Die letzten Tage 81

Wenn man bloß zwei-drei Titel kennt eines Komponisten wie ich, der ich tagsüber im Stillen sitze, und den erst abends die im besten Falle Lockerschreibung und -trinkung in die Youtube-Wüstenei auf der Suche nach Oasen lockt, dem kann passieren, sich an die Anfangstakte des Klavierkonzerts Nr. 1 in b-Moll zu erinnern und dafür den Titel Symphonie pathétique parat zu haben, weil ihn irgendetwas das Wort „pathetisch“ hat assoziieren lassen, aber im Grunde ja doch bloß Tschaikowsky und ein lang zurückliegendes Aufwachen in Wolfsburg gemeint war. Nein, nicht im Bette, sondern auf dem Teppichboden in eines Freundes Wohnung, der eine Platte mit diesem Stück auflegte. Etwas ungläubig noch, dieses Aufwachen. Aber der beigefarbene Sweater, den ich damals mit den abgewetzten Jeans kombinierte, und der noch auf einem Foto zu sehen, das während einer Klassenfahrt des Wolfsburg-Kollegs auf dem Prager Wenzelsplatz geschossen wurde (Freundin Annegret, der spätere Polizist Ulli, und der schon damals vom Bundesnachrichtendienst angeheuerte Rolf, der so tat, als sei er DKP-Anhänger, wie sich später dann herausstellte), war tatsächlich am Kragenbund zerfetzt. Als hätte man mich geschleift. Über das wie bin ich mir nie klar geworden, auch der Freund war etwas zögerlich mit seinen Erklärungen. Jedenfalls lag ich wohl in der einen damaligen Wolfsburger „Untergrund“-Kneipe irgendwie vor der Pißrinne, ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen war. Ich glaube nicht, daß es die Biere waren. Irgendwas anderes muß dazwischen gekommen sein. Das man mir eingeflößt hatte? Und wachte dann eben am nächsten Morgen mit diesem Klavierkonzert auf. Mit dieser gewissen Scham, die einen befällt, nachdem man nicht mehr weiß, wie einem geschehen. Eine Platte war bald gekauft. Aber seitdem habe ich’s nicht wieder gehört. Und nochmal. Jetzt. Diesmal einen Löffel Blicke auch für die dunkle Masse des Bergs im Halbdämmer. Noch schweigen die Tröten der Fußballzuseher im Dorf: Italien-Paraguay. Den Tag trägt, was solange (nicht: so lange) Arme hat, bis die Uhrzeit etwas anderes erzählt. Also so ein bißchen nach der Uhr.

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