

    Ich bin mir auch gar nicht mehr sicher, ob Sie überhaupt in Paris sind, ob Sie das nicht alles als zusätzliche Hyperfiktion von Berlin aus schreiben. Nur mal nebenbei bemerkt. Mit würde das auch ziemlich gefallen. Kommt auch nicht drauf an.

    1. @Martin Kerber. Nein, die Geschichte entsteht “rein” aus der Hand, es gab keinerlei Plan. Das ist auch das, was mich gerade so reizt. Zum Beispiel die Erzählung mit dem Schlachthaus. In einer “normal” geschriebenen Erzählung hätte ich, sowie mir das eingefallen wäre, zwar erst weitergeschrieben, aber dann den Ort genau bestimmt, hätte nach solch einem Ort gesucht und ihn auch sicher gefunden. Das konnte ich heute nicht mehr tun, weil im vorvorherigen Text desselben Tages bereits eine Ortsangabe gemacht worden ist. Vielleicht dreht man mir einen Strick draus, vielleicht nicht. Ich mag das ja, wenn Geschichten in der tatsächlichen Realität fest verankert sind. Aber das gehört jetzt dazu, daß das nicht immer so geht.
      Anderes ist mir real zugespielt worden, dieser Mann, den man Madame nennt, die Zimmer in der rue de Chevreuse usw. Da schreibe ich direkt aus dem heraus, was ich erlebe, und forme es dann um. Das ganze Apokalypsemotiv stammt aus Sainte Chapelle usw usw, selbst der beim Motorradfahren pfeiferauchende Mann ist keine Erfindung. Es spielt nämlich d o c h eine Rolle, ob ich in Paris schreibe, also diesen Text, oder nicht. Wenn er da spielt. – Etwas, das mich erst fast aus dem Fluß warf, war ein Anruf des Profis, ich ging da grad mit der Löwin spazieren. “Vergiß die Pfingstrosen. Der Code ist verbrannt.” Das sprach er ins Telefon und legte einfach auf. Später fand ich dann >>>> die Pfingstrosenkommentare in Der Dschungel, auch der Profi hatte kommentiert und seinen Anruf noch einmal schriftlichz formuliert. Da wußte ich erst nicht weiter, zweidrei Stunden lang, war auch sauer, beruhigte mich und arbeitete die Angelegenheit ein.

    2. Es interessiert weder … @ martin kerber

      was sie denken, noch, was sie sich in den kühnsten Träumen vorstellen können; tatsache ist allein der hier vom Autor vorgelegte Text in einer sogenannten Rohfassung. Alles andere ist Spekulatius!

    3. @ Jenny Kerber und der ist absolut hinreissend. aber den inhaber eines szeneclubs zum teufel zu machen, wird ihm wenig freunde bringen, ausser der kirche natürlich, die er aber noch viel schlimmer düpiert. diese rauschhafte fantasie macht einen fassungslos und man will immer nur noch weiterlesen. das wirst auch du zugeben, oder? oder du lügst. ist mir auch egal.

      ich bin gespannt, ob herbst das alles noch toppen kann, denn das muss er, damit er die leser nicht am ende durchhängen lässt. schwierig, wenn man immer gleich so hoch anfängt. das alte problem einer dramaturgie des rauschs.

    4. die eigentliche Dramaturgie … eines offenen Blogromanes, darum handelt es sich ja offensichtlich, wird gewissermassen erst durch die Leser & Kommentatoren bebildet; denn ohne sie wäre hier absolut tote Hose!

      Ich denke, der Herbst macht das schon richtig, und sein Plan scheint auch völlig aufzugehen, abgesehen von einigen unbedeutenden Kommentaren von Martin Kerber (Wer ist das eigentlich?)

    5. “Jenny Kerber” und “Jenny Martin Edith Kerb” Ich verstehe nicht, warum Sie mich beleidigen wollen. Auch ich darf hier meine Meinung sagen. Ich muss mir das wirklich nicht vorwerfen lassen. Anders als Sie habe ich auch meinen wirklichen Namen genommen, um Herrn Herbst zu schreiben. Dass Sie meine Kommentare unbedeutend finden, stört mich nicht, weil Herr Herbst auf meine Frage freundlich und sachlich geantwortet hat. Aber ich finde es ärgerlich, dass Sie mich beleidigen. Wollen Sie Leser Sie wie mich abschrecken, ein weiteres Mal bei Herrn Herbst zu schreiben?
      Ich habe jetzt eine Menge anderer Kommentare gelesen und sehr viele scheinen mir einfach einfach aus Neid geschrieben. Warum ist das so, frage ich mich. Was hat Ihnen Herr Herbst getan, dass viele so reagieren? Wie ich das sehe, stellt er hier eine Erzählung ein und verschenkt sie. Das ist schon als Geste gross, denn der Mann muss doch wohl von seiner Literatur leben. Dass man ihn niedermachen will, kommt mir deswegen missgünstig vor. Dass man aber auch Leser verhöhnt, die danke sagen wollen, ist impertinent und feige. Ich bleibe bei meiner Meinung und wiederhole, dass ich die Pariser Erlebnisse von Herrn Herbst bis jetzt grossartig geschrieben finde und ausserdem sind sie spannend. Beides zusammen gibt es nicht oft, vor allem nicht im Internet.

  3. Habe eben wieder einen Kommentar gelöscht, der sich im Ton nicht nur vergriffen hat, sondern ganz alleine aus Unflat, auch sprachlichem, bestand.

    Allerdings warf er mir grammatische und syntaktische “Fehler”vor. Darauf wäre ich eingegangen und hätte es nach meinen Möglichkeiten widerlegt. Grammatische Fehler gibt es bei mir an sich nicht, und was die Syntaktik anbelangt, so ist das oft eine Frage, w i e ein Text gelesen wird, aus welchem rhytmischen Grundverständnis und aus welcher Perspektive. Der Vorwurf des Manierismus ist für mich alt, er ist fast schon abgestanden, aber ich trage ihn gern, ja mit Leidenschaft, weil er aus einer ästhetischen Richtung kommt, die wiederum ich für obsolet halte. Und jetzt geht ich essen. Es ist wirklich herrliches Wetter, ich möchte das vor meinem Abflug noch etwas genießen und auch Abstand zu diesen Visionen bekommen. Kann ja sein, daß ich tatsächlich noch etwas zu nahe daran bin. Hierzu äußere mich schnell noch >>>> dort.

    1. perhaps es heisst nicht “grammatische fehler”, sondern grammatikalische fehler – und auch nicht “syntaktische fehler”, sonder syntax fehler …

    2. @hintereisen. Na gut, Sie Klügling. Dann fangen Sie mal an. Da der Text noch gar keine Zeit hatte, überarbeitet, geschweige lektoriert zu werden, sondern genau so dasteht, wie ich ihn eingetippt habe, könnten Ihre Hinweise, sofern sie richtig sind, sehr hilfreich für die Druckfassung sein. Wo ich die Notwendigkeit von Korrekturen einsehe, würde ich sie nach Abschluß der Erzählung, wahrscheinlich also übermorgen oder am Sonntag, auch bereits in Die Dschungel übertragen.

    1. Herbst hat mich … übrigens kein einziges Mal in seiner “Pariser Story” angerührt, worüber ich persönlich sehr geschockt bin.

      Schreibt er nur, oder ist er bereits?

  4. bemerkenswert … dass ich mich in der Diskussion um Schamlosigkeit & Erotic in Paris bisher wortlos gemeldet habe! – Insbesondere, wenn ein Zimmermädchen ihre Schuhe einfach so aus dem Fenster wirft, müssten normalerweise bei jedem Macho-Grande sofort die Alarmglocken blinken. – Frauen signalisieren, anders als bei Männern, ihre erotische Bereitschaft u.a. durch einen flüchtigen Augenkontakt (Oder Beben ihrer Brüste), und durch freizügiges Herzeigen ihrer Beine und gepflegten Füsse. Letzteres ist übrigens ein altbewährter Trick, welchen die alten Römer bereits bei den abendländlichen Kulturen verinnerlicht haben.

  5. Wollen Sie mich ernsthaft nicht allein zu Ihrem ‘Feind’ erklären, sondern darüber hinaus noch zum Oberhaupt eines ‘verkniffenen Klüngels’, der nichts anderes im Sinn hat, als gegen Sie zu agieren…? Ich kann Ihre Anwürfe im PS nicht annähernd nachvollziehen, da Sie – und das war Gegenstand unserer Entfremdung – offenbar nicht nur Ihren Durst, sondern auch gleich Kommentare gelöscht haben, mit denen Sie mich nun in Verbindung bringen, ohne dass ich die Möglichkeit habe, dies auch nur annähernd, nämlich lesend, nachvollziehen zu können. Was hat Sie bloß dazu bewogen, ausgerechnet in diesem Fall Ihrer ‘Wildwuchsästhetik’ untreu zu werden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Rinpotsche, die ich in der Tat persönlich kenne & schätze, irgendetwas geschrieben haben sollte, was auch nur annnähernd jenes Tiefstniveau erreichen könnte, welches Sie ansonsten – von der Kommentatorenseite her -, und nicht nur mir völlig unverständlich, so zu goutieren wissen! Frau BettyB ist mir gänzlich unbekannt. Nun, draußen beginnt das Testosteron zu vögeln & auch ich bin unrechtschaffen müde, aber so geht es nun wirklich nicht! Ganz davon abzusehen, dass Sie Verschwörungstheorien offensichtlich auch dort wittern müssen, wo es keine gibt, möchte ich auf k e i n e n Fall Ihrem ‘Viel Feind, viel Ehr-Habitus’ zum unfreiwilligen Opfer fallen. Ihre Feinde suchen Sie sich bitte woanders. Ich stehe für diese Rolle nicht zur Verfügung; das Drehbuch ist mir zu simpel gestrickt!

    1. @walhalladada. Wenn das so ist, tut es mir leid, dann hat man Sie benutzt. Ich gehe darauf gern wieder ein, wenn ich zurück in Berlin bin, bzw. im Zug von FFM Flughafen sitze, dann, sofern die UTMS-Verbindung mitmacht. Mein Flug geht 9.50 Uhr, ich muß gleich los und möchte das heutige Reisejournal, also >>>> meine Paris-Erzählung, wenigstens noch antreten. Die Bemerkung rinpotsches ist tatsächlich gefallen, ich habe sie aber ebenso tatsächlich gelöscht, wie ich jetzt oft lösche, wenn in Der Dschungel weit unter Niveau und mit dem alleinigen Interesse der persönlichen Diffamierung kommentiert wird. An sich sollten gerade Sie das verstehen, da Sie ja zu denen gehören, die mir vorwerfen, Die Dschungel hätten allein deshalb solche Zugriffszahlen, weil ich, um das mit Herrn >>>> Keuschnigs Worten zu sagen, “die Trolle fütterte”. Das mit den Zugriffszahlen durch Trolle hat sich mithin widerlegt. Einer vermeintlichen Wildwuchsästhetik, die für mein Werk ein sowieso restlos unzutreffender Terminus ist, gehe ich schon seit langem nicht mehr nach.
      Was BettyB anbelangt, ja, so hat man Sie offenbar benutzt. Was mir leidtut, und ich sage das ohne Häme, die mir sowieso abgeht. Von mir aus habe ich auch niemals jemanden persönlich attackiert, aber ich wehre mich, immer, wenn ich angegriffen werde. Und wurde. Und ich wehre mich scharf. Daß ich aber die diffamierenden Trollkommentare goutierte, wie Sie jetzt wieder schreiben, gehört zu jenen puren Unterstellungen, die keine Ahnung davon haben, mit welchen Verletzungen man sich herumschlägt, ohne das ändern zu können, weil man einer Vision folgen muß. Weshalb ich das alles auf mich nehme, habe ich oft, sehr oft, erklärt, persönlich und in öffentlich persönlichen, sowie in theoretischen Stellungnahmen. Daraus wird mir dann gerne ein Strick gedreht: ich schürzte das bloß vor. Nämlich, lieber Dr. Schein: “Viel Feind, viel Ehr'” habe ich mir wirklich nicht ausgesucht. Aber auch darüber habe ich oft geschrieben und nicht Zeit jetzt, aber schon gar keine Lust, mich permanent zu wiederholen.
      Es ist schön in Paris. Am liebsten bliebe ich. Die Leute haben Neugier dafür und Achtung vor dem, was jemand schafft.

  6. Sehr geehrter Herr Herbst, seit ich die Angriffe auf Ihre Person, das ist es ja meistens, und viele andere Kommentare verfolge, und ich habe auch Bücher von Ihnen gelesen, dann glaube ich, daß der Grund für die von Ihnen erfahrene Abwehr sich eigentlich umstandslos benennen lässt. Ein Kommentator hat einen Punkt neulich, leider unsachlich, auch geschrieben. Da ging es um den Begriff “Werk”, im Zusammenhang mit Wallace. Ich glaube, viele empfinden es als unangemessen für unsere Zeit, solche Begriffe noch zu verwenden. Sie ahnen etwas Undemokratisches, sie ahnen oder spüren, wahrscheinlich sogar zu Recht, eine Anmaßung,die Sie sich erlauben, während andere das nicht tun. Aus welchen Gründen spielt dabei keine Rolle. Auch ich spüre aus Ihren Texten, in den Büchern aber etwas weniger, weil Sie es da nicht so direkt formulieren wie im Weblog, so einen unbedingten Willen zur Kunst, aus dem fast notwendig eine Selbstüberhebung über andere hervorgeht. Das müssen Sie gar nicht wollen. Ich glaube auch nicht, dass sie das wollen. Kompromisslosigkeit ist nämlich letzten Endes nicht menschlich, und da kommt dann so ein Anspruch von Übermenschlichkeit heraus, weil man sich automatisch, wenn man das selber nicht hat, kleingemacht fühlt. Das hat viel mit Ihrer Vorstellung von Künstlertum zu tun, ich meine Künstlertum an sich, gar nicht mal speziell auf Sie bezogen. Aber Sie sprechen sogar von “Genie”, Sie sprechen von Haltung usw. Das sind alles Sachen, die wir in der aufgeklärten Industriegesellschaft nur noch spielen, zum Beispiel im Film, aber die wir in der Hand haben, weil letzten Endes der Markt sie macht und nicht der Künstler selbst. Einen Schauspielerhelden können wir machen, aber wir können ihn auch wieder absetzen. Ein Genie nicht. Ich sage ganz bewußt “absetzen”, weil es darum, wie ich glaube, letzten Endes geht. Nicht weil Sie ein schlechter Mensch sind oder weil Sie schlechte Bücher schreiben, sind die Leute verstimmt, sondern weil Sie für sich in Anspruch nehmen, besonders zu sein, ohne daß man Sie dafür ausgewählt und plaziert hätte, wie man das mit normalen Produkten macht, zum Beispiel sogennanten Stars. Das sind marktwirtschaftliche und demokratische Prozesse, hinter denen immer sehr viele Leute stehen. Das ist bei einem Genieanspruch völlig anders. Das sagen Sie auch oft. Ich glaube nicht, dass Sie wirklich ein unsozialer Mensch sind. Ich glaube sogar das Gegenteil. Aber mit dem Künstlerbegriff, den Sie verteidigen und auch leben, wie man hier immer wieder lesen kann, heben Sie sich selbst aus dem Sozialen heraus. Ich glaube, dass es den Leuten eigentlich nur darum geht. Wenn Sie etwas bescheidener auftreten würden, wäre da viel gewonnen. Gerade als Schriftsteller. Mit Ihrem Anspruch machen Sie es Ihren Schriften eigentlich schwerer, als das sein müßte. Denn die Bücher, die ich gelesen habe, Orgelpfeifen, Thetis, vor allem auch Meere und auch einige Gedichte in dem Engelbuch, gehören für mich ohne jeden Zweifel an die Seite vieler berühmter Autoren, über deren Bedeutung sich die meisten Leute ganz unstrittig klar sind.
    Bitte verzeihen Sie, wenn Sie meine Worte als Übergriff empfinden sollten. Sie sind so nicht gemeint

    1. Sehr geehrter Herr Lebreiter, dazu gäbe es vieles zu sagen. Aber ich sitze wieder über meiner Erzählung, mit der ich, wenn ich gegen frühen Abend in Berlin ankommen werde, eigentlich fast fertig sein möchte. Deshalb hier nur dies:
      Ich glaube, daß Sie den Finger auf die richtige Wunde legen. Nur i s t es eben Wunde, und sie heilt nicht. Denn wenn ich bescheidener aufträte, wäre ich schlichtweg, als Schriftsteller, nicht mehr vorhanden, meine Bücher kämen nicht mehr vor, mein Name verschwände, und es wäre den andern erreicht, was sie wollen. Ja, ich halte am Künstlerbegriff fest, unter anderem, weil er – im Zusammenhang mit “autonomer” Kunst – auch eine soziale Errungenschaft war und noch immer ist, nämlich die Emanzipation von mehr oder minder mißachteten oder lakaiartig bezahlten Dienern zu einem eigenen Berufsstand, und zwar als Künstler und nicht, weil man auch Geheimrat oder Arzt ist. Diese Errungenschaft gebe ich an die Marktgesetze der kapitalistischen Massengesellschaft nicht kampflos ab. Und Sie haben auch recht mit den Filmstars – in der Bildenden Kunst ist es ähnlich -, keiner regt sich da auf. Sondern daß etwas als Label von einer Industrie gesetzt und so vermarktet wird, gilt seltsamerweise als Ausweis für Güte. Dabei liegen dort die eigentlichen Interessen ganz auf der Hand. Interessant sind aber doch jene Kräfte, die sich g e g e n die Macht durchgesetzt haben, oft mit anfangs kleinen unbekannten Truppen. Ich muß nur an Faßbinder denken.
      Ja, Herr Lebreiter, ich nehme in Anspruch. Bei der Macht um Häppchen anstehn zu sollen, empfinde ich als beleidigend, ob nun im Kanzleramt oder bei Zeitungs- und Verlagsempfängen. Ich eigne mich nicht für den Kratzfuß, und zwar auch nicht vor der Menge. Was man von mir verlangen kann, und mit vollem Recht, ist, daß ich meine Arbeit tue und sie gewissenhaft tue und nach allen Kräften, die ich habe. Ich habe einige, um so größer muß der Anspruch sein, derjenige anderer gegenüber mir, meiner gegenüber anderen. Das ist das Leistungsprinzip, und ich mag es. Ich kann nicht einsehen, weshalb es für die Wirtschaft gelten soll, nicht aber für Kunst. Jemand, der rein über Beziehungen usw. in ein hohes Wirtschaftsamt kam, wird sich dort nicht lange halten können, wenn er die Leistung nicht bringt. Das finde ich gerecht, weil die Kriterien deutlich ablesbar sind. Im Kunstbetrieb ist das leider anders. Was eben a u c h damit zusammenhängt, daß ein Werkbegriff ausgehöhlt wurde. Dagegen stelle ich mich. Es kann sein, daß ich den Kampf verliere. Es kann aber auch sein, daß ich ihn gewinne. Nichts ist ausgemacht, nichts ist geschrieben, und schon gar nicht für die Zeit, in der es geschieht.
      Ihr
      ANH
      >>>> Herbst & Deters Fiktionäre

    2. An Herrn Lebreiter Danke für Ihre Ausführungen, die ich sehr interessant finde. Auch Herrn Herbst Antwort finde ich interessant. Aber hat das denn mit seiner Literatur etwas zu tun? Ich will als Leser gar nicht genauer wissen, wie ein Schriftsteller persönlich ist, sondern mich interessiert der Roman, die Story oder das Gedicht ganz unabhängig davon, was ihn dazu gebracht hat. Ich habe eine Zeit lang gerne Biografien gelesen, aber sie haben mir viele Dichter unsympathisch gemacht. Die wenigsten sind wirklich gute Menschen gewesen, sondern oft ziemlich miese Leute. Das kann man gar nicht anders sagen. Trotzdem haben sie grosse Literatur geschrieben, und vieles wissen wir auch gar nicht. Deshalb finde ich es wenig interessant, wie ein Schriftsteller eigentlich ist. Wenn man das als Kriterium nehmen würde, müsste man den halben Picasso aus den Museen entfernen. Also ist die Aufregung, dass sich Herr Herbst angeblich unangemessen “aus dem Sozialen heraushebt”, wie Sie schreiben, für die Beurteilung seiner Arbeit unerheblich. Wenn man einen Künstler kritisieren will, muss man sein Kunstwerk kritisieren und nicht ihn. Dass man das in vielen Kommentaren anders hält, ist für mich deshalb ein Zeichen dafür, dass es den Leuten an kritischen Argumenten gerade ermangelt. Auch Herrn Herbsts Antwort auf Sie, die einer persönliche Verteidigung gleichkommt, finde ich deshalb für seine grosse Paris-Erzählung marginal, obwohl ich natürlich verstehe, was Sie beide erklären wollen. Auf Erklärungen kommt es aber nicht an.

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