Rithaa – ein Jenseitsreigen II. Maerzmusik Berlin 2010 (5). Et Ecce Terrae Motus von Brumel (~ 1500) und Goldberg (2010).

„Arabische Klagegesänge und Trauermusik” ist >>>> Mela Meierhans’ Komposition bescheiden untertitelt, die in diesem Jahr im >>>> Basler Gare du Nord uraufgeführt worden und mehr als berechtigterweise gleich zu den Maerzmusiken eingeladen worden ist. Es handelt sich um den zweiten Teil einer Trauer-Trilogie, deren erster, „Tante Hänsi” genannt und im Jahr 2006 uraufgeführt, Trauerrituale der Innerschweiz, las ich, aufgenommen und, sage ich, klanglich verwandelt habe. Auch dort schon scheint auf Rituale focusssiert worden zu sein, die ihrerseits aussterben – so, wie in diesem zweiten Teil der Musik arabische Rituale des Klangs und Gesangs. Man kann insofern sagen: eine doppelte Trauerarbeit, indem die Trauer selbst stirbt und nun dieses es ist, was musikalisch betrauert wird. So etwas ist eine archivierende Ästhetisierung zu nennen, logischerweise, weil es nicht um Dokumentation geht, sondern darum, ein eigenständiges Musikkunstwerk zu schaffen, das nicht verschweigt, welcher Zeit es zugehört. Auch wenn nämlich die im arabischen Raum unterdessen bekannte, stark von >>>> der berühmten ägyptischen (Volks-)Sängerin Oum Kalthoum beeinflußte >>>> Kamilya Jubran mit einigem Gewicht an dem Projekt beteiligt ist, handelt es sich nicht um das, was als „Weltmusik” nur allzu oft zu Ethnokitsch wird, zu industriellem Multikulti-Pop, sondern es ist k e i n e Collage der Beliebigkeit, vielmehr hat Meierhans die Klänge (das ist grammatisch eine Verdopplung, ich weiß, sie soll aber verdeutlichen:) zusammen- tatsächlich -komponiert und damit eine Trauermusik geschrieben, die ohne falschpathetische Aufwallungen und, darf man sagen, meditativ still Traditionen zweier großer Kulturen ineinander verschränkt, welche auch wirklich, aus ihrer Geschichte, zusammengehören, wobei der abendländische Kontext, aus dem Meierhans herausfühlt, das auch tatsächlich ist, nämlich geprägt von etwa Pierre Boulez, indes der orientalische ganz nahe am Volk bleibt. Was damit zusammenhängt, daß der strenge Islam weltliche Musik wenn nicht verboten, so doch wenigstens in ihrer Entwicklung stark behindert hat. Das bezieht sich auch auf die Poesie: Mohammed hatte die Klageweiber verboten, somit verharrte die Entwicklung auch der für die Rituale, die vorwiegend weiblich dominiert waren, geschöpften Trauergedichte für lange Zeit im Vormittelalter, beharrte aber offensichtlich ähnlich zäh wie der europäische Volkswille zur Marienheiligung, der sich überhaupt erst 1950 (!) mit Aufnahme Mariae im Himmel durchsetzen konnte (ich möchte gerne eine ähnliche Zähigkeit für die islamische Frauenbewegung erhoffen, die es ja ebenso gibt wie Widerstandskämpferinnen in Palästina). Dennoch, die Fragen, die aus solcher Poesie herausklingen, sind die immergleichen geblieben: Was ist von mir übrig?Frau Meierhans verwendet für ihr Projekt nicht nur ein in seiner Zusammenstellung synkretistisches Instrumentarium, das Alphorn trifft aufs Santur, die Oud spielt zum Cello, sondern darüber hinaus werden auf drei hinter dem kleinen Orchester aufgespannte Projektionsflächen Bilder von Sand geworfen, von Händen, die über ihn streichen, dann wieder fließen die drei, nein vier großen Sprachen des Abends bildlich, kalligraphisch, ineinander, Arabisch, Englisch, Deutsch, Französisch; mitunter scheinen sie auseinander hervorzufließen und illustrieren nicht, nein bühnenspielen, wozu das Orchester des >>>> ensemble dialogue die Seele gibt. Dann wieder treten Musiker beiseite, an den Rand des Podiums, nehmen leise Platz, und Frau Jubran singt alleine zu ihrer Oud oder im Dialog mit Françoise Rivallands Santur, einem der Zitter nicht unähnlichen Perkussionsinstrument; einmal sogar ist der arabischen Trauerfrau Nawal Noah filmisch Raum gegeben – immer unaufdringlich, immer diskret. So sitzt man tatsächlich in einem Klang- und Bildraum, der die Wiedervereinigung der Geschwisterkulturen über gemeinsames Trauern ermöglicht, ihm jedenfalls einen Weg bereitet, der derart sinnlich evident wird, daß man sich hinterher fragt, wie es habe zu solcher Entfremdung überhaupt kommen können, und wir fühlen sie mit Traurigkeit. „Es wird keine öffentliche Trauer geben, sagt Kreon in Antigone” – diesem sich leitmotivisch durch die ganze Komposition ziehenden Diktum setzt sich die Tradition des Volkes entgegen, denn Trauer, das hörten wir gestern nachmittag, i s t ein öffentlicher Akt: er ist es, der uns alle verbindet.

nimm mich zu einem Land, das vom Tod verhüllt ist.
Mein Körper ist Wehklage.
(Salman Masalha)

Großartig.

Möglicherweise lag >>>> Clemens Goldbergs Et Ecce Terra Motus, Und plötzlich bebte die Erde, das nachts im >>>> Berliner Radialsystem uraufgeführt wurde, eine ähnliche Idee zugrunde; hier aber ging es gründlich schief. Nicht, daß nicht das >>>> Ensemble Musica Universalis berührend hinreißend gesungen hätten; Brumels Messe, die Goldbergs „utopischer Musik im Angesicht des Untergangs” als Ausgangspunkt dient, ist von einer geradezu unerhörten Schönheit, was besonders wirkt, wenn wie gestern aus dem nahezu Dunklen herausgesungen wird, wobei die Stationen der Liturgie durch verschiedene Orte im Raum versinnbildlicht werden. Das ist schlüssig. Nicht schlüssig, sondern bizarr vor Absurdität, ist das Unternehmen, das Osterrantiphon, das die semantische Quelle dieser Renaissance-Messe ist, mit einer Bildercollage des jüngst zusammengestürzten Kölner Stadtarchivs zu koppeln und auch noch Zeitungsberichte darüber zwischen die liturgischen Sätze zu sprechen, als handelte es sich um Sakraltext. Du mein Gott! möchte man rufen: die Verluste an Schriftgut mögen beträchtliche sein, meinetwegen… Anlaß zu menschlicher Trauer aber, der Hoffnung gegeben werden müsse, sind sie nicht, und zwar um so weniger, als das gerade in Chile stattgefundene Erdbeben schon faktisch ein völlig anderes Unglück ist, um von dem eigentlichen Nichtkonkreten, nämlich der Menschlichkeit an sich, der die Messe Ausdruck schenkt, gänzlich zu schweigen. Das minikleine Kölner Unglück („Plötzlich hört er Schreie aus dem Stadtarchiv”) auch nur in Verbindung damit zu bringen, ist rundweg geschmacklos und wäre, wär es nicht wieder so lächerlich, gröbste Blasphemie. Aber damit hörte das Elend nicht auf. Sondern nun wurden quer aus der Literatur Erdbebentexte derart zusammengesuriumt und bedeutungsschwanger hinzuprosodiert, daß mit einem Mal auch das Grauen von Tschernobyl als Erdbeben gilt, es ist einfach nicht zu fassen – so wenig zu fassen, daß man dem Liturgie-und Bildersampler Clemens Goldberg seinen postmodernistisch aufgechicten Quatsch nur noch um die Ohren klatschen will. Der Mann sollte büßen. Der Mann sollte für ein Abtestat sein Honorar nach Chile überweisen. Wenigstens >>>> Misereor wäre dann dankbar und der Abend bekäme im Nachhinein einen fürwahr menschlichen Sinn. S o aber läßt sich nur ausrufen: Ach! Ach, wie schade um diese große Musik! Ach! Wie schade um die Sänger!
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